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10. Fortsetzung ' Sie kannte Ihn, de'r sich seine eigene Lebensphilosophie ge- Gilbet hatte, sich nie verleugnete und sich immer gleich blieb. Sie kannte ihn, wie ihn niemand kannte, und würde im Leben nicht vergessen, daß er ihr einst gesagt hatte: „Wir müssen wissen, was wir wollen und tun, was wir müssen. „Wenn" und „dann" dürfen für uns nicht existieren- Ser Zufall narrt, die Hoffnung trügt, nur die uns inne wohnende und uns bemühte Kraft enttäuscht uns nicht. Unser Leben basiert auf dem Geistig-Ethischen und nicht auf dem Physisch-Materiellen. Deshalb ist es gleich, ob zwischen Leben und Sterben der guten Tage viele oder wenige sind. Ls ist aber nicht gleich, an was wir Körper und Seele setzen- Sie Aufgabe, die wir uns stellen, ist der Spiegel unseres Zchs." „Die Aufgabe ist der Spiegel unseres Jchs", das wieder- stüte sie immer wieder. Sie erkannte die Nichtigkeit der Aufgabe, die sie sich gestellt, »ls sie ihn abwies. Und sie schämte sich. Da lieh sie ganz unvermittelt stehen und liegen, was um sie war, lief hinaus und hinüber nach Grohsteinau, wo sie wußte, dem sie bitter wehgetan zu haben glaubte. Er war ja immer in Großsteinau nach Feierabend. 4- * * Das war nun schon das zweitemal innerhalb ganz kurzer Zeit, daß sie das tat. Luch Sohr kannte seine Frau. Ihn verwunderte ihr kommen. „Ich wollte nur in deiner Näh« sein, Fritz," sagte sie und etzte sich abseits unter einen Holunderbaum, von wo aus sie Hm zusehen konnte. Er hatte den Dreijährigen — „Ajax" hieß er — wieder ai der Longe und ließ ihn galoppieren. Diesmal schon mit auf gelegtem Sattel. Auch niedrige Hürden ließ er ihn nehme, «d einen erst frischgezogenen Graben. Es ging schon ohm Mocken im absolut gleichmäßigen Tempo. Mit seiner Arbei« »ar er zufrieden, mit seinem Pferde auch. Für heute konnte er Schluß machen. Der Reitknecht nahm ihm das Fohlen ab. Er selbst setzt, sich zu Carla. „Die Gäule sind wie die Kinder. Man hat allerhanl Arbeit mit ihnen," sagte er und Carla erwiderte: „Ja, wie die Kinder. Nur folgen sie besser." „Nicht immer," meinte er. „Es ist bei Mensch und Tiei -dl» Gleiche. Was wir aus der Hand lasten, das entschwind« ims. Was unserm Einfluß entzogen ist, gehört uns nicht mebr." Wie recht er hatte! Sie seufzte. »Was ist dir?" fragte er „Ich denke an unsern Jungen, Sohr. Den haben wir auck - qu» der Hand gelassen. — Ob es doch nicht bester wäre, wen« wir ihn um uns hätten?" _ _ . . , „Wohl schon! Aber zwingen — nein. Er muk lick selbst : zu uns finden." ' „Das wird er kaum tun, fürchte ich." ' „Wer weiß." Carla sah in das sinnende Gesicht ihres Mannes. , „Du hoffst, Sohr?", fragte sie. „Auf was hin?" j Sohr beugte den Körper zurück und stemmte sich auf di« i Hände. So sah er in den Himmel, der sich blau und klai über ihm wölbte. ' „Worte wecken selten, Carla," antwortete er, „Ermah , nungen fruchten wenig, aber das Ereignis rüttelt auf uni i die Tat prägt sich ein. Je größer sie ist, desto tiefer." - „An was denkst du bei diesen Worten?" „Wenn sich die Oeffentlichkeit damit beschäftigen wird, daß man in Finkenschlag Land verschenkt — und das wird sie tun —, wenn er hören wird, wie man den anfeindet, der sich dessen unterfängt — und das wird geschehen —, wenn er erfahren wird, unter welchen Umständen das zu verschenkende oder verschenkte Land erworben wurde und endlich, wenn er erkennen wird, daß alles für ihn geschah, dann sollte er — meine ich — aufsehen müssen und den Weg zu seinen Eltern , finden." „Sollte —l" sagte Carla zweifelnd. „Ob er es können ! wird? Ob ihn nicht doch zuviel hält?" „Er ist dein Sohn! Seinen Vater kannte ich leider nicht. Wenn der aber war wie Schwager Harro, dann ist anzuneh men, daß sich dem Claus von euerm Pflicht- und Verant wortungsgefühl ein Funke wenigstens vererbt hat." „Mir ist trotzdem bange," gab Carla besorgt zurück. „Er lebt in Berlin. Dort wohnt auch die Kuppke. Man sollte ihn wenigstens öfter nach hier kommen lasten." „Versuche es. Es sollte mich freuen, wenn es dir glückte." Carla sann eine Weile vor sich hin. Angestrengt! Es mar, als ob sie in sich hineinhöre. Plötzlich fragte sie: ' „Habe ich deine Unterstützung, Sohr?" ! „Bedarf keiner Frage!" ' „Dann komm' mit nach Niederneidberg." Sohr mußte lachen und Carla lachte mit. Es lag wie Sonnenschein und Regen auf ihren Mienen. „Kluge Frau," scherzte er. „Der Plan ist gar nicht übel. Weib gegen Weib! Ganz gut. Aber das Sophichen kann ich nicht einschirren. Das mußt du selbst tun." „Pfui, Sohr, wie du das sagst," schmollte sie. „Ein schirren!" Er strich ihr übers Gesicht. „Sei doch still, Liebes. Wir sind uns ja einiy. Mir gefällt die Kleine. Aber Brautwerber" — er rieb sich den Nasen rücken — „dazu dürfte ich kaum taugen. Sohr kann nicht oon Liebe reden „ aber treu sein kann er," sagte Carla und reickte ibm . die Hand. ! Die küßte er schweigend. ! Dann gingen sie nach Niederneidberg. Sohr nicht nur der j Sophi wegen. Auch noch aus einem anderen Grunde tat er j das. » » Die Liebetraus waren nicht wenig erstaunt, als Sohr und Gattin so spät noch bei ihnen vorsprachen. Die Sophi ohne e, die unter der Tür stand, sah die Gäste - zuerst. Sie bekam blanke Augen und schlug vor Freude in i die Hände. Dann stürmte sie den beiden entgegen. i Sie begrüßte Carla mit einem Knix, den „großen Sohr", , wie sie ihn nannte, mit einem herzhaften Handschlag. „Wie geht es meiner stillen Liebe?" fragte der Finken- schlager scherzend. „Meinen Sie mich?" — „Das sollte Fräulein Sophi Liebetrau zu fragen gar nicht nötig haben." „Es wird Ihnen doch nicht schaden, Herr Sohr." > „Im Gegenteil. Bekommt mir ausgezeichnet." „Dann brauche ich mir keine Gewissensbisse zu machen. ' Wir haben viel Arbeit." „Das ist nichts Neues im Sommer. Und sonst —?" „Alles wohlauf! Mensch und Tier gesund. Da — sehen Sie! Steht Papa nicht brillant aus?" Der stampfte über den Hof, groß und breit, wie eine Dampfwalze, grinste über das runde, volle Gesicht und hielt. seine mächtige Pranke Frau Sohr zum Gruße hin. „Willkommen in Niederneidberg," sagte er. „Fein, daß wir Sie mal bei uns sehen. Kommt selten vor. — Tag, Sohr." „Die erste Million ist voll, Liebetrau, da wollen wir eine Stunde bei Ihnen verschnaufen, bevor wir an die zweite zehen. Es ist immerhin ein Stück Arbeit." „Da haben Sie recht. Und was ist zur Stärkung gefällig? Lier, Wein, Likör, Kaffee?" „Porläufig ein anderer Platz. Seit drei Minuten stehe ich hier in Ihren Roßäppeln und meine Frau in etwas Äehn- lichem." „Entschuldigung Herrschaften! Man wird alt und tapperig." Er bot Carla den Arm. „Darf ich bitten, schöne Frau?" und führte sie ins Haus. Sohr und Sophi folgten plaudernd. Frau Liebetrau, eine feine, bewegliche Dame, die sich neben ihrem Gatten ausnahm wie ein Weihnachtsbäumchen neben einer Douglastanne, empfing die Gäste im Flur. Man sah ihr die Freude an, die sie über den Besuch empfand. Sie nötigte ins Zimmer, ließ Wein bringen — selbst gekelterten natürlich — und Gebäck. Um den runden Eichentisch schwirrte bald eine angeregte Unterhaltung. Man sprach von der Ernte, von den kleinen und großen Enttäuschungen, die der Tag bringt, auch von den Freuden, die er uns schenkt und von den Jungen in Berlin. Plötzlich sagte Liebetrau: „Was ich fragen wollte, Sohr, stimmt die Sache mit Wetter?" „Welche Sache?" „Es soll nicht alles in Ordnung sein bei ihm," sagte Liebe irau. „Ach so! — Das mag wohl richtig sein. Er wackelt in den schuhen." Liebetrau unterdrückte einen Fluch und nahm einen Ver- iegenheitsschluck. „Auch Leidtragender?" erkundigte sich Sohr. Liebetrau nickte. Dann zwinkerte er ihm zu und erhob sich. <S»rtsetzm»g sotgt.s