Volltext Seite (XML)
Dienstag, am 24. Dezember 1929 Nr. 298 95. Jahrgang Seitdem war fast ein halbes Dutzend Jahre ins Land gegangen, und von Jmel brachten die Seefahrer nach Emden oder Bremen nur selten eine Botschaft mit. Zwei Fischersamilien waren es, die hier noch wohnten, obwohl es manchmal, namentlich um die Zeit ' der Aequinoktialstürme, ungewöhnlich rauh und stür- misch zuging. Aber sie waren doch mit echt friesischer Zähigkeit diesen traurigen Resten ihres alten Heimat- ' dorfes treugebliebcn. Schlecht untz recht ernährten sie sich und ihre Familien von den Erträgnissen ihres den ste^ in^ nahen Haf^stadt absetzten roits die "ersten Vorboteri eines "Unwetters, der hohle wobei die Heranwachsenden Kinder helfen mußten. — Wind und das wilde Möwengekrächz, stärker bemerkbar So kam das Jahr 1717 heran und das Weih nachtsfest stand bereits vor der Tür. Am 24. De zember noch war Eta mit ihren Fischen nach Emden gegangen, und sie befand sich nun, mit dem Erlös sehr zufrieden und mit allerhand Geschenken für di< Angehörigen beladen, aus dem Heimwege, als sich be- roits die ersten Vorboten eines Unwetters, der h Mertens ältester Sohn Jmel befand sich nun schon seit mehreren Jahren auf großer Fahrt und fuhr auf Bremer Schiffen nach Ost- und Westindien. Zu Hause war dort außer dem Alten nur noch der vierzehn jährige Edzard. Drüben aber, im Nachbarhause, fehlte zu den vier Kindern die Mutter, die vor einigen Jahren bet der Geburt der Jüngsten gestorben war. Der Fischer de Vries konnte noch von Glück sagen, daß er eine erwachsene Tochter hatte, denn die Eta hielt ihm bereits die ganze Wirtschaft in Ordnung, betreute die Kleinen gewissenhaft und sand noch Zeit, ab und zu von dem Fang in der Stadt allerlei abzu setzen. Eta de Vries und Jmel Mertens waren ungefähr im gleichen Alter und zusammen in Wind und Wetter auf dem kleinen Eiland ausgewachsen, bis Jmel zur See ging und Eta den Hausstand des Vaters über nehmen mußte. — Viele Worte hatten sie beim letzten Auseinandergehn nicht gewechselt; das war nicht Frie senart. Aber der Druck der Hand und der Blick der Augen redeten eine deutliche Sprache. machten. — Von Nesserland, der nördlichsten Ortschaft des einstigen Rheiderland, führte noch ein Wattenweg zu den letzten Häusern von Fletum, den Eta jetzt eiligen Schrittes eingeschlagen hatte. Die Dämmerung war bereits hereingebrochen. Auf diesem Wege aber mußt« sie doch all der in den früheren Sturmfluten hier ver sunkenen Ortschaften gedenken; fast vierzig an bei Zahl seien es gewesen, wie der alte Kantor von Nesser land noch kürzlich erzählte, darunter auch die Stadi Torum, deren letzte Reste drüben am alten Emsfahr wasser zur Ebbezeit noch aus den Watten hervor ragten. Torum war einst eine größere Stadt mit bedeu- tendcm Vieh- und Warenmarkt, mit Gerichtssitz unk eigener Münze; nicht weniger als acht Gowschmied« fanden dort reicklicbes Auskommen. Nock, im Ankano des gleichen Jahrhunderts, das dieser Stadt den Unter- gang brachte, waren auf dem Torumer Amtsgericht allerhand Urteile für die Bewohner des Rheiderland gefallt worden. Die Letzten Häuser von Fletum. Skizze von der Weihnachtsslut an der Nordsee (1717). Von Aiko Janßen. Nur zwei Häuser hatte das Meer von dem einst so blühenden Kirchspiel am Dollart übriggelassen. Auch die Kirche selbst war längst dahin, nur die alte Glocke konnte damals mit größter Mühe gerettet werden, als sie aber später weiter landeinwärts in Rhauder fehn aufgehängt war und zum ersten Male dort läuten sollte, zersprang sie. — Die beiden Häuser oder viel mehr Häuschen standen immer noch auf dem früheren Gemeindegelände, auf festem Kleiboden und im Schutze von Resten eines früheren starken Seedetches, der sie bisher vor dem Untergang bewahrt und vor dem ge fährlichen Nordwest geschützt hatte. An dies alles mußte Eta unterwegs denken, als sie plötzlich im Emsstrom zwei farbige Lichter aufblitzen sah und in ihrem Scheine ein großes Schiff erkannte, das dort, an der sogenannten Logumer Ecke, vor Anker gegangen war. Nun waren Etas Gedanken wie der einmal bet Jmel: Wo mag er jetzt weilen? Wenn i er doch endlich wtederkäme! Das fahle Mondlicht ! wurde letzt sichtbar, beleuchtete die Watten im weiten ! Umkreise und zugleich eine hier untergegangene Welt, r Dann erkannte Eta das kleine Licht am Fenster ihres l Häuschens, und bald daraus wurde sie mit lautem > Jubel etngeholt. Doch die große Freude dieses Heiligen Abends ' sollte von nicht langer Dauer sein. Der Wind war ! nach Nordwest herümgesprungen und peitschte die her- ! anbrausende Flut mit unheimlichem Getöse gegen ! die altersschwachen Detchveste. Schon waren Fenster» c laden und Türen beider Häuser fest verschlossen und - verrammelt, daM all« Ritzen verklebt, wie es bet ; drohender Sturmflut immer geschah. Die Weihnachtsfluten waren besonders gefürchtet; . eine solche hatte ja auch dem Meere den ersten großen ! Einbruch ins Land, die Entstehung deS Dollart, er- , mögltcht und seinerzeit den Zuider See in eine offene ! Meeresbucht umgewandelt. Die Flut stieg und stieg; höher noch alS die Weih» nachtsflut von 1277 und aus die Allerheiligenslut ; von 1670. ES wurde eine Weihnacht voll Schauder - und Entsetzen, und viele Tausende von Menschen ran» i gen, von Calais bis zur Eider, mit dem Tode. Die beiden Fletumer Familien saßen bereits aus , dem Dach ihrer Häuschen. Die Väter bemühten ft«.