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2 2 Ueber den Wäldern kreisten r>»e Raben. Mit mächtigem Flügelschlag hoben sie sich über die Wipfel der alten Tannen dem jungen Morgen entgegen. Langsam versanken sie dann zwischen den Stämmen; beutesuchend, überschauten ihre schwarzen Augen das weiße Tuch, das in unendlicher Reinheit über den Boden ge breitet lag. Rüttelnd standen sie für Momente nur über der Stelle, an der der Kleine den letzten Kamps gekämpft. Dann schwangen sie sich auf einen kahlen Ast. Krächzend saßen sie und sahen nieder auf das ge brochene Steuerrad, auf die Buchstaben, die den Namen der Trümmer des stolzen Schlittens trugen: „Bobstne." Wütend zerrte der Wind an der kleinen Pupp«, die der schwere Sturz nicht getroffen hatte. Weithin zerstieben die bunten Fäden, wurden getragen vom Sturm, der von der Kuppe des hohen Berge- herab durch die Wälder brauste, und landeten, weit entfernt von einander, aus Aesten und Stämmen. Der kleine, drahtige Sportwart war nicht mehr. Mit ihm zerstob der Talisman: Die kleine, bunte, schlanke Bobsine- o o M — r-, . Onkel Julius. Von Fritz Fischer. ^Nachdruck verboten.) „Hör' einmal", sagte Frau Köther zu ihrem Manne, als oieser mittags aus seinem Geschäfte nach Hause kam, „da habe ich heute früh einen Brief von meinem Vetter Julius erhalten. Tu weißt ja, er war immer ein Sonderling; nun schreibt er, er wolle auf seine alter. Tage Familienanschluß haben. Wie es scheint, will er zu uns ziehen." „Hm!", machte Köther. „Selbstverständlich ist die Hauptsache", fuhr die Hausfrau fort, „ob er etwas hat. Es hieß ja immer, er hätte etwas hinter sich gebracht, aber genau wußte es niemand, weil er zurück gezogen lebte und ja doch so weit weg wohnte." „Da will ich", sagte Köther, „mich doch so schnell wie mög lich nach seinen Verhältnissen erkundigen; wozu bin ich denn beim Auskunftsbureau abonniert?" „Jawohl, heute noch!", entschied Frau Köther. „Einstweilen schreibe ich ihm einen freundlichen Brief. Fällt etwa die Aus kunft schlecht aus, dann können wir ihm ja immer noch ab schreiben." Während Frau Köther den Brief ihres Vetters, dieses alten Junggesellen, in freundlichen Wendungen beantwortete und hervorhob, daß es sie wie ihren Gatten, der den Vetter auch be sonders hochschätze, glücklich machen würde, ihm in jeder Weise sein Leben zu erheitern, ersuchte der Vater des Hauses das Auskunftsbureau um eiligste Antwort bezüglich der Vermögens- Verhältnisse des Vetters. Zuerst traf Antwort vom Vetter Julius ein, der die Aus nahme in den Familienkreis mit Dank annahm. Run schrieb Köther selbst an den Vetter und lud ihn in den liebenswürdig sten Ausdrücken ein, bet ihm Wohnung zu nehmen. „Natürlich verpflichtet uns das zu gar nichts", sagte Frau Köther, als sie den Bries gelesen hatte. „Hat er nichts oder Wenig, widerrufen wir den Brief unter irgendeiner Ausrede." Vetter Julius hatte aber doch etwas; das Auskunftsbureau meldete, der alte Hagestolz würde auf mindestens achtzigtausend Mark geschätzt. „Ein hübscher Brocken!", sagte Köther zu seiner Frau. „Das könnten wir gerade gebrauchen! Es war doch klug von uns, daß wir nicht zögerten, sondern sofort aus seinen Brief freund lich antworteten; so kann er keine Berechnung darin sehen." „Er ist ja schon hoch in den Jahren" stimmte die Gattin zu, „und wenn wir ihn erst hier haben, dann kann er sein Geld niemand anderem hinterlassen als uns." „Das Kostgeld, denn er wird natürlich welches zahlen wollen, rechnen wir nicht zu hoch und auch sonst sind wir recht freund- ltch zu ihm!" „Natürlich", sagte die Hausfrau, „Werin es auch nicht so leicht ist, mit solch einem alten, verknöcherten Junggesellen umzugehen." „Zumal er so gut wie taub ist, wie er schreibt", äußerte der Gatte, worauf seine Frau erwiderte: „Das schadet nichts, desto leichter können wir ihn über den Lössel barbieren!" Vetter Julius kam einige Zeit nach den liebevollen Be sprechungen an und wurde in herzlichster Weise ausgenommen. Die ganze Familie erwartete ihn am Bahnhof, und während er mit dem Ehegatten und der Tochter Hilda in einer Droschke Platz nahm, legte Fritz, der Sohn des Hauses, ein junger Kaufmann, den Weg zu Fuß zurück. Zu Hause trat dem Onkel noch ein anderes junges Mädchen entgegen, die acht zehnjährige Elise, eine Nichte der Frau Köther; die Früh verwaiste war von ihrer Tante ausgenommen worden. DaS junge Mädchen grüßte den alten Herrn sehr respektvoll und zog sich in die Küche zurück, wo sie sich zumeist aufhalten mußte. Als Frau Köther mit ihrem Manne allein war, sagte sie ärgerlich: „Er sieht aber noch gar nicht so alt aus und scheint noch ganz rüstig zu sein. Der wird es noch eine Weile machen." „Ja, es ist fatal", pflichtete ihr Gatte bei, „ich hatte mir ihn auch gebrechlicher vorgcstellt." Onkel Julius schien wirklich Geld zu haben; hatte doch Köther eine größere Anzahl Coupons gesehen —, er war auch kein Geizhals, er bezahlte einen anständigen Betrag für Kost und Logis — die Familie hatte seinetwegen eine größere Woh nung bezogen — und zeigte sich auch bei jeder Angelegenheit splendid. Natürlich wurde er von allen mit größter Freund- lichkeit behandelt, wöbet seine starke Schwerhörigkeit leider störte. Andererseits hatte diese Eigenschaft auch wieder das Angenehme, das man ihm die fortwährenden Streitigkeiten, in denen die Familie lebte, besser verbergen und das man über den Gast ungestört seine Meinung austauschen konnte! So nötigte zum Beispiel, wie dies oft geschah, Frau Köther mittags ihren Vetter, das größte Stück zu nehmen. Er folgte ihrem Zureden, und sie sagte nun halblaut: „Er nimmt es wirklich!" Fritz und Hilda kicherten in einer nur hörbaren, nicht sicht baren Weise. Es hatte sich in der Familie überhaupt die Verspottung des fast tauben Onkels, ohne daß dieser es merkte, allmählich zu einem wahren Sport ausgebildet. Die jungen Leute hatten es heraus, ihm spöttische Redensarten ins Gesicht zu sagen und dabei ein freundliches Gesicht zu machen, oder ihn laut zu ver lachen. obne tedoch eine Miene dabei zu verrieben,