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achtes die ununterbrochen Vertraute für alle ihre Sorgen nötig hatten. ES ist ein Zeichen geistiger Schwäche und Unsäbständigkeit. Sollte ich mich jetzt doch dabei erwischen? Da solche Geschwätzigkeit nur bei sehr jungen und sehr allen Leuten üblich ist, muß ich es wohl für eine Alters- erscheinmlg halten. Denn über die erste Jugend bin ich doch schon hinaus.' »Unterschätze dich nicht, Archie! Du hast nicht ein graues Haar, und um deine Arbeitsfähigkeit muß dich ein Zwanzig jähriger beneiden. Ueberhaupt — solange man noch einer Frau gefallen kann, ist man jung.' Gilbert hatte geradezu das Bedürfnis, seinem Vetter ÄWaS Angenehmes zu sagen. Und wie die meisten Leute daS Rezept, das sie selbst einnehmen, jedem anderen emp- fehlen, setzte er unvermittelt hinzu: i,Du solltest heiraten!" « Archibald lachte diesmal ganz herzlich und laut. „Du bist ein radikaler Arzt! Und mit welcher Sicherheit du die Diagnose stellst! Es wird dich befriedigen, zu hören, daß ich tatsächlich schon selbst dergleichen erwogen habe." „Wirklich?" rief Gilbert erfreut. „Da darf ich vielleicht schon gratulieren?" ' ' „Noch zu früh, mein Lieber, noch zu früh." „Ich möchte nicht indiskret sein, aber ich habe zuweilen deinen Ramen mit dem von — nun der Witwe eines be kannten Parlamentariers in Verbindung nennen hören ..." Mantles Augen schienen womöglich näher aneinander Zu rücken, so daß sein Gesicht einen erschreckend drohenden Ausdruck bekam. »Damit ist es nichts", stieß er hervor. „Unnützes Ge rede.* »Run, ich glaube, wen immer du wählst, man wird dir Nicht »Rein' sagen. Ach ja —", es klang nicht Neid aus diesem Seufzer, er wurde sich nur seines Kummers inne —, „du -ist wahrhaft glücklich!" „DaS lautet ja schrecklich unglücklich! Hat man denn dir irgendwo.Nein' gesagt?" Archibald stellte diese Frage ohne wirkliches Interesse. ES lag ihm nichts daran, der Vertraute seines Vetters zu werden, und eine Intimität zu begründen, die seinem Charakter fern war. Gilbert schwieg eine Weile. Ihm tönte noch das „Nein* schmerzlich in der Erinnerung, das er an diesem selben Nachmittag gehört hatte. „Ich reise morgen nach Australien", sagte er dann. „DaS ist der Grund, der mich zu dir geführt hat. Ich wollte dir noch Lebewohl sagen." „Nun, Australien liegt heute nicht weiter als irgendein Land der. Erde. Und je Wetter ein Weg, desto rascher führt er vielleicht zum Erfolg." „Das war auch mein erster Gedanke, als meine Firma mir den Vorschlag machte, wenigstens für ein Jahr hinzu- gehen und die dortige Agentur zu vergrößern. Das Ge schäft in landwirtschaftlichen Maschinen, vor allem aber tu Feldbahnen, ist sehr zukunftsreich." „Du gibst mir da einen guten Tip für die Börse. Aber ich sehe noch immer nicht, warum du unglück lich bist.". „Höre Archie, du bist so freundschaftlich, wie du es nie gewesen bist. Oder, vielleicht habe ich dich nicht verstanden, vielleicht hast du immer Interesse für mich gehabt, es nur eben nach deiner Art nicht zum Ausdruck gebracht, und abgewartet, bis ich selbst dein teilnehmendes Herz erkannte. Und nun, da du ja selbst daran denkst, dir eine Frau zu nehmen.. „Weißt du auch, was das für dich bedeutet, Gilbert?" „Für mich? Nun, ich denke damit ein verwandtschaftlich- befreundeteS Haus, einen lieben Familienanhang zu ge winnen." „Und eine Erbschaft zu verlieren. Du bist ja, bis jetzt wenigsten-, mein einziger Erbe." „Oh", sagte Gilbert« ausrichtig abwehrend, „das sagst du mir in einem Moment, wo ich nach Australien reise, die Möglichkeit also weit näher liegt, daß du mich beerbst, was dich freilich keinen Pfennig Erbschaftssteuer kosten würde. Und bei deinem Alter und bei deiner Konstitution hätte ich ja wahrscheinlich fünfzig Jahre auf deine Erb schaft zu warten." „Ja", lachre Archibald, „unter fünfundneunzig verkaufe ich mich nicht. Doch es ist mir nun Gewißheit, daß du nicht bloß gekommen bist, Abschied von mir zu nehmen, sondern mir auch etwas anzuvertrauen, etwas, wie ein Testament, in dem von Geld keine Rede ist." „Archie", ries Gilbert, und legte die Hände auf die Schultern seines Vetters. „Ich liebe ein Mädchen mit aller Glut meines Herzens." „Fährst du deshalb nach Australien?" „Ach, das war schon geplant, bevor ich mir über meine Empfindung ganz klar geworden war. Und jetzt wird es erst recht zu einer Notwendigkeit. Denn ich muß mir durch diese Reise eine Stellung schassen, die die Verbindung mit dem jungen Mädchen ermöglicht." „Hat sie denn kein Vermögen?" „Das weiß ich nicht. Ich habe ja nicht danach gefragt oder geforscht. Ich liebe sie, ob sie das reichste oder das ärmste Mädchen unserer Insel wäre. Ich habe in dem Hause ihres Vaters, der ein Jugendfreund des meinigen gewesen ist, freundliche Aufnahme gefunden, habe mich dort wohlgefühlt, ohne darüber nachzudenken, ob es auf großem Vermögen, großem Einkommen oder bescheidenen Verhältnissen gegründet ist." „Es scheint doch das letztere der Fall zu sein, wenn die Dame dich ziehen läßt." „Sie weiß nicht einmal, daß ich sie liebe." „Und wie ist es mit ihr?" „Ich weiß auch nicht, ob sie mich wiederliebt." „Nun, das ist ja ein schöner Roman. Und du fährst ko stumm davon?" „Nein, nein, ich habe heute gesprochen, ich habe bet ihrem Vater um ihre Hand angehalten, weil ich es doch für selbstverständlich ansah, erst die Zustimmung des Vaters zu erlangen, bevor ich dem Mädchen mein Geständ nis machte. Ach, Archie, wenn wir uns miteinander auch nicht ausgesprochen haben, mir sagte es doch zuweilen ein Blick, ein Händedruck, daß ich hoffen dürfte; und sie konnte trotz ihrer Unerfahrenheit, ihrer Reinheit, doch bei unserem Verkehr — wenn ich mich auch hütete, irgendeine Senti mentalität zu zeigen, vielmehr ängstlich darauf bedacht war, ganz unbefangen zu erscheinen —, sie mußte fühlen, was ich fühlte; sie konnte nicht im Zweifel sein." Vor Archibalds Augen erschien die Gestalt Elinors. Fast wünschte er, mit dem schönen Mädchen durch dieselben Empfindungen verbunden zu sein, wie Gilbert mit seiner Angebeteten. Aber sein Charakter kannte keine Wünsche, sondern nur einen Willen, und kein Zögern hinderte diesen Willen am Ausdruck. „Und du fährst dennoch?" „Ich muß." „Muß?" „Der Vater hat seine Einwilligung verweigert." „Weshalb?" „Das hat er nicht gesagt. Er hat mir auch nicht ge stattet, mich von seiner Tochter zu verabschieden." „Ja, das ist dann wohl das Richtigste, was er tun konnte." Gilbert seufzte. „Und so ist deine Hoffnung vernichtet?" „Doch nicht ganz. Ich merkte, daß ihm seine Weigerung nicht leicht wurde. Er hat mich auch gewiß gern. Ich denke, er hat zwei Gründe, von denen er einen genannt hat. Seine Tochter ist noch zu jung; der Vater hängt sehr an ihr und will sie wohl noch nicht aus dem Hause lassen. Er hält vielleicht auch mich noch für zu jung, und meint, eine Entfernung auf ein Jahr werde die beste Probe für die Beständigkeit und Echtheit unserer Gefühle sein. Der