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Beilage zur Weitzeritz-Zetdmg Nr. 226 Freitag, am 27. September 192g 95. Jahrgang Chronik des Tages. — Reichskanzler Müller ist, von Bühlerhühe kommend, wieder in Berlin eingetroffen. — Die Deutsche Bank und die Disconto-Gesellschast haben sich verschmolzen; das Eigenkapital der neuen Riesen- Bank wird rund 500 Millionen Mark betragen. - Der „Graf Zeppelin" ist aus seiner Schweizerfcchrt überall stürmisch begrüßt worden. — In der Reichswehr ist der alte Brauch, Ehrensäbel zu verleihen, wieder ausgenommen worden. — In Berlin wurde di« Villa eines Direktors in Zehlendorf in der Nacht ausgeplündert. Bewegung in Europa. ? ' i! — Berlin, 27. September? Als Anfang September in Genf die zehnte Jahres versammlung des PplkerbundeS eröffnet wurde, galt es als gewiß, daß diese Jubiläumstagung keine Ereig nisse von politischer Bedeutung bringen werde. Wenn man jetzt, nachdem in Genf der Vorhang gefallen ist, aus die Herbstversammlung zurückblickt, findet man die Voraussage bestätigt, soweit es sich um Ereignisse handelt. Zieht man aber auch die Wandlungen in Be tracht, die sich in Genf vollzogen haben, dann wird man der Jubiläumstagung nicht gut politische Bedeutung absprechen können, / Der Prozeß der Loslösung Englands von Frank reich, der im Haag begonnen hat, hat sich in Genf ver stärkt fortgesetzt. Briand reiste mit der Hoffnung nach der Schweiz, dort mit Macdonald wiedergutmachen zu können, was Snowden im Haag geschadet hatte. Mac donald aber hat Briand, etwas höflicher zwar als Snowden, aber dafür nicht weniger entschieden zu ver stehen gegeben, daß die Zeit der englisch-französischen Kriegskameradschaft vorbei ist und heute wieder dis Interessen ausschlaggebend sind. Im Vordergrund der Genfer Verhandlungen stand diesmal England. Macdonald und Henderson hielten programmatische Reden, Lord Cecil widerrief die Zuge ständnisse der früheren konservativen Regierung Eng lands in der Frage der ausgebildeten Reserven, und Graham verwies die Pan-Europa-Projekte an die Han delsminister. Daß Lord Cecil seinen Antrag aus Beschleunigung der Abvüstungsarbeiten infolge des französischen Wi derstandes zurückgezogen hat, hat manchen überrascht. Neue Enttäuschung wird man sich ersparen können, wenn man Englands Politik in der Frage der Land- abvüstung als etwas betrachtet, was der Seeabrü stung untergeordnet ist. So erfreulich es ist, daß England den Verzicht auf die Nrchteknbeziehung der Reserven in die Abrüstung widerrufen hat, sv un gewiß ist es doch auch, ob England bet diesem Widerruf verharren wird, wenn er seine nächste Wirkung erzielt hat: Zugeständnisse Frankreichs in der Flottenfrage! Frankreichs Delegation hat sich in Genf vornehm lich in der Rolle des Vorkämpfers der Vereinigten Staaten von Europa gefallen. Ein Erfolg war den Franzosen dabei insofern beschieden, als demnächst auch die Staatsmänner die Paneuropa-Frage stu dieren wollen. Viel ist das nicht! Zufriedener kön nen die Chinesen sein, weil es ihnen gelungen ist, den Revisionsartikel der Völkerbundssatzung für die praktische Politik nutzbar zu machen. Die deutsche Außenpolitik hat in Genf sehr vor sichtig operiert, auch hinsichtlich des chinesischen An trags. Dafür mögen im Augenblick gute Gründe vor gelegen haben. Zu geeigneter Zeit muß aber auch Deutschland sich des Artikels 19 erinnern, weil dieser Artikel uns die Möglichkeit gibt, auf gesetzlichem Wege und ohne die Inanspruchnahme der Waffen eine Ab änderung „unanwendbar gewordenerVer trüge" durchzusetzen. Unanwendbar aber werden alle die Verträge und die Vertragsbestimmungen werden, zu deren Unterzeichnung Deutschland nur durch Ge walt gezwungen werden konnte und deren Paragraphen Völker in eine Zwangsjacke pressen, so daß innere und äußere Erschütterungen unvermeidbare Folgen sind. Tie Reden in Genf waren diesmal von lebhafterer Tonart, insbesondere gilt das von den Ausführungen des 84jährigen ungarischen Grafen Apponyi, mit denen er nachdrücklichst die Wandelbarkeit aller irdischen Tinge unterstrich. Tatsächliche Fortschritte hat die Jubi läumstagung leider nicht gebracht. 1928 noch gab die Vollversammlung der Hoffnung Ausdruck, daß 1929 die vorbereitende Abrüstungskonferenz zustande käme; in diesem Jahre dagegen protestierte die Vollversamm lung noch nicht einmal mit Entschließungen gegen die Abrüstuagssabotage. Deutsche Fragen standen in Genf nicht zur De batte. Lediglich in der letzten Sitzung des Völkerbunds rates wurde ein Versuch gemacht, noch sechs Beschwerden Ler deutschen Minderheit in Ostoberschlesien zu entschei den. Fast durchweg handelte es sich um unter dem Druck polnischer Behörden erfolgte Entlassungen von Angehörigen der deutschen Minderheit. In den meisten Fällen war jedoch das dem Rat vorgelegte Material so umfangreich und von so verwickelter Natur, daß man sich darauf einigte, zunächst durch das Minder- heisenamt ein« örtliche Nachprüfung vorzunehmen. Ein« Entscheidung soll dann in der Januarsitzung des Rates gefällt werden. - Ter Gesamteindruck per letzten Herbstversammlung des Völkerbundes ist der, daß die Dinge in Europa tu Fluß« gekommen sind und daß Deutschland in ver stärktem Maße aktiv in die Gestaltung der euro päischen Verhältnisse eingreife« muß. Das wird um p> eher möglich sein, je rascher und je besser es uns gelingt, unsere Bewegungsfreiheit zuvückzugewinnen. Eine deutsche Riesenbank. Erschmelzung der Deutschen Bank uuv der Disconto-Gesellschast! - Ein Fünf- Milliarden-Jnstitut im Werden. — Berlin, 27. September. Die Wirtschafts- und Kinanzkreife wurden von einem bedeutsamen Ereignis überrascht: Zwei unserer größten Bankmternehnrnngen, die Deutsche Bank und die Leseonta-KcheÜschaft verschmelz«» sich. Aufnch- «endes Unternehmen ist die Deutsche Bank. Zur r«vchß«hrmtg der Verschmelzung wird die Deutsche Sank ihr Kapital erhöhen; die Aktien der beiden Ge sellschaften werden ausgetauscht. Die entscheidenden -lnffichtSratSfitznngen fanden am Donnerstag statt. Las Zusammengehen der beiden Spitzeninstitute bildet eine Sensation ersten Ranges, und das um so mehr, als die Vorbereitung der Verschmelzung voll kommen geheim geblieben ist! Hinsichtlich der Fol gen der Fusion für die deutsche Geldversorgung ist zu beachten, daß die neue Mesenbank eine Schlagkraft be sitzt, wie sie bisher noch keine deutsche Bank inne- achabt hat. Ihr Eigenkapital nach der Verschmelzung dürste etwa 500 Millionen Mark betragen, so daß die neue deutsche Mesenbank damit den ersten eng lischen und amerikanischen Banken gleichwertig ist. Zum Vergleich sei erwähnt, daß Kapital und Reserven der größten englischen Bank gleichfalls nur 520 Millionen Mark betragen. Die Phantasie der Börse hat durch die Banken fusion eine« starken Antrieb erhalten. Man erwartet, eine neue Zusammenschlußbewegung «nd hofft, daß durch derartige Fusionen die Unkosten herabgeprückt werden. Im übrigen spielt wohl auch die Erwartung eine Rolle, daß es der Riesenbank gelingt, zu günsti- gere« Bedingung«» Auslaudsgeld hereiuzubekommen. Vor neuen Zusammenschlüffen? Mit der Verschmelzung der Deutschen Bank und der Disconto-'Gefellschaft, der größten Kon zentration in der Geschichte oer deutschen Bankwelt, taucht eine Fülle wichtiger Fragen aus. Die wirtschaftliche Tragweite des Zusammenschlusses läßt sich zur Stunde noch gar nicht übersehen. Beide Gesellschaften haben in den wichtigsten deutschen Un ternehmen der Montanindustrie, der Elektrizitätswirt- schast, der Automobil- und Maschinenindustrie Auf sichtsratssitze inne, und werden sehr wahrscheinlich sie nun ihren verstärkten Einfluß benutzen, um auf der ganzen Front die Zusammenschlußbewegung zu för dern. Hat doch Direktor Kehl von der Deutschen Bank aus der Jndustrietagung in Düsseldorf erklärt, aus reichende Erträge könne die deutsche Wirtschaft nur dann erzielen, wenn sie sich in verstärktem Maße zu sammenschließe. Leider ist der Zusammenschluß der beiden Bauke« auch mit einem Personalabbau verbunden, dessen Durch führung bereits im Gange ist. Das Filialnetz der Banken. Tas Aktienkapital der Deutschen Bank betrug bis her 150 Millionen Mark, das der Tisconto-Gesellschaft 135 Millionen Mark; dazu treten die offenen Re serven beider Gesellschaften in Höhe von 90 und 70 Millionen Mark. Fremde Gelder standen den beiden Unternehmen im August 4,3 Milliarden Mark zur Verfügung, bei 10,5 Milliarden Mark Gesamtbestand aller Berliner Großbanken. Niederlassungen hatte die Deutsche Bank 182 im Inlands und 7 im Auslande; die Tisconto-Gesellschaft wies 120 Niederlassungen auf. Davon befanden sich 70 Filialen in gleichen Orten. Der Buchwert der Gebäude der Deutschen Bank be trägt 42,5 Millionen Mark, der der Disconto-Gesell- schaft 32,3 Millionen Mark. Ter Vorstand der Deut schen Bank umfaßt 7 Direktoren und 18 stellvertretende Mitglieder, die Tisconto-Gesellschaft hat 8 persönlich haftende Gesellschafter. Ten Aufsichtsrat der Deut schen Bank bilden 63, den der Tisconto-Gesellschaft 46 Herren. Zur Beschleunigung der Berschmslznngsverhand- lungen mag der Umstand beigetragen haben, daß am 1. Oktober die Geltung der ermäßigten Fusionssteuer abläuft. Rückkehr des Reichskanzlers. Seine erste Aufgabe: Herbeiführung einer Berftändi- gung über die Bersichcrungsreform. — Berlin, 27. September. Reichskanzler Hermann Müller traf am heutigen Freitag früh 7,25 Uhr wieder in Berlin ein. Nach nahezu Dreimonatiger Krankheit wird der Kanzler die Führung der Regierungsgeschäfte wieder übernehmen. Eine Fülle komplizierter Probleme wartet auf ihn, und er wird sich wohl kaum die «ach der langen Krankheit noch notwendige Schonung auferlegen kön nen. Nur zwei Verhandlungstag« bleiben ihm zur Vor bereitung der Reichstagsberatungen des Arbeits losenproblems, die am Montag beginnt. Gerade hierbei sind die Gegensätze trotz der Annäherung zwi schen Zentrum und Sozialdemokratie noch sehr groß Der Reichsarbeitsminister hat nach der Amkahme des sogenannten Regierungsentwurfs durch den Sozialpoli tischen Ausschuß keine Anstalten gemacht, die Frak tionen zu einer Einigung zu führen. Er hat sich vollkommen Passiv verhalten und die Verhandlungen den sozialpolitischen Referenten der Fraktionen über lassen, ohne ihnen die Richtung zu weisen. Er ist zwar in einer schwierigen Situation, denn die Reichsrats vorlage über die halbprozentige Beitragserhöhung und die Sonderregelung im SaisongewerW hat die migung des Kabinetts erhalten, und der Arbeits ¬ minister müßte sich eigentlich für sie einsetzen, obgleich er selbst gegen sie ist. Bei de« Parteien aber hat die Borlage keine Aus sicht auf Annahme. Also eine Parlamentarische Si tuation, aus der «an nur mit einiger Entschlossen heit z« einem einigermaßen befriedigende« Gesetz ge lange« kann. Dev Reichskanzler, der wohl als ein ziges KabinettSmitglied «och nicht durch wbgesihut« Re» formvorschläge belastet ist, wird sofort etngreife« «Ms- sen, «m die Fraktionen, die jetzt in einer Sackgasse sind, zu einer Einigung zn Whre« «nd eine Krise zu vermeiden. Wenig« Stunden nach der Rückkehr des Kanzlers trifft auch die deutsche Delegation ans Genf in Berlin ein. Da der Reichstag zrurächst keine Noungdebatte führen kann, dürfte der Auswärtige Ausschuß sehr bald die Berichte über Haag und Genf entgcgennehmen. * Die Opposition gegen de« Boungpkm. Wie die Dinge liegen, wird es auch im Auswär tigen Ausschuß zu harten Auseinandersetzungen kommen. Tr. Stresemann muß sich auf eine entschiedene Opposition der Rechten gefaßt machen. Denn die Rechts parteien, als Gegner des Uoungplans, lasse» schon jetzt erkennen, daß sie unter allen Umständen die Ent scheidung über das Haager Ergebnis solange ausgesetzt wissen wollen, bis das Ergebnis des VoLksbsgehrens oder des Volksentscheids vorliegt. Mr das Pari», ment und überhaupt für die gesamte politisch in teressierte Oefsentlichkeit wird es aufregende Wochen geben. Handelsteil. — Bertin, den 26. September 1929. Am Devisenmarkt ging der Dollarkms aber mals zurück. Der Effektenmarkt stand heute unter dem Ein druck des Zusammenschlusses der Deutschen Bank «ad der Disconto-Gesellschast und der Diskonterhöhung in London um 1 Prozent. Die Tendenz war mit Ausnahme der Bankaktien schwächer, die Umsätze bewegten sich in engen Grenzen. Gegen Schluß zeigten sich verschiedentlich leichte Erholungen. Am Anleihemarkt notierten heimische Werte meist schwächer. Am Geldmarkt war keine wesent liche Aenderung zu beobachten. Die Sätze Mr Privatdiskont wurden abermals aus 7»/« Prozent erhöht, der Reichsbank diskont blieb ?Vs Prozent. Am Produktenmarkt zogen die Preise Mr Brot getreide bei geringem Angebot wieder etwas an. Für Gerste fanden sich nur wenig Käufer. Hafer war teurer als gestern. Mais lag ruhig, Mehl etwas fester. Devisenmarkt. Dollar: 4,19 (Geld), 4,198 (Brief), engl. Pfund: 20,344 20,384, holl. Gulden: 168,20 168,54, ital. Lira: 21,94 21,98, stanz. Franken: 16,42 16,46, Belgien (Belga): !58,325 58,445, schweiz. Franken, 80,86 81,02, dän. Krone:' 111,77 111,99, schweb. Krone: 112,33 112,55, norw. Krone: 111,65 111,87, tHech. Krone: 12,417 12,437, österr. Schil ling: 58,95 59,07, span. Peseta: 62,02 62,14. Warenmarkt. (Amtlich) Erzeugerpreis« Mr 50 Kilo ab märkische, Station frei Waggon für den Berliner Markt in Reichsmark: Weizen Märk. 223—225 (am 25. 9.: 222—225). Roggen Märk. 179-181,50 (178-181). Braugerste 200-220 (20« bis 220). Futter- und Jndustriegerste 170—186 (170-186), Hafer Märk. 165-175 (164-174). Mais loko Berlin 207 bis 208 (207—208). . Weizenmehl 28—33,50 (27,75 bi» 33,50). Roggenmehl .24,50-27,25 (24,50—27,25). Weizen- kleie 11,60-12,25 (11,60-12,25). Roggenkleie 10,80 bis Leinsaat —(—,—). Viktoriaerbfen 36—45 11,25 (10,80—11,25). Weizenkleiemelasse —(—,—). Raps (36—46). Kleine Speiseerbsen 28—33 (28—33). Futter erbsen 21-23 (21-23). Peluschken (-,-). Acker bohnen -,- (-j—). Wicken —(—,—). Lupinen blaue ^elbe -(-,—). Rapskuchen 18,50-19 19). Leinkuchen 24,30-24 (24^30-24,60). Trocken- jK^tz^12,30—12,60 (12,30—12,60). Svjaschrot 20 bis 20,60 (20,10-20,60). Kartoffelflocken 17,30-17,80 (17,50 vis 18). Kartoffelpreis«. Amtliche Kartoffelerzeugervreis« je Zentner Waggon« ffei ab märkischen Stationen (amtlich ermittelt durch die LandwirtschastSkammer Mr die Provinz Brandenburg und BEn): Weiße und Odenwälder Blaue 1,90-2,20, Rote und Gelbfleischige 2,20-2,60 Mark. Fabrikkartoffeln 9-10 Pfennig pro Stärkeprozent. Fisch-Großhandelspreise. Amtlicher Marktbericht der Städtischen Markthallen- Direktion Berlin. Lebende Fische für 50 Kilo. Hechte unsortiert 130—148, groß 80—91; Schleie unsortiert 140 bis 153, Portions- 161—170, groß llO—ISO: Aale un sortiert 150—170, groß 180-185, groß-mittel lM, Barse unsortiert 82; Blese unsortiert 60-60, groß «1, unsortiert 3^-47; Karpfen Spiegel' 40-60er 120, bis 40er 110; Roddow 75. Milchpreise. Die Berliner MilchnMerungs-Komnüssion hat den Er- Preis betrug auch 22Vs Pfennig. «uiterpreise. Berliner Notierungen für Butter im Verkehr und Großhandel. Fracht und Gebinde zu KAdesWUrs: 1. Qualität 189, 2. Qualität 177, atz- Mende Wäre "8 Mark je Zentner. - Tendenz: '««st. Eierpreise. Bericht der Berliner amtlichen NotierunaS-Kommission: Deutsche Eier: Trinkeier: Sonderklasse über 65 Gramm E, hasse A 60 Gramm M», Klasse Ä 53 G«»m^ lU Klasse C 48 Gramm 13; frische Eser: Sonderklasse über 65 Gramm 15^, Klasse A 60 Ärannn B R