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Beilage zur Weitzeritz-Zeitung Nr. 229 Dienstag, am 1. Oktober 1S2S SS. Jahrgang — Reichskanzler Müller empfing den griechischen Mi nisterpräsidenten Venizelos; zuvor hatte Venizelos im Reichsprästdentenpalais vorgesprochen. — Der Sozialpolitische Ausschuß des Reichstags hat die Bestimmungen über die Erhöhung der Beiträge in der Arbeitslosenversicherung abgelehnt. — In Friedrichshafen finden gegenwärtig Vorbespre chungen über den Polarflug statt; heute unternimmt der „Graf Zeppelin" eine Bayernfahrt. — Bei einem Zugzusammenstoß in Goslar erlitten einige Fahrgäste Verletzungen mehr oder weniger schwerer — In Hannover wurde die 8. Reichsschulmusikwoche mit einer Feier im Kuppelsaal der Stadthalle eröffnet. — In Neuburg a. d. Donau wurde der 21jährige Dienstknecht Josef Hach wegen Mordes an seiner Geliebten Monika Bosch zum Tode verurteilt. — Beim Schwabenbergrennen in Budapest stürzte der Motorradfahrer Feher vom Rade und erlitt eine Gehirn erschütterung. Ern Fahrer fuhr mit dem Auto in die Zuschauer hinein, wodurch vier Personen schwer und zwei leicht verletzt wurden. — Island wurde von heftigen Schneestürmen heim gesucht. Mehrere Personen sollen erfroren sein. — In Sidney starteten 16 Flugzeuge zum australischen Langstreckenflug über ,4000 Kilometer. ! Hindenburg 82 Jahre alt. Am 2. Oktober vollendet Reichspräsident von Hin denburg das 82. Lebensjahr. Offizielle Feiern größeren Ausmaßes wird es nicht geben, Reichspräsident von Hindenburg will diesen Tag vielmehr im engsten Fa milienkreise verbringen. Trotzdem wird das gesamte deutsche Volk Hindenburg in stiller Verehrung am 2. Oktober seine Glückwünsche darbringen, steht uns doch Hindenburg als ein leuchtendes Beispiel wahrer Vaterlandsliebe allezeit vor Augen! Hindenburgs Ruhm erstrahlte in den Jahren des Krieges. Er begann, als der Draht die erste Sieges nachricht aus dem gefährdeten Ostpreußen brachte. Unter Hindenburgs Führung wurde die deutsche Erde vom Feinde frei, Hindenburg aber wurde uns zur Ver körperung des deutschen Abwehrwillens. Als.der Retter der Ostmark dann an die Westfront berufen wurde, war es leider zu spät. Es gelang Hindenburgs Ge nialität, in Verbindung mit dem Heldentum des feld grauen Mannes im Graben, die deutsche Front un überwindbar zu machen, nicht gelingen konnte es ihr, auch im Westen das letzte Ziel aller Strategie zu er reichen: die Vernichtung der feindlichen Wasfenmacht. Dazu war es zu spät. Tie Größe Hindenburgs zeigte sich jedoch in den Jahren des Zusammenbruchs fast noch deutlicher, als in den Jahren zuvor. Wie der Stahl im Feuer seine Güte, so zeigt der Mann in der Not seine Tugend. Und Hindenburg zeigte in der schwärzesten Stunde des Vaterlandes ein seelisches Rückgrat, wie nur wenige Männer vor ihm. Das Vaterland und die Pflicht stan den Hindenburg höher als alles andere. Erschüttert war 1918 jedermann. Eine andere Meinung hegen, hieße die Gröhe der Opfer, die das deutsche Volk gebracht hat und die nun vergebens ge bracht worden waren, verkennen. Für Hindenburg, der mehr als vier Jahre die schwere Verantwortung des Heerführers getragen hatte, bedeutete der Zusam menbruch des alten Reiches in mehr als einer Hin sicht aber auch die Vernichtung des eigenen Werkes. Und trotzdem vermochte der Sturm diesem Mann nichts anzuhaben. Tie Reaktion mag noch so stark gewesen sein, Hindenburg überwand alle Bitterkeit, verschmähte unnütze Kraftvergeudungen und führte das größte Heer der Weltgeschichte geordnet in die Heimat zurück. 1925 unterbrach Hindenburg die wohlverdiente Ruhe ein zweitesmal, um dem Rufe des deutschen Vol kes zu folgen und das Amt des Reichspräsidenten zu übernehmen. Ter Ruhm des Feldmarschalls ist durch den Ruf des Reichspräsidenten von Hindenburg noch vertieft worden. Hindenburg wurde uns ein Vor bild und ein Mahner. Taß Hindenburg um der Re präsentation halber das Amt des Reichspräsidenten übernommen hat, wird niemand glauben. Wer die Nichtigkeit irdischer Tinge erkannt und die Schwächen des menschlichen Herzens erlebt hat, der ist vor Il lusionen gefeit und erst recht gegen Eitelkeiten. Hin denburg übemahm die Reichspräsidentenschaft, um eine Verbindung herzustellen zwischen dem Alten und dem Neuen, und um die nationale Sach? zu fördern. Hindenburg, der als junger Leutnant im Spiegel saale von Versailles di6 Wiedererrichtung des Deutschen Reichs miterlebt hat, hat niemals vergessen, daß das deutsche Volk nur dann Großes vollbringen kann, wenn es einig in seinen Stämmen ist. Darum fühlt nie mand stärker als Hindenburg, wie verhängnisvoll es ist, daß das deutsche Volk mehr als jedes andere mit dem Erbed er Zwietracht belastet ist. In Hinden- vurgs Wesen liegt es, dagegen Front zu machen und die Notwendigkeit der nationalen Einheitsfront durch die Tat zu unterstreichen. Begeisterte Männer haben Hindenburg den Ehren titel der Römer, des Staatsvolkes des Altertums, ver liehen: pater patriae, Vater des Vaterlan- des. Es ist Sache des deutschen Volkes, diesem Vater des Vaterlandes nachzustreben, jeder auf seine Art und in fernem Kreise, damit das Wohl des Pater- landes über alles geht. Als Richtschnur aber sollen uns die Worte Hindenburgs aus der Neujahrsbotschaft von 1927 dienen: „Für den Wiederaufstieg unseres Volkes ist die erste Voraussetzung, daß in allen Le benslagen unserer Nation der heilige Wille und die zusammengefatzte Kraft aller Teile und Schichten unseres Volkes eingesetzt werden können." .. Versagen wir bei dieser Aufgabe, dann wird zwar die deutsche Wirtschaft auch nicht'in die Brüche gehen, , nur müssen wir dann bescheiden werden, denn dann fehlt uns die Voraussetzung zu neuer, wahrhafter j Größe. Schwierigkeiten im Reichstag. Tie Hauptbestimmuugen in der Borlage zur Ber- sichermtgSreform vom Ausschuß abgelehnt. — Tie Beitragserhöhung «och möglich? - Berlin, 1. Oktober. Nach langer Pause nahm der Reichstag am Mon tag feine Plenarberatungen wieder aus. Die Schwierig keiten, die das Parlament zu überbrücken hat, traten gleich am ersten Tage der Reichstagsverhandlungen deutlich in die Erscheinung. Ter Sozialpolitische Ausschuß des Reichstags, der kurz vor der Plenarverhandlung nochmals zur Be sprechung der Bersicherungsreform zusammongetreten »ar, ging ergebnislos auseinander. Bon der ganzen Hauptvorlage wurde nur Paragraph 1 angenommen, »er feststem, was unter dem Begriff der -erufsüblichen Arbeitslosigkeit zu verstehen ist. Abgelehnt wurde« die Bestimmungen des Paragraph 2 über die Ber- iängerung der Anwartschaftszeit, wogegen ein Antrag »es demokratischen Abgeordneten Lemmer angenommen wurde, der eine etwas mildere Fassung für die Ver längerung der Anwartschaftszeit zeigt. BSllig abge lehnt wurde das Kernstück der Borlage: die allgemeine Beitragserhöhung um einhakb Prozent und die Er höhung der Beiträge des Saisongewerbes um einein halb Prozent. < Eigenartigerweise wurden, nachdem so die Haupt bestimmungen des Gesetzes gefallen waren, die Aus führungsbestimmungen und die Befristung der Gültig keit des Gesetzes bis zum 31. März 1931 angenommen. Die Sozialpolttiker veim Kanzler. Die zuständigen Minister werden nun mit den Fraktionsführern darüber beraten, ob und in welcher Form eine Beitragserhöhung jetzt noch möglich ist. Tie erste Besprechung fand bereits am Montag statt. An ihr nahmen der Kanzler und die Sozialpolitiker der Fraktionen teil. Der Reichstag aber ist zeitlich unter Druck gesetzt. Eine Lösung muß gefunden wer den, weil die Arbeitslosigkeit in den Wintermonaten steigen wird und die Kassen der Reichsanstalt für Arbeitslosenversicherung erschöpft sind. Wie die Lö sung freilich aussehen wird, das läßt sich heute ebenso wenig sagen, wie in den Wochen vorher. Tas gilt auch schon deshalb, weil weder die Regierung noch die Fraktionen eine klare Vorstellung davon haben, wie die Lösung auszusehen hat. Bon den Plenarberatungen ist vor Tonnerstag kaum mehr zu erwarten, als prinzipielle Reden über die Arbeitslosigkeit «nd die Notwendigkeit ihrer Be kämpfung. Fraktionsberatungen und Ausschuß- sihungen. ! Gleichzeitig mit der Wiedereröffnung des Reichs lags traten auch der handelspolitische und der Aus- schuß für die besetzten Gebiete zu Sitzungen zusammen, ferner tagten die Fraktionen und der Parteivorstand der Deutschen Demokratischen Partei. Der Handels- ! politische Ausschuß erörterte in vertraulicher Sitzung i Zollfragen. Von den Fraktionen nahm das Zentrum dahin Stellung, es läge keine Veranlassung vor, von den in Koblenz gefaßten Beschlüssen in der Frage der i Versicherungsreform abzugehen. Tie Bemühungen der Zentrumsunterhändler, eine für alle Regierungspar teien tragbare Lösung zu finden, wurden einmütig ge- billigt. * ; Reichstagsabgeordneter Kulenkampff gestorven. Im Alter von 46 Jahren starb der im Wahlkreis Magdrbnrg-Anhalt gewählte ReickMagsaögrordnete Tr Kulenkampff an den Folgen einer Rippenfell- und Lungenentzündung. Tr. Kulenkampff gehörte der Deut schen Volkspartei an, ferner war er Präsidialmitglied des ZcntralverbandeS des Großhandels und des Hansa- bundes. Müller empfängt Venizelos. Besuch des griechischen Ministerpräsidenten in Berlin. Benizelos lobt Teutschland. Reichskanzler Müller empfing am Montag den gegenwärtig in Berlin weilenden Ministerpräsidenten Griechenlands, Venizelos. Ueber den Zweck seines Besuchs ftihrte Minister präsident Venizelos bei einem Presseempsang aus, er habe Rom, London und Paris besucht unv habe dabei nicht versäumen wollen, auch der Hauptstadt des Deut schen Reiches seine Aufwartung zu machen. Deutschland habe seinen Platz im Konzert der Mächte wieder ein genommen. Griechenland unterhalte enge Wirtschafts beziehungen mit Teutschland. Früher habe Griechen- land einmal geglaubt, zu den Siegern zu gehören, aber - heute habe es sich längst davon überzeugt, daß all« schwerste Verluste erlitten hätten. 1914 habe sich der ! griechische Haushalt mit 180 Millionen Mark im i gewicht befunden, heute habe der StaatShaush i Summe von 560 Millionen erreicht. ! , Ueber den Eindruck, den Berlin auf ihn gemacht hat, äußerte sich Benizelos sehr anerkennend. Zum letz ten Male hatte Benizelos Berlin 1914 gesehen. Gleich- rlt di« Voungplan ist revistonsfähig. Höpkcr-Aschoff über die Steuerreform. — Kür Abba» der Landwirtschasts- und Jnvustkiebelastnug. Gelegentlich des 40jährigen Jubiläums des Mv- nungsausschusses in Kassel sprach der preußische M- nanzminister Dr. Höpker-Aschoff über die notwMdtgeu Steuerreformen. Ter Aoungplan sei noch nicht das letzte Wort über die Liquidierung der stmmNellen Fragen des Krieges, vielmehr sei auch der Noimgplan revisionsfähig. Die Durchführung des Noimgpkans er fordere jedoch Reformen. Tie Verpflichtungen der Reichsbahn seien Zcht derart, daß sie die Kraft dieses Unternehmens über- stiegen. Unbedingt abzubauen seien aber die der In dustrie und der Landwirtschaft im Dawesplan aus erlegten Lasten. Größer noch als die Reparations ausgaben feien die Zinsbelastungen der deutschen Wirt schaft infolge des katastrophalen Kapitalmangels. Di« Forderung nach verstärkter Kapitalneubildung fei daher als vordringliche wirtschaftliche Frage zu behandel^ und aus diesem Grunde sei vor allem die Senkung der Einkommen- und Gewerbesteuer unerläßliche Not wendigkeit. Auch könne der legitimen und illegitimen Steuerflucht nur auf diesem Wege gesteuert werde«. Die Eröffnung des Reichstags. Reichsarbeitsminister Wisse« über die Reform der Arbeitslosenversicherung. — Berlin, den 30. September 1929. In der ersten Sitzung des Reichstags nach den Sommerserien führte Vizepräsident Esser den Vor sitz. Der Präsident des Reichstags, Loebe, ist noch nicht soweit wiederhergestellt, daß er'seins Kur in Mer gentheim unterbrechen kann. Nach Eröffnung der Sitzung erhoben sich die Abgeordneten zu Ehren der in den Ferien verstorbenen Parlamentarier Dr. Ku lenkampff, Frau Margarete Behm, Lünenschloß und Höllein von den Plätzen. Arbeitsstimmuug war am ersten Tag nach den Ferien nicht viel Vorhemden. Man wußte nur zu genau, daß die Restmn der Ar beitslosenversicherung nicht genügend Vorbevütet war, um dem Reichstagsplenum Ärbeitsmöglichkett zu geben. Vor Eintritt in die Tagesordnung beantragt Abg. Stöcker (Komm.), die Vorlagen zur Versicherungsreform von der Tagesordnung abzusetzen, ferner protestiert er dagegen, daß 200 Schupobeamte im Reichstag stationiert worden sind. Graf Westarp (Dntl.) erklärt, seine Frak tion werde am Schluß der heutigen Sitzung beantragen, morgen die Ergebnisse der Haager Konferenz zu erörtern. Neichsarbeitsminister Wisse« leitet die Aussprache zur ArbeitSlosenversicherunasreform mit einer längeren Rede ein, in der er zunächst einen Rückblick aus die Entstehung der Vorlagen und auf die im Sommer stattgefundenen Verhandlungen von Sachver ständigen gibt. Mißbräuche der Arbeitslosenversicherung, so fuhr der Minister fort, sind zweifellos voraekommen, aber sie sind in der Oeffentlichkeit stark aufgebauscht Wochen. Das Gesetz sei von vornherein in manchen Punkten ver besserungsbedürftig gewesen. Diese Verbesserungen bringe der eine von den heute vorliegenden Entwürfen, über den wohl große Meinungsverschiedenheiten kaum beständen. Die befristete Vorlage wolle das Mißverhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben der Arbeitslosenversicherung aus- gleichen. Die Versicherung schulde heute dem Reich 250 Millionen Mark. Im kommende« Winter werde der Ansgabenbedarf die Einnahmen wesentlich übersteige». Rach dem Durch schnitt der letzten zehn Jahre sei mit eitler Arbeitslosen» zahl von 1,1 Millionen zn rechnen. Auf dieser Grundlage ergebe sich bei der Versicherung ein Fehlbetrag von rund 270 Millionen. Der befristete Entwurf wolle diesen Fehlbetrag durch eine Kombination von Ersparnissen und Erhöhungen der Einnahmen abdecken Ueber den in der Vorlage vorgeschlagenen Abbau der Leistungen will die Regierung nicht hinausgehen. Die Regierung erwartet nicht, daß ihre Entwürfe restlose Be friedigung schaffen werden, sie sieht aber in ihnen einen gangbaren Weg zur Lösung der uns hier beschäftigenden großen Fragen. Abg. Graßmann (Soz.) setzte sich für die Beseiti gung der Mißbräuche und für die allgemeine und be fristete Beitragserhöhung ein. Abg. Rademacher (Dntl.) kritisierte die Vorlagen der Regierung als ein Torso. Eine Erhöhung der Beiträge sei unbedingt abzulehnea. Abg. Perliti«s (Ztr.) erklärte, das Zentrum behalte sich der Sondervorlage vor und sei weiterhin zur Mitarbeit bereit. Abg. Randel (Komm.) warf dem Minister Wissell vor, das Material für diese reaktionär« Vorlage geliefert zu haben. Abg. Pfeiffer (D. Vp.) wandt« sich t»r allem gegen die Erhöhung der Beiträge. In später Stunde vertagt« sich das Haus. Gegen das Volksbegehren. Ei« Aufruf p«s ReichSauSschusscs der Teutsch«« Bolkspartei. Ter Reichsausschuß der Deutschen Bolkspartei nahm nach einem Vortrag des ReichsaußenmtMsw« Dr. Stresemann unter stürmischer Zustimmung Aufruf gegen das Volksbegehren an, in dem ftm stellt wird, das deutsch« Volk sei einig in der Ab- «4«»--»»^- "°" »s L NDL L LL ---ULThL Hug-nb-rgS oft«,- Mr-n ein S^ern das Volksbegehren den Anschein hervor- deutsches Gesetz könne internationale Verträge aufheben, sPiew es Möglichkeiten vor, die nicht ge- aebcn seien. Durch den Aoungplan würden dem deut schen Volke keine neuen Verpflichtungen ansgebürdet, sondern es seien Verbesserungen des gegenwärtigen Zustandes erzielt worden. ES sei ein« Infamie, di«