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Beilage zur Weiheritz-Zeilung Nr. 248 Mittwoch, am 23. Oktober 1929 95. Jahrgang !! ! »> Anleihe und Monopol. — Berlin, 23. Oktober. Tie Verhandlungen zwischen dem Reichsfinanz- und dem Reichswirtschaftsministerium auf der einen und dem schwedischen Zündholz-Konzern auf der an deren Seite sind beendet. Ihr Ergebnis besteht darin, daß das Reich eine verhältnismäßig billige 500-Mil- lionen-Anleihe erhält, während die Schweden die für sie mit der Sanierung der deutschen Zündholzwirt schaft verbundenen Vorteile auf das Gewinnkonto ver buchen können. In den Kreisen der Reichsregierung spricht man von einem Vorvertrag, die Schweden dagegen reden von einem endgültigen Abkommen. Ihre Erklärung finden diese Meinungsverschiedenheiten wahrscheinlich darin, daß nach den getroffenen Vereinbarungen Ein zelheiten des Vertrags noch sorgfältig ausgefeilt wer den sollen. Um nur ein Beispiel herauszugreifen! dem Finanzministerium liegt natürlich daran, möglichst bald in den Besitz des Anleihebetrages zu kommen. Man wird daher versuchen, den Auszahlungstermin der Anleihe, der jetzt reichlich spät liegt, vorzuver legen. Verbesserungen gegenüber dem ersten Vertragsent wurf sind dadurch erzielt worden, daß der Preis für ein Paket Streichhölzer nicht wie ursprünglich vor gesehen um 10 Pfennig auf 35, sondern nur um 5 Pfennig auf 30 erhöht werden wird. Immerhin bedeutet auch das noch eine Mehrbelastung des Ver brauchs um jährlich drei Millionen Mark. Tas Zündholzmonopol ist im wesentlichen ein Vcrkaufsmonopol. Sein Wesen besteht darin, daß die deutschen Zündholzfabriken, von denen 65 V.H. von den Schweden beherrscht werden, in Zukunft ihre Erzeugnisse an die Monopolgesellschaft verkaufen, in der erfreulicherweise trotz des schwedischen Ueberge- wichts in der Produktion 50 v. H. aller Stimmen aus die deutschen Fabriken entfallen. Während des Beste hens des Monopolvertrags dürfen neue Zündholzfa briken in Deutschland nicht angelegt werden, ferner wird man in dieser Zeit wohl auch die billigeren russi schen Streichhölzer vom deutschen Markt fernhalten. Tie rein finanziellen Bedingungen der Anleihe sind für das Reich nicht ungünstig. Angesichts der hohen Zinssätze ist man im Reichsfinanzministerium anscheinend sehr zufrieden darüber, eine 500-Millionen- Anleihe hereinzubekommen, die mit 6 v. H. verzinst werden muß und die zum vollen Ausgabekurs von 93 v. 5). — ohne Spesen — an die Reichskasse ab geführt werden wird. Tas Reich erhält somit aus der Anleihe netto 488 Millionen Mark; der Realzins würde demnach 6,45 Prozent betragen. Nicht unbedenklich ist allerdings die Verquickung der Anleihe mit wirt schaftspolitischen Maßnahmen. Nach der Wiedereröffnung des Reichstags wird der Plan des Zündholzmonopols und die damit ver bundene finanzielle Frage mit im Mittelpunkt der par lamentarischen Erörterungen stehen. Beschlüsse haben Reichstag und Reichsrat jedoch nur in Bezug aus das Zündholzmonopol zu fassen, das eine Aenderung des Zündholzgesetzes bringt und demnach der Genehmigung durch die Parlamente bedarf. In der Anleihesrage aber hat der Reichstag nicht mitzusprechen, weil die Reichsregierung infolge der ihr früher erteilten und noch nicht ausgenutzten Anleiheermächtigungen zu dem Abschluß der Anleihe berechtigt ist. Zündholzmonopol und Anleihe sind ein Produkt der mißlich enLagederdeutschenZünd Holz wirtschaft und der angespannten Kassen verhältnisse des Reiches. Bekannt ist, daß sich die Lage der deutschen Zündholzwirtschast im Laus« der letzten Jahre ständig verschärft hat, einmal wegen des wachsenden Wettbewerbs der Außenseiter, zum an- dern wegen der steigenden Einfuhr russischer Streich hölzer. Es bestand die Gefahr, daß der in Deutschland eine beherrschende Stellung einnehmende Schwedentrust weitere deutsche Fabriken aufkaufie, um sie stillzulegen und die deutsche Streichhölzerproduktion völlig seinem Einfluß zu unterwerfen. Tann hätte es den Schweden immer noch sreigestanden, sich auf dem Rücken der deutschen Wirtschaft mit den Russen zu einigen. . , Tiefe Gefahr ist jetzt abgewendet. Zündholzmono pol und Zündholzanleihe haben somit eine Lickst-, und wie oben ausgeführt, auch eine Schattenseite Man Chronik -es Tages. — Im Befinden des früheren deutschen Reichskanzlers Fürst von Bülow ist eine Besserung zu verzeichnen. — Am Donnerstag treten die leitenden Gremien der deutschen Industrie und der Vereinigung deutscher Ar beitgeberverbände in Saarbrücken zu einer Tagung zu sammen. . . . — Frankreichs einflußreichster Politiker wahrend des Weltkrieges, Clemenceau, ist erneut schwer erkrankt. - Gelegentlich der Anwesenheit des polnischen Außen ministers in Bukarest soll ein polnisch-rumänischer Schwds- gerichtsvertrag unterzeichnet worden. l - Der elsässische Dichter Eduard Reinacher und der ostpreußische Dichter Alfred Brust erhielten den diesjährigen Kleist-Vreis — c»n' Breslau hat sich der Leiter Ler politischen Polizei, Ur 38 jährige Kriminaloberinspektor Albrecht, er schossen. , . — Bei Rettungsarbeiten auf einem leckgewordenen Saar-Schiff wurden sieben Feuerwehrleute aus Güdingen verletzt. Thphusseuche im Saargebtet scheint zum Still stand gekommen zu sein. — Zwei japanische Militärflugzeuge haben zum ersten Mal einen Ueberseeflug von Kiuschiu nach Formosa lrund 1100 Kilometer) in acht Stunden erfolgreich durchgeführt. mag diese Transaktion begrüßen Ker sie Mttsieren, einig sind wir uns darin, daß ihr unbedingt ernste Maßnahnwn zur Reichsfinanzresorm folgen wessen. Ohne diese Finanz- und Steuerreform werden wir weder den Aoungplan auch nur einige Jahre Abführen, noch zu einer Festigung der wirtschaftlichen Verhältnisse kommen können. Mess Erkenntnis muß der Reichstag bei feinem Wiederzusammentritt beher- zigen, und er würde gut tun, wenn er die Reform- arbeit auch beschleunigen würde. Vor dem Artelt in Leipzig. Der Bertaguugsautrag abgelehnt. — Beschränkung der Verhandlungen auf die Frage der Einstweiligen Ber» fügung. - Leipzig, 23. Oktober. Ler Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich der- handelte am Dienstag über die von der deutschnatio- ' nalen Landtagsfraktion gegen den preußischen Staat angestrengte Klage. Das Urteil dürfte am heutigen Mittwoch gefällt werden. Ten Vorsitz führt Reichs- gerichtsprasident Dir. Bumke; Beisitzer sind die Reichs» gerichtsräte Hagemann, Drebe und Schmitz, sowie die Oberverwaltungsgerichtsräte Tr. Groethnysen, Luxem burger und Dr. Otto. Das Protokoll führt Regicrungs- Inspektor Krause. Tie Klage geht bekanntlich auf Erlaß eines Fest- stellungZurteils, durch das das Recht jedes Be amten, sich als wahlberechtigter Staatsbürger an einem verfassungsmäßig zugelassenen Volksbegehren zu be teiligen, ausdrücklich sichergestellt werden soll, und auf Erlaß einer Einstweiligen Verfügung, durch die dem preußischen Staatsministerium ausdrücklich un tersagt werden soll, weitere Kundgebungen gegen die Beteiligung der Beamten am Volksbegehren zu er lassen. Tie bereits erfolgten Anweisungen sollen zu rückgezogen werden. Zu Beginn der Verhandlung stellte der Vorsitzende ' Tr. Bumke fest, daß eine Verhandlung zur Sache nur dann möglich fei, wenn beide Parteien damit einver standen seien, da nach Paragraph 6 der Geschäftsord nung des Staatsgerichtshofes eine — im vorliegenden Streitfall nicht innegehaltene — vierzehn tägige La dungsfrist gewährt werden müsse. Da der Vertreter der preußischen Regierung Einspruch erhob, wurde die Verhandlung zur Hauptsache von der Tagesordnung ab gesetzt. Zur Debatte stand danach lediglich der An trag auf Erlaß einer Einstweiligen Verfügung. Zwischenentscheid des Staatsgerichtshofs- Nachdem so die Verhandlungen aus den Erlaß einer Einstweiligen Verfügung beschränkt waren, legten die Vertreter des preußischen Staates und der deutsch nationalen Fraktion ihre Stellungnahme dar. Durch Gerichtsbeschluß wurde zunächst der preußi sche Antrag auf Vertagung der Verhandlungen über die Einstweilige Verfügung abgelehnt, ferner wurde di« Zulassung des Rrichsansschusses für das Volksbegehren als Nebenkläger zurückgewiesen. Begründet wurde die Ablehnung des Anschlusses des Neichsunsschusses damit, daß der RcichSarrsschuß als eine über das ganze Reich verbreitete Organisation nicht in VerfassungSstreitig- leiten innerhalb eines Landes eingeschaltet werden könne. Die Verhandlungen vor dem Staatsgerichtshof auf heute vertagt. Die Verhandlungen des Staatsgerichtshofes für das Deutsche Reich zogen sich am ersten Berhandlungstags noch bis in die späten Abendstunden hin. Der Rechts beistand der deutschnationalen Fraktion setzte sich für den Erlaß einer einstweiligen Verfügung ein, betonte jedoch dabei, eine einstweilige Verfügung könne im Sinne des Antrags auch wohl nur dann erlassen wer den, wenn das Gericht seinen Ausführungen zur Haupt sache folge. Der Vertreter der preußischen Staatsreglerung, Dr. Badt, forderte erneut die Vertagung. Wenn ein Beamter die Wahlagitation unterstütze und Flugblätter verteile, bringe er damit noch nicht zum Ausdruck, daß er mit allen Handlungen der Partei einverstanden sei. Das Volksbegehren sei aber etwas anderes. Feder mann sei sich darüber klar, daß der Paragraph 4 eins Schmähung der gegenwärtigen Regierung enthalte und zum Ansdrnck bringe, das Verhalten der Regierung in außenpolitischen Dingen sei der Zuchthausstrafe wert. Die Regierung habe die Pflicht, das den Beamten kund zu tun. Ministerialrat Brand begründete den Stand punkt der preußischen Regierung betreffend die all gemeinen auf der Verfassung beruhenden staatsbürger lichen Grundrechte und die besonderen Beamtenpflichten. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen stellte der Vorsitzende an den Vertreter der Deutschnationalen die Frage, deren Beantwortung aber wohl nicht mög lich sei, ob nicht eine Aenderung des Gesetzentwurfs noch in Frage kommen könne. Die Weiterverhandlung wurde daraus auf Mittwoch vormittag vertagt. Saartagung der Industrie. Zur Unterstreichung der Schicksalsverbundenhsit. — Entschließung saarländischer Arbeitervereine. Am kommenden Donnerstag trSten die leitenden Gremien des Reichsverbandes der deutschen Industrie und der Vereinigung deutscher Arbeitgeberverbände in Saarbrücken zu einer Tagung zusammen. Man er wartet den Besuch führender Industrieller aus allen Reichstcilen. Wie bei den Tagungen in Königsberg im Jahr« 1927 und in Breslau im April d. I. besteht der Zweck der Saartagung hauptsächlich darin, die enge Schicksals- Verbundenheit zwischen den Grenzlandgebieten und den übrigen Teilen der deutschen Wirtschaft zu betonen und die Aufmerksamkeit der Oeffentlichkeit auf die beson deren Nöte und Sorgen der Grenzlandgebiete hinzu weisen. Sowohl der Reichsverband der deutschen In dustrie, wie die Vereinigung der deutschen Arbeitgeber verbände halten es für sehr wichtig, daß die sachliche und persönliche Verbindung mit den schwerringenden Grenzgebieten verstärkt und durch eine Aussprache an Ort und Stelle die Anteilnahme der ganzen deutschen Industrie an der schwierigen Lage der Grenzgebiets bekundet wird. Im Anschluß an die Verhandlungen sind Grenz fahrten und Besichtigungen industrieller Betriebe in Aussicht genommen. Tie katholischen Arbeitervereine des Saargebietes nahmen aus einer Vertretertagung einstimmig eine Ent schließung an, in der zum Ausdruck gebracht wird, daß nur die alsbaldige restlose Wiedereinfü gung des Saargebietes in den deutschen Staat di« Voraussetzung einer wirklichen Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich schaffen kann Die Ruhr-Handelskammern. Fünf Kammern aufgehoben, zehn zu drei Zweckver« bänden zusammen geschlossen. Ter preußische Handelsminister hat durch einen Erlaß fünf Industrie- und HandeGkaurmern des rhei nisch-westfälischen Industriegebiets aufgehoben und zehn Kammern zu drei Zweckverbänden zusammengeschlossen. Tie Handelskammer 'Neuß wurde ausge-' löst und mit der Industrie- und Handelskammer Mün chen-Gladbach vereinigt. Aus der erweiterten Kammer München-Gladbach und den Kammern Krefeld und Duisburg wurde ein niederrheinischer Zwockverband ge bildet, dessen Führung die Kammer Duisburg hat. Die Kanmrern Remscheid und Barmen-Elberfeld haben ihre Vereinigung mit dem Sitz in Barmen-Elber feld beschlossen. Slgleich ist auch im bergische« Land der Zusammenschluß dieser Kammer mit der Kammer Solingen und Düsseldorf zu einem Zweckverband er folgt, dessen Vorsitz Geheimrat Duisberg (Solingen) und dessen Geschäftsführung der Kammer Düsseldorf übertragen werden soll. Ein dritter Zweckverband ist unter den Ruhr kammern Essen, Bochum, Dortmund unter Einschluß von Münster gebildet worden. Hier sollen der Vorsitz und die Geschäftsführung unter den Kammern wech seln. Der Verband mit einer Bevölkerung von vier Millionen wird der größte der bisher gebildeten Kam merzweckverbände sein. Die vier Handelskammern Hagen, Iserlohn, Altena und Lüdenscheid wurden zu einer Ernheitskam- mer mit dem Sitz in Hagen zusammengelegt. Dabei ist der bisher zur Kammer Altena gehörende Kreis Olpe der Kammer Siegen zugeteilt worden. Mit dieser Neuorganisation ist eine Rationalisie rung in unserem wichtigsten Wirtschaftsgebiet zum Ab schluß gebracht, deren Anfänge bis auf das Jahr 1897 zurllckgehen. Zusammenarbeit mit Oesterreich. Gemeinschaftstagung der reichsdeutschen und der öster reichischen Handelskammern. Unter dem Vorsitz des Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstags, Franz von Mendelssohn, wurde in Frankfurt a. M. eine Konferenz der reichs. deutschen und der österreichischen Handelskammern er öffnet. Prof. Dr. Günther-Innsbruck, der die Möglich leiten einer Annäherung des deutschen und österreichi schen Sozialversicherungsrechtes behandelte, betonte, An- gleichung sei gleichbedeutend mit Gleichmachung. Vor- handene im volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Sinn gesunde Unterschiede sollten vielmehr erhalten bleiben. Anschließend gab Regierungsrat Tr. Demuth einen Ueberblick über die verschiedenartige Struktur des deutschen und österreichischen Rechtes. Er erklärte, daß die Zusammenarbeit der deutschen und österreichi schen Handelskammern auf dem Gebiet der Sozialver sicherung vor allen Dingen festzustellen haben werde, was beiderseits vereinfacht und unter Aufrechterhaltung aller wirtschaftlich und sozial unentbehrlichen Leistun gen abgebaut werden könne. In der Aussprache wies Reichsminister a. D. Hamm insbesondere auf die engen Zusammenhänge zwt- schen Sozial- und Bevölkerungspolrtik hin. Nach weiterer Diskussion, an dersiHauch dm: frühere Bundeskanzler DeutschösterrmM, ^e«uwch, beteiligte, wurde die Einsetzung eines deutsch-österrei chischen Verkehrsausschusses beschlossen. Politische Rundschau. — Berlin, den 23. Oktober 1929. — Aus Anlag seines zehnjährigen Bestehens veran staltet der Reichsverband des deutschen Handwerks am 3. und 4. Dezember eine große Kundgebung. * :: Das Verbot des Königin»Luise»Bu«d«S ausge. hoben. Das im Zusammenhang mit der Auflvsima des Stahlhelms im Rheinland erlassene Verbot des Kbvj.