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« „Wohl bekomm ihnen der Segen", sagte sie trotzig. „Meinen kriegen sie auch dazu. Aber heiraten werde ich keinen von beiden. — Ich heirate den Stephan." „Du willst den Baron nicht heiraten?" Mutter Lien- hart heulte beinahe vor Wut. „Du mußt, sag' ich, du mußtl" Auch bet dem Meister schwoll die Zornesader. „Hör' einmal, Grete", sagte er mit starker Stimme. „Wenn du den Fanutti nicht willst, habe ich persönlich nichts dagegen, wenn du den Uiszigeth nicht willst, dann bist du eine dumme Gans. Aber schließlich ist's dein eigener Schaden. — Aber das eine sag' ich dir: den Stephan schlägst du dir aus dem Kops. Die Tochter des Renntiers Lienhart ist nichts für einen einfachen Maler gesellen. Das merke dir ein für allemal!" Nun war es um Gretes mühsam errungene Fassung wieder geschehen. Sie brach in lautes Weinen aus und ihre Tränen flossen reichlich. „Ist das ein dummes Mädel!" sagte die Mutter un gerührt. „Und ein Starrkopf!" setzte der Vater verärgert hinzu. Da die hübsche Grete sah, daß ihr Weinen keinen Ein druck machte, hörte sie plötzlich auf damit. „Wißt ihr, was ich tue?" Diese unerwartete Frage erregte die Neugier des wür digen Elternpaares. „Und?" fragte der Vater. „Was willst du?" fragte die Mutier. „Ich gehe durch!" sagte die Tochter. Sprach's und die Tür zuschlagend verließ sie die Stube. Draußen hörte man noch eine zweite Tür gehen und wiederum das Geräusch eines vorgeschobenen Riegels. Dann blieb alles still. Um ein Uhr war das Festmahl in vollem Gange. Fanutti und Uiszigeth waren pünktlich gekommen und auch Herr und Frau Küchlein ließen nicht auf sich warten. Schließlich h»ue man auch Friedrich und Hans zugezogen, um die Personettzahl an der Tafel zu vergrößern. Grete war nicht erschienen. „Wenn sie Hunger kriegt, und sie kriegt Hunger, so wird sie schon wieder herauskommen", sagte Lienhart auf die etwas besorgte Andeutung seiner Gattin. Alles verlies durchaus harmonisch und programm mäßig. Zwar war die Stimmung anfangs etwas gedrückt durch die Abwesenheit Gretes, die Mutter Lienhart durch „Migränin" entschuldigte. Sie selbst tröstete sich mit dem Gedanken, daß unter diesen Umständen die Verlobungs- seier doch noch einmal hinausgeschoben werden müßte, und Lienhart machte sich, nachdem er einmal der Wein flasche ordentlich' zugesprochen hatte, überhaupt keine weiteren Skrupel mehr. Kleine ärgerliche Störungen gab es natürlich, aber sie waren zu unbedeutend, um die Feier zu beeinträchtigen, und wo Licht ist, muß auch Schatten sein. So zum Beispiel empfand es der Schneidermeister sehr unangenehm, daß Fanutti, als der Gänsebraten herum gereicht wurde, gerade das Stück wegnahm, auf welches er selbst sein Augenmerk gerichtet hatte, während Mutter Lienhart unter den spöttischen Blicken Uiszigeths litt, wenn ihr ab und zu bei der ungewohnten Handhabung von Messer und Gabel ein kleines Malheur passierte. Hans, den Friedrich unter dem Tische anstieß, ver schüttete einen vollen Löffel Bratensoße über dem neuen Tischtuche, was ihm eine derbe Ohrfeige seitens des er grimmten Meisters eintrug. Dem Wein wurde reichlich zutzesprochen, und die Stim mung begann, wie am Abend zuvor, recht gehoben zu werden. Der Lärm und das Lachen war durch das offene Fenster bis auf die Straße zu hören. Mutter Lienhart war gerade in der Küche, als dis Tür sich öffnete und ein ungeladener Gast eintrai. Es war ein starker Mann hoch in den Vierzigern. Sein gerötetes Ge sicht, das mit einem kleinen Bartrest unter der Lippe gezierte Kinn, verrieten ein lebhaftes Temperament. „Da geht's ja sauber her", sagte der neue Ankömmling zur Begrüßung in trockenem Tone, indem er mißbilligende Blicke um sich warf. „Unten in der Werkstätte ist natürlich niemand. Deshalb müssen die Kunden sechs Treppen hoch steigen. Aber das ist heutzutage Mode." Meister Lienhart, der soeben sein Glas erhoben hatte, um mit Mszigeth anzustoßen, war sichtlich unangenehm berührt und schien sogar in ziemliche Verlegenheit zu ge raten. Dabei stand er nicht aus von seinem Platz. Auch unternahm er einen merkwürdigen Versuch, seine große Serviette besser zu drapieren und um die Schultern zu legen, so daß er aussah, als wäre er ganz in weißes Leinen gekleidet. „Ah, Herr Kienzle!" sagte er auffallend gedrückt. „Wir feiern nämlich ein kleines Fest." Der andere winkte mißachtend mit der Hand. „Weiß schon, weiß schon! Natürlich, das Geld mutz möglichst bald wieder draußen sein!" Sonderbarerweise ließ sich der Meister diesen un billigen Vorwurf gefallen und steckte den Tadel ein wie ein Schulknabe, der etwas Schlechtes begangen hat. Herr Kienzle schien noch zu wachsen und seine Stimme wurde immer unangenehmer. „Ich möchte nämlich", höhnisch wiederholte er dieses Wort des Meisters, „einmal sehen, wie es meinem Rock geht. Sie erinnern sich doch, Herr Lienhart, daß ich Ihnen einen schwarzen Nock in Arbeit gab? Oder sollten Sie ihn im Glück gänzlich vergessen haben? Wenn mein Gedächtnis nicht ganz schwach ist — und es ist sehr gut, ich kann's Ihnen versichern, Herr Lienhart —, so versprachen Sie, mir ihn bis spätestens gestern abend zu liefern." Lienhart begann zu schwitzen. Fanutti und Uiszigeth aber schienen sich bei dieser Zwischenszene trefflich zu unterhalten und die Küchleins lauerten auf die Entwick lung der Geschichte, als säßen sie im Parkettsitz des Schau spielhauses. Friedrich stieß den Lehrjungen an und zwinkerte aus höchst komische Weise mit den Augen, und Hans hielt sich beständig die Hand vor den Mund, um nicht vor Lachen hinauszuprusten. Lienhart sah alles und trotz seiner Angst gewann der Zorn die Oberhand. „Ich verbitte mir allen Ernstes, Herr Kienzle, mich beim Essen zu stören. Sie bekommen Ihren Rock so bald als möglich, und im übrigen können Sie ja sortbleiben, wenn Sie woanders besser bedient werden." „Ganz richtig", erwiderte der ungebetene Gast satirisch. „Das ist der richtige Ton, wie man die Kunden behandelt. Hab' mir's gedacht! Hab' mir's gleich gedacht! Vielleicht kommen wieder einmal Zeiten, in denen Sie froh sind, wenn ich bei Ihnen arbeiten lasse, Herr Lienhart. Ich denke, am besten nehme ich meinen Rock wieder mit, so wie er ist. Sie werden so freundlich sein und ihn mir herausgeben, Herr Lienhart!" „Türkenbombenelement!" fluchte Lienhart. Aber es klang gar nicht so herzhaft. „Sie werden doch nicht ver langen, daß ich jetzt vom Essen aufstehe?" „Gewiß verlange ich das. Ganz gewiß! Ich habe nun auch genug", sagte der andere drohend. Plötzlich wurden seine Augen durchbohrender als je. „Ich glaube gar... Bei Gott, ich täusche mich nicht!" Er rückte dem geängstigten Schneidermeister so nahe, daß dieser zurück rückte. „Sie haben ja meinen Rock an!" Tatsächlich war die Weitze Schutzhülle abgefallen und der schöne Rock kam in seiner ganzen Pracht zum Vor schein. „Das ist doch niederträchtig! Hat ein Mensch schon so was erlebt? Sie ziehen meinen Rock an?" Er betonte das Wort „meinen" ganz unnatürlich. .Meinen Rock, zu dem ich das Tuch geliefert habe?*