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Beilage zur Weitzeritz-Zeitung Nr. 268 Montag, am 18. November 1929 95. Jahrgang Chronik -es Tages. „ . — Reichskanzler Müller sandte dem Historiker der Berliner Universität, Geheimrat Prof. Dr. Oncken, ein Glückwunschtelegramm zum 60. Geburtstag. — In einer Rede in Bielefeld betonte Reichsinnen minister Severing, es müsse beim 22. Dezember als Termin für den Volksentscheid verbleiben. — Der Präsident der Vereinigten Staaten, Hoover, hat die Wirtschaftsvertreter für Mittwoch zu einer Konfe renz nach Washington einberufen, um Maßnahmen zur Be lebung der Industrie zu erörtern. — In Berlin wurde der bekannte Betrüger Arthur Keil wegen fortgesetzten NücksallbetrugeS, begangen durch seine Standard-WarenhausgeseÜschaft, zu 2V, Jahren Zucht haus verurteilt. Gegen den Angeklagten wurde sofort ein Haftbefehl erlassen. — Ueber die Eifel sind schwer« Schneestürme ge zogen. Auch in Köln und im mtttelrheinischen Gebiet hat es heftig geschneit. — In München starb im 63. Lebensjahre der Geheime Landesökonomterat Wilhelm Merck, eine auf den Gebieten der Landwirtschaft und der Tierzucht, vor allem der Pferds- Ulcht, ^eit langen Jahren maßgebende und hochverdiente 25 Jahre Kolonialverein. — Berlin, 18. November. Der Deutsche Kolonialverein hielt im Gebäude des Retchswirtschaftsrates seine diesjährige Hauptversamm lung ab und feierte dabei das 25jährige Bestehen der Organisation, deren Arbeit der Förderung der na tionalen Stedlungs- und Auslandspolitik gewidmet ist. Den Vorsitz führte Präsident Föllmer, der im Na men des Kolontalvereins folgendes Huldiaungstele- gramm an den Reichspräsidenten von Hindenburg sandte: „Bei der Feier des 25jährigen Bestehens des Deutschen Kolonialderetns, Gesellschaft für nationale Stedlungs- und Auslandspolitik, gedenken wir in Treu« unseres hochverehrten Herrn Reichspräsidenten. Wir sprechen dabei die Hoffnung aus, daß es Ihnen ge lingen möge, die berechtigten kolonialen Wunsche des deutschen Volkes ihrer Erfüllung näher zu bringen." Aus dem dann zur Verlesung gebrachten Jahres bericht ging hervor, daß auch das Jubiläumsjahr dem Deutschen Kolontalverein auf allen Gebieten Fort schritte gebracht hat. Es war in größerem Maße als bisher möglich gewesen, Auswanderer zu betreuen und durch die Stärkung des Deutschtums in Süd- westafrtka das deutsche Wirtschaftsleben zu befruchten. Es gelang dem Deutschen Kolonialverein ferner, in nähere Beziehung zu zwei Siedlungsgesellschasten und einer Genossenschaftsbank zu treten, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, den wirtschaftlichen Wieder aufbau der Kolonial- und Ausländsdeutschen zu för dern. Gerade diese Praktische Tätigkeit erweiterte den Kreis der Anhänger und fand Beachtung in führen den deutschen Wirtschaftskreisen. Das kam auch da durch zum Ausdruck, daß aus diesen Kreisen General direktor Dr. Bögler und Generaldirektor Dr. Thys sen dem Ehrenausschuß des Vereins beitraten. Von anderen Persönlichkeiten, die sich dem Ausschuß an schlossen, seien Gouverneur z. D. Schnee, M. o. R., Reichsminister a. D. Dr. Schiele, Präsident des Reichslandbundes, und Konrad, Präsident des Reichs bundes der Kinderreichen, genannt. Die Reihe der Borträge eröffnete der Reichstags« abgeordnete Prof. Dr. Freiherr von Freytagh -Lor- rin »Hoven, der das Anwachsen des Interesses für die Kolonialfragen begrüßte und die Notwendigkeit un terstrich, Kolonialpolitik auch ohne Kolonien zu treiben. Die Aussichten für die Rückerlangung eigener Kolo nien sind nach den Darlegungen des Redners sehr ungünstig. Als zweiter Redner beschäftigte sich Geh. Rat Dr. Ponfick mit Fragen der deutschen Siedlungspolitik, wobei er die Kolonisation in Uebersee und die innere Siedlung, also die Kolonisation innerhalb der deut schen Reichsgrenzen, als gleichberechtigt und gleich not wendig hinstellte. In den gegenwärtigen Zeiten der deutschen Not, in denen nur geringe Möglichkeiten ' ür die Ansiedlung deutscher Kolonialpioniere in Ueber« « gegeben seien, mühten wir unsere Blicke ganz be- onders auf die deutschen Gebiete richten, die für eine tärkere Besiedlung geeignet seien. Durch die unglück liche Entwicklung Deutschlands seien weite Gebiete im Osten entvölkert worden; es bestehe Gefahr, daß sie von der slawischen Welle überflutet würden. Die länd liche Siedlung im Ostan sei nun zwar kein Allheilmittel, aber sie sei doch imstande, dieser Gefahr zu einem großen Teil zu steuern. Ein sehr aktuelles Thema behandelte Bankdirektor Dr. von Hippel, nämlich den Raub des deutschen Privateigentums im Kriege und die Entschädigung der Ausländsdeutschen. Die bisherige Gesetzgebung hat nach Ansicht des Vortragenden den Fragen des Wiederauf baues und der Produktiven Verwendung der Entschä digungszahlungen zu wenig Gewicht beigelegt. Gerade für die kleineren und mittleren Geschädigten hätte ein Existenzminimum festgesetzt werden müssen, das auch diesen Geschädigten die Rückkehr in die früheren deut schen Kolonien ermöglicht hätte. Zum Schluß der Tagung sprachen der frühere Bürgermeister von Lüderitzbucht, Kreplin, über Süd- westafrtka und Oppelt-Darmstadt über die Notwendig keit, durch Opfer zur kolonialen Tat zu kommen. Ein gehend erörtert wurde ferner die Lage der in Ham burg und vor Moskau lagernden deutschen Kolonisten. Reichsregierung und Reichstag werden ersucht, dafür Sorge tragen zu wollen, daß diese deutschen Volksge ¬ nossen dem Deutschtum erhalten bleiben und, soweit dies möglich ist, für die Ansiedlung in den deutschen Grenzgebieten gewonnen werden. * An die deutsche« Landwirte! Der Fürsorgeverein für deutsche Rückwanderer zu i Berlin W., Ztetenstraße 11, hat die ländlichen Arbeit, geber aller Betriebsgrößen aufgefordert, ihm bei Vor handensein leerer Wohnungen umgehend die Zahl etwa gewünschter Rückwandererfamilien mitzutetlen. Es handelt sich jedoch zunächst ausschließlich um die Frage, welche Zahl solcher Familien Wohnung und Arbeit ' in der heimischen Landwirtschaft finden kann. Ob und > wieviel solcher Familien zur Verfügung stehen werden, j und welche Stellen sie zu vergeben haben, bedarf noch , der Klärung. Die bisherigen Bedarfsanmeldungen las sen jedoch bereits erkennen, daß aus Grund der ge machten Erfahrungen die Rückwandererfamtlien von unseren einheimischen Landwirten stark begehrt werden. Agrarprogramm wird erörtert. Am Dienstag im Reichskabinett. — Länderkonferenz im Innenministerium. Am heutigen Montag findet in Berlin eine neue interfraktionelle Besprechung über das Agrarpro gramm statt. Behandelt werden darin die Fragen der Fletsch- und der Biehzölle, der Gerstenzollsatz und die Möglichkeiten für die Förderung des Roggenver brauchs. Das Reichskabinett dürfte am Dienstag zu der Vorlage Stellung nehmen. Nach der Verabschie dung durch das Kabinett soll das Agrarprogvamm sofort dem Reichsrat und dem Reichswirtschaftsrat vor gelegt werden, so daß der Reichstag bei seinem Wie- derzusammentrttt Ende November in der Lage sein wird, das Agrar-Programm zu verabschieden. Im Gebäude des Reichsinnenministerium trckt unter dem Vorsitz des Reichsinnenministers der Unter ausschuß des Ausschusses der Länderkonferenz für VerfassungS- und Derwaltungsreform zusammen. Zur Debatte-steht das sogenannte Organisationsreferat betreffend den Einfluß der Länder auf das Reich. Die Verfasser sind Brecht, Poetzsch-Hoeffter, Bolz und Petersen. Die Kommunalwahlen. ein Glückwunschtelegramm und gedachte darin insbe sondere der für die Politik so bedeutsamen Arbeiten vnckens und seiner erfolgreichen Tätigkeit als geistiger Führer der Jugend. ' :: Amtsenthebung in der Berliner Sowjetvertre« tung. Der stellvertretende Leiter der russischen Han delsvertretung in Berlin, Belenkij, ist seines Amtes enthoben und aufgefordert worden, sich unverzüglich nach Moskau zu begeben. Rundschau iw Auslands. ; Der frühere italienische Unterstaatssekretär Prof. Cartese wurde wegen Unterschlagungen in der Näh« von Savona verhaftet. Z Im italienischen Außendienst erfolgte «in neuer Diplomatenschub; betroffen davon werden Prag, Lissa bon, Budapest, HelsingforS und Ath«n. * Roch keine Entspannung in Belgien. ! Der belgische Ministerpräsident Jaspar erklärte in itner Rede in Brüssel, der Streit zwischen Flamen und Wal lonen, der sich in den letzten Tagen so gefahrvoll vertieft ;abe, gehe mit unverminderter Heftigkeit Wetter. Belgien, so sagte er, mache zur Zeit sehr schwierige Augenblicke )urch, weil die Belgier sich nicht mehr liebten und weil renjenigen, die die Einigkeit des Landes retten wollten, )ie Gefolgschaft versagt würde. Sollte die Verstamung ! )er Universität Gent tatsächlich abgelehnt werden, dann! vürde es dahin kommen, daß sich Flamen und Wallonen' zegenscitig zerfleischten. Aw die B. 1.3. Belgien unterzeichnet vorbehaltlich. Die belgischen Vertreter im Organisationsausschuß der Bank für internationalen Franck und van Zeeland unterzeichneten unter Aufrechterhal tung ihrer in Baden-Baden gemachten Vorbehalte, die sich aus den Sitz der Bank und auf die politischen Erwägungen beziehen, die die Abreise der belgischen Hauptdelegierten aus Baden-Baden begründeten. Die belgische Regierung beabsichtigt, diese Vorbehalte den Haager Konferenz zu unterbreiten. Die nunmchr von allen Mitgliedern des Orga nisationsausschusses ordnungsmäßig unterzeichneten Schriftstücke find dem Vorsitzenden der Haager Konfe renz, Jaspar. bereits übergeben Word«!. Ruhiger «erlauf vss Wahlsonntags. Die Wahlen in Preußen, Sachsen und Hessen ha ben einen normalen und im allgemeinen ruhigen Ver lauf genommen. Aus verschiedenen Städten liegen Mel dungen vor, die darauf schließen lassen, daß die Wahl beteiligung stärker war als bei den bisherigen Kom munalwahlen. In Berlin herrscht schon den ganzen Tag über ein regnerisch-trübes Wetter. Nichtsdestoweniger ist die Werbung, die vor allen Dingen von den extremen Par- ! teten betrieben wird, recht lebhaft. Die Reichshauptstadt hat rund 3,3 Mil- i lionen Wahlberechtigte. Zugelassen für Groß-Berlin ' sind 21 Stadtwahlvorschläge mit 394 Bewerbern, 261 Kretswahlvorschläge mit 3140 Bewerbern und 331 Be- - zirkswahlvorschläge mit 4377 Bewerbern, insgesamt also 613 Wahlvorschläge mit 7911 Bewerbeim. Bon den Wahlberechtigten der Reichshauptstadt sind rund , 1,4 Millionen Männer und 1,8 Millionen Frauen. Nach Meldungen aus der Provinz Schleswig- Holstein war infolge des regnerischen und trüben Wetters das Wahlgeschäft nur schleppend. Auch in Hannover nahm der Wahltag einen normalen Verlauf. Die Wahlen im Bezirk Nieder schlesien sind ruhig verlaufen. Die Trauerfeier in Cronderg. ' Kran Subkoffs Beisetzung. In Eronberg bei Frankfurt a. M. hatte sich in der alten Burgkapelle eine kleine Trauergemeinde etngefunden, um der Frau Subkoff, geb. Prtnzefitu Viktoria von Preußen das letzte Geleit zu geben. Unter dem Trauergesolge bemerkte man u. a. das Landgrafenpaar Friedrich Karl von Hessen mit seinen Sühnen, Prinzessin Heinrich von Preußen, Land graf Alexander und Gemahlin und als Vertreter deS ehemaligen kaiserlichen Haufes, Prinz Adalbert von Preußen. Die mit einer weißen Sargdecke und Chry santhemen geschmückte Bahr« war umgeben von zahl reichen Kränzen, darunter Kränze des ehemaligen Kai sers und der näheren Verwandten der Verstorbenen. Auch ein Kranz des früheren Infanterie-Regiments 53, des sogenannten Kronen-RegimentS, dessen Ches di« Verstorbene war, wurde niedergelegt. Stadtpfarrer Aßmann hielt die Ansprache und nahm daraus die Einsegnung der Leiche vor. Mit ge meinschaftlichem Gesang schloß di« Feier. Politische Rundschau. — Berlin, den 18. November 1929. — Der Generaldirektor der Deutschen ReichSbahngesell- schaft Dr. Dorpmüller nahm in Pari« an einer inter nationalen Etsenbahnkonferenz teil. ' Oncken SV Fahre. Der bekannt« Historiker der Berliner Universität, Geheimrat Her« mann Oncken feierte seinen 6V. Geburtstag. Reichs kanzler Müller sandte namens der RetchSregierung Die französische Delegation. Arbeitsminister Pernot Vorsitzender der Saardelegation. Das französische Kabinett nahm einen Bericht P«D Anßenmintsters Briand über feine Besprechungen mit dem deutschen Botschafter von Hoesch entgegen. Briand erklärte dabei, die deutsch-französischen Saarverhand- langen würden Mitte der Woche beginnen. La es sich hierbei um internationale Verhandlungen Han« dele, die für Frankreich von besouderer Bedeutung seien, habe er beschlossen, mit der Führung der Abord nung den Arbeitsminister Pernot zu betrauen. Der Mtnisterrat billigte den Beschluß und gleich, zeitig die Liste der anderen Angehörigen der Saar-, abordnung, in der all« wichtigen Ministerien durch einen oder zwei Beamte vertreten sind. Stellver tretender Vorsitzender ist der Präsident der staatlichen Saarminen und Vorsitzender des VerwaltungSrateS des Internationalen Arbätsamtes, Arthur Fontaine DeutscherA-Boot-Kommandant inLondon Kapitän HaShag«n. — Auf Einladung sein«- früheren Gegners. Kapitän Hashagen, der Kommandant des deut schen U-Bootes 62, der im Weltkriege 62 feindliche Schiffe versenkt hat, weilt gegenwärtig aus Einladung eines früheren Gegners in London und wird heute auf der Tagung der englischen Völkerbundsgesellschaft in Reading sprechen. Die englische Presse macht großes Aufsehen von diesem Fall und bringt das Rim des Kapitäns an hervorragender Stelle. Kapitän Halshagen war bei Streiffahrten auf ein unter falscher Flagge segelndes englisches Kauffahrtei schiff gestoßen, das sich plötzlich im letzten Augenblick als bewaffnet erwies. Hashagen versenkte das Schiff und nahm den Kapitän des englisch«» Schiffes, Lewis, gefangen, der dann für neunzehn Tage die Strets- whrten des U-Booteö 62 mitmachen mußte. Biele Jahre vergingen, als zufällig Lewis in einer amerika nischen Zeitung die Photographie Hashagens fand. Er erinnerte sich sofort, daß dies der Mann war, der ihn seinerzeit gefangen und während seiner Gefangensckaft auf dem U-Boot 62 auf das Anständigste behandelt hatte. Da Lewis inzwischen in die Bölkerbundsunion eingetreien war, lud er Hashagen ein, auf der kom menden Tagung in Reading zu sprechen. Wahlrechtsklage gegen Preußen. Januar Termin vor bem Staatsgerich-tShos. Fn der Wahlrechtsklage gegen den preußischen Staat hat der StaatsgertchtShos nunmehr den Ur« tetlstermin für Januar 1930 anberaumt. Wie noch erinnerlich sein wird, handelt «S sich bei dieser Klage um dte Frage, ob die Bestimmungen de» preußischen Landeswahlgesetzes, die die Bildung von Split terparteien verhindern sollen, der RetchSversaffung wider sprechen. Insbesondere wird der einer entsprechenden Vor schrift der Weimarer Verfassung nachgebildet« Absatz L de» Paragraphen 32 angegriffen, nach dem nur so viele Mandate einer Partei auf der LandeSltste anerkannt werden, wie ii«