Volltext Seite (XML)
, — -I. - - Beilage Mr Weiheritz-Zettung Nr 277 Freitag, a« ^9. November 1929 95. Jahr^Mtz Chronik des Tages. - Am heutigen Freitag beschäftigt sich der Reichstag mit dem VolkSbegehrgesetz; für die Deutschnationalen sprich! Abg. Oberfohrcn. — Der Reichsrat hat das neue Gesetz zum Schutz« der Republik und zur Befriedung des politischen Lebens mit 50 gegen 16 Stimmen angenommen. — Ruhland und China haben sich über die Einleitung von Friedensverhandlungen geeinigt; Bittsteller war China. — Das Essener Explosionsunglack hat ein viertes Todesopfer gefordert. Der 37 Jahre alte Egon Löwenstein, dem beide Beine abgenommen werden muhten, ist seinen schweren Verletzungen erlegen. — Bei einer Explosion in einem Schmelzwerk in FlorL in Norwegen verbrannten drei Arbeiter, vier wurden so schwer verletzt, dah an ihrem Aufkommen gezweifelt wird, — Das größte amerikanische Flugzeug, eine vor kurzem fertiggestellte viermotorige Fokkermaschine, ist abgestürzt und verbrannt. — Der in der Ausreise aus New Uork begriffene Cunarddanrpfer „Mauretania'' stietz im New Aorker Hafen mit einer Eisenbahnfähre zusammen, die unmittelbar daraus sank. Die Besatzung der Fähre konnte sich retten. Die Welt-Arbeitslosigkeit. Von Edmund Kleinschmitt. Unter der Geißel der Arbeitslosigkeit leiden die meisten Industriestaaten der Welt, ganz gleichgültig, ob sie arm sind oder reich, ob sie den Krieg verloren oder gewonnen haben, oder ob sie neutral geblieben sind. In kurzem wird ein Bericht des Internatio nalen Arbeitsamtes über die Erwerbslosigkeit in den wichtigsten Industriestaaten in deutscher Sprache er scheinen, der schon seit einiger Zeit in englischer Sprache vorliegt und über den Verlauf der Weltarbeitslosig keit von 1920 bis 1928 Auskunft gibt. Aus dieser internationalen Erhebung ergibt sich, daß Deutschland mit vielen Industriestaaten in bezug auf Arbeitslosigkeit das gleiche Schicksal teilt. Etwa den gleichen Prozentsatz von Arbeitslosigkeit ha ben Staaten wie England, Dänemark, Norwegen, Schweden und vielleicht auch die Vereinigten Staa ten von Nordamerika. Eine unter dem Vorsitz des Präsidenten Hoover vor wenigen Moiraten vollendete Wirtschastsenquete macht nämlich wahrscheinlich, daß die Zahl der ständig Arbeitslosen in den Bereinigten Staaten mindestens zwischen 1,8 bis 4 Millionen schwankt. Diese Ziffer ist außerordentlich hoch, insbesondere wenn man in Erwägung zieht, daß die Bereinigten Staaten seit 1921 keine ausgesprochene Wirtschafts, krise mehr gehabt haben und als reiches Land gelten, das zum mindesten keinerlei Kapitalmangel hat! Von den übrigen genannten Ländern hatte Belgien in der Zeit von 1923 bis 1928 eine Arbeitslosigkeit, die zwischen 2,6 bis 5,9 Prozent sämtlicher sozialversicher ten Arbeitnehmer schwankte. Großbritannien zwischen 9,4 und 14,6 Prozent und die Niederlande zwischen 4,7 und 9,4 Prozent. Für einige andere Länder ist nur der Prozentsatz der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer zu erfahren. In Norwegen schwankt« dieser Prozentsatz in den Jahren 1923 bis 1928 zwi schen 4,9 und 22,5 Prozent, in Deutschland betrug in den Jahren 1927 und 1928 die Prozentzahl der gewerkschaftlich organisierten Arbeitslosen 6,3 und 6,2 Prozent. Insgesamt gibt der Bericht des Internatio nalen Arbeitsamtes eine Weltarbeitslosigkeit von rund 10 Millionen an. Die Untersuchung des Internationalen Arbeits amtes wurde angestellt, um die Ursachen dieser Weltarbeitslosigkeit kennenzulernen und um Mittel zu finden, um diese Erscheinung zu mildern oder zu be seitigen. Bian ging dabei von der Erwägung au«, daß es eine Reihe von Ursachen geben wird, die in allen Volkswirtschaften zur Arbeitslosigkeit beitragen, und daß eine andere Reihe von Ursachen wiederum sich nur auf ein einziges Land oder einen bestimmten In dustriezweig beschränkt. Von den allgemeinen Ur sachen wurde der Einfluß der allgemeinen Preis bewegung aus die Arbeitslosigkeit untersucht. Dabei konnte die von Theoretikern schon oft behauptete Be obachtung bestätigt werden, daß Preissteigerungen im ! allgemeinen die Arbeitslosigkeit vermindern, Preissen-- ? kungen dagegen die Arbeitslosigkeit vermehren. Das Gutachten des Arbeitsamtes zieht daraus ! die Schlußfolgerung, daß Veränderungen in der Kauf- ; kraft des Geldes einen großen Einfluß auf den Grad ! der Beschäftigung ausübt; und daß es deshalb wün- > schenswert sei, eine Politik des stabilen Preis- - Niveaus zu verfolgen. Darunter wird nicht nur ? eine Stabilisierung der Währungen auf Goldbasis ver standen, sondern vielmehr eine Volitik der Stabili- , s'-rung des Goldpreises. Der zweite Teil der Untersuchung des Arbeits amtes ist der Arbeitslosigkeit in der Kohlen- und Textilindustrie gewidmet. Das Ergebnis dieser Untersuchungen zeigt, daß in der Kohlenindnstric in den bedeutendsten Kohle produzierenden Ländern die Arbeitslosigkeit während der letzten sieben Jahre eine dauernde war. Sie verteilte sich nur ungleichmäßig auf die einzelnen Länder, und zwar so, daß, wenn die einen Länder Arbeitslosigkeit batten, die anderen gut beschäftigt waren. Daraus zieht das Gutachten den Schluß, daß das Problem der Arbeitslosigkeit in der Kohlenindustrie niemals zufriedenstellend gelüst werden könne, es sei denn, durch eine internationale Verständigung der Kohlenproduzenten! Im großen und ganzen sind, international gesehen, wohl heute zu viel Menschen in der Kohlenindustrie beschäf tigt, und ein Land nach dem anderen hat reihum je- wÄlS die Kosten dieser UeberproduktionskrisiS zu trä gen. Wie man weiß, wird endlich im Januar näch sten Jahres in Genf im Rahmen des wirtschaftlich«» Ausschusses des Völkerbundes Äne internationale Koh lenkonferenz stattfinden, die vielleicht die Lösung dieses , Problems einen Schritt vorwärts bringen kann. Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse in der Tex tilindustrie, die in den meisten Ländern ebenfalls in hervorragendem Maße von der Pest der Arbeitslosigkeit hetmgesucht wird. Das Entstehen neuer Industrien in jungen Ländern, insbesondere aber in Ostasien, ist dort die Hauptursache des Absatzrückganges der Tex tilindustrie der alten Industriestaaten. Dazu kommen ' die unberechenbaren Preisschwankungen der Rohstoffe und die Verarmung der großen Verbrauchermassen in der Nachkriegszeit. Die Ueberkapazität der Welt- Textilindustrie Mrd wahrscheinlich so lange bestehen bleiben, bis in den großen verarmten Volkswirtschaften wiederum eine Wohlstandssteigerung stattaesunden ha ben wird, die den Verbrauchern erlaubt, ihren Beklei- - dungsaustvand zu vergrößern. Das Gutachten schließt mit einer Uebersicht über die Ein- und Auswanderung von Arbeitnehmern. Es erwartet jedoch von der Auswanderung kein All heilmittel für die Arbeitslosigkeit, weil die Neuan siedlung von Auswanderern sehr große Kapitalsummen erfordert. Diesem Teil der Untersuchung mag man noch die wertvolle Anregung entnehmen, die die großen Ein- und Auswanderungsstaaten auffordert, über dieses Problem in Form von Wanderungsverträgen ähnliche Vereinbarungen zu treffen, wie sie auf dem Gebiete des Warenaustausches in Form von Handelsverträaen , schon längst üblich sind. j Neichsrat für Republikschutzgefetz! Verabschiedung der Vorlage mit 5« gegen 1« Stimme«. : Erhebliche Aenderungen. z — Berlin, 29. November. < Der Reichsrat, die Vertreterversammlung der deut schen Länder, beschäftigte sich in seiner letzten Voll sitzung mit den von seinen Ausschüssen verabschiedeten I Vorlagen. Den wichtigsten Punkt der Tagesordnung bildete das neue Republikschutzgesetz, daß in der Schluß- abstimmung mit 50 gegen 16 Stimmen angenom men wurde. Gegen das Gesetz stimmten lediglich Bayern, Mecklenburg-Schwerin und einige preußische Provinzen. Gegenüber dem Entwurf der Reichsregierung hat die Vorlage im Reichsrat erhebliche Abänderungen er fahren. So lautet die Ueberschrift des Gesetzes nicht mehr „Gesetz zum Schutz der Republik", sonder« „Ge setz zum Schutz der Republik und zur Befriedung deS politischen Lebens". Tie wesentlichste Aenderung der ! Regierungsvorlage ist aber die, daß die Zuständigkeit , des Reichsinnenministers für di« Auflösung von Ber- ! einen und für Zeitungsverbote gestrichen wurde. Au seiner Stelle soll das Reichsverwaltungsgcricht in einem Streitfall zwischen Reich und Länder,» ent- i scheiden können. Das neue Republikschutzgesetz, das nach der Verab schiedung durch den Reichsrat dem Reichstag zur Be- schlutzfassung zugeleitet werden wird, ist in seiner jetzt- k gen Form im übrigen nicht mehr verfassungsändernd weil der Paragraph, der die Zustimmung einer Zwei drittelmehrheit erforderte, der sogenannte Kaiserpa ragraph fortgelassen worden ist. Das Gesetz ent hält also nicht mehr die Aufenthaltsbeschränkung und das Einreiseverbot für die früheren Herrscherfamilien. Entgegen v«m Entwurf der Regierung hat der Neichsrat den Schutz des Lebens »ichtt mehr ans den politischen Personenkreis beschränkt, sondern jetzt stellt das Gesetz jeden Angriff auf und jede Verschwörung gegen das Leben einer Persönlichkeit, gleichgültig, wel cher Partei sie angehört, unter Strafe. Tie gleich« Erweiterung Ver Ttrafbestiinüinngen wird auf dem Gebiet der politischen Gewalttätigkeiten Anwendung finden. Gegen Beschimpfungen »nd Verleumdungen fol, len fortan nicht nnr Staatsmänner geschützt werden, die durch Gewalttaten ums Leben kamen, sondern all« toten Rcichsprn'i^ente» und Reichsminister. Wie verlautet, will sich die Reichsregierung mii diesen Aenderungen abfinden, also dem Reichstag kein« Doppelvorlage unterbreiten. Im Reichsrat selbst Hal die Neichsregierung während der Beratung allerdings gegen die Aenderungsanträge protestiert. Zustimmung zum Ministerpenstonsgesetz, Vor der Verabschiedung des Republikschutzgesetzes erledigte der Neichsrat noch einige andere Vorlagen, darunter eine Verordnung über den Luftverkehr, di» dem starken.Steigen des Luftverkehrs Rechnung tra gen soll, und das Ministerpensionsgesetz. Seine wich tigste Bestimmung geht dahin, daß Reichsminister künf tig nur noch ein llebergangsgeld erhalten, dessen Höhe sich nach der Amtsdauer richtet. In den Aus schüssen ist die Bestimmung, über die Ruherente, dis der Reichspräsident eventuell gewähren kann, insofern eingeschränkt worden, daß sie sich nur auf den Fall ge- sundheitlicl>er Schädigung bezieht. Ein preußischer An- i trag, die Ministervension nach vierjähriger Dienstzeit I beiznbehalten, wurde mit 34 gegen 32 Stimmen abae- - lehnt. " j Ter Gesetzentwurf wurde mit der für Verfass,»»gS< andernugen notwendigen «malifizierwn Mehrheit, näm- Uch cmst»mmig, angenommen. i Die lunge Schwedin, die den mißglückten Anschlag gegen den Bischof Smith in der Peterskirche in Nom unternommen hatte, soll nunmehr in ihre Heimat abge- s<st-'ben werden, womit die Angelegenheit zunächst ihr Ende k.noei Landkreise «nd Umschuldung. Solidarität zwischen Stadt «nd Land. — Tie Be dingungen der Landgemeinde«. ' — Berlin, 29. November. Die Vorstände des Deutschen und des Preußi schen Landkreistags beschäftigten sich in einer gemein samen Sitzung in Berlin unter anderem mit der Frag« der Ablösung kurstfristtger Kommunalkredite der Städte Dr. Kleiner, der Präsident des Deutschen Sparkassett- und Gtroverbandes und der Präsident des Landkreis- tages, Dr. von Stempel, verbreiteten sich eingehend über den Plan der Verwendung der Sparkassenüber schüsse zur Konsolidierung kurzfristiger Kommunalkre? oite. Auch der Landkreistag steht auf dem Standpunkt, daß die verfügbaren Mittel der Sparkassen zu einer weitgehenden Entschuldung und zu einer Ablösung ins besondere der ländlichen kommunalen Schulden heran gezogen werden sollen. Die Landkreise sind deshalb bereit, sich für diese Aktion zur Verfügung zu stellen. Zur Voraussetzung hat die Zustimmung der Landgemeinden — die sich infolge ihrer energischen Sparsamkeitspolitik finanziell irr etwas günstigerer Lage befinden — die Erfüllung gewisser Bedingungen. Danach darf der ländliche Wohnungsbau nicht beein trächtigt und die neue Aktion nicht einen Anreiz zur Fortsetzung der Verschuldungspolitik bilden. Ferner unterstrichen beide Vorstände die Notwendigkeit eines gerechten Lastenausgleichs, die Verteilung der Mittel zum Wegebau nach dem Grundsatz von Leistung und Belastung und die Erleichterung der Schul lasten für die kinderreichen Bezirke des flachen Landes. Es bleibt beim 22. Dezember. Keine Vertagung »es Volksentscheids. — Erste Lesung des Bottsbegehr-Gesetzes im Reichstag. — Berlin, den 28. November 1929. Am morgigen Freitag wird sich der Reichstag mit dem Volksbegehr-Gesetz gegen den Noungplan beschäftigen. Die zweite Lesung des Gesetzes soll, da von deutschnattonaler Seite gegen die sofortige Beratung Einspruch erhoben wor den ist, am Sonnabend erfolgen. Begründet wird das Ge setz durch den Abgeordneten Dr. Oberfohren. Was den Ter min des Volksentscheids betrifft, glaubt man in unterrichte ten Kreisen, daß die Neichsregierung entgegen dem Antrag des Reichsausschusses an dem 22. Dezember als Abstim- munaStaa festhalten wird. Der heutige Donnerstag war vornehmlich Ausschuß- sitzungen gewidmet. Die Plenarsitzung des Reichstags war nur von ganz kurzer Dauer, auch standen ausschließlich kleine Vorlagen aus der Tagesordnung. Endgültig ver abschiedet wurden das Gesetz über die Herkunftsbezeichnung des Hopfens und das Oplumgesetz, das eine Anpassung an die internationalen Vereinbarungen bringt. Das Gesetz wird nunmehr am 1. Januar 1930 in Kraft treten. Das internationale Uebereinkommen Über die Ge währung einer Entschädigung für Arbeitslosigkeit infolge von Schiffbruch wurde in allen drei Lesungen angenommen. Aenderungsgesetze zum Hhpothekenbankgesetz, zum Scheckge setz und Wechselsteuergesetz wurden dem Rechtsausschuß über wiesen. In erster und zweiter Lesung wurde das Gesetz zur Verlängerung des SteuermtlderungSgesetzes an genommen. Anträge, die sich auf den Ladenschluß am Weth- nachtsherligabend beziehen, wurden dem Sozialpoli tischen Ausschuß überwiesen, Hindenburg-Brief a« de« Papst. Neverreichung des Geschenks der Neichsregierung z«m goldenen Priest«rjnbilänm. Der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, von Bergen, überreichte dem Papst ein Schreiben des Reichs Präsidenten von Hindenburg, mit den persönlichen W4o« scheu des Reichspräsidenten und denen der ReichSreaie« rung zu dem goldenen Priesterjubiläum des Papstes. Anschließend erfolgte die Uebergabe des Geschenkes der Reichsregierung an den Papst. Das Geschenk ist ei« Duplikat des sogenannten roten PrunktafelserviceS Friedrichs des Großen. Verbesserungen im Telephonverkehr. In der letzten Sitzung des Verwaltungsrates der Reichspost wurde darauf hingewiesen, daß die Ein nahmen in den ersten sieben Monaten des laufenden Rechnungsjahres hinter den Erwartungen zurückgeblie ben find und beschlossen, Verbesserungen im Fernsprech-? verkehr einzuführen. Danach kann der Teilnehmer künftig die Herstellung einer Verbindung innerhalb bestimmter Zeit verlangen. Die Höchstdauer der Fern gespräche ist von sechs auf zwölf Minuten verlängert worden: für die Uebertragung von Tagungen kön nen Fernleitungen sogar auf eine Stunde freiaemacht werden. Bedenken gegen Polenverträge. Tas Ergebnis der Debatte im Auswärtige» Ausschuß. Im ReichötagsauSschuß für auswärtige Angelegen heiten wurde die Beratung der deutsch-Polnischen Ler- Handlungen zu Ende geführt. An der Debatte be teiligten sich wieder der ReichSaußenminister Dr. Cur tius und der Gesandte Rauscher, von seiten des Aus, schusses die Abgeordneten Leicht (Bayer. VolkSP.), Koch- Weser (Dem.), von Lindeiner-Wildau und Dr. Reichert (Deutschnat. VP.), von Raumer und Dr. Schnee (D>. VP.) und Dr. Bredt (Wirtschp.) Die ReaierungsvsA, treter gaben ergänzende Mitteilungen und beantwor teten eine Reihe von Fragen. Wie wir hören, wurde im Auswärtigen Ausschuß von fast allen Partei«* starke Kritik an den deutsch-polnischen Bereinbaq rungen und Abmachungen geübt.