Volltext Seite (XML)
Beilage zur Weitzeriy-Zeitung Nr. 2S6 Sonnabend, am 2. November 1929 98. JahkiMy Aufrüttlung der Gewiffen. In den letzten Wochen haben sich die Skan dale beängstigend gehäuft. Die Sklarek-Affäre in Berlin war zwar kein Auftakt und kein Schlußakt, aber sie war doch ein Signal, das uns wachrüttelte und unsere Augen für das schärfte, was vorausgegan gen war und was leider noch folgen sollte. Als die Presse Alarm blies, hatte man in den Amtsstuben vielfach nichts Eiligeres zu tun, als die Gemüter zu beschwichtigen. Bald aber mußten auch , die Behörden die Wahrheit des alten Sprichworts erfahren, daß da. wo Rauch ist, gewöhnlich auch Feuer ist. In Berlin ist letzt ein großes Aufräumen im Gange. Die drei Brüoer Sklarek sitzen hinter schwedi schen Gardinen, ein Bezirksbürgermeister wurde vor läufig seines Amtes enthoben, gegen hohe Magistrats beamte schweben Disziplinarverfahren, gegen drei Stadt bankdirektoren außerdem Strafverfahren. Völlig verfehlt wäre es, wollte man heute nicht offen über alle diese Dinge sprechen. Es handelt sich nicht mehr um Einzelerscheinungen, der Gefahrenherd ist nicht lokal begrenzt; andere Städte, andere Skandale! In Frankfurt a. M. mußte im Sommer eine groß« Versicherungsgesellschaft ihre Selbständigkeit ausgeben, in Kiel stellte dieser Tage eine zwar nicht große, aber doch angesehene Bank ihre Zahlungen ein; aus anderen Teilen des Landes werden gleichfalls Meldun gen über Veruntreuungen, Bestechungen und Urkunden fälschungen verbreitet. Zum fünften Male in zwei Jahren hat ein Rechtsanwalt nach erheblichen Verun treuungen das Weite gesucht! In dem Zeitalter des Weltverkehrs ist auch di« Schande international. Kopenhagen hat Änen neuen Bankkrach zu verzeichnen, in Wien verlor eine große Bank ihren guten Ruf und ihre Selbständigkeit; PariL erregte sich über die Riesenbetrügereien der Präsidentin der „Gazette du Franc" und jetzt darüber, daß der Liquidationsverwalter diesen Skandal auf die Spitze trieb, indem er die Vermögensreste der Schwind lerin für eigene Geschäfte verwendete. Selbst das prüde England steht nicht makellos da; in London ist der Photomaton-Krach Tagesgespräch. Zusammenbrüche hat es schon in jeder Wirtschaft gegeben und wird es solange geben, wie gute und schlechte Zeiten einander ablösen. Aber bei den Skan dalen, die hier erwähnt wurden, handelt es sich nicht um Zusammenbrüche von Firmen, die ein Opfer der Wirtschaftskonjunktur geworden sind. Daß wir alle hart um unssr täglich Brot kämpfen müssen, daß nie mand auf Rosen gebettet ist, weder der Arbeitgeber noch der Arbeiter, wissen wir, aber Krisenzustände liegen doch wahrhaftig nicht vor. Im Gegenteil, trotz der Abstoppung der Ausländsanleihen hat die deutsche Wirtschaft bisher eine erfreuliche Widerstandskraft be wahrt, und wenn nicht alles täuscht, haben wir den Tiefpunkt in der Abwärtsbewegung nach der Schein blüte von 1927 bereits überwunden. Die Ursache der vielen Zusammenbrüche ist nicht in der Wirtschaftslage zu suchen, es handelt sich leider vielfach um Folgen übertriebener Gewinn sucht. Dort war das Gewissen weiter als die Be fugnisse, hier wieder war der Betrüger zu geschickt und die Aussichtsinstanz zu vertrauensselig. Die Masse des deutschen Volkes, der ehrbare Kauf mann in Stadt und Land, der Handwerker, der Land mann, ttle, die ihre Hände sauber gehalten haben, lesen mit Grauen die Ska, dalchronik, die täglich größer wird. Run trifft es zwar zu, daß wir nicht verhindern können, dan b>5gel unser Haupt beschmutzen, wohl aber können und -'üfkm wic verhindern, daß sie dort Nester banen. Entschließungen und Kampfansagen werden hier zu keiner Besserung führen. Erst recht nicht gegen, seifige Anklagen. Und völlig unmöglich ist es, diesen oder jenen der und der Partei anhängen zu wollen. Was not tut, ist die Herausbildung einer Einheits front der Ehrlichen, ist Bekräftigung der Grund, sähe von Treu und Glauben durch die Tat und — die Verschärfung der Kontrolle. Menschliche Schwächen und das Giftgas der Selbstsucht wird es immer geben, aber zur Sünde bedarf es nicht nur der Neigung, sondern auch der Gelegenheit. Und diese Gelegen heit scheint jetzt deshalb häufiger vorhanden zu sein als früher, weil die Unübersichtlichkeit infolge des Wachstums der Bevölkerung größer geworden ist. Ver gessen wir nicht, daß die Grundzüge der deutschen Selbstverwaltung heute noch dieselben sind wie in der Zeit des Freiherrn vom Stein. Freilich werden wir mit Notmaßnahmen und or ganisatorischen Reformen allein auf die Dauer nichts ausrichten können. Sicherhettsvorrichtungen sind gut, nützlich und notwendig, aber selbst die besten Kontroll vorrichtungen werden versagen, wenn nicht auch die Gewissen intakt sind. Die Generalreinigung dars unter diesen Umständen nicht auf die Bekämpfung der äußeren Auswüchse beschränkt bleiben, sie muß in die Tiefe gehen, das Uebel an der Wurzel packen und zu einer sittlichen Erneuerung führen. Von heute aus morgen wird dieses Reformprogramm nicht verwirk licht werden können, es muß jedoch sofort in Angriff genommen und mit Kraft durchgeführt werden! Ver neue demolralische partelvorstand. Aus dem Landespartettag der Deutschen Demokra tischen Partei in Dresden wurde der Landesvorstand neu gewählt. Zum Landesverbandsvorsttzenden wurde Dr. Külz wicdergewählt. In den engeren Ver bandsvorstand wurden berufen Frau Dr. Ulich- 8eil für Dresden, Abg. Bretschneider für Chemnitz und Kaufmann Kölker-Waldheim für Leipzig. Nintsteriälrat Dr. v. Guöhery wurde wieder als Schatzmeister bestätigt. Dem erweiterten Vorstand ge- hören an Dr. Dehne und Berndt für den Wahl kreis Dresden-Bautzen, Brodaus und Schier sand für Chemnitz-Zwickau, Staatsminister a. D. Dr. Apelt, Studiendirektorin? Schecker und Prof. Nötz für Leipzig. Ner Mettsmarlt in Sachsen. Die Bewegung der Arbeitsuchenden nach der Stich- ragzählung der Arbeitsämter verläuft von Mitte Sep tember bis Mitte Oktober annähernd im gleichen Tempo wie die Entwicklung zur gleichen Zett des Vorjahres. Die Zahl der männlichen Arbeit- suchenden stieg von Mitte September bis Mitte Okto ber 1929 um 9,0 v. H., im Vorjahr 11,6 v. H.; die Zahl der arbeitsuchenden Frauen ist von Mitte Septem- , ber bis Mitte Oktober 1929 um 1,1 v. H. und zur glei chen Zeit des Vorjahres um 2,1 v. H. gesunken. Den Zustrom der Erwerbstätigen im Jahre 1929 konnte die Wirtschaft nicht voll fassen; ganz auffal- len- ist die hohe Zahl der jugendlichen Erwerbslosen bis zu 21 Jahren. Die immer stärker um sich grei fende Konzernbildung, die in der Maschinentndustrie, in -er Auto- und Fahrradindustrie, ferner in der Zi- garettenindustrie besonders deutlich hervortrttt, setzt in steigendem Maße Arbeiter und Angestellte frei, für die andere Industriezweige keine Arbettsmöglich- keiten mehr bieten können, da der Baumarkt in folge -er anhalten-en Finanzierungsschwierigkeiken fast in allen Bezirken stilliegt un- -ie Industrie der Steine und Erden ständig über Auftragsmangel klagt. Die Saisonbelebung t^r Textilindustrie und -es Bekleidungsgewerbes, die zwar noch in erfreulichem Maße vorherrscht, ist dennoch nicht mehr imstande, den Arbeitsmarkt wesentlich zu entlasten, und in der letzten Berichtswoche vom 17.—24. Oktober ist auch die sinkende Bewegung der Zahl in der Arbeitslosenver sicherung unterstützten Frauen einer Steigerung um 1,0 v. H. gewichen. Der Zustrom der männlichen Hauptunterstützten der Arbeitslosenversicherung hat sich um 6F v. H. verstärkt. Allerheiligen—AllerseellU,. > Das sichtbare Sterben in der Natur an dem Tage, da der November sein Regiment antritt, fordert heraus zum Jnsichgehen, zum Erinnern an die Ber« gänglichkeit alles Irdischen, an den eigenen Tod, an das Fortleben in der Ewigkeit und an. die Seelen derer, die abgeschieden sind. Darum feiert z. B. die katholische Kirche am 1. November das Fest Aller heiligen und am 2. November das Fest Allerseelen. Das Fest Allerheiligen ist ein Fest, das nach außen hin weniger in die Erscheinung tritt. Anders ist das mit dem Allerseelentag, der im Jahre 998 eingeführt wurde und seitdem ein Gedenktag ist, den auch der, der ver katholischen Kirche nicht angehört, wahrnimmt. Blumen und Kränze werden als Zeichen der Erinne rung an den Gräbern niedergelegt, und mancherorts : werden die Friedhöfe illummniert. ! In Westflandern errichten die Kinder des Abends > ' neben der Haustür auf der Straße kleine Altäre, indem ! sie Kruzifixe oder Madonnenbildchen auf Stühle oder > Schemel setzen In Süddeutschland bäckt man Weißbröt- 1 hen, die eine länglich-runde Form und an den äußere« j knden zwei kleine Zipfel haben und Seelenbrätzen, > Spitzlein oder Seelenzöpfe heißen. ! In Böhmen geht man am Allerseelentage zuerst ! >n die Kirche, wo Messen für die Verstorbenen gelesen verven, und dann auf den Kirchhof, wo man die Gräber s einer Angehörigen besucht, sie mit Blumen und Krän- ! ten verziert und kleine Lichter daraus anzündet. Zu , Tirol, wo die Gottesäcker so festlich geschmückt werden, ! »aß sie an Blütenreichtum mit dem Frühling wett- s - eifern, läßt man die Wachskerzen solange brennen, ' ! wie die Prozession dauert, die dreimal singend und i - betend zwischen den Gräbern umherzieht. In manchen Gegenden werden an diesem Tage ' »uch reiche Almosen gespendet. In Ansbach wurden ! früher in der Stadtkirche jährlich 450 „Seelwecken" ! unter die Armon verteilt, und in Deutschböhmen er- . s halten die Kinder noch heut Brot und Semmeln. Allerseelen. , i Heut geht die Treue ihren stillen Pfad, ' Der Liebe weiße Lichter zu entzünden, Und Reuequal sucht eine Sühnetat, — Doch wer vermag Vergebung ihr zu künden? Manch Lichtlein zittert wie ein Tränenblick, Erinnerung will wild das Herz durchstürmen — Und bringt nicht einen, einen Tag zurück; s Die Glocken rufen bang von allen Türmen. Was da gestorben, schlummert, Glück und Leid, ! Will Rosenblühen wundersam verhehlen, — i Es ist doch Liebe, die das Fest heut weiht ! Im stillen Gottesgarten Allerseelen. ! Ich weiß ein Kreuz, von Efeu schwarz umwebt, Lie goldne Inschrift ist verlöscht, verblichen. Und der dort schläft, der hat so gern gelebt. Weil nie das Glück von seinem Weg gewichen. Bis jäh ein Schlag sein junges Herz zerbrdch, So dumpf und traurig klagen die Zypressen: Die er geliebt, zog einem andern nach Und hat auch diesen Hügel — lang vergessen Die ewige Liebe aber endet nie ! Und sucht auch die, die ihren Weg verfehlen. Vom Aufersteh n rauscht eine Melodie Im stillen Gottesgarten — Allekseelen. Eugen Stangen. Ans Stadt «nd Land. Protestkundgebung der Berkiuer Bankangestellten. In Berlin veranstaltete der allgemeine Verband der deutschen Bankangestellten eine Protestkundgebung mtt dem Thema: Bankfusion und Angestelltenschicksal. ES wurde erklärt, von den Angestelltenvertretern gestellte Anträge bezüglich der Arbeitszeit, unverschleierte Bi» lanz, Höchstzahl und Besoldung der AufsichtSratÄnit- glieder usw. seien von den Banken gegen die Stimmen der Angestelltenvertreter und einiger freien Akttonäre abgelehnt worden. Das Vorstandsmitglied EmonS kri tisierte das Vorhaben der Banken, an jenen zu sparen, denen gegenüber man sittliche und moralische Per« pflichtungen übernommen habe. Zum Schluß fand ein stimmig eine Entschließung Annahme, in der darauf verwiesen wird, daß vie Angestelltenschaft nach Be kanntwerden der Fusion länger als einen Monat ohtte positive Erklärungen hinsichtlich der beabsichtigten Maß nahmen der Bankleitung gelassen worden sei. Dio Bankangestellten seien entschlossen, auf die strikteste Einhaltung der gesetzlichen und tariflichen Arbeitszeit, insbesondere in den vom Abbau betroffenen Groß betrieben zu achten und jede Ueberschreitung den KM ständigen Stellen zur Kenntnis zu bringen. Hagenbeck in Berlin. Zu verschiedenen Press« Meldungen über Hagenbecks Pläne, auch in Berlin Tierparks zu errichten, äußert sich jetzt Lorenz Ha genbeck dahin, daß er diese Meldungen im großen und ganzen nicht dementieren könne, daß sie jedoch in Einzelheiten als durchaus verfrüht bezeichnet werden müßten. Im übrigen sei der Gedanke, ein Hanwurger Zweigunternehmen in Berlin zu gründen, nicht neu. E» hätten bereits seit längerem darüber Verhandlungen stattgesunden. Ob und wann die gegenwärtigen Der« Handlungen zu einem Abschlusse führen würden, könne er nicht sagen. Der Tierpark in Stellingen werde je doch im Falle der Verwirklichung der Berliner Pläne in keiner Weise in seinem Bestand gefährdet werden und es seien bereits feste Pläne zum wetteven klusbau des Stellinger Unternehmens ausgearbeitet worden. Amtsenthebung v« Bürgermeisters von Vychow. Das Oberhaupt der Gtcwtverwaltung Grabow in Mecklenburg, Dr. Sigismund, ist wegen gewisse« Vorkommnisse, die jedoch außerhalb des Dienste» liegen, seines Amtes enthoben worden. Die Disziptinarkam- mer in Schwerin wird sich mit der AngBegenhett be schäftigen. Jeßnitz. Eine Gasexplosion ereignete sich im Hause -es Oberwachtmeifters Hanke in -er Dessauer Straße. Durch einen losgelösten Schlauch ausströ mendes Gas entzünöete sich an einer kleinen Lampe. Die Sann folgende Explosion hatte eine über aus heftige Wirkung. Neben herausgeschleuderten Fensterscheiben riß sogar starkes Mauerwerk in ganz beträchtlichem Umfange. Franke und seine Ehefrau, die Tochter des Besitzers, wurden erheblich durch die Stichflamme verletzt. Wittenberg. Ein siebenzehnjähriges Mädchen wurde in den Abendstunden in einem Hause von einem Manne angefallen und am Halse gewürgt. Schließlich versetzte ihm der Unhold noch einen Fuß tritt gegen den Unterleib. Das Mädchen hat schwere innere Verletzungen davongetragen. Greppin. Ein Ehepaar, das bei der Wohnungs vergebung nicht berücksichtigt worden war, brachte seine drei Kinder in das Büro des Gemeindevorste hers und überließ sie der Obhut des verblüfften Ge meindeoberhauptes. Der Kopenhagener Bankkrach. Die von dem Bank inspektorat in Kopenhagen vorgenommene Prüfung der Verhältnisse der Volksbank ist nunmehr soweit.ge diehen, daß mit der baldigen Veröffentlichung eines Berichtes gerechnet wird. Das Ergebnis der Unter suchung wird wahrscheinlich zeigen, daß weder Sparer noch Einleger irgendwelche Verluste erleiden. Sobald der Bericht vorliegt, wird er an die Nattottalbank wet tergeleitet werden, woraus die Besprechungen der Groß banken über nnen Wiederaufbau der Volksbank be- ginnen können. Die Stimmung an der Börse ist recht optimistisch gewesen. Doppelsclbstmord bei Nizza. In unmittelbarer Nähe von Nizza fand man die Leichen zweier junger Leute. Einer von ihnen, der den Kopf auf den Arm seines Freundes gestützt hatte, hielt noch den Revolver in der Hand, mit dem er seinen Freund und sich selbst erschossen hat. Nach den Vorgefundenen Papieren han delt es sich um zwei Matrosen, von denen einer, Johann Kritz, deutscher Staatsangehöriger ist. Man nimmt an, daß beide freiwillig den Tod wählten. Ihre ganze Barschaft bestand aus neun Franken. , - Neue Verhaftungen in Rußland. "s - k»1» «istniplvpf wird hat dre O. G. P. U. tm Kaukasus den ehcmaliaen russischen G^al der Po ¬ krowski und vier weitere Offiziere verhaftet. Po krow ki war im Kriege Generalstabsches der gegen die Tüttei kämpfenden russischen Armee. Lie Verhafteten w!Äen nach Moskau übergeführt und dort vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Siebel und Schultz uotgelandet. Die beiden deut« scheu Flieger Siebel und Schultz, die am DtenStagvorq mittag um 7.45 Uhr in Le Bourget aufgesttegen wa-, ren, um den Streckenweltrekord für Kleinflugzeuge mit zwei Insassen zu brechen, muhten in Givet (Ardennen) infolge eines Motorschadens notlgnden. Di« JliKgxp