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Beilage zur Weitzeritz-Zeitung Nr. 222 Montag, am 23. September 1929 95. Jahrgang Chronik des Tages. — Am heutigen Montag findet in Heidelberg «m> erst« Besprechung oeS Saarausschusses mit Vertretern des Reiches und der Länder statt. — In Berlin wurde am Montag eine interparla mentarische Handelskonferenz eröffnet. — Der „Graf Zeppelin" unternimmt in den nächsten drei Wochen mehrstündige Fahrten nach der Schweiz, nach Süddeutschland, Schlesien, Ostpreußen und Berlin. — Voraussichtlich am 6. oder 6. Oktober wird das Luftschiff „Graf Zeppelin" über Schlesien nach Berlin fahren. — In der Celler alten Artilleriekaserne hat ein Riesenfeuer gewütet. — Im 78. Lebensjahre verschied das frühere Mitglied des Kruppdirektoriums Maior a. D. Dr.-Jng. e. h. Max Dreger. Er war der Konstrukteur des 42-Zennmeter-MörserS. Was geschieht in Litauen? ES ist in Litauen Tradition geworden, daß sich Regierungsumbildungen in Form von Sensatio nen und unter Zwischenfällen vollziehen. Freiwillig räumt in diesem dünn besiedelten bäuerlichen Lande mit wenig mehr als zwei Millionen Einwohnern selten ein Ministerpräsident das Feld. Politische Aktionen beginnen darum gewöhnlich mit Ueberrumpelungen und mit Putschen. Gegenwärtig scheint eS sich um eine Ueberrumpelung zu handeln. WoldemaraS, bisher Diktator nach dem Borbilde Mussolinis, ist mit seinem Kabinett zurückgetreten. Gleichzeitig mit der Bekanntgabe des Rücktritts wurde die Nachricht in die Presse gebracht, als Nachfolger von Woldemaras fei der Schwager des Staatspräsidenten Smetona, TubeliS, ausersehen, während Woldema raS Außenminister bleiben werde. Kaum war diese Mitteilung heraus, als sich auch schon WoldemaraS zu Worte meldete und erklärte, er werde fortan keinerlei staatliche Dienste mehr übernehmen, weder im In lands noch im Auslande. Diese Erklärung des bisherigen Regierungschefs läßt damit rechnen» daß die politisch« Lage Litauens in Auswirkung des Regierungswechsels eine völlige Neugestaltung erfahren wird. WoldemaraS, im Zarenreich Professor für alte Sprachen an der Uni versität Petersburg, übt« in den letzten Jahren einen bestimmenden Einfluß auf das Schicksal seines Landes aus. WoldemaraS war nicht nur Ministerpräsident, er war auch Außenminister; ferner verwaltete er das Kriegsministerium und zeitweilig auch das Kultus« und das Finanzministerium. Nach außen wahrte er mit Hartnäckigkeit die litauischen Interessen. Insbeson dere verteidigte er Litauens Unabhängigkeit gegenüber Polen. Nach innen unterdrückte er jede oppositionell« Regung. Ter Sturz des Diktators scheint dadurch herbei geführt worden zu sein, daß der Staatspräsident Sme tona und die Mehrheit der führenden Männer der Tautininkai — das ist die völkische Regierungspartei — die grausame Verfolgung der Andersgesinnten immer mehr als eine Gefahr für den Staat erkannten. Wenn letzt die gemäßigtere Richtung die Macht an sich reißt, dann kann ihre Politik immer nur den allmählichen Abbau der Diktatur zum Gegenstand haben. Wäh rend WoldemaraS seine Gegner auszurotten versucht«, wollen die neuen Männer den Versuch machen, di« Gegner zu gewinnen. Ob ihnen bei dieser Arbeit Erfolg beschieden sein wird, ist zunächst schwer zu sagen. TubeliS, der Mi nisterpräsident werden soll, ist ein kranker Mann. Er leidet an einer Lebererkrankung und wird daher kaum in der Lage sein, das Steuer herumzuwerfen. Tie fa schistischen Kreise Litauens aber sind rührig und keines wegs davon überzeugt, daß ihre Stunde vorüber ist. Für Deutschland ist es selbstverständlich höchst gleichgültig, ob Litauen durch einen Diktator oder durch eine parlamentarische Körperschaft regiert wird. In teresse hat für uns nur die Außenpolitik dieses Lan des, das zwar nicht viel größer ist als eine preußische Provinz, jedoch seiner Lage wegen von außerordent licher Bedeutung für Deutschland ist. Unter keinen Umständen könnte Deutschland ein Äufgehen Litauens in Polen dulden, weil dadurch Ostpreußen zu einer Jnsxl im polnischen Meer werden müßte! Es ist bekannt, daß WoldemaraS wegen des Rau bes Wilnas durch Polen jede Zusammenarbeit mit Warschau abgelehnt hat. Er ist dabet so weit gegan gen, auch jede wirtschaftliche Annäherung zwischen Li tauen und Polen zu verhindern. Nicht aus Böswillig keit, wohl aber deshalb, weil Polen zu deutlich zu er kennen gegeben hat, daß die wirtschaftliche Durchdrin gung Litauens für Polen nur den ersten Schritt zur Angliederung des litauischen Staates bildet. Tas Verhältnis Polens und Litauens hat wieder holt den Völkerbund in Gens beschäftigt. Und sebr wahrscheinlich werden auch Litauens neue Männer in Genf bald wieder Gelegenheit haben, über Polen Klage führen zu müssen. Die polnisch-litauischen Differenzen find jedenfalls auch heute noch von so ernster Natur, daß ein politischer Umschwung in Litauen außenpoli tische Rückwirkungen kaum haben kann, weil jede Re gierung den gleichen Kurs zu steuern gezwungen ist, den WoldemaraS — nicht immer mit Geschick — ver folgte. Wenn die neue Regierung aber in der Innen politik auf ein« Entspannung hinarbeiten will, dann wird von diesem Kurswechsel hoffentlich auch im Me melgebiet etwas zu verspüren sein. Denn di« Po litik für do« Memelgebiet verdient sehr wohl ein« Korrektur! Polnische Phantastereien. — Warschau, 23. Septbr. Der „Expreß Porany" läßt sich aus Kowno melden, der Rücktritt des Minister präsidenten WoldemaraS sei in erster Linie auf einen Druck des diplomatischen Korps zurückzuführen. Di« Vertreter der Großmächte seien mit der russischen Rich tung WoldemaraS unzufrieden gewesen. Vor allem aber habe England auf seinen Rücktritt gedrungen. — Die Nachricht macht stark den Eindruck, slS ob sie in Warschau entstanden ist. Mittwoch Schlußsitzung i« Genf. Di« letzten Arbeiten. — Lord Cecil zieht seine» Ab- ' . rüstungSantrag zurück. — Gens, 23. September. Die Ausschüsse und die Kommissionen des Völ kerbundes haben ihr« Arbeiten beschleunigt, damit, der Anregung des Präsidenten entsprechend, die Herbstver sammlung des Völkerbundes am Mittwoch geschlossen werden kann. In Zukunft wird die Eröffnung der Herbstversammlung statt in den ersten Septembertagen erst am 10. September erfolgen. Eine Sensation gab es in der dritten Kommission. Unter allgemeiner Spannung gab der Engländer Lord Ceeil die Erklärnng ab, daß er seine Anträge zur Ab rüstung znrückziehe, weil er die Frage der Abrüstung zu ernst nehme, um es zu einer Abstimmung kommen zu lassen, die aussichtslos sei. Die Hauptpunkte der Abrüstungsfrage, so führte Lord Cecil aus, seien bisher von der vorbereitenden Abrüstungs kommission nicht gelöst worden. In der Frage der aus gebildeten Reserven halte er keineswegs an der Methode oer bisherigen Herabsetzung fest, es könnten auch ander« Wege hierfür geprüft werden. Entscheidend sei aber die Herabsetzung des Kriegsmaterials! Ohne dies« wäre eine allgemeine Abrüstung undenkbar. Diese Frage wäre heute noch völlig offen, jedoch sei die Tür für weitere Verhandlungen noch nicht zugeschlaaen worben. Er müsse darauf bestehen, daß ein« Herabsetzuna des Kriegsmaterials als entscheidender Punkt in der gesamten Abrustungsfrage durchgesührt würde, da ohne dieselbe «in Abrüstungsabkommen keinen Wert habe. Es habe keinen Zweck, sich darüber einig zu werden, daß man nichts machen wolle. Ein derartiges Abrüstungsabkommen hätte weder Sinn noch Wert. Massigli, der Vertreter Frankreichs, nahm die eng lische Erklärung mit sichtlicher Erleichterung auf. Für Beschränkung des Kriegsmaterials. Graf Bernstorff bedauerte, daß die englischen Vor schläge keine ungeteilte Aufnahme gefunden Haven und unterstützte nunmehr den griechischen Antrag. Er freulicherweise gehe aus den Ausführungen Lord Ce cils eindeutig hervor, daß England seinen grundsätz lichen Standpunkt in der Abrüstungskommission von neuem darlegen und seinen Antrag wieder aufnehmen werde. Praktisch habe die Kommission damit also be schlossen, daß diese Aussprache in der Abrüstungskom mission wieder ausgenommen würde. Di« Abrüstung könne selbstverständlich nur auf dem Wege gegenseitiger Zugeständnisse gelöst werden, jedoch könne man von den bisherigen vierjährige»» Ver handlungen der Abrüstungskommission ketnesioegs von gegenseitigen Zugeständnissen reden. Deutschland würde cs ablehnen, ai» Zugeständnissen mitz,»wirken, die nicht zu einer Herabsetzung, sondern im Gegenteil zu einer Erhöhung und Stärkung der Rüstungen führen. In den griechischen Antrag müsse ein Zusatz aus genommen werden, daß dem Streben der Völker nach einer Verwirklichung der im Völkerbundspakt gegebenen Versprechen zur allgemeinen Abrüstung Rechnung ge tragen würde. Zum Schluß erklärte Graf Bernstorfs, er halte an der Forderung auf Herabsetzung der aus gebildeten Reserven fest, stimme jedoch mit Lord Cecil darin überein, daß eine weitgehende Beschränkung des Kriegsmaterials bis zu einem gewissen Grade die gleiche Bedeutung habe wie die Herabsetzung der aus gebildeten Reserven, da ohne Kriegsmaterial schließ lich kein Krieg geführt werden könnte. Der griechische Antrag wurde sodann von der Kommission mit dem deutschen Zusatz angenommen. Saarbesprechungen in Heidelberg Fu Anuxsenheit »er deutschen Saardclegatiou. — Eine Entschließung des saarländischen Handtoerls. Im Laufe des heutigen Montags findet in der Heidelberger Stadthalle eine Besprechung des Saar ausschusses mit Vertretern des Reiches und der Ltkrder statt. Tie deutsche Saardelegation für die deutsch-fran zösische Sonderkonferenz in Paris wird unter Leitung des Staatssekretärs a. D- von Simson vollzählig an den Vorbesprechungen teilnehmen. Für das Auswärtig« Amt trafen die LegationSräte Friedberg und Dr. Voigt in Heidelberg ein, für die Reichskanzlei Dr. Feßler. Ter preußische Ministerpräsident, verschiedene i preußische Ministerien und die Reichsminister der Fi- ! nanzen, der Wirtschaft und des Verkehrs haben eben falls Vertreter entsandt. In einer einstimmig angenommenen Entschließung sprachen die HandwerkskorporationS-Borständ« des Saargebiets im Namen von 12 000 selbständigen Hand- Werkern ihre lebhafte Genugtuung darüber aus, daß es bei den Verhandlungen im Haag gelungen ist, der Saarfrage eine Wendung zu geben, die di« baldige Wiedervereinigung de» GaargebietS Mt d«m deutschen Vaterland erwarten läßt. « Mit »er gesamte» Beväkkr»ng »er westlich«« Grenzmark hege »aher da» Ha*»werk 1« Sa-rg-St-t »1- , zuversichtliche Hoffnung, »aß -S »er deutschen Abord nung tn Paris baldigst gelinge« mög«, »ie ««geteilt- politische UN» wirtschaftlich- Rückgliederung »es Saar» gcbietS tu »aS Reich durchz«setze«. „Wer war in Paris?" Abgeordneter Klönue fall et» veutsch-franzöfische» Mt» litärbüudniS «mge-ote» habe«. Tie „Nationalltberale Lorrespondenz", der Presse dienst der Deutschen Bollspartei, wendet fich in einem „Wer war in Paris?" überschriebenen Artikel gegen die deutschnationalen Borwürfe gegen Strefemmur und erklärt, der deutschnationale Retchstagsabgeordnete Dr. Klönne habe in Paris viel weitgehendere Ange bot« gemacht als die von Hugenberg bekämpften deut schen Politiker. Dr. älünne, so fährt die volksparteiliche Korrespon denz fort, habe den Franzosen ein Militärbündnis gSgM Rußland angetraaen und das gletch« Thema mit «MM beamteten englischen Politiker besprochen. Ein von her Entwaffnung Deutschlands her bekannter französischer GH* neral sei mit Wissen Klünnes nach Berkin gemummt mit deutschen Militärs zu verhandeln. Die R-tss SW Generals sei ergebnislos geblieben, weil di« arrnAchM deutschen Stellen das Projekt cchgolchnt hätten. Im FraA jahr 1928 seien di« Verhandlungen nach PaM verlest worden. Dem Auswärtigen Amt h«be man von d«n Ding« keine Mitteilungen gemacht. irende ike ae- reichs propagiert, erklärt, er Habs Dr. K riser maßgebenden Kreisen etngeDhrt und Politiker der Mittewarteien an seinen T beteiligt. Sein« Verhandlungen beruhtem auf der Grundlage einer zu verwirklichenden intimqn indu striellen, militärischen und politischen Jnteresfesgsmein- Von deutschnationaler Seite wird geteilt, wenn Dr. Klönne Verhandlungen Westorientierung gegen den Osten g "" dann müsse festgestellt werden, daß gen den Grundsätzen der Deutschnati widersprächen. Die Pläne, die die Correspondenz" enthülle, erinnerten ml die gen des Industriellen Rechberg. Der Industrielle Rechb« einen engen Zusammenschluß D Mit- «fick Volksbegehren—Reichspräsident L-r Reichsausschuß für das Volksbegehren und Para graph 4. Ter „Reichsausschuß für das deutsche Volksbe gehren" teilt mit: „Tas Präsidium des Reichsausschusses ist am Sonnabend in Berlin zu einer Sitzung zusammen getreten, in der erneut der einmütige Wille zum Aus druck kam, sich für das Volksbegehren zur Verhinde rung des Uoungplans und zur endgültigen Beseitigung der Kriegsschulolüge mit allen Kräften einzusetzen. Um di« Absicht des Reichsausschusscs, di« Person d«s Reichspräsidenten vor jedem Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf z« schütze», auch gegenüber bös williger Auslegung noch schärfer zum Ausdruck zu bringen, wurde durch die Einfügung de» Wortes „deren" folgende Fassung des Paragraph«» 4 ein stimmig beschlossen: „Reichskanzler und Reichsminister und deren Bevollmächtigte, die entgegen der Vorschrift des Pa ragraphen 3 Verträge mit auswärtigen Mächten zeichnen, unterliegen den im Paragraph 92, Ziffer 3, des Strafgesetzbuches vorgesehenen Strafen." Li« Vertreter des Reichslandbundes und der Christlich-Rationalen Bauer», »nd Landvolkpartei hiel ten chre grundsätzliche Stellungnahme gegen die Straf» bestimm»»« »es Paragraphen 4 gemäß den Beschlüssen ihrer Vorstand« aufrecht. Fragen von dem unerschütterlichen Willen zum schärfsten Kampf gegen Youngplan und Kriegsschuld- Age erklärten sie jedoch, daß Reichslandbund und Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei Schul- ter an Schulter mit den anderen Verbänden im Reichs- auSschutz für die gemeinsam« Sache kämpfen werden." Klönne und Paris. 2«r Abgeordnete Dr. Klönne z« »er Veröffentlich««» der »^Rationalliberalen Correspondenz". Auf die Erklärung der „Nationalliberalen Corre- spondenz", des Pressedienstes der Deutschen BolkSAr- tei, der deutschnationale Reichstagsabgeordnete SW. Klönne habe in Paris viel weitgehendere Angele gemacht als die von Hugenberg bekämpften deutschen Politiker, erwidert Dr. Klönne u. a. folgendes. ES ist richtig, daß ich s«icht 1S27) i» London Unterhaltung«« mglffch^ Politikern gepflogen hab-, »i-dw Entwickln«« Euro» paS »md besonders die veutsch« Sache betrafen. Bei diesen Gesprächen, bet denen ich meine Stel lung als Privatmann, der ohne Auftrag der Regierung oder seiner Partei nur seine eigen« Meinung zum Ausdruck brachte, ausdrücklich betonte, führt« ich etwa aus, daß Deutschland für eine deutsch-englisch-sranzh- fische Zusammenarbeit nur dann tn Frag« käme, wenn wenigstens die elementarsten deutschen Forderungen er füllt würden.