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Der Mrd an Kin-derg. De»satio«8prozeß vor dem Leipziger Schwurgericht. Vor dem Leipziger Schwurgericht hat am Montag vormittag -er Prozeß gegen die wegen Mordes an geklagten Dachdecker Reinhold Werner aus Höhn stedt Bez. Halle und die Haushälterin Klara Pa- schol - aus Gräfenhagen begonnen. Die Tat, die der Verhandlung zugrundeliegt, hat bei ihrer Entdeckung im Mat 1929 überall -aS größte Aufsehen erregt. Im April 1929 war -er Leipziger Straßenhändler Kirchberg plötzlich verschwunden. Am 18. April fand man auf einem Laubengrundstück eine« dort vergrabenen Menschenkopf. Die genaue Untersuchung ergab, daß es sich um den Kopf des Kirchberg handelte. Nach langwierigen und sorgfältig durchgeführten Arbeiten der Kriminal polizei lenkte sich der Verdacht, den Kirchberg ermordet und die Leiche zerstückelt und vergraben zu haben, auf die beiden Angeklagten. Werner lebte mit der PascholS in einem Lagerschuppen. Sie hatten die Be kanntschaft des Kirchberg gemacht und erfahren, daß dieser immer viel Gelb bei sich und noch mehr auf der Bank habe. Beide beschlossen deshalb, den Kirchberg zu ermorden, ihm das bare Geld abzunehmen und auch -a-° Bankgutha' i nach und nach abzuheben. Im Lau, ..lgrundstü .llten sie zunächst Schießprobe« an nm zu ermitteln, wie weit die Schallwirkung ging, un. stellten fest, daß der Schuß nicht gehört werden konnte, wenn ein über die benachbarte Bahnüberfüh rung kommender Zug vorüberfuhr. Am Tage des Mordes hatte sich Kirchberg, wie schon öfter, in dem Pchuppen eingefunden. Die Paschold hatte sich zu chm gesetzt, hatte Bier mit ihm getrunken und hatte sich mit ihm unterhalten, indem sie ihm Bilder aus ihrer Heimat zeigte. DaS tat sie solange, bis ein Zug in der Nahe vorbeifuhr. An diesem Augenblick nahm sie den ver borgen gehaltenen Revolver und schoß Kirchberg i« de« Hiuterkopf. Kirchberg war durch diese« Schuß nicht sofeat tot. Werner forderte darauf die Paschold auf, eine« zweite» Sch»ß abzugebe«. DaS tat di« Paschold. Mm« zerstttckelten beide die Leiche und begrubeu die Stücke auf verschiedene« Grnudstückeu. Das Bargeld, das Kirchberg bei sich hatte, «ahme« sie av stch. Am anderen Tage ging die Paschold in die Wob- nung des Kirchberg, um die Bankbücher zu holen. Die beiden haben dann erhebliche Beträge abgehoben, die sie zum Teil zum Lebensunterhalt verwandt hatten und zum Teil verwetteten. Die Verhandlung wird voraussichtlich zwei Tage in Anspruch nehmen. Beide Angeklagten sind im wesentlichen geständig. NÄummtg rmd rheinische Bahnen Gitte chalfchmeldttug »er „Chicago Tribune". Die „Chicago Tribune" hatte vor einiger Zeit in ihrer Pariser Ausgabe eine Meldung gebracht, daß eine Umgestaltung der rheinischen Eisenbahnen in großem Umfange im Zusammenhang mit der Rhein- lanoräumung erfolgen werde. Darüber sei zwischen der deutschen Regierung und der Botschafterkonferens ein Vertrag abgeschlossen worden, dessen Durchführung aber bisher infolge der Kabinettskrise in Frankreich noch nicht möglich gewesen sei. Von zuständiger Stelle wird dazu mitgeteilt, dätz ei« derartiger Vertrag niemals abgeschlossen worde« ist. Richtig sei lediglich, daß mit der Durchführung der Rheinlandräumung militärisch« Einrichtungen im eutmilitärisierten Gebiet frei würden, die bisher von den Besahungstruppen benutzt worden seien. Neber die Verwendung dieser Einrichtungen hätten allerdings Verhandlungen stattgefunden. Bon dcn von der „Chi- eago Tribune" behaupteten Einzelheiten sei nur die Tatsache richtig, daß Deutschland drei neue Rhein brücken gebaut habe. R««a v. Strantz-Aühring f. g« «Uer von 64 Jahren ist die berühmt« TragboM Wau Anna von Strantz-Führtng, das ehemalige Mtt- des früheren Königlichen Schauspielhauses in Berlin, gestorben. Frau Anna von Strantz-Führtng tzM das Modell der alten deutschen Briefmarke mit der Germania. Kleine Nachrichten. * Der „Berband Deutscher Pflanzenärzte", Sitz Bev- M, hat sich dem Berufsverband „Wissenschaftlicher Beruf« W» ReichSverbandeS der höheren Beamten" angeschlossen. .. . .* Ä« Leitunaen des Deutschen Autoklubs und de» Reichsverbandes Republikanischer Motorradfahrer baden de- schlossen, eine enge Arbeitsgemeinschaft zu bilden, die unter Wahrung der völligen Selbständigkeit jedes der vertrag schließenden Vereine eins übereinstimmend«, freundschaft liche Zusammenarbeit in allen Fragen des KrastfahrwesenS i und Förderung aller gemeinsamen Interessen bezweckt. * Der deutsche Weltslieger von Köuia-Warthausen ist i mit seinem Leichtflugzeug in New Aork eingetroffen. Auf seinem Weltflug hat er bisher rund 28 800 Kilometer ! zurückgclegt. * Im Rahmen der Tagung des Katholischen Akade miker-Verbandes fand in München eine große Papstfeier statt, zu der außer dem Nuntius Ministerpräsident Dr. Held, oer frühere Kronprinz Rupprecht, ReichSjustizmtni- ster v. Guerard sowie zahlreiche hervorragende Persönlich keiten aus dem Reich« erschienen waren. * Maud Hall, die Siegerin eines englischen Schön heitswettbewerbes, wurde zu drei Monaten Gefängnis vev> urteilt, weil sie in einem Warenhaus Kleider gestohlen hatte. i i Ser Mrder der »einen Zda Heimbach. Aufklärung-esKin-esmor-esinHalle. I« der Mor-sache der kleine« Ida Heimbach lenkte sich im Lanfe der weitere« Ermtttluugeu der Tat verdacht auf de« SSjährige« Arbeiter Herman« Darins, der im Nachbarhaus« der Ermordete« wohnt. Darius, der geschlechtlich abnorm veranlagt ist, wurde am 2. November bereits festgenommen «nd hat nnter , dem inzwischen herbeiaeschasften erdrückende« Beweis- ; material ein umsasicnocs Geständnis abgelegt. Es gibt zu, das Kind im Sinneürausch erwürgt und -a-nrch den Tod herbeigeführt zu haben. Darins wurde im Laufe des Montags dem Untersnchnngsrichter vor» geführt. Der wegen Tatverdachts festgenommene Stief vater der kleinen Heimbach ist bereits am 8. November i entlasten worden, da gegen ihn keinerlei Ber-acht ! mehr bestand. Der Christus-Prozeß. Sine Stndi« des höchsten englischen Richter». Eine nüchterne aktenmäßige und umfassende jurb stische Studie über den Prozeß Jesu Christi hat Lorl Shaw os Dunfermline, der Lord Oberrichter des eng ltschen AppellationSgertchtShoses in einer Londonei Wochenschrift veröffentlicht. In einem ersten Artike weist er auf etne Reih« von Punkten hin, di« der ganzen Prozeß als ungesetzlich und gegen das Straf- ' recht Verstoßeno erscheinen lassen. „Das ganze Verfahren", schreibt der Lord Obev richter, „ist auf Grund der sorgsamen Bestimmung«, : des hebräischen Rechts von Anfang bis zu Ende schor deshalb als gesetzwidrig zu bezeichnen, weil di« Bev - Handlungen in der Nacht stattfanden. Es ergaben st<f i auch noch andere Schwierigkeiten, wie Lord Shaw au» ^ührt, namentlich über die Formulierung der Anklagc Nach den klaren Vorschriften des hebräischen Ge setzes war es unerläßliche Vorbedingung für die Ein« leitung des Prozesses, daß dem Gericht durch Zeuger die Ueberzeugung betgebracht wurde, daß die Voraus setzungen für eine Hauptverhandlung Vorlagen. Damit begannen die Schwierigketten, denn die Zeugenaussage« waren nicht miteinander in Uebereinstimmung zu brin gen. Hinzufügen muß man, daß nach dem Gesetz di« Zeugen unter Eid aussagten. Und diese Vereidigung war ein Akt von eindrucksvoller Feierlichkeit. i Der Eid lautete: „Vergiß nicht, Zeuge, daß, wen» du in diesem Prozeß um Leben und Tod sündigst, - das Blut des Beschuldigten und das seiner Nachkomme» ! bis zum Ende der Dinge über dich und deine Nach kommen kommen wird." Nur wenn zwei Zeugen tri ihren Beschuldigungen vollständig übereinstimmten unk diese Aussage beschworen, konnte in einem Kriminal- Prozeß das Verfahren gegen den Angeschuldigten ein- gelettet werden. Es ist klar, daß Kaiphas und das Gericht sich dieser Voraussetzung voll bewußt waren und daß sie, da diese Vorbedingung nicht erfüllt wer den konnte, einfach das Gesetz beiseite schoben und sich eines gesetzwidrigen Aktes schuldig machten. Das tat auch Kaiphas bet dem Verhör des An geklagten, bei dem er, im Widerspruch mit dem hebräi schen Gesetz, den Antworten des Angeschuldigten das Material für die Formulierung der Anklage entnahm, um durch geschickte Abfassung die Anklage zu begrün- den, die auf den Tod lautete. Den Höhepunkt dieser kasuistischen Fragestellung bildete die Frage: „Bist du Christus, der Sohn Gottes?" Damit war die Schick- ; salsstunde für das menschliche Leben Christi gekommen. ' Nach seiner ganzen Lehre konnte er nicht anders als i diese Frage bejahen. Damit war sein Schicksal ent- i schieden. § Der Oberpriester zerriß sein Gewand und been- - dete den sogenannten Prozeß mit der Erklärung, daß man wettere Zeugen nicht zu hören brauche. Damit setzte er sich über die humanen Vorschriften des he- . brätschen Gesetzes hinweg, und der ganze Prozeß, dessen ! Kennzeichen Gesetzwidrigkeit und Verstöße gegen die ' Form find, mußte mit der Verurteilung zum Tod« enden. ! Aeberwinternde Fliepen. Wir sind in Deutschland noch weit davon entfernt, uns die Sentimentalität abzuaewöhnen. Gibt es doch ' Leute genug, dte sogar den lästigsten aller Plagegeister ! unter dem Hausungeziefer, den Fliegen, eine gemüt liche Seite abzugewtnnen wissen. In der reizenden Idylle von Voß: „Der sieb zigste Geburtstag", heißt es, „sie scheuchte dte summen den Fliegen, die ihr Mann mit der Klappe verschont, ! zur Wintergesellschast." Dieser Gebrauch ist trotz aller Belehrungen über , die außerordentliche Schädlichkeit der bazillenfvrdernden Insekten noch nicht ausgestorben. Infolgedessen über- ? wintert ein Teil der Fliegen in ausgewachsenem Zu- ! stände, während ein noch größerer Teil in Puppen gestalt den Winter durchmacht. Gerade in diesen über winternden Fliegen aber droht die Gefahr der Wteder- erneuerung der Fliegenplage im nächsten Jahre. Jede i yoch so eifrige Bekämpfung der Fliegen während des Sommers ist unnütz und dient lediglich der augenblick lichen Erleichterung, wenn wir nicht alle Bemühungen daransetzen, dies« unliebsamen Wintergäste zu vernichten. Sobald die Witterung es gestattet, entschlüpfen den Puppen die vollkommenen Insekten, und dann beginnt sogleich die Vermehrung von neuem. Wie außerordent lich groß diese aber ist, zeigt zur Genüge der Um stand, daß die Entwicklung der Stubenfliegen in etwa sechs Wochen beendet ist, sich also im Lause eines Som mers mehrer« Generationen folgen. Dadurch erklärt sich die ungeheure Menge der im Spätsommer auftre tenden Fliegen. Die Mahnung ist daher berechtigt, ja keiner Fliege Gnade zu gewähren und in dem Eifer oer Beseitigung nicht aus dem Grunde nachzulassen, weil die Plage nicht mehr so peinlich empfunden wird. Die Puppen findet man an trockenen, geschützten Orten, vor allem auch in den Winkeln der Wände, die wiederholt sorg fältig gereinigt und abgekehrt werden müssen. — e. — Im Renntierschlitten. Siu« romantische Reis« im hohen Norde«. Der Reisende I. A. Sauzey hat in Begleitung des polnischen Militärattaches in Finnland eine roman tische Reise durch das finnische Lappengebtet unter nommen, auf der dte beiden Reisenden trotz der emp findlichen Kälte eine Strecke von 1300 Kilometer bet einer durchschnittlichen Tagesleistung von 120 Kilo meter zurücklegten. „Das Renntier', schreibt Sauzey in seinem Reisebericht, „ist das wichtigste Existenzmtttel der Lappen. ES liefert ihnen nicht nur Nahrung und Kleidung, sondern auch die einzige Möglichkeit, einen Verkehr aufrechtzuerhalten. Die Rennnere leben in Herden zu etwa hundert Tieren in fast wildem Zu stand, von einem Führer Überwacht, der sie beständig tm Äuge behält. ES ist ein befremdliches Transportmittel, diese von Renntteren gezogene lappländische „Pulka", eine Art Boot, da- etwa em«n Meter lang, dessen Vorder teil wie ein Schtsssbug gestaltet ist, und das auf einem vier Finger breiten Schneeschuh ruht, auf dem «S leicht über Schnee und SiS gleitet. DaS hvherltegende Hinter teil der .Hulka" dient als Rückenlehne und ermöglicht es dem Reisenden, stch tm Gleichgewicht zu halten, wenn da« Gefährt bet dem schnellen Ausfahren einer Kurve im Winkel von 4S Grad zur Sette neigt. AuS sorgsam gefügten Planken gezimmert, bietet di« Pulka genau genommen «ur einer Person Platz; dabet mutz der Insasse bet jähen Abstürzen -um Zweck des Brem sens den Fuß mit den Fersen nach außen in den Schnee stemmen, da sonst ote „Pulka" dem Renntier, so schnell es auch lauft, zwischen dte Bein« geraten würde. Der Reisende steht sich in die Notwenviakeit» versetzt, beständig aus die Bewahrung des Gleichge wichts bedacht zu sein, und erst nachdem er des öfteren herausgefallen ist, glückt es ihm, sich mit diesem Trans portmittel Halbwegs abzufinden. Um dte Renntiere zu lenken, mutz man die Arme als Windmühlenflügel gebrauchen, dte sich bald nach rechts, bald nach links, l« nach der gewünschten Rich tung drehen. Ein langes Lederseil, das um den Kopf beS Tieres geschlungen ist, wird fest am Knöchel der linken Hand des Reisenden befestigt, damit beim Her- ausfallen das Zugtier nicht mit der „Pulka" davon- läuft und den Insassen des Schlittens allein und hilf los in weltverlorener Einsamkeit zurückläßt. Der Start der Rennttere geschieht immer mit dem Elan eines Wettrennens; nach hundert Meter aber fallen dte Rennttere tn einen langsamen Trab, den sie stunden lang beibehalten. In der Ebene gestaltet sich häufig die Fahrt recht heikel, weil das halbwilde Zugtier störrisch und eigenwillig ganz plötzlich die Richtung wechselt oder widerspenstig und wütend den Führer attackiert. Nachdem wir Höhen und Täler passiert hatten, harrte unser der böse Aufstieg zum "steilen Vorgebirge. Die Renntiere legten stch mit gekrümmten Rücken scharf ins Geschirr. Und wenn der Aufstieg schwierig ist, so ist es der Abstieg über die schneeverwehten Hänge erst recht. Alle Augenblicke ist man genötigt, halt- zumachen; der Führer spannt dann die Tiere aus. In langen Sprüngen mit nach vorn gewandten Ferien über Spalten und Risse setzend, ist er gezwungen, r!t der einen Hand das Renntier und mit der anderen den Schlitten festzuhalten. Dem Reisenden bleibt es überlassen, auf Schnee- und Eisfeldern sein beständig bedrohtes Gleichgewicht zu erhalten; und zu allem die furchtbare Kälte, die das Atmen so schwierig macht! So geht es an Abgründen dahin, in denen man bet der geringsten Abweichung vom Wege zu verschwinden droht. Die Etappen betragen 50 bis 60 Kilometer, bevor etne der kleinen lappländischen Erdhütten eine Rast gestattet. Es find armselige Wohnungen, tn denen zahlreiche Familien in fürchterlicher Enge Hausen. Männer, Frauen, Kinder, Tiere liefen in einer sticki gen Atmosphäre tn dem einzigen Wohnraum herum, in dem ein qualmendes Holzfeuer schwelt. Längs der Mauern sind grobe Holzgerüste zusammenaezimmert, aus denen Menschenwesen, lang ausgestreckt und tn Renntierfälle eingehüllt, schlafen. An den Nägeln der Wände hängen Messer und Aexte und noch unbe- arbettete Tierfelle, von der Decke herab gefroren« Renntierviertel, die zur Ernährung der Familie die nen. Hunde mit dickem Fell und spitz zulaufende« Schnauzen füllen jeden leeren Raum und machen stch tm Bewußtsein ihrer Ueberlegenheit über di« tn Starr heit versunkene Menschheit ungebührlich breit. Hier und da tritt ein Lappe aus dem Halbdunkel "der Hütt« ins Freie, um den Zugtieren Flechtmoos vorzuwersen und sich so schnell wie möglich wieder in den Schutz der warmen Hütte -urückzuztehen. Dann geht es mtt den erschöpften Renntieren weiter. Da keine Möglichkeit besteht, auf der 70 Kilo. Meter langen Strecke einen Wechsel der Gespanne vor» -unehmen, müssen wir tm Freien kampieren, um den Tieren Zeit zur Erholung zu gewähren. Man bindet st« an Krüppelholz und läßt die Seile lang genug, um den hungrigen Tieren zu gestatten, das unter dem Schnee begrabene Moos zu suchen. Wir lagern um tzM rasch entzündetes Biwakfeuer, hoch und klar