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Beilage zur Weitzeritz-Zettung Rr. 30 Dienstag, am 5 Febmar 1929 «5. Jahrgang Chronik des Tages. — Reichspräsident v. Hindenburg hat dem Gründer der Junkers-Werke, Pros. Junkers, seine herzlichsten Glück- mlinM zum 70. Geburtstag ausgesprochen. — Die Ncichsbank verteilt für 1928 ebenso wie für ' 1927 eine Dividende in Höhe von 12 v. H. — Parker Gilbert will sich am heutigen Dienstag zu einem kurzen Aufenthalt von Paris nach Berlin begeben. — Bei der Austragung der Meisterschaften in Klin- ! genthal wurde Gustav Müller-Baherisch-Zell deutscher Ski- ! meister. — Einen neuen Weltrekord im Eisschnelläufen über < 1000 Meter stellte der norwegische Europameister Ballan- : grud mit 1:31,5 auf. f — Die „Wettermacher" wollen wissen, daß die Kälte ! in Deutschland den Höhepunkt überschritten hat. — Der deutsche Dampfer „Deister" ist in der Nähe ! von Oporto auf Grund geraten. Die 22 Mann starke i Besatzung wurde von einer Welle über Bord gespült und j ertrank. — Der Breslauer Raubmörder Vieluf hat, wie jetzt seststeht, drei Morde auf dem Gewissen. — Die Stadt Beira in Portugiesisch-Ostafrika ist von einem schweren Orkan heimgesucht worden. Es gärt in Spanien. — Madrid, 4. Februar. Wie verlautet, haben die drei zum Tod« verurteilten Offizier« Selbstmord verübt. In Valencia meuterte die Garnison; die Lage wird ernst beurteilt. Die Aufstandsbcweguna des 1. spanischen Ar tillerieregiments in Ciudad Neal, die Primo de Rivera so überraschend schnell niederschlagen konnte, hat nun auch andere Garnisonstädte zum Losschlagen veran laßt. In Spanien sind erneut alarmierende Gerüchte im Umlaus! In dem republikanisch gesinnten Va lencia hat sich ein Teil der Truppe unter Führung des Generals Castro Girono gegen die Regierung er hoben; revolutionäre Komitees scheinen in vielen Städten am Werke zu sein und für die Proklamie rung der Republik Propaganda zu machen. In Madrid versichert die Regierung, sie beherrsche die Lage. Der Putsch in Valencia wird bestätigt, doch fügt man hinzu, inzwischen habe der mit besonderen Vollmachten ausgestattete Chef der Zivilgarde und früher? Oberbefehlshaber der Kampftruppe in Marokko, General Sanjurjo, die Ordnung wieder hergestellt, die Offiziere abgesetzt und die Meuterer entwaffnet. Zur Aburteilung der Verschwörer wurde ein Sondergericht eingesetzt. Immer deutlicher zeigt sich, daß die Ausstands bewegung in Spanien diesmal von weit größerer Be deutung ist, als die bisherigen Meutereien, durch di« Spanien dem klassischen Lande der Militärputsche, Por tugal, den Rang abgelaufen hat. Im Herbst 1926 meuterte nur die Artillerie, empört darüber, daß auch die Artilleristen lediglich nach Maßgabe der Kriegs- ! Verdienste befördert werden sollten, also nach einem i Modus, der den Truppen zugute kam, die in Marokko gegen die Ristabylen gekämpft hatten- und das war die Infanterie. Gegenwärtig stehen mit der unbot mäßigen Artillerie aber auch polrtische Kreise im Bunde, soweit sie mit den heutigen Verhältnissen unzufrieden sind. Das erklärt die überraschende Tatsache, daß an der neuen Aufftandsbewegung der frühere spanische Ministerpräsident und Führer der konservativen Partei Jose Guerra nicht minder Anteil genommen hat, wie die Männer, die als überzeugte Republikaner bekannt sind. Vielleicht ist heute die Artillerie noch nicht einmal ! die treibende Kraft, sondern nur der Geschobene. Be- ! zeichnend für die Erbitterung der Artillerie- > offizierkops ist ein Vorfall, der sich vor einigen f Monaten nach dem Besuch des spanischen Königs in f der Artilleriekaserne San Sebastian ereignete. In der Offiziersmesse wurden einige Gläser Cherry getrunken, kaum hatte der König die Kaserne verlassen, als auch schon ein Offizier unter dem Beifall der übrigen das Glas, aus dem der König getrunken hatte, auf dem Boden zerschmetterte! Noch offener zeigte sich die Op position bei einem Besuch des Königs in einem Trup- penlager nahe der Hauptstadt, als alle Offiziere die von dem König herumgcreichten Zigaretten mit der Begründung ablehnten, sie seien „Nichtraucher". Bezeichnend ist ferner, daß bei den Kadetten in der Kriegsschule Segovia der „fromme Wunsch": „Es »erbe Primo de Rivera", bei jeder Gelegenheit ;u hören sein soll. Wer derart in den Gegner verrannt ist, wird ohne Zweifel jede Hand ergreifen, die — von welcher Seite »uch immer — gegen die Regierung erhoben wird. Uber mit Politik haben diese Dinge, soweit das Mi litär in Frage kommt, nur wenig zu tun. Es sicht twar nach Politik aus, wenn ein Offizier auf die Vorhaltung, er habe doch der Krone Treue geschworen, »em König erwidert: „Jawohl, Majestät, aber nur der konstitutionellen Monarchie", doch entspringt der Haß in erster Linie wohl dem Umstand, daß Prime j de Rivera die Beförderungsaussichten für die vor - Korpsgeist erfüllte Artillerie mit ihren auf großem Fuß lebenden Offizieren verschlechtert hat. Angesichts dieser Verhältnisse entbehren die ein- ! zelnen Putsche zum Teil auch nicht einer gewissen Ko- f m i k. Die Rebellen richten zwar rasch und mit größter ! Begeisterung die Kanonen auf die öffentlichen Gebäude, , hüten sich aber, die Geschütze abzufeucrn; und die Standgerichte fällen Todesurteile, lassen sie aber nicht vollstrecken. Grotesk ist es ferner, wenn Jose Guerra als „Märtyrer" in der Verbannung lebte, obwohl ihn niemand des Landes verwiesen hatte, oder wenn er unter falschem Namen zurückkehrt, wo seiner freien > .Einreise nichts im Weae stand. , ; Ein geordnetes Staatswesen kann selbstverständ lich derart gefahrvolle Experimente, wie sie nun ein mal die „Pronunciamentos" in Spanien darstellen, nicht dulden. Gefährdet wird Primo de RiveraS Stellung außerdem dadurch, daß er 1923 Ausnahmerechte ge schaffen hat, gegen die sich wachsender Widerstand be merkbar macht. Die Angriffsfläche, die die gegenwär tige spanische Regierung bietet, ist deshalb groß, und nicht minder der Kreis ihrer Widersacher, wenn auch die Beweggründe der Opposition im einzelnen sehr ver schiedener Natur sein mögen. Die Presse war übrigens größtenteils ablehnend gegen die Regierung eingestellt, Primo de Rivera sagt, zu 99 v. H.! Paris erwartet die Amerikaner. Und stellt Vermutungen über den Kouferenzverlauf »«. — Gleichzeitig auch Räumungs-Berhandlungen? In Paris stellt man sich bereits auf die bevor stehende Ankunft der amerikanischen Reparations-Sach verständigen ein. Vorerst weilt nur der Generalagent für die Reparationszahlungen in Paris. Parker Gilbert ist zwar, eine Folge der Uxbersahrt, an Grippe er krankt, will aber trotchem am heutigen Dienstag auf einige Tage nach Nerlin fahren, um dann zur Er- Ssfnung der Vorverhandlungen wieder nach Paris zu- kückzukehren. An der Sachverständigenkonferenz selbst will Parker Gilbert nicht teilnchmcn. Gut unterrichtete Kreise in Paris sind, wie der „New Uork tzerald" zu berichten weiß, der Ansicht, )aß der Sachverständigenausschuh die Höhe der deut- ichcn Jahresleistungen voraussichtlich auf etwa zwei Milliarden Goldmark herabsetzen werde. Die Sachver ständigen würden bei der Bestimmung der Ziffer wohl Methoden anwenden, die denen eines Pscrde- kaufes sehr ähnlich seien. Die Alliierten würden die Aufrechterhaltung der ge- fcnwärtigen Leistungen Vorschlägen, während die Deut- i ichen vielleicht einen Betrag von 1 bis 1Ve Milliarden Mark als tragbar bezeichnen würden. So werde man i ;u handeln ansangen, was bis zur Erschöpfung an- »auern könne. Sollten die Verhandlungen aus einen wten Punkt gelangen, dann würden wohl die euro päischen Sachverständigen die amerikanischen Vertreter Noung und Morgan bitten, eine schließliche Kompro- nißentscheidung zu treffen. Darauf sei auch der Wunsch »urückzuführen, Young den Vorsitz der Verhandlungen l» überlassen. Zn« Schluß betont da» Blatt «ach, «S sei wahr scheinlich, daß die Vertreter der deutsche« «ud »er al liierten Länder die Frag« »er Räumuug gleichzeitig, >ber außerhalb der «usschußberatuugen behandeln wiir- »en. Allgemein sei man der Anschauung, daß »er Ab- jchlntz eines Näumungsplaues von großer Tragweite Är die Zugeständnisse der Alliierten «ud Dentschen in »er Ränmungsfrage sein würde. * Neichsbank und Reparationen. Weiterzahlung der Reparationen mit geborgten Gel- »er« »«möglich. — Eine Milliarde Mark jährliche Zinsen für Auslandskredite! Die Neichsbank hielt in Berlin ihre Generalver- kmrnlung ab. ES wurde beschlossen, für das Jahr 1928 eine unveränderte Dividende in Höhe von 12V.H. ,u verteilen. In der Aussprache erklärte Präsident br. Schacht zu der starken Vermehrung der Gewinne »er Bank, daß sich hierin nur die Not der deutschen Wirtschaft und deren ungeheure Kreditnot sowie »ie Höhe des Zinssatzes widerspiegele. Die Gewinne oürden von selbst zurücktreten, wenn wieder ein einiger naßen normaler Zinsfuß in Deutschland herrsche. In d«m gleichzeitig vorgelegten Berwaltnngsbe- :icht der Reichsbaut wird ausgeführt, »aß wieder ein Kahr lang Neparationeu nicht aus Neberschüssen der Wirtschaft, sondern aus geborgten Gelder,» abgefühert vnrden. Es erhebe sich immer ernster Vie Frage, wie ange dieser Berfchuldungsprozeß noch fortgcführt wer- »en und wie weit die deutsche Wirtschaft die im Laufe »es Jahres immer ungünstiger gewordenen Krcditbe- »ingnngen noch tragen könne. Die hohen Zinssätze bildeten u. a. auch eine der Hauptursachen für du schwierige Lage der Landwirtschaft. Der Bericht schätz! die von Deutschland aufgenommencn langfristigen Aus ländsanleihen auf sieben Milliarden und daneben di, von den Banken hercingenommcnen kurzfristigen Aus- landsgclder auf sechs Milliarden. Dazu kämen nock kurzfristige Auslandskredite anderer Wirtschaftszweig, und schließlich der Erwerb ansehnlicher Beträge in ländischer Wertpapiere durch ausländische Käufer. Dc» Zinscuvicnst, den Deutschland für die bisherigen Aus- landsgcldcr aufbrmgeu müsse, belaufe sich auf run» eine Milliarde jährlich. Die Berliner Unterwelt. „Jmmertrc,,"--Leute vor Gericht. — „Wir Einheimi sche« von. Schlesischen Bahnhof." — Die Angeklagte« wissen von nichts. Unter stärkstem Andrang der Zuschauer nahm aw Montag in Berlin der Prozeß gegen die Haupthelden der Straßenschlacht vom 29. Dezember seinen Anfang. Angeklagt sind neun Mitglieder des Vereins der Unter. Welt „Jmmertreu". Die Angeklagten habyn alle in der Nähe des Schlesischen Bahnhofs ihren Wohnsitz; siebe» von ihnen sind vorbestraft, in der Hauptfach« wegen Diebstahls, Körperverletzung und verbotenen Glücksspiels. Und zumeist auch im Rückfalle. Die An klage lautet auf schweren Landfriedensbruch und Teil- nalmre an einer Schlägerei, wobei ein Beteiligter ge. tötet und mehrere schwer verlebt worden iiud. «ine, von ihnen so schwer, daß er später seinen Verletzung«« erlag. Um Zwischenfällen vorzubeugen, sind starke Sicher heitsmaßnahmen getroffen worden. Eine Polizeikett« sperrt den Eingang zum Sitzungssaal ab, Polizei- beamte flankieren die Anklagebänke. Auf dem Gerichts- tisch liegen Gegenstände der Straßenschlacht: Schlag« Werkzeuge und zerbrochene Stuhlbeine. Als Zeugen sind die Hamburger Zimmerleute geladen, die in ihren bunten Wandertrachten erschienen sind. Die Verhandlung beginnt mit der Vernehmung des Hauptaugeklagten Leib. Der Angeklagte macht die Zimmerleute verantwortlich, schiebt ihnen alle Schuld in die Schuhe und will sich selbst „höchstens" gewehrt haben. Der Verein „Immer- treu" ist ihm ein guter „idealer" Verein, der seinen Mitgliedern Arbeit verschafft, sie unterstützt, ihnen an ständiges Benehmen vorschreibt und die Teilnahme an Beerdigungen zur Hauptpflicht macht. Ein zelne Vereinsmitglieder sollen sogar ein Monatsein kommen von 1500 Mark haben. Der Gründer des Vereins, Steinke, bestritt, über haupt an der Straßenschlacht teilgenommen zu habe». Der Angeklagte Höhne, der in der Voruntersuchung Steinke schwer beschuldigt hatte, widerrief seine Aus sagen. Die belastende Aussage soll die Polizei von ihm „erpreßt" haben. Ein Polizeibeamter — so sagt Höhns — habe während der Voruntersuchung fort während mit einem eisernen Lineal herumgesuchtelt und habe gerufen: „Wir werde» dir mit dem Holzhammer dein Gedächtnis auffrische», und darauf habe er eben „aus Fingst" Falsches ausge sagt. Der „Jmmertreu"-Verein ist nach der Darstel lung Hühnes von den „Einheimischen am Schlesischen Bahnhost' im Interesse der Gastwirte gegründet worden, um Ordnung zu schaffe«. Und stolz erklärte Höhne: „Was die Polizei nicht fertig brachte, das habe« wir Einheimische vom Schlesischen Bahnhof fertiggebracht, nämlich, daß das Rowdytum am Bahnhof aufhörte!'! Aus einen ähnlichen Ton waren die AuSsagett der übrigen Angeklagten abgestimmt. Politische Rundschau. — Berlin, den 5. Februar 1929. — Reichspräsident von Hindenburg hat dem Hamburger Sssatoc und Gesandten in Berlin Dr. Strandes zur Bollen- »ung seines 70. Lebensjahres in einem Handschreiben kein« tzlückwünsche ausgesprochen. , :: Vevorsteheuver Besuch »es Königs von Aegypten R Deutschkan». König Fuad von Aegypten hat «ach «glischen Meldungen die Einladung des Reichspräst- »enten v. Hindenburg, Deutschland im kommenden Som- ner einen Besuch abzustatten, angenommen. Rundschau im Auslande. ! In einer Bukarester Versammlung wurden 200 Kom munisten verhaftet, weil sie Bilder des früheren Herrscher hauses von den Wänden gerissen hatten. ; Man rechnet damit, daß das amtlich« Organ des Vatikans „Osservatore Romano" in den nächsten Tage« ein« Erklärung über den Stand der römischen Frage veröffent lichen wird. ; Der neue amerikanische Präsident Hoover will, Korre- wendenzmeldungen zufolge, den durch seinen Ozeauflug be kannt gewordenen Ptloten Lindbergh zum Minister für das Luftfahrtwesen ernennen. ! In Washington läuft das Gerücht um, Präsident Coolidge solle nach Ablauf seiner Amtszeit zum Richter am Obersten Gerichtshof ernannt werden. * Mexikanische Truppen im Kampf mit Rebekle«. ; Wie aus Mexiko gemeldet wird, stehen die Bundes truppen im Staate Jalisco seit mehreren Tagen in heftigen Kämpfen init starken Rebellentruppen, di« sich mehrerer staatlicher Gebäude bemächtigt haben. Der Führer der Auf ständischen soll ein Geistlicher namens Podrosea sein. Die Menschenverluste auf beiden Seiten sind erheblich. Schulden und kein Gegenwert. Der Bauernstand unter der Rcparatiouslast. — Wir ist Abhilfe zu schaffen? — Das Programm »eS Mi nisters Dietrich. In Anwesenheit des Reichsernährungsministers Dietrich und des Oberpräsidenten Lüdemann trat der Schlesische Bauernbund in Breslau zu einer Tagung zusammen. Der Vorsitzende des Bundes, Bauernguts- bcsitzer Herr mann-Laskowitz, führte aus, in erster Linie müsse dem Bauernstände geholfen werden, der zwei Drittel der gesamten landwirtschaftlichen Fläche in Händen habe und sehr schlecht dastehe. Danach nahm der Reichsminister für Ernährung und Land- wirtsck)aft, Divtrich, das Wort. Der Minister betonte, die Preisschere sei heute zu Ungunsteu der Landwirtschaft wieder stark geöffnet. Das sei auf die Handelspolitik des Jahres 1925 zu rückzuführen, durch die die Jndustriezölle übersteigert, während die Agrarzölle nur auf die Vorkrtegshöhe gesetzt worden seien. Ferner wirkten die Steuerlasten und die übermäßig hohen Zinsen verheerend, be sonders dann, wenn das aufgenommene Geld durch die Verluste des Betriebes verbraucht worden seien. Boi« bei» acht Milliarde« neuer Schulden, die die Land wirtschaft seit der Stabilisierung der Währung anfge- uommen habe, feie« aller Wahrscheinlichkeit nach Drei viertel, also sechs Milliarden Mark, durch Vie Verlust- Wirtschaft aufgebrancht wordeu, ohne daß jetzt ein Ge genwert vorhanden sei. Die Revarationklalt