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Er befühlte, um seinen »orten besseren Nachdruck zu geben, das Tuch derart stark, daß man hätte glauben können, er versetze dem armen Meister Püffe. Dann nahm er eine umständliche Prüfung vor, als ob er eS immer noch nicht für möglich halten könnte, waS sich feinen Augen zeigte. Dabei entdeckte er mit leichter Mühe die unselige, nur mangelhast geheilte Wunde, die der Uebermut des Meisters geschlagen, und eS war entsetzlich, seinen Zorn zu sehen. »Das ist eine Gemeinheit!' heult« er. „Da ist absichtlich ein Loch hineingeschnitten. Aber warten Sir, ich will Ihnen kommen, Sie... Sie...! Ich werde Ihnen einen Prozeß an den Hals hängen, Sie... Sie...! Anzeigen werde ich Sie wegen vorbedachter Zerstörung von ander weitigem Eigentum! Das soll Ihnen teuer zu stehen kom men, Sie...!' Roch lange hörte man auf der Treppe die Drohungen deS erbitterten Mannes. Lienhart sah aus wie eine Wachsfigur, die aus Ver sehen an die Sonne gesetzt wurde, und es herrschte eine tiefe Stille, als dächten alle über das unerwartete Ereignis nach; jetzt trat Mutter Lienhart herein. .Was ist denn nun wieder los?' fragte sie. „Ach, so was!' antwortete Herr Küchlein. .Und bloß allein wegen des Rockes!' Dabei lächelte er maliziös. Lienhart trank ein Glas Wein auf einen Zug aus, worauf er wieder einiges Leben zu gewinnen schien. »Laß mal diesen Polterer!' sagte er zu seiner Frau. .Der Lienhart kann den Rock noch bezahlen. Und wenn er wiederkommt, setze ich ihn vor die Tür.' Dabei sah er sich großartig im Kreise um. Mutter Lienhart hatte den Versuch gemacht, die Grete zur Aufgabe ihrer freiwilligen Verbannung zu veranlassen, aber er war ohne Erfolg geblieben; die Grete gab nicht einmal eine Antwort. Flüsternd teilte sie das Ergebnis ihrem Manne mit. Dieser schien sich lebhaft zu ärgern. .Der Teufel', sagte er, „heute will ich mal lustig sein, und wenn's mit Gewalt sein muß!' Und von nun an trank er so unmäßig, daß er bald nicht mehr als nüchtern gelten konnte. Mutter Lienhart folgte seinem Vorbild, um ihren Summer zu ertränken, und da die Gäste ihre Wirte mit so gutem Beispiel vorangehen sahen, ahmten sie ihnen getreulich nach. Das Mahl neigte sich dem Ende zu, als Lienhart noch auf eine geniale Idee kam. Sofort erhob er sich, wenn auch mit einiger Mühe, tuschelte dem kleinen HanS etwas in daS Ohr. Es mußte sehr erfreulich sein, denn der Lehr junge jauchzte vor Freude, und wie ein Blitz war er zur Tür hinaus; man hörte ihn polternd, halb fallend, die Treppe hinabeilen. Mutter Lienhart und auch die Gäste wurden auf merksam. „Was machst du wieder, Lienhart?' fragte sie streng. .Gewiß eine neue Dummheit!' „Wirst sehen, Alte', erwiderte er behaglich. „Es gibt einen Hauptspaß.' Auch die anderen drängten mit Fragen aus ihn ein, aber Lienhart verweigerte beharrlich jede Auskunft. „Das eine sag' ich dir, Lienhart: ein Feuerwerk wird nicht wieder abgebrannt!' meinte die Meisterin ängstlich. „Selbstverständlich! Gerade ein Feuerwerk!' schmun- zelte Lienhart, und er lachte so herzlich über ihre Angst, daß die anderen einstimmten. Bis Hans zurückkehrte, trank inzwischen der Meister mit Uiszigeth Brüderschaft. Dies wurde nach allen Regeln der Kunst ausgeführt. Sie umarmten sich und mit ver schlungenen Armen trank jeder das Glas des anderen aus. .Du bist mein bester Freund, Ui... Ui...', stotterte Lienhart. .Wenn du nur einen vernünftigeren Ramen hättest!' Ueber dieser Szene wurde auch Mutter Lienhart fo gerührt, daß sie beinahe zu weinen begann. Fanutti aber wollte hinter seinem Freunde nicht zurückstehen und bot ihr an, mit ihm in ein engeres Freundschaftsverhältnis zu treten, wie er es nannte. „Sie sollen mir eine zweite Mutter sein', sagte er mit Wärme. Er stieß mit einer feierlichen Förmlichkeit dreimal mit ihr an und auch Mutter Lienhart mußte ihr Glas leerem Nun kamen ihr tatsächlich Tränen in die Augen. Die Szene drohte sentimental zu werden. Die Küch leins, die doch auch nicht müßig sein wollten, stießen mit Friedrich an und der Spezereienhändler forderte ihn auf, nie mehr anders als Onkel und Tante zu ihnen zu sagen. .Fanutti', schluchzte die Meisterin, „ich werde dir eine gute Mutter sein!' Dies Wort schien Lienhart aus seinem Taumel zu reißen, er wurde ausmerksam. .Langsam, langsam', sagte er, „damit hat's noch keine Elle!' Mutter Lienhart hatte eine entschiedene Antwort auf der Zunge. Aber bevor sie erwidern konnte, unterbrach sie ein greulicher Lärm, der die Treppe heraufkam. HanS, der Lehrjunge, kehrte zurück. „Er kommt! Meister, er kommt!' brüllte er schon im voraus, und schwang im Jubel seine Mütze. Wirklich erschien auch bald hinter ihm ein Mann, der unter der gespannten Aufmerksamkeit der Gäste seine ver dächtigen Siebensachen hinzustellen begann, während Lien hart, alles vergessend, über das Erstaunen der anderen in ein Helles Gelächter ausbrach. Die beiden Ausländer schienen plötzlich auffallend nüchtern zu werden. Sie warfen sich Blicke zu, die eine gewisse Unruhe und Mißstimmung verrieten. Aber Lienhart beachtete sie nicht. Er stand aus und hielt sich wacker an der Tischkante fest. „Verehrte Anwesende!' erklärte er. „Da das Fest heute doch solch gelungenen Verlaus genommen hat, hab' ich einen Schnellphotographen bestellt. Der muß von uns allen eine Aufnahme machen. Ist das nicht eine famose Idee?' Die beiden Küchleins und Friedrich sowie Mutter Lien hart waren auch ganz entzückt. „Lienhart', sagte die letztere lobend, „das ist der ge scheiteste Gedanke, den du bisher gehabt hast.' Wiederum wechselten die Fremden einen besorgten, fast verlegenen Blick. Der unvorhergesehene Teil des Pro gramms schien ihnen gar nicht zu passen. Uiszigeth zog die Uhr. „Ei, so spät! Schade, daß ich auf das Vergnügen verzichten muß. Dringende Ge schäfte ...' .Papperlapapp', sagte der Schneider gutmütig, indem er seinen Freund mit großer Kraft am Arm hielt, .ich würde es dir direkt übelnehmen.' Auch Fanutti machte Ausflüchte. „Wenn Sie gestatten', fügte er höflich zu Frau Lienhart, „so setze ich mich etwas abseits. Ich versichere Ihnen, ich werde stets miserabel getroffem Ich verhunze das ganze Bild.' .Fanutti', erwiderte sie mft großer Bestimmtheit, „du mußt drauf, sonst freut mich daS ganze Bild nicht.' Lienhart wurde aufmerksam. Er schien ärgerlich zu werden. „Meine Herren', erklärte er, „man könnte meinen, Sie haben Angst vor deS Photographen Linse.' Uiszigeth sah ihn eigentümlich an und suchte wieder mit den Augen die seines Freundes. Dieser zuckte heimlich die Schultern. Es geht nicht anders, schien er sagen zu wollen. Nun fügten sich beide darein. Der Photograph, ein ehemals auf Jahrmärkten umberziehender Künstler, der sich neuerdings am Heringsmarkt ein bescheidenes Atelier eingerichtet hatte, begann emsig seinen Apparat auf zustellen. Er zog die Vorhänge zusammen. .Meine Herrschaften', sagte er, .nicht erschrecken, bitte! Ich werde eine Blitzlichtaufnahme machen. Es ist wegen des Interieurs,' (Fortsetzung folgt.)