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32 Die Ehegatten genierten sich ebenfalls nicht, den Onkel mit schmückenden Beinamen, unter denen besonders ein „alter Esel" eine Rolle spielte, zu belegen, wenn auch nicht gerade, in seiner Gegenwart, so doch im Nebenzimmer. Nur ein Familien glied nahm an diesen Verunglimpfungen nicht teil: Lieschen, das auch sonst so bescheidene und sanfte Mädchen, machte viel mehr manchmal ihrem Vetter und ihrer Kusine Vorhaltungen über ihr liebloses Benehmen. „Was fällt dir ein?", sagte dann Hilda gewöhnlich. „Wer wie du das Brot seiner Verwandten ißt, sollte sich wohl nicht so aufspielen.'" Daß Lieschen es nicht wagen würde, dem Onkel die wahren Gesinnungen der Familie zu verraten, dessen war man sicher. Ein Vierteljahr wohnte nun Onkel Julius bei der Familie, und das Weihnachtsfest war herangekommen. Der Onkel hatte in gewohnter Weise wieder seine Taschen geöffnet und hübsche Geschenke für jedes Familienglied eingekauft, die er in seinem Zimmer aufbewahrte. Als dann die Bescherung kam, mußte er einige Male gehen, um die Geschenke in das Zimmer zu tragen, in dem der Christ baum brannte. Hier fehlte es natürlich nicht an den üblichen Pantoffeln und dem üblichen Ruhekissen „Dem lieben Onkel", was dem alten Hagestolz Freude zu bereiten schien. Als er Hilda ihre Geschenke überreichte, sagte das junge Mädchen mit lächelnder Miene halblaut: „Weiter nichts, alter Geizkragen, hättest dich mehr anstrengen können!" Ihr Bruder Fritz, der hinter dem Onkel stand, brach in ein spöttisches Gelächter aus, woraus dann Hilda sich mit lauter Stimme beim Onkel bedankte. Aber selbst diese lauten Worte schien der taube, alte Mann nicht recht zu verstehen, denn er neigte den Kopf in der bekannten Weise der Schwerhörigen. Im Nebenzimmer zankte sich währenddessen Köther mit seiner Frau. Plötzlich aber wurden sie einig, sie waren aus Onkel Julius zu sprechen gekommen, und sie hatte gesagt: „Der alte Esel hätte auch mehr anwenden können für Ge schenke!" „Ein alter Geizhals ist er!", pflichtete ihr Gatte bei, und mit den Worten: „Nun, hoffentlich dauert es nicht mehr allzu lange, bis wir endlich sein Geld bekommen!", beendete die Frau des Hauses das kurze, aber inhaltreiche Gespräch, das die Kin der im Nebenzimmer deutlich hören konnten. Sie sahen sich lachend an, während Onkel Julius, der in seiner Schwerhörigkeit nichts vernahm, mit freundlichem Lächeln den Christbaum anblickte. Es war am dritten Feiertag. Onkel Julius hatte früh seinen Kakao getrunken. - „Der alte Einfaltspinsel könnte auch Kaffee trinken, wie wir", hatte Frau Köther in seiner Gegen wart auch heute wieder gesagt. Und nun hatte er sich in sein Zimmer zurückgezogen. Köther und Sohn gingen ihrem Berufe nach, und Hilda war auf Klatsch ausaeaanaen. Nachdem der Onkel längere Zeit herumgekramt hatte, rief er Lieschen zu sich hinein. Was hatte das zu bedeuten? Die Hausfrau horchte gespannt, doch hörte sie zu ihren: Er staunen nur Geflüster. Außer sich vor Neugierde klopfte sie und trat ein. Mit lauter Stimme fragte sie den Vetter, ob Lieschen, die gerade etwas zu besorgen hätte, abkommen könnte. Der alte Mann erwiderte jedoch, Lieschen könne gleich kommen, er wolle sie nur noch etwas fragen. Die neugierige Hausfrau mußte sich nun wieder entfernen. Bald darauf verließ das junge Mädchen, das sehr betroffen aussah, das Zimmer des Onkels, antwortete jedoch auf die Fragen ihrer gestrengen Tante nur, Onkel Julius habe sie über manches aus ihrer Kindheit ausgefragt. Gleich darauf verließ der Onkel die Wohnung und kehrte nach kurzer Zeit mit zwei Dienstmännern zurück. Frau Köther erstaunte aufs äußerste, als sich Onkel Julius von Lieschen die Bodenschlüssel geben ließ und nun mit den Männern seine und Lieschens Kisten und Kösser herunterschaffte. Auf ihre bange Frage, was denn vas bedeute, antwortete Onkel Julius ruhig, er wolle mit Lieschen verreisen. „Und dazu brauchst du alle deine Kisten?", rief nun Frau Köther wieder. „Alle meine Kisten!", erwiderte Onkel Julius mit Seelen ruhe, während die beiden Dienstmänner, die anscheinend schon instruiert waren, beim Einpacken halfen. „Aber lieber Onkel, wohin willst du denn verreisen?", rief Frau Köther wieder, während die Dienstmänner zu lachen an fingen. Ihr sonst so freundlicher Vetter antwortete gar nicht; doch als die Hausfrau nun ihre Nichte Lieschen an der Abreise hin dern wollte, nahm der sonst so freundliche Mann plötzlich eine so drohende Haltung an, daß seine Kusine ihn gewähren ließ. Diese war ganz verzweifelt, niemand kam ihr zu Hilfe. Nochmals machte sie den Versuch, Lieschen zu ihrem Manne zu schicken, aber Onkel Julius trat energisch dazwischen. Bald waren nun die vier Leute mit dem Einpacken fertig, und die Dienstmänner trugen die Kisten hinunter aus einen Wagen. Inzwischen hatte Frau Köther jemand aus dem Hause zu ihrem Manne geschickt, und dieser erschien nun auf dem Kriegsschauplatz. „Aber lieber Julius", rief er entsetzt, „was hast du vor?" „Hört einmal zu", sagte jetzt Onkel Julius und legte einige Goldstücke auf den Tisch. „Hier meine Schuld' in stellt ihr noch weitere Ansprüche, werde ich sie begleichen. Ich muß euch leider verlassen und Lieschen nehme ich mit mir. Ihr habt eure Prüfung schlecht bestanden ..." „Was will denn der alte Esel?", fügte seine Frau leise hinzu. Mit schallender Stimme entgegnete Onkel Julius: „Der alte Esel will weiter gar nichts, als euch mitteilen, daß er alle eure Gespräche mitangehört hat. weil er gar nicht — schwer hörig ist!" Und mit Lieschen an ver Hand ging der gemüt liche Onkel Julius an dem zur Salzsäule erstarrten Ehepaar vorüber zur Tür hinaus. ! irrste?! tEine unbekannte Napoleon-Anekdote.) Von Kurt Meyer (Nachdruck verboten.) Napoleon machte einst mit seiner Gemahlin eine Rundreise durch Frankreich, aus der außerordentliche Mühen zu erdulden waren. Bei der blitzartigen Schnelligkeit dieses Durchfluges waren alle Haltepunkte aufs genaueste bestimmt. Die sechs oder acht Vierspänner für das Gefolge durften nicht eine Minute länger als vorgeschrieben beim Frühstück, Mittag- und Abendessen verweilen. Abteilungen von Chasseurs de la Garde eröffneten und schlossen den Zug, um alles in Ordnung zu halten. Der Wagen des Kaiserpaares war in der Mitte durch eine Gardine geteilt, damit der gestrenge Herr, so ost er wollte, sich zum Lesen oder Schlafen isolieren konnte. Nach dem Pserde- wechsel auf jeder Station ritt der Reisemarschall an den kaiser- Rotermund. lichen Wagen heran und fragte: „keut on partir?" Auf ein kurzes Kopfnicken des Kaisers sauste dann der ganze Zug in rasender Eile davon. Nun geschah es, das auf einer Station der Reisemarschall, wie schon öster, seine Frage an die Kaiserin richtete. Diese hatte ihren Gemahl nicht aussteigen gesehen und gab das Zeichen zur Abfahrt. Als eben die letzten Wagen in bereits größter Eile entschwinden wollten, tauchte der Kaiser mit unvollendeter Toilette aus dem Chausseegraben auf und schrie wie besessen: „irrster! irrster!" Sehr bald kam der Zug zum Stehen, der Kaiser stieg ein, tobte aber in recht korsischem Zorn und schickte den unglücklichen Reisemarschall aus sechs Wochen in Arrest. DerlaasdruLerei Martin Feuchtwanoer. Salle l^aalel. Fsschewla« -> te kleine s e i c r: >Mndcr: 57-ö8