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,» Geistesgegenivucr, Entschewung im Augenblick, ist vielfach das, worüber nachher die Neunmalweisen zu sagen wissen: Gott, das hätte man doch „anders machens müssen", wobei sie jedoch den Eindruck nicht verwischens können, wie froh sie sind, selbst nicht in der gefährlichen' Lage gewesen zu sein, die sie eben so obenhin bekrittelt' haben. Und dabei ist es doch das Besondere bei den plötzlichen Entscheidungen, daß in dem Augenblicke, in dem sie gefällt werden müssen, nicht im entferntesten so viel Zeit vorhanden ist, wie diejenigen brauchen,, um nachher so schöne Reden zu halten. Die schnell Entschlossenen haben meistens Glück, wenn auch solche Entschlüsse nicht der Weisheit letzter Schluß sind. Unter Geistesgegenwart verstehen wir die Anlage, auch in schlimmen und gefährlichen Situationen die Herrschaft über den Geist, den Verstand zu bewahren und blitzschnell, kalten Blutes, zu überlegen, wie wir aus der Notlage herauskommen oder sie doch wenig stens nicht verschlimmern können. Das ist natürlich im Einzelfall Sache des Temperaments, der Nerven und zufälliger Nebenumstände. Geistesgegenwart und Klug heit sind nicht notwendigerweise mit einander verbun den. Sehr gescheite Menschen sind bisweilen in solchem Maße Sklaven ihrer Empfindungen, daß ihr Geist ver sagt, wo sie seiner am dringendsten bedürfen und mä ßig begabte Menschen verlieren oft dann am wenigsten die Ruhe, wenn ihnen das Wasser bis zum Halse steht, wie der Volksmund recht bezeichnend meint. Die Geschichte liebt es, Fälle von besonderer .Geistesgegenwart sestzuhalten. Als Friedrich der Große in einem der schlesischen Kriege, ohne jede schützende Begleitung in ein von österreichischen Offizieren be setztes Schloß geriet, begrüßte er sie gelassen und tzoheitSvoll mit dem bekannten Wort: „Lon 8vir, mes- sjeurs" und verwirrte sie damit derart, daß sie nicht den raschen Entschluß zu fassen vermochten, den König für ihren Gefangenen zu erklären und schleunigst in ihr Hauptquartier zu bringen. Als sie ihre Geistesgegen wart wieder gewonnen hatten, war es zu spät, da kamen preußische Truppen herbei, die sie selbst gefangen nah men. Hätte Friedrich der Große die leiseste Ueber- jraschung gezeigt, würde die Weltgeschichte vermutlich eine andere Wendung genommen haben. .Wenn sich auch in Kriegs- und Revolutionszeiten iam" deutlichsten zeigt, wer die Fähigkeit zu solcher Si- ^tuationsbeherrschung besitzt, so verlangt doch auch heute gerade der Alltqg mit seiner aufreibenden Arbeit und ^Nervenüberreizung inmitten rasender Fortschritte im IverkehrSleben viel Geistesgegenwart. Als in einem großstädtischen Restaurant ein junger*! Mann, ehemaliger Kriegsfreiwilliger und Fremden-' legionür in aller Ruhe unverhohlen Miene machte, ins' Publikum »u schießen, ^vußte ein Ober die Gefahr zu bannen, indem er mit gut gespielter Geschäftigkeit mit seiner Serviette Tisch und Stuhl abklopfte und den un heimlichen Gast fragte: „„Wo wünschen der Herr Platz zu nehmen, womit kann ich dienen?" — Viel bewun dert und besprochen wurde die Haltung eines hohen Verwaltungsbeamten einem Beschwerdeführer gegen über, der während einer langen Unterredung die Ab- kzugsschnur einer Höllenmaschine in der Hand hatte. Er behielt die Oberhand dadurch, daß er scheinbar auf die Wünsche des Attentäters einging und ihm, unter Ueber- gehung einer dem Beschwerdeführer nicht bekannten .Bedingung einer zweiten Unterschrift, eine formal rich tige Anweisung auf eine hohe Summe übergab. Kaum war dieser damit aus dem Amtszimmer, als telepho nisch alle sicheren Maßnahmen zu seiner Festnahme erfolgen konnten. > Einen seltenen Grad der Unerschrockenheit bewies i ein Fahrgast, der während der Spartakusunruhen in einem Auto durch die Straße Unter den Linden in Berlin fuhr, wo scharf geschossen wurde. An der Wilhelm- -straße durchschlug eine Kugel das Verdeck des Wagens. Der Fahrgast ließ halten, ging auf eine Gruppe Spar- itakisten um ein Maschinengewehr herum zu, versetzte 'dem Nächststehenden mit den Worten: „Ich verbitte mir solchen Unfug" eine schallende Ohrfeige und ging unbe helligt zu seinem Wagen zurück. Die Ablenkung einer unmittelbaren Bedrohung durch einen von Wahnideen tobsüchtig gewordenen Os-i sizier gelang einem Arzt in der versehentlich von außen ^abgeschlossenen Zelle einer Irrenanstalt dadurch, daß er 'ihm suggerierte, man wolle sie beide vergiften. Sie beratschlagten darauf beide hin und her und schließlich beschlossen sie, den Wächter um Wasser zu bitten. In schwierigen oder unangenehmen Situationen ist eben selbstbewußtes, suggestives Auftreten und vernünftiges oder humorvolles, ablenkendes Zureden ein sicherer -Schutz gegen plötzliche Gefährdung. Herausforderungen und feindselige Gegenüberstellung sind in den meisten Lagen absolut verfehlt. Dagegen sind psychologische .Tricks, souveräne Ruhe und Kaltblütigkeit von fast un- tfehlbarer Wirkung. Kraftfahrer, Flieger, Lokomotiv führer, Aerzte, Akrobaten, Autobusschaffner, Polizei, kurz die verschiedensten Berufe vom einfachen Arbeiter bis zum Genie gehen heute durch die Prüfstellen der Psychotechnik und unterziehen sich wegen besonderer Eignung, auch auf dem Gebiet der Geistesgegenwa'" vielfachen Versuchsanordnungen in Laboratorien. Ein ganz eigenartiges Gebiet von Geistesgegen wart bieten die Zufälle in Ernst und Scherz, die sich im Bühnenleben ereignen, wo ein ausgelassenes oder verdrehtes Wort schon das Schicksal ganzer Aufführun gen entschieden hat. Aber auch in der Schule sind die Fälle von Geistesgegenwart nicht selten. Ein ganz köst licher Einfall ist mir aus meiner Kckwlzeit unvergeß lich. Ein übermäßig langer Lehrer, mit einer lauten krächzenden Stimme, die unter anderem z. B. alle, i wie ä sprach, — etwa nach dem Muster des Direktors in Ernst Ecksteins vielgelesener Humoreske „Der Besuch Zim Karzer" — gab am Schlüsse einer Stunde eine Auf« 5gäbe auf, mit Beginn der nächsten Stunde rief er nur keinen Schüler mit Namen, der mußte daun das.aufgA »gebens Thema behandeln. Einmal hatte er soldie^Jw l Haltsangabe von Schillers ^„Wilhelm Teil" aüfgegeben. !Die Wahl traf den Schüler! Philippi. Die Massentür r öffnet sich, mit langen Schritten und fliegendem" Hui lvelock eilt der Lehrer dem Katheder zutund^ schrei« -„Phäläppä!" — „Wer ist der Mann, der.'hier M 'Hilfe ruft? Mit diesen Worten betritt.Tel!'den.SchW platz" antwortete.prompt Philippi. . Ueber die richtige Geistesgegentvart'? bek?einWV Eisenbahnunglück unterhält man.ftch in, einer5Gesel« schäft. Eine Frau,erzählt: „Bevor^wirknochfwußterA was vorging, entgleiste der.Wagen' kuEftellden^Bahug dämm hinunter? Da fragt k mein Mann rf^Btst Du* veiA .letzt?" „Gott sei Dank, nein" antwortete!ich/Da verN »setzte mir mein Mann einen Faustschlag inS GesichtV *so daß ich ein blaues Auge bekam. Für dieses blau« Auge haben wir 1000 Mark Schadenersatz?. beko.W men." Ist da« nicht .Geistesgegenwart? /