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Beilage zur Weiheritz-Zeitung 95. Jahrgang Nr. 13 Mittwoch, am 16. Januar 1929 Chronik des Tag«». — Da» ReichSkabinett will den norm »oUptzMhoq kn den nächsten Lagen dem Pankament »»geh«, taffm. — Der französische Marschall Foch ist schwor «krankt, — Der Reparattonsaaent Gilbert WM nach der Sach verständigen - Konferenz Pressemeldungen zufolge znrüw treten. — Aman Mlah hat zu Gunsten seine» ältesten Bru, der» aus die afghanische Krone verzichtet; das Künigspaa, befindet sich auf der Flucht nach Indien. — Der Ozeanflieger Hermann Kühl hat sich bei» Skiläufen in Arosa eine Verletzung am Auge zugezogen, Er mutzte nach Berlin zurackkehren und sich dort in Be- Handlung begeben. — Die Vollversammlung der Studenten der Deut, schen Hochschule für Leibesübungen in Berlin beschütz, de» Unterricht wieder zu besuchen. — In Nidda in Oberhessen wurden die Reste eines römischen Theaters freigelegt. — Bei den Schweizer Winterspielen in Davos endet« der mit großer Spannung erwartete Eishockehkampf eine, kombinierten deutschen Mannschaft gegen die europäische» Kanadier 1:1. Asien siegt über Europa. «man Ullahs Abdankung und Flucht. — Berlin, 15. Januar. Im Auswärtige» Amt machte der afghanisch« Gesandte davon Mit teilung, datz.Aman Ullah zu Gunsten seines ältere» Bruders Inayat Ullah auf den Thron verzichtet hat A. S. Aman Ullahs Sprung überdieJahr- derte ist mißglückt. Vor einem Jahr in London, Paris, Rom, Berlin und nicht minder von der Roten Hun Garde in Moskau als Reformator Afghanistans festlich begrüßt, hat Aman Ullah heute Thron und Macht ver loren! Das afghanische Königspaar befindet sich auf der Flucht nach Indien. Es hat bereits Kandahar erreicht und ist damit der indisch-afghanischen Grenze auf 100 Meilen nahe. Wird er glücklich ük«r die Grenz« kommen, oder lauert aus der letzten Wegstrecke irgendwo noch das Verderben? Ueberraschung hat die Abdackung und Flucht Aman Ullahs nicht mehr auslösen können. Auf diese Wendung war man bereits gefaßt, als der Draht den Widerruf des Reformprogramms brachte. Von Glück kann Aman Ullah noch sagen, daß er mit dem Thronverzicht davon gekommen ist. Man ist in Afghanistan nicht immer so rücksichtsvoll vorgegangen, hat vielmehr mißliebige Herrscher wiederholt kurzerhand ermordet. Erschüttert hat Aman Ullah seine Stellung selbst; das Niederreißen besorgten der Thronprätendani und die Priesterkaste der Mullahs, die Mohammeds Ge setze und ihre Machtbefugnisse gefährdet sahen. Ueber die Auswirkungen der Reformen des Königs gewinnt man eine Vorstellung, wenn man sich ver gleichsweise ausmalt, die Tiroler Bauern sollten durch eine Verordnung gezwungen werden, fortan nur noch im Frack und Zylinder in Arbeit zu gehen. Derart einschneidend waren aber die Reformen Aman Ullahs! Vor dem Auftreten Aman Ullahs 1919 war Af ghanistan ein unbekanntes Land zwischen Persien und Indien, von dem man weiter nichts wußte, als daß sein Betreten Europäern nicht zu raten war. Interesse an dem Lande hatten lediglich England und Rußland, die sich die afghanischen Stämme durch Geld und Dro hungen gefügig machten. Aman Ullah erkämpfte seinem Lande gegen England Unabhängigkeit und war bestrebt, Afghanistan von einem Objekt der Welt- Politik zu einem Staat auszubauen, der mitzureden hat. Aman Ullah hatte aber auch ein großes innen politisches Programm. Begeistert für europäische Kul tur und europäische Maschinen für friedliche und krie gerische Zwecke, wollte er sein Land zu einem kleinen Europa machen. Er schaffte die Vielweiberei und den Schleier ab, seine schöne Suraja zeigte sich in Pariser Kostümen den verwunderten Afghanen, die eine fremde Frau noch nicht anders als verschleiert gesehen hatten; Aman Ullah gründete Schulen, rief Europäer, insbesondere auch Deutsche in das Land, ließ sich von deutschen Architekten Harz-Villen in seinem Park aufstellen und schickte afghanische Mäd chen zur Ausbildung in das Ausland. Bet seiner Reise durch Europa hatte der König noch Flugzeugec und Kriegsgerät gekauft, wie er auch sonst für die Armee etwas übrig hatte. Aber auch das konnte seine Feinde nicht umstimmen, weil Aman Ullah zuvor die allgemeine Wehrpflicht eingeführt und damit die einigen Stämmen gewährten Vorrechte für den von ihnen übernommenen „Schutz des Landes" über flüssig gemacht hatte. Der entthronte König Afghanistans hat bei seiner Tätigkeit übersehen, daß er mit den europäischen Er zeugnissen noch nicht europäischen Geist in Afghanistan rtngeführt hatte Seine Soldaten blieben Hirten, mit dem Unterschied, daß sie moderne Waffen trugen, sonst aber mit ihren Vätern und Verwandten draußen in Lande fühlten und denen Aman Ullah mit einige: Nachhilfe der Mullahs zu einem Greuel geworden war Als die Mullahs dann zum Generalangriff überginge, und den religiösen Fanatismus bis in die letzte Hirten, Utte trugen, wurden aus den Rebellen aufrührerisch« Stämme. , . Aman Ullah ist nunmehr als ein Opfer im Kampf: für den Fortschritt vom Throne gestürzt worden Denn darüber gibt es gar keinen Zweifel, von de« Mullahs gilt das gleiche, Was ein böses Bottswor! von den Engländern sagt: „Sie reden von Gott unl meinen Kattun". Vielleicht liegt die ganze Erklärung für den Kamps gegen Aman Ullah auch darin, das Aman Ullah nach der Ermorduno seines Vaters in Parker Gilbert will zurücktreten« Februar 1919 sich aS zwei kästest er Sohu äu? de« ! Thron setzte, weil der älteste Soh» mit den Meuchel« ' «Mördern im Bunde gewesen sein soll. Und dies« älteste Sohn ist der Inayat Ullah, der sich jetzt ans dem afghanischen Königschrou häuslich uiederMßt. § Der Kampf in Afghanistan ist z« Ende. Del Schleier wird wtederkehren, Mohammeds Geist wird Ast tzhanistan erneut überschatten. Asien hat Übel Europa gesiegt! So betrachtet, stellen sich die Wirren in Afghanistan als einen Ausschnitt aus dem großen Kamps des wieder erwachenden Asiens gegen , die europäische Kultur dar. I Der Haushaltsausschuh des Reichstages setzt am heutigen Mittwoch die allgemeine Aussprache über den Nachtragshaushalt für 1928, der gleichseitig auch der Perfonalhaushalt Mr 1929 sei» M.fort. Die von den Deutschnationalen angeregte Verbindung der De batte über den Nachtragsetat mit einer allgemeinen finanzpolitischen Aussprache findet nicht statt. Reich»« ftnanzminister Dr. Hilferding sicht aus dem Stand.« Punkt, vor der Verabschiedung des HauShaltSgesetzeS durch das Kabinett keine Einzelheiten mitteilen zu können. Ueber den Wiederbeginn der Plsuarberatungen im Reichstag wird der Aeltepenrat am kommenden Frei tag entscheiden. Nach dem Abschluß der großen Sachverstän- digen-Konserenz. Die New Yorker Zeitung „Heralv Tribune", die über die Verhandlungen in Washington gut unter richtet ist und dem Generalagenten fiir die deutschen Reparationszahlung«:» nahesteht, teilt mit, Parker Gil bert habe sich entschieden, nach Abschluß der Sachver- ständigeu-Konfereuz so schnell als möglich zuvückz«« treten. Daß Parker Gilbert den Ehrgeiz hat, der letzte ReparattonSagent zu sein, und daß er deshalb die Ein richtung des Reparationsagenten überflüssig machen will, ist bekannt. Wenn er jetzt durch die ihm nahe stehende Presse seinen Rücktritt im Anschluß an die Sachverständigen-Konferenz in Aussicht stellt, so liegt die Vermutung nahe, daß Parker Gilbert von der Sachverständigen-Konferenz einen vollen Erfolg erwar tet. Ob sich diese Hoffnungen erfüllen werden, ist heute noch höchst ungewiß. In einigen Blättern wird deshalb auch bereits für den Fall, daß Parker Gilberi seine Rücktrittsabsichten nach der Sachverständigen-Kon- serenz wahr machen sollte, nach einem geeigneten Nach folger Ausschau gehalten. * - Besprechungen in Washington beendet? Die Amerikaner brauchen nur noch offiziell ernannt werden. — Morgan will eine,» eigenen Sachverständigen, Wie aus Washington berichtet wird, sind die Be sprechungen Parker Gilberts mit den fiihrenden Män nern der Regierung der Vereinigten Staaten und der New Yorker Hochfinanz nunmehr beendet. Alle von der amerikanischen Regierung im Zusammenhang mit der vom Sachverständigenausschutz zu befolgenden Ar beitsmethode angeschnittenen Fragen seien restlos ge regelt, so datz nur noch die offizielle Ernennung der amerikanischen Sachverständigen durch die deutsche Re gierung und die Reparationskommission ausstehe. Morgan soll in den letzten Stunden einen eigenen Ersatzmann verlangt haben, der ihn vertreten soll, falls er während der Konferenz vorübergehend nach Amerika zurückkehren mützte. Ms Ersatzmann hat Mor gan ein Mitglied seines Bankhauses in Vorschlag gebracht. Neue Kommerzialisierungsplane. Frankreich rechnet nur noch mit ver Mobilisierung eines Teilbetrags. In den maßgebenden französischen Kreisen be ginnt man allmählich einzusehen, daß angesichts de, Dispositionen des amerikanischen Geldmarkts dort ini besten Falle mit der Unterbringung einer Teiles der deutschen Reparationsobligationen zu rech nen ist, die, auf mehrere. Jahre verteilt, höchstens « bis 8 Milliarden Goldmark zu erbringen vermag. Di« Folge davon ist, daß die Formel an Boden gewinnt, die darauf hinausläuft, soviel Geld flüssig zu machen, wie notwendig ist, um etwa 3« Jahresraten Kriegsschuldeuleistnngcn an Amerika vorzeitig leisten zu können, so datz 196k der Schlutzstrich unter das Konto der aus dem Krieg« herrührenden finanziellen Verpflichtungen gezogen wer, den kann. Unabhängig von den Matznahmen der amerikani, schen Finanzwelt und der Aufnahmefähigkeit des Nen Yorker Geldmarktes bleibt natürlich den europäischer Gläubigern Deutschlands die Möglichkeit, den auf sü rntfallenden Reparationsanteil gariz oder teilweise im eigenen Lande zu mobilisieren. In Frankreich scheint man übrigens ernsthaft mit Absichten dieser Art umzu gehen. Allerdings handelt es sich hier einstweilen noch am recht unklare Projekte, deren technische Durchführ barkeit sehr in Frage steht. Vorarbeit zum Neichstagsbeginn Neue Etatsberatungen im Reichskabinett. — Der Haus» haltsausschuß verhanvelt. — 20V Millionen Mark für Reichsgarautie«. Das Reichskabtnett hielt am Dienstag eine neue Sitzung ab, die wiederum der Beratung des Reichs- haushaltsgesetzes für 1929 gewidmet war. Während in der voraufgegangenen Sitzung der Etat und die Vor schläge zur Deckung des Fehlbetrags in ihrer Gesamt heit behandelt wurden, standen in der Dienstagsitzung vie Etats der einzelnen Ministerien zur Debatte. Die Weiterleitung des Reichshaushaltsgesetzes an die par lamentarischen Körperschaften ist für die nächsten Tage »u erwarten. Wie verlautet, wird der Haushaltsplan für 1S2S cund 20V Millionen Mark fiir Reichsgarantien anfor« »er». Davon sollen 17» Millionen Mark zur Aör- »erung ves Exporthandels und 22 Millionen Mark »er Förderung des Absatzes von Vieh und Fleisch »jenen. Die bereits erttilteu Ermächtigungen über Garantien sollcu bestehe« bkiber. Bloch vor dem Untersuchungsrichter. Seine „Freundschaft" mit Mussolini. — Durch die »er« schenkung von Zigarren wollte er eine Atmosphäre des Vertrauens schaffen. In dem Skandal der „Gazette du Franc" ist endlich auch der geschiedene Gatte der Millionenschwindlerin Hanau, Lazare Bloch, erstmals vor dem Untersuchungs richter zu Worte gekommen. Lazare Bloch erklärte, er sei seiner Frau auch nach der Scheidung als „Freund und Berater" treu geblieben. Einige Zeitungen hätten in ihm sogar den eigentlich leitenden Kopf des Kon zerns sehen wollen. Auf die Frage, ob er ein Freund Mussolinis sei, entgegnete Bloch, diese Frage sei lächer lich. Er habe wohl einmal eine Unterredung mit Mussolini gehabt, doch habe sich diese nur darum ge dreht, eine Erlaubnis für die Verbreitung der „Ga zette du Franc" in italienischen Badeorten zu er wirken. Interessant war die Mitteilung Blochs, datz er wöchentlich für 7000 Francs eigens aus Havanna her beigeschaffte Zigarren verschenkt hat, um — wie er sagte — eine „Wmosphäre des Vertrauens" zu schaffen! Schlußakt im Schröder-Prozeß. Die Disziplinarverhandluug gegen Kölling »mV Hoff mann. — Bor der Entscheidung ves Kammergerichts. Die Entscheidung des großen Disziplinarsenats des Kammergerichts in dem Verfahren gegen die Magde burger Richter Kölling und Hoffmann wird voraus sichtlich der letzte Akt in der Reihe der Begleiterschei nungen bilden, die sich an den Magdeburger Mord- vrozeß Schröder knüpfen und die seinerzeit großes Aus sehen erregt haben. Zu Beginn der Verhandlung verlas der Bericht erstatter nochmals die Vorwürfe gegen die Richter Kölling und Hoffmann. Es wird ihnen zur Last gelegt, in Presseveröffentlichungen nicht erweislich wochre Mi- zriffe gegen andere Behörden und Beamte erhoben, den Behördenstrett in die Oeffentlichkeit getragen und die Pflicht der Amtsverschwiegenheit verletzt zu haben. Darüber hinaus wird Kölling vorgeworfen, daß er sich nicht von seiner richterlichen Ueberzeugung habe leiten lassen, und daß er über die Ausgrabung der Seiche kein Protokoll habe führen lassen. Hofsmann wird der Vorwurf gemacht, Kölling beratend beein flußt zu haben, einer Anordnung des Landgerichts präsidenten bewußt zuwidergehandelt und als Vor sitzender der Strafkammer unter Außerachtlassung des ordnungsmäßigen Dienstweges richterliche Handlungen des Ermittlungsrichters veranlaßt zu haben. Die Vorinstanz, das Naumburger Oberlandesge- cicht, hatte Kölling mit einem Verweis und Hoffmann »u Strafversetzung und zu einer Geldstrafe von LOO Mark verurteilt. Im weiteren Verlaufe der Verhandlung suchte Kölling sein Verhalten damit zu rechtfertigen, daß der Berliner Kriminalkommissar Bußdorf einen von ihm erteilten Auftrag nicht ausgeführt und Ermitt lungen auf eigene Faust in der Mordsache Helling an- gestellt habe. Dann nahm Landgerichtsdirektor Hoff mann längere Zeit das Wort, um von sich aus An merkungen zu den Feststellungen der Protokolle zu machen. Einigung in der römischen Frage? Nach Funkmeldungen sollen die Verhandlungen der italienischen Regierung mit dem Vatikan über die Beilegung der römischen Frage beendet sein. Wie dazu von gut unterrichteter Seite mitgeteilt wird, find diese Nachrichten unrichtig. Richtig ist lediglich, daß Ver handlungen inoffizieller Natur im Gange sind und daß man hofft, noch im Lause dieses Jahres eine Einigung erzielen zu können. Zaleski hetzt wieder! Eine erstaunliche Rev« im Auswärtigen Ausschuß v«s Sejms. — Unbelehrbarkeit oder Zynismus? Der polnische Außenminister Zaleski nahm im Aus wärtigen Ausschuß des SejmS das Wort zu einer Rede, die schärfste Zurückweisung verdient. Zaleski meinte, Polen habe keinen Hatz gegen Deutschlano, sondern nur „Mißtrauen". Das werde anders werden, wenn Deutschland einsehe, daß eine Aenderung der Grenze auf friedlichem Wege unmöglich sei. (!!) Der Handels vertrag ist nach Zaleski bisher an der „Höhe der deut schen Forderungen" gescheitert. Zum Schluß sang Za leski ein Loblied aus die Rechte der Minderheiten in Polen und das Entgegenkommen Polens an Danzig. Ueber das polnisch-französische Bündnis äußerte Za leski, erst dieses Bündnis mache eine deutsch-franzö sische Annäherung möglich. Wie lange gedenkt Polen eigentlich Zaleski noch die Vertretung seiner außenpolitischen Interessen über lassen »u können?