Volltext Seite (XML)
Beilage zur Weitzeriy -Zeitung Nr. 270 Donnerstag, am 21. November 1929 95. Jahrgang Chronik des Tages. — Reichspräsident v. Hindenburg erließ «inen Auf ruf zur Unterstützung der deutsch-ruWchen -Flüchtlinge. ' — Am Donnerstagvormtttag 11 iHr wird 'km Go- Läude des französischen Außenministeriums die Saarkonfo- renz eröffnet. — Im Strafrechtsausschuß des Reichstags betonte Reichsjusnzmtnister Dr. v. GuLrard die Notwendigkeit der Strafbestimmungen für Ehebruch. — Die Rheinlandkommission hat ihren Sitz von Koblenz nach Wiesbaden verlegt. — In Berlin wurde am hellichten Tags ein 17- jähriger Kassenbote überfallen und einer Aktentasche mit 11000 Mark beraubt. — In Prag kam es zu Unruhen unter der Studenten schaft, b« denen die Polizei mit dem blanken Säbel eiw- griss und mehrere Verhaftungen vornahm. Lie ReichStagSfrakti«« der Leutschnationalen «olkspartet AeU in Berlin eine Sitzung ab. Dr. Hugenberg und Graf Westarp Achteten über di« polnische Laas. Serner beschäftigte sich die Fraktion mit der Vorbe- reitung des Part^tags in Kassel. Die Meldungen eini- ger Zeitungen, Geheimrat Dr. Hugenberg Krbe der Fraktion die Abstimmung über den Paragraph 4 des Programm des Reichstags — Berlin, 2». November. Der Reichstag wird nunmehr endgültig am 2?« November seine Winterarbeit beginnen. Nach den Be schlüssen des AeltestenratS, der sich dieser Tage mit dem Arbeitsplan befaßte, sollen am ersten Berhands lungstag lediglich kleinere Vorlagen beraten werd«r. Am 28. November steht das VolkSSsgehraesetz auf der Tagesordnung. Die Tage des 6. und 7. Dezembers bleiben wegen der am Sonntag darauf folgenden Land tagswahlen in Thüringen und Gemetnoewahken in Bayern sitzungsfrei. Einen vorläufigen Abschluß findet di« Wintertagung mit dem Beginn der Weihnac^S- .ferien am SO. oder LI. Dezember. An wichtigen Vorlagen, die der Reichstag »och vor Weihnachten erledigen soll, sind zu nennen das Republikschutzgesetz, das Gesetz über die sMu desherrlich«: Renten, die neu« ZolltarifnoveNe, das Auslieferungsgesetz und di« der Ausführung der Empfehlungen der Weltwirtfchaftökonferenz dienende Vorlage. Ob es vor Weihnachten im Reichstag noch zu einer außenpolitischen Aussprache kommen wird, wie es die Deutschnationalen und auch die Kommunist«: wünschen, ist zweifelhaft. In den Kreisen der ReichSregiorung hat man dazu wegen der bevorstehenden Schlutzkon- ferenz im Haag und angesichts der dann schwebenden Saarverhandlungen wenig Neigung. Immerhin soll noch durch Verhandlungen mit dem Reichsminister deS Auswärtigen Dr. EurtiuS eine endgültig« Entscheid düng herbeigeführt werden. Nus all« Fälle wird aber der Auswärtige Ausschuß über di« in Vorbereitung befindlichen Verträge mit Polen diskutieren, und zwar wahrscheinlich am 26. und 27. November. Die deutsch-polnischen Verträge, die teils fertig gestellt, teils vor dem Abschluß steh«:, werden in de« nächsten Wochen im Reichstag auch sonst noch den Gegenstand eingehender Erörterungen bilden, lieber die Stellungnahme der Fraktionen wird man natürlich erst dann etwas sagen können, wenn die tatsächlichen Bestimmungen dieser Abmachungen bekanntgegeben find. Augenblicklich scheint sich noch nicht einmal das Reichskabinett mit ihm befaßt zu haben. Vielleicht er klärt sich daraus die mangelhafte Unterrichtung der Oessentlichkeit über das Vertragswerk. Von den übrigen Vorlagen, die den Reichstag in nächster Zeit beschäftigen werden, liegt der Ent wurf des neuen Republikschutzgesetzes gegenwärtig den Reichsratsausschüssen vor. Die Vollversammlung des Reichsrats wird sich Dienstag oder Mittwoch nächster Woche mit der Vorlage befassen. Wie man hört, sind von den Länderregierungen zahlreiche Abänderungs anträge eingegangen oder angekündigt, die in der Hauptsache auf die Abschwächung einzelner Bestim mungen Hinzielen, insbesondere in den Fällen, wo das neue Nepublikschutzgesetz über die Vorschriften des alten Gesetzes hinuusgeht. Das alte Republikschutzgesetz hatte beispielsweise nur dem Reichspräsidenten und den Mit gliedern der Negierungen einen besonder«: Schutz gegen Gewalttätigkeiten verliehen, der neue Entwurf dagegen dehnt diesen Schutz auf alle im politischen Leben ste hende Personen aus. Das Volksbegehr-Gesetz kann nach Ansicht der Re gierungsparteien sofort in allen drei Lesungen verab schiedet — soll heißen abgelehnt — werden, ohne daß es einer Ausschutzberatung bedarf. Die deutschnatio nale Reichstagsfraktion läßt jedoch bereits jetzt erkennen, daß sie diesem Verfahren nicht zustimmen, sondern die Beratung des Gesetzes in einem besonderen Aus schuß fordern wird. Hinsichtlich des Termins für den Volks ent- scheid verbleibt es, wie ' Reichsinnenminister Seve, ring in einer neuen Erklärung abermals feststellt, damit zurück, daß der Termin für den Volksentscheid beim 22. Dezember. Die Eingab«: der Verbände Vs- Einzelhandels, in denen Befürchtungen für dar Weih- nachtsgeschäft geäußert werden, weist der Innenminister außenpolitische und technische Gründe zwangs. Aufig bestimmt sei. Was die Angaben der Angs, stelltenverbande betreffe, sei die Bemerkung des Reichs» tnnenmtnisteriums über di« Möglichkeit eines dritten freien Sonntags gus ZuständigkntSgründen notwendig gewesen. BolksbegehrMsetzes sreigegeben, wird von der deutsch nationalen Pressestelle dementiert. Ebenso treffe es nicht zu, daß Dr. Hugenberg selbst das Volksbegehv- s gesetz:m Reichstag begründen Werve. Eröffnung -er Saarkonferenz. Am Donnerstag in Paris. — Die Abreise der deutschen Delegation. — Ein letzter Appell der Saar. — Berlin, 20. November. Lie deutsche und die französische Regierung sind i nunmehr zu einem Uebereinkommen über den Dermin , der Saarkonfevenz gelangt. Lie Verhandlungen, di« sich lediglich auf Deutschland und Frankreich beschränk ' ken werden, beginnen danach Donnerstag vormittag ! 11 «hr im Gebäude des französischen Außenministe» t rinmS. Die deutsche Delegation weilt bereits in Paris; ' sie hat Berlin Dienstag abend nuter Führung des i Staatssekretärs z. D. von Simson verlassen. Ans fran zösischer Seite werden die Verhandlungen von dem Ar beitsminister Pernot und dem Präsidenten der ftaat, lichen Saarminen Fontaine geführt werden; der Eröff, nungssitzung dürfte auch Briand beiwohnen. Zweck der französisch-deutschen Saarkonfevenz ist die Ausarbeitung eines Abkommens, durch das das Saargebiet dem Deutschen Reiche zurückgegeben und die Frage des Rückkaufs der Saararuben geregelt wird. In Versailles hatte man für 1935 ein« Volksabstimmung im Saaraebiet vorgesehen, doch wäre es heute völlig falsch, wollte man noch auf das Ergebnis dieser Volks abstimmung warten, weil di« Bevölkerung des Saar- aebietes deutlich zum Ausdruck gebracht hat, daß sie Mts deutsch gesinnt war und haß sie in einmütiger Geschlossenheit fieber heute als morgen zum Reiche hetmkchren will. Die politisch« Frage der Rückgabe des Saar- aebietes kann unter dies«: Umständen keine erheb lichen Schwierigkeiten mehr bereiten. Das Saargebiet muß in vollem Umfange und ohne jede Beeinträch tigung der deutschen Staatshoheit zurückgegeben wer den! Schlechter stchen die wirtschaftlichen Ver, Handlungen; die Franzofen glauben auch beute noch, erheblich« Gegenleistungen herauSschtnden und der ftkn-- zöstschsn Wirtschaft im Saacgebiet eine Vorzugsstellung verschaffen zu können. Selbstverständlich müsse« Vietze Pläu« vereitelt wer- v«t, man wird jedoch -ut tun, sich auf harte Kämpfe und schwierig« Verhandlung«: gefaßt zu mache». Som w» diese »«chaudlnu-en für n«S erfolgreich ansgehe«, dann müsse« wir sw mit starken Nerven beginne« und der deutsche« Delegation durch Entschiedenheit und Geschlossenheit den Rücke» steife«. Die Franzosen aber dürfe« wir keinen Augenblick darüber im Zweifel lasse», oaß der Verzicht aus die Volksabstimmung kein Ge schenk an Deutschland ist, sondern ei« Ausweg, der »en Franzose« et«e politische Katastrophe erspart!' Die Forderungen der Saarbevölkeruug. Angesichts der Eröffnung der deutsch-französischen Saarkonferenz betont di« „Saarbrückener Zeitung^ noch» ' mals, daß das gesamte deutsche Volk von der unbe- I dingten Notwendigkeit der Rückkehr der Saargruben in den deutsch«: Staatsbesitz überzeugt ist. Trotzdem sei eine erneute eindeutige Erklärung aller Kreise der Saarbevölkerung, daß sie unter keinen Umständen von dieser Forderung heruntergehen werde, dringend erfor derlich, um in Paris endgültig ein Gemisch von Tatsachen und Gerüchten zu beseitigen, als ob im Saargebiet für eine Privatisierung und Interna tionalisierung Stimmung vorhanden sei oder gemacht werden könne. Aehnlich sprach sich der Wirtschaftsbeirat der «ah- rischen Bolkspartei auf seiner soeben in Homburg an der Saar beendeten Tagung aus. Ferner war die Kon ferenz einmütig der Auffassung, daß eine Rückgliede rung nicht:« Form einer neuen Saarprovinz oder eines eigenen Saarlandes in Frage kommen dürfe, sondern einzig und allein eine Rückkehr zu den Ländern Bayern und Preußen nach dem territorialen Stand vor Schaf fung des Saargebiets. Ehebruch und Strafrecht. GuLrarv fordert die Aufrechterhaltung der Strafbe- stimmnngen. — Ter Ausschuß lehnt die Strafbarkeit ab. Der Rechtsausschuß des Reichstages beschäftigte sich in ausgedehnter Debatte mit dem Paragraph 312 des neuen Strafgesetzbuches, der den Ehebruch betrifft. Reichsjustizminister von Gutrard wandte sich gegen die eingebrachten Streichungsanträge und beantwortet« die grundsätzliche Frage, ob die Strafbarkeit des Ehe bruchs entsprechend dem Regierungsentwurf beibehalt«: werden solle, bejahend. Zur Begründung verwies der Minister auf das Rechtsverfahren in den übrigen Kulturstaaten. Di« monogame Ehe sei eine der wichtigsten Grundlagen des Staates; auf ihr baue sich die Familie als Kernzell« des staatlichen Lebens aus. Di« Ehe sei deshalb auck im Artikel 119 der Verfassung unter den besonderen Schutz des Staates ^gestellt worden. Infolgedessen sei auch der Schutz der Ehe durch das Strafrecht notwendig. Daß etwa das Strafrecht ein untaugliches Mittel im Kampf um die Reinerhaltung der Eh« sein soll«, könne er nicht rugebeu. Die Zahl der Verfolgung«: Ehebruchs kvnn« nicht ausschlaggebend sein Frage der Strafwürdigkeit überhaupt. Abschließend faßte der Minister seine Ausführung gen dahin zusammen: „Di« Beibehaltung einer Straf vorschrift gegen Ehebruch erscheint mit geboten, um dem Standpunkt der weiten Kreise des deutschen Volkes gerecht zu werden, die in einer Verletzung der ehelichen / Treuepflicht einen sittlichen Verstoß schwerster , wegen für Ne Art und in der Strafdrohung des Staates ein« BM« gung dieser ihrer sittlichen Auffassung erblicken. In ver Abstimmung wurve ver EhebruchSpava« graph in ver Fassung des Regierungsentwurfs mit 1« Stimmen ver Demokrat«:, Sozialdemokraten und K»wi> munisten gegen di« gleich« Gtimmenzahl der übrige»! Parteien, also mit Stimmengleichheit, abgelehnt. Der Ausschuß stimmte danach noch dem ParagrMH 310 des neuen Strafgesetzbuchs zu, der Zuchthausstrafe^ für Bigamie vorsieht, und vertagte sich danach big zum 28. November. Neuer Aussuhr-Aeberschuß. Das Ergebnis des deutsche« Ausfuhrhandels t» Ok tober. — Rekordhöhe der Fertigware«-AuSfu-r. Der Ueberschuß der Ausfuhr über die Einfuhr der seit August im deutschen Außenhandel zu ver« zeichnen ist, hat auch im Oktober angehalten. Am August betrug der Ausfuhrüberschuß einschließlich den Sachlieferung«: im Reparationsverkähr 118 Millionen! Mark, der September bracht« eine Zunahme des Aus fuhrüberschusses auf 166 Millionen Mark, und süv Oktober ist nach den jetzt vorliegenden Statistiken et« Ausfuhrüberschuß von 147 Millionen Mark zu ver zeichnen. Das Statistische Retchsamt gibt zu den Oktoverziffern noch die folgenden Erläuterungen: Auf der Seite der Ein fuhr weisen alle Warengruppen gegenüber dem Bormonat eine Zunahme auf. Die bedeutendste Steigerung zeigt di» Gruppe Rohstoffe und halb fertige Waren, mit VS,Ü Mil lionen Reichsmark. Die Zunahme der Ausfuhr tp tu erster Linie eine Ätze des um 48,8 Million«: hsm S höheren Auslands«! tzeS von Fertigware». Erfreulich an >em letzten uSweiS di« Erhöhung d Konen Mark. L tober 1927 dl« »»«»V V» 723 Millionen Mark erreicht wca. Fortgang der RSrimmtzg» In Durchführung der Räumung der zw«Sett Mste find in den letzt«: Lage» auö Höchst am Mak» dvei Kompagnien Infanterie und ein« Mafchk«s»geioehvab-! tetlung der Franzos«: abgerückt. Lediglich ei» AvwiL- lungSkommando ist zurückgeblieben. Die bisher in Höchst untergebrachte Truppe wurd« als „Ehrenwache" der Rhetnlandkommtffion nach Wiesbaden veriegt. Ms Auftakt der Räumung Bingen» versehen in den letzten Tagen die Frauen und Kinder der englischen Besatzungsangehörtgen die Stadt. j Aufruf Hindenburgs. Zur Unterstützung der ruhlanddeutschen Flüchtlinge. Zur Linderung ver Not ver bei Moskau versam melt«: deutschen Kolonisten hat Reichspräsident von Hindenburg de« vom deutsche« Rote« Kreuz ««d de» übrigen Verbänden der freie« Wohlfahrtspflege oinge- leit«te« Sammltt«ge« a«S seinem D »osittousfonds einen Betrag von 200 000 Mark z«r Verfügung ge stellt. Ler Reichspräsident richtet ferner an allo Deut schen im In- «nd Ausland die herzliche Vitt«, »atz jeder «ach seine« Kräften daz« beitrag«, den deut schen StammeSgenossen zu Helf«:. Der Reichspräsident hält es für eine Ehrenpflicht aller amtliche« deutschen Stellen sowie aller öffentliche« «nd private« Organist», tione«, dieses Hilfswerk z« ««terstützen. Die Reichsreaierung wird ihrerseits der Hilfst aktion des Rot«: Kreuzes und der übrigen charttativen Verbände jede nur mögliche Förderung angedeihen lassen. Auch die der Reichsregierung nahestehenden Parte^nsowie di« Deutschnationale Bollspartei und die Wirtschaftspartei haben sich bereit erklärt, das Hilfs-, werk des Roten Kreuzes in jLer Weis« zu unterMtzen. * Rot der Kolonisten aufs höchste gestiegen. Rußland verbietet weiter« Auswanderungen. — Zwa«gsw«rser Rücktransport von Moskau. - , Wie aus Moskau berichtet wird, hat die ruffische Regierung beschlossen, di« deutsch-russischen Kolonisten, die gegenwärtig vor Moskau lagern und auf Gelegen heit zur Auswanderung warten, zwangsweise in das Innere des Landes zurückzuschicken. Begründet wird mese überaus hart« Maßnahme damit, daß di« Sowjet- behörden „aus sanitären Gründen" nicht mehr in der Lage seien, di« Deutschrussen in der Nähe der Haupt stadt zurückzuhalten. Die ersten Abtransport« find bereits erfolgt. Lie Not der De«tschr»sfe« vor Moskau ist damit aufS höchst« gestiegen! AN- dies« «äm»r h«v«« «tt Fra« und Kind Haus «nd Hof verlasse«, habe« ihr» Wert« z« «iedrigst-n Preise« verkauft, «ur um a«S Rußlaud herauSzukommen, «nd ««« solle« fio als Bettler j« ihre bisherige Heimat zurückkebre«. DaS bedeutet für die deutschen Bauer« t« R«ßla«V -ine entsetzliche Katastrophe! Wie weiter ergänzend berichtet wird, hat die russische politische Polizei «S inzwischen auch abge lehnt, neue Pässe kür die Ausreise deutscher Kolonisten auszustell«:. Gleichzeitig ersuchten die kommunistischen Organisationen in der Republik der Wolga-Deutschen Moskau um den Erlaß eine« allgemein«» AuSwande- rungsverbots. 2000 der um Moskau lagernden Kolo« nisten sollen verhaftet worden jein. Es wurde ihnen