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Sonnabend, am 14. Dezember 1929 95. Jahrgang Rr.29ü Beilage zur Weitzeriy Zeitung . > I ».«n ,-Hl ! ! I« -r> I- < > »>» ! » ———. Chronik des Tages. — Der Reichstag wird am heutigen Sonnabend di« Aussprache über das Finanzprogramm der Reichsregte- rung zum Abschluß bringen. — Der deutsche Gesandte in Warschau, Rauscher, ist zur Einholung neuer Instruktionen in Berlin eingetroffen. — Der Staatsgerichtshof hat in der Streitsache der preußischen LandtagSfraktion gegen den Staat Preußen wegen der Frage der Beamtenbeteiligung am Volisde- gehren Termin auf den 17. Dezember anberaumt. — Der Privatdiskont wurde an der Berliner Börse uw V» v. H. auf 7 v. H. erhöht. — Am ersten Tag der Ziehutig zur dritten Klass« d« Preußisch-Süddeutschen Klassenlotterie wurde der 100 000- Mark-Gewinn auf die Nummer 346 899 gezogen. — Schwere Stürme haben in Mittel-, West- und Novd- osteuropa große Schäden angerichtet. — Die Gattin des rumänischen UnterstaatSsekretärS Moldawa wurde im Schnellzug Bukarest—Lemberg beraubt. — Der amerikanisch« Gelehrte Fall hat den Erreger der Influenza entdeckt. Von Woche z« Woche. Randbemerkungen zur Zeitgeschichte. Lie letzte Rede des Reichskanzlers Hermann Mül ler, eine der nüchternsten, die je im Reichstage ge halten wurden, hat in der gesamten Oeffentlichkeit stärkste Beachtung gefunden. Jedermann ist erschreckt über den Ernst der deutschen Finanzlage und die Fest stellung, daß der Fehlbetrag in den Reichskassen Ultimo Dezember 1,7 Milliarden Mark betragen wird. Das ist tatsächlich eine außerordentlich hohe Summel Und das um so mehr, als gleichzeitig mit der Ebbe in den öffentlichen Kassen eine Ueberlastung der Be völkerung mit Steuern zu verzeichnen ist. Nun lastet der Kassenfehlbetrag zwar nicht mit seiner vollen Wucht auf dem Reiche, vielmehr ist für 1370 Millionen Mark Deckung in Gestalt von Schatz- Wechseln und Betriebskrediten vorhanden, aber auch dann bleiben noch 330 Millionen Mark, für die schleu nigst Deckung beschafft werden muß, wenn das Reich am 31. Dezember seinen Zahlungsverpflichtungen Nach kommen will. Wie das geschehen kann, darüber hat mau nach der Plenartagung noch bis gegen Mitternacht und am Freitag bis zum Beginn der neuen Reichs tagssitzung verhandelt. Die Debatten im Reichstag waren in der letzten Woche reich an spannenden Momenten. Während die Regierung im allgemeinen nur Vorlagen einbringt, für die sie sich in den voraufgegangenen internen Be sprechungen schon eine Mehrheit verschafft hat, trat sie diesmal mit einem FinanzprogramrN vor den Reichs tag, dessen Einzelheiten stark umstritten waren. Die Entscheidung mußte somit in offener Feld- sch lacht fallen; das aber ist im deutschen Reichstag immer noch ein Ereignis, kann man ähnliche Fälle doch an den Fingern aufzählen. So bedeutsam der Ueberbrückungskredit für die Reichskassen ist, Volk und Wirtschaft richten ihr Augenmerk auf etwas anderes. Wenn man die Rede des Kanzlers, soweit sie den Haushaltsplan für 1929 betraf, auf den -Generalnenner bringen kann: Im Anfang war das Defizit, dann kann die Fol gerung aus der gesamten Rede nur die sein: der Fehl betrag in den Reichskasseu muß zum Ausgangspunkt einer Politik äußerster Sparsamkeit werden. Schließ lich wird doch auch das Ansehen des Reiches durch die ewige Kassenebbe und die andauernde Pumpwirt schaft nicht erhöht. Die Finanzpolitik, die in den letzten Jahren so viel Anklang gefunden hat, den Haushalt dadurch aus zugleichen, daß man die voraussichtlichen Erträge aus den Steuern höher einschätzte und durch Steuererhä- hungen dem Reiche neue Einnahmequellen verschaffte, muß jetzt endgültig aufgegeben werden. Maßgebend für die Ausgaben muß mehr als bisher die Höhe der Einnahmen sein, wobei Klarheit darüber be stehen muß, daß die durch die jetzigen Steuersätze bedingten Einnahmen keine Normaleinnahmen sind! Wie im Reichstag, so fand man auch aus der außerordentlichen Mitgliederversammlung des Reichs oerbandes der Deutschen Industrie und in der Zen tralvorstandssitzung des deutschen Bank- und Bankier gewerbes treffende Worte über den Ernst der deutschen Finanzlage. Der Appell der Industrie zur Tat darf nicht ungehört verhallen und ebenso darf man die Anregung des Wirtschaftsführers Dr. Silver berg, es einmal mit einer fünfprozentigen Senkung ver Ausgaben in Reich, Ländern und Gemeinden zu versuchen — was eine Ersparnis von 800 Millionen Mark bedeutet — nicht einfach auf sich beruhen lassen. Der Zentralvorstand des deutschen Bank- und Bankiergewerbes nahm zum Schluß seiner De batten einmütig eine Entschließung an, die insbesondere klarstellt, daß eine Politische Verantwortung für die Annahme des Uoungplans nur dann übernommen wer den kann, wenn sichere Gewähr für die alsbaldige Ver wirklichung eines Finanzprogramms besteht, unter dem die Betriebe wieder einen ausreichenden Ertrag ab werfen. Daß die Bankiers angesichts der bösen Er fahrungen mit der unterschiedlichen Behandlung der alten Anleihen der Beschränkung des Wegfalls der Kapitalertraassteuer aus allerneueste Anleihen keinen Geschmack abgewinnen können, war von vornherein sicher. Zu begrüßen ist auch die Forderung der Banken, mit dem bisherigen Verfahren, die öffentlichen Haus halte von der Ausgabenseite her aufzubauen, zu brechen, und die Einnahmen zum alleinigen Grad messer der Ausaaben zu macken, ferner der Appell zur Beschränkung der Einfuhren und'zur Ausarbeitung eines Agrarprogramms, dessen Durchfüh rung uns allmählich von der Nahrüngsmittelzufuhr aus dem Auslande unabhängig macht. Das wichtigste bei all diesen Reformvorschlägen und Reformdebatten ist aber, daß sich alle Volksschich ten zu gemeinsamer Zusammenarbeit bereitfinden. Das deutsche Sanierungsprogramm muß der gesamten Wirt schaft und allen Polkskreisen zugute kommen, und es mutz ferner ein Werk sein, an dem alle Kreise aus der Erkenntnis heraus mitgearbcitet haben, datz die Herbeiführung einer geordneten Finanzwirtschaft das Gebot der Stunde ist. Kabinett Macdonald gefährdet? Konservative und Liberale gegen die Bergbau-Borlage. Aber auch keine Neigung für Neuwahlen. — London, 14. Dezember. Die von der englischen Regierung dem Parlament unterbreitete Vorlage zur Reform des Bergbaus hat die Gefahr einer ernsten Krise heraufbeschworen. Be kanntlich hat die Arbeiterpartei nicht die Mehrheit hinter sich, sie kann sich vielmehr nur so lange an der Macht halten, als die beiden Oppositionsparteien, die Konservativen und die Liberalen, nicht gemeinsam operieren. Nun steht aber fest, daß sowohl die Kon servativen als auch die Liberalen gegen die Bergbau vorlage stimmen werden. Die Liberalen haben einen entsprechenden Antrag bereits eingebracht, die Kon servativen dürften am Montag nach der Rückkehr Bald wins nach London damit folgen. Sollten die Konservativen ihren Ablehnungsan trag so fassen, daß die Liberale» nicht umhin tön- mm, ihn zu unterstütze», so wäre die Niederlage der Regierung sicher. Obwohl eiu Neberstimmtwerdeu iu England nicht notwendigerweise zum Rücktritt der Re gierung führt, so ist doch zweifelhaft, ob die Regie rung Macdonald eine Niederlage in einer so ernsten Frage wie der Neuregelung des Bergbaus überstehe» könnte. Wenn man die Lage in London gegenwärtig trotz dem ruhig beurteilt, so liegt das daran, daß kurz vor der Flottenkonferenz niemand eine Neuwahl, geschweige denn einen Kurswechsel wünscht. * Henderson an Frankreich. Anläßlich eines Essens der englisch-französischen Gesellschaft in London sprach der englische Außen minister Henderson über die Beziehungen Englands zu Frankreich. Er betonte, das Gefühl, ^daß England und Frankreich von Natur aus Feinde sein müßten, sei durch die Entente überwunden worden. Die Freund schaft der Regierungen sei durch das gemeinsame Schick-- sal zu einer unauflöslichen Freundschaft der Völker umgewandelt worden. Es sei ein leeres Ge schwätz und gefährlicher Klatsch, zu behaupten, daß die englisch-französischen Beziehungen seit dem An tritt der neuen Negierung in England auch nur die geringste Verschlechterung oder Lockerung erfahren hätten. Frankreich und Italic» solle» sich einigen! Henderson behandelte dann die bevorstehende Flot tenkonferenz, wobei er ausführte, England und Amerika würden auf der Londoner Konferenz nicht mit fer- ! tigen -Vorschlägen erscheinen. Sie hofften aber, daß die anderen Teilnehmer der Konferenz, wie England und ! Amerika es getan haben, sich in Vorverhandlungen über die zwischen ihnen schwebenden Fragen einigen. ! England sei nicht daran intcrcfücct, was die ein- ! zelnen Teilnehmer der Flottcnab üstungskonferenz un- i tereinander abmachten, wohl aber daran, daß die Dif- ferenzen ausgeglichen würden. Zum Schluß erklärte He^erson, er erwarte, daß die Londoner Konferenz und die Arbeiten des vor bereitenden Abrüstungsausschusses in Genf so gute Fortschritte machen werden, daß die Septemberversamm- ! lung des Völkerbundes imstande sein wird, die große j Weltabrüstungskonferenz einzuberufen. AgrarzottvorLage verabschiedet. Boni Rcichsrat. — Aber mit viele» Korrckt»ren. — Gege» Vic Vorlage stimmte »»r Breme». ' Der Rcichsrat beschäftigte sich in seiner letzten . Vollsitzung mit der neuen Zollvoriage, die außer Er höhungen der Agrarzölle auch die Erhöhung des Schuh zolls und die Neueinführung eines Aluminiumzolls enthalt und verabschiedete die Vorlage mit allen gegen die Stimme Bremens. An dem Regierungsentwurs hat der Rcichsrat einige Abänderungen von Bedeu tung vorgenommen; wie verlautet, will die ReichS- regterung dem Reichstag eine Doppelvorlage unter breiten, also ihren Entwurf aufrechterhalten. Der Zollsatz für Roggen wurde derart festgesetzt, daß er normal 7 Mark für den Doppelzentner be trägt. Er steigt auf 9 Mark, wenn der Preis für die Tonne 240 Mark überschreitet. Der Zoll für Fut- terg erste wurde auf 5 Mark für den Doppelzentner festgesetzt. Auf Antrag Hamburgs wurde für die Wert bestimmung der Einfuhrscheine beschlossen, daß für die Wertbestimmung der niedrigste im Zolltarif vorgesehene allgemeine oder vertragsmäßige Zollsatz der betreffen- den Fruchtgattuna zu Grunde zu logen ist. Zedock ist bei Roggen und Hafer der Wertbestimmung' ein Be trag von 6 Mark für den Doppelzentner, bei Weizen und Gerste von 6,50 Mark zugrunde zu legen, solange die Zollsätze für Roggen und Hafer 7 Mark oder 9 Mark für den Doppelzentner uyd bei Weizen 7,50 oder 9,50 Mark für den Doppelzentner betragen. Der Malz« zoll wurde nach den Beschlüssen der Ausschüsse er« höht. Unverändert angenommen wurden die neuen Viehzölle. Höchst teilweise geräumt. Englisch« Genugtuung über den Abzug der Engländer aus der dritten Zone. - Frankfurt (Main), 14. Dezember. Die in Höchst untergebrachten französischen Trup pen haben die Stadt verlassen, doch ist die Räu mung damit noch nicht beendet, weil noch Polizei und Gendarmerie zurückgeblieben ist. Die deutsche Kom munalverwaltung erließ einen Aufruf an die Bevölke rung und betont darin, qngesichtS der Anwesenheit französischer Gendarmen und der Aufrechterhaltung der Ordonnanzen sei es noch nicht an der Zeit, der Freude Ausdruck zu geben. Das bisher von den Engländern besetzt gewesene Gebiet der dritten Zone ist nach dem Abzug der Engländer französischem Oberbefehl unterstellt worden. Der Abzug der englischen Truppen aus der dritten Zone wird in London von der gesamten Presse al- das „würdige Ende eines unerfreulichen Kapitels" be zeichnet. Der „Daily Telegraph" schreibt: „Nun, nach dem alles vorbei ist, wird die Freude über diese Tat sache sowohl auf englischer wie auf deutscher Seite mit einem Gefühl des Stolzes empfunden, daß beide Teile sich einander wert gezeigt haben." „Daily Chronicle" stellt fest, Großbritannien sei nicht minder dankbar als Deutschland, daß eine widersinnige, aufreizende Lage beendet worden sei. Das französische Militärgericht in Trier verur teilte den Leiter der nationalsozialistischen Ortsgruppe in Trier wegen Veranstaltung eines Umzugs mit mi litärischem Charakter zu einer Geldstrafe von 50 Mk. und wegen des Tragens von Uniformen ru einer Geldstrafe von einer Mark. . Die Heimreise Nuntius Paeellis. j Kurzer Aufenthalt in München. — T«r Abschied von Berlin. — SOSO Fackelträger. Auf der Durchreise von Berlin nach Rom chatte ' der bisherige päpstliche Nuntius in Berlin, Pacelli, , einen kurzen Aufenthalt in München. Zum Empfang des Nuntius hatten sich der bayerische Ministerpräsi- dent Held, Kultusminister Goldenberger, Landtagspräft« ! dent Stang, Nuntius Vasallo di Torregrodda, Kardinal l Faulhaber, Weihbischof Schauer, Oberbürgermeister Dr. j Scharnagl, das Domkapitel sowie Vertreter der ka tholischen Vereine eingefunden. Nuntius Pacelli schilderte seinen Abschied von Berlin, wo ihm die Mitglieder des Diplomatischen Korps und die katholischen Vereine das Ehrengeleit gegeben hatten, während 5000 Fackelträger in den Straßen Spalier bildeten. Zum Abschied hatten sich n. a. auch der Außenminister Dr. Curtius, der ReichS- justizmiuister von Guörard, mehrere Staatsminister und Vertreter des Kanzlers und des Reichspräsidenten ein- gcfunden. Ein Bläserchor spielte die Papsthymne. Die Sanierung der Ostbank. Erklärungen des preußische» Fina»zministcrS im Land tag. — Vertagung des Landtags bis zum 21. Januar. — Berlin, den 13. Dezember 1929. Der Preußische Landtag, der heute seine letzte Plenar tagung vor den Weihnachtsferien abhielt, überwies den Antrag der Wirtschaftspartci, den für den 24. De zember für Ladengeschäfte gesetzlich festgelegten früheren Geschäftsschluß auch auf die Markthallenbetriebe und den Straßenhandel auszudehnen, der Ausschutzberatung. Da mit ist die Erledigung dieses Antrages vor Weihnachten un möglich gemacht, weil der Landtag heute bereits in die Weihnachtsferien gehen will. Das Haus gab dann die Genehmigung zur Strafver folgung der nationalsozialistischen Abgeordneten Dr. Leh und Lohse. Angenommen wurde ein Antrag des Berkehrs ausschusses, auf die Reichsbahn einzuwirken, daß der Wirt schaft der Provinzen Ober- und Niedcrschlcsien mit Rück sicht auf die dort herrschende Notlage tarifliche Erleich terungen gewährt werden. Verabschiedet wurde das Gesetz, das eine einjährige Verlängerung der Wahlzeit der Landwirtschaftsknmmermit- glieder vorsieht. Darauf wurde die allgemeine Aussprache über den neuen Haushaltsplan fortgesetzt. Finanzministcr Tr Höpker-Aschoff gab zunächst eine Erklärung des Vorgehens der Sraats- regierung im Falle der Ostbank. Er erklärte, die Negie rung habe die Ostbank mit klincksicht auf die Lage der ost- preunischen Wirtschaft nicht fallen lassen können. Die Sa nierung sei auf der Grundlage erfolgt, daß das Kapital der Ostbank in Höhe von vier Millionen Reichsmark im Verhältnis von 4:1 gegen Dresdener Bank-Aktien umge tauscht worden seien. Für die Abschreibung etwaiger Ver luste ständen 3,5 Millionen bereit. Vor llebernahme der Bürgschaft durch die Staatsbank habe die Regierung zur Bedingung gemacht, daß die Konten der Hugenberg-Unter nehmungen bei der Ostbank glattgestellt werden und datz Hugenberg und seine Vertrauensleute ihre Remter sofort zur Verfügung stellen. Neide Bedingungen seien erfüllt worden. Die Staatsrcgicrung habe zwar keinen Anlaß ge habt, Hilgenberg zu schonen und seine Niederlage wäre ohne Hilse der Staatsrcaieruna noch größer gewesen, doch hätte die ostpreußische Wirtschaft den Preis zahlen müssen. Der Finanzminister setzte sich sodann mit den einzelnen Aus- sprachrednsrn auseinander.