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: Nr.s2S2 Beilage zur Weitzeritz-Zeitung Montag, am 28. Oktober 1929 SS. Jähring Chronik des Tages. — Der Chef der Heeresleitung, General Hetze, stat tete dem Rheinland einen Besuch ab. — Das Reichsarbettsmintsterium plant eine Reform der Krankenversicherung. — Der britische Ministerpräsident Macdonald trifft am Freitag von seiner Amerikasahrt wieder in Eng land ein — In Rußland erfolgten neue Massenhinrichtungen. — Im 66. Lebensjahre ist in Berlin der Dichter Arno Holz gestorben. - Der Präsident der Provinz Brandenburg hat gegen den Bürgermeister Schneider vom Bezirksamt Berlin-Mitte das Disziplinarverfahren eröffnet und die Suspendierung vom Amt verfügt. — Der Baurat Arnold vom Stettiner Bahnhof in Berlin ist unter dem Verdacht der passiven Bestechung verhaftet worden. - Die Zahl der Todesopfer bei dem Explosionsun glück bei Bologna ist auf 18 gestiegen, da feststeht, daß die bisher als vermißt gemeldeten Arbeiter nicht meür am Leben sind. Die berstende Scheuer. Wird sie doch in Brand geraten? Tie chinesische Gesandtschaft in Berlin verschickt Mitteilungen, wonach die russischen Truppen an der mandschurischen Grenze, die in letzter Zeit mehrfach Ueberfälle auf chinesische Garnisonen ausgeübt haben, im Begriffe stehen, einen Angriff auf breitester Front zu unternehmen. Daß große Dinge bevor stünden, zeige die Ablösung des siebenten russischen Armeekorps der Ostasienarmee durch das sogenannte Rote Musterkorps. Ter chinesische Oberkommandierende in der Mandschurei, General Tschanghsüliang, habe sich unverzüglich an die Front begeben und die Lei tung der Abwehrmaßnahmen übernommen. Es sieht danach so aus, als sollte es in der Mand schurei nach Monaten des Kleinkriegs nun doch noch zu ernsten Gefechten kommen. Aber so sah es auch in den vergangenen Wochen schon aus, nur mit dem Un terschied, daß damals Moskau in das Horn blieS, wäh rend China beruhigte. Was hinter den Kulissen vor gegangen ist, um diesen Wechsel zu veranlassen, läßt sich zur Stunde noch nicht erkennen. Zu einem regel rechten Krieg sind aber auch heut« weder die Russen noch die Chinesen bereit. Militärisch ist die Lage für Rußland nicht un günstig, politisch hat Moskau einen Schein des Rechts, aber kann es wagen, mit klingendem Spiel in die Mandschurei einzumarschieren, wo die Sache des den Russen nicht ungünstig gesinnten Generals Feng immer hin gut steht, andererseits ein« russische Generaloffen sive Tschangkaischek Zulaus verschaffen kann? Ueberhaupt sollte man an die Ereignisse in der Mandschurei keine europäischen Maßstäbe anlegen. Ten Begriff Politik faßt man dort nicht so eng. Tort gehört es auch zur „Politik", zu schreien, laut und vernehmlich zu jammern, sich an die Brust zu schlagen und seine Argumente gelegentlich mit Maschinengeweh ren und Bomben zu bekräftigen. Taß in diesem Rah men außer für Diplomaten auch für Bandenführer BesOiftigungsmöglichkeiten gegeben sind, ist wohl selbst- Ebenso kann man es den Russen nicht einmal verargen, wenn sie sich über das Verhalten ihres chinesischen Partners erregen. ES mag sein, daß die „Profeßjus", die russischen Gewerkschaften von der Ostchinesischen Bahn, politische Propaganda getrieben haben, aber das war den Chinesen Egst bekannt, so daß es nicht anging, um dieser alten Sache halber die vertraglich vereinbarte gemeinsame Verwaltung der Bahn einseitig aufzuheben und die Russen htnauszu- jagen. Rußland fordert nun seit Monaten die Ein berufung einer Einigungskonferenz, nachdem zuvor der alte Zustand wiederhergestellt worden ist. China aber denkt gar nicht daran, ist vielmehr froh, vollendete Tatsachen geschaffen zu haben und überläßt es Mos kau, sich darum zu sorgen, wie es jetzt durch eine Kon ferenz zu seinem Recht kommt. Vielleicht wäre es nicht zu dem Konflikt gekommen, wenn die Kassen des chinesischen Staatswesens nicht so leer wären. Tenn dann hätten China und Rußland über eine Ablösung der russischen Rechte verhandeln können. Taß Rußland aber auf seine Rechte verzichtet ohne daß China dafür mit gutem Gelde zahlt, ist nicht zu erwarten und auch nur in der Ordnung. Tie Mandschurei, seiner räumlichen Ausdehnung nach so groß "wie Deutschland, Italien und Frankreich zusammen, ist ein fruchtbarer und gesegneter Land strich. Ter Boden ist reich an Mineralien, insbeson dere an Kohle, die man hier und da ohne große Mühe gewinnen und abtransportieren kann. Weiter hört man von Gold-, Silber- und Platinfunden, in den Wäldern lehen Pelztiere, auf den Aeckern gedeihen Pirst' Kartoffeln und die wertvollen Sojabohnen und tm Süden des Landes erfreut man sich des Glücks, zwei- mal im Jahre ernten zu können! solches Land muß natürlich auch auf China «u^^roßen Anreiz ausüben und in Nanking den Zwecken, diese berstende Scheuer allein A besitzen. Nur sollte Tschangkaischek dabei nicht ver- A'sen- .es in der Mandschurei nicht immer so AAech wie jetzt. Vor wenigen Jahrzehnten noch be- wohnte dieses Land kein arbeitsames Volk von dreißig Millionen, rauchten in der Mandschurei keine Fabrik- E^steine, sondern es war einsam und öde, das große Aortführtendie Rotbärte, das sind Räuberhorden, n- sicher machten und deren Führer, wenn A Ä^-^ben satt hatten, in der chinesischen Armee ein Unterkommen suchten. Zu Wohlstand gelangte die Mandschurei erst durch die imperialistische Politik Rußlands und Japans, die Geld in die Mandschurei steckten, Bahnen bauten, Fabriken gründeten und das Land unter den Pflug nahmen. Nun nehmen zwar die Machthaber in Moskau für sich in Anspruch, keine Imperialisten zu sein, aber es verdient doch festgestellt zu werden, daß selbst die Bolschewisten einen Besitz im Werte von Milliarden nicht aus der Hand geben möchten, ohne dafür etwas Gleichwertiges einzuhandeln. Das deutsche Parteien-Problem. Bestrebungen zum Zusammenschluß. — Ter Respekt vor dem Parteiapparat. — Lie zerrissene Mitte. Von parlamentarischer Sette erhalten wir folgend« Zuschrift, die uns bedeutungsvoll erscheint, so daß wir sie wiedergeben, ohne uns allerdings alle Aus führungen zu eigen zu machen. Mitten im kommunalen Wahlkampf ist der Strait um die Parteten-Neugruppierung mit einer Heftigkeit entbrannt, die in keinem Perhältnis zu dem steht, was die Führerverhandlungen hinter den Kulissen — die niemand abstreiten wird — ergeben haben. Sachlich sind diese Verhandlungen übrigens nicht neu. Seit Jahr und Tag wird z. B. zwischen volksparteilichen und demokratischen Politikern in unverbindlicher Weiss das Problem einer großen liberalen Mittelpartei er örtert. Zu einem wirklichen Entschluß kam es jedoch auch in diesem Kreise nie. Wo nicht politische Meinungs verschiedenheiten einer Verschmelzung oder einer par lamentarischen Arbeitsgemeinschaft entgegenstanve«, spielten andere Erwägungen mit: der Respekt vor der Unantastbarkeit des Parteiapparates. Während der Verhandlungen über die Schaffung einer liberalen Mittelpartei wurde Hugenberg Partei führer der Teutschnattonalen. Es ist bekannt, daß diese Wahl nicht von allen gebilligt wurde, wie ja wohl niemals sämtliche Parteimitglieder einer Maßnahme zustimmen werden. Wer davon eine Neuorientierung des deutschen Parteiwesens erwartet, wird jedoch ent täuscht werden. Tie Organisation der Deutschnationalen Volkspartei ist zu fest, die Partetdtsziplin zu groß, als daß Unzufriedene bereit sein werden, das Signal zu einer allgemeinen Bewegung zu geben. Wird es unter diesen Umständen überhaupt zu einem Parteienzusammenschluß kommen? Tie Mitte ist augenblicklich sehr zerrissen. Tie Kommunal- und Provinziallandtagswahlen zeigen, daß man von den letzten Reichstagswahlen nichts gelernt hat. Es sind nicht weniger Parteien geworden, sondern mehr. Haben doch in Sachsen und Baden weit mehr Gruppen als im Reichstagswahlkampf Listen eingereicht! Und doch liegt es im Gesamtinteresse, die Zusammenschlußbewe- gung zu fördern und zu beschleunigen. Zusammenschluß ist aber immer gut für eine Idee; Zusammenschluß gegeu eine Idee ruft Abwehr« kräste wach und steht der Herausbildung einer wahren Volksgemeinschaft entgegen. Das Beispiel der Wirtschaft. Fraglich ist, ob man jetzt nach der richtigen Me thode verhandelt. Jetzt beraten vielfach nur die „Un zufriedenen" miteinander. Wenn man Erfolge er zielen will, müßten sich die wirklich einflußreichen und mit der Parteistimmung vollkommen vertrauten Führer zusammenfinden, um nicht weiter unverbindlich, sondern ganz offiziell miteinander das große Problem der Parteien-Neugruppierung zu erörtern. Bisher ist die Furcht vor dem Prestigeverlust das große Hemmnis gewesen. Aber schließlich muß die Idee stärker sein als irgendein Prestige-Bedenken, und die Wähler werden mehr Verständnis dafür zeigen, daß ein Parteiführer den Mut aufbringt, mit annähernd gleichgesinnten Parteiführern über eine Zusammen arbeit zu verhandeln, als eine Zurückhaltung, die unrationell und schädlich ist. Noch niemand hat etwas dabei gefunden, wenn zwei große Wirtschafts gruppen sich zusammen Hessen, niemand hat nach gerechnet, wer dabei am meisten verloren oder gewonnen hat. Warum sollte es in der Politik anders sein? Reform der Krankenversicherung Besprechungen im Reichsarbeitsministerinm. — Er höhung der Pflichtgrenze? Im Reichsarbeitsministerium sind Grundsätze für den Ausbau der Krankenversicherung ausgearbeitet wor den, über die demnächst Besprechungen stattfinden. Am 11. November sollen Vertreter der Krankenkassen, der Aerzte und der Kommunen gehört werden. In diesen Besprechungen soll geprüft werden, in wieweit der Kreis der Versicherten und das Ausmaß der Leistungen den sozialen Bedürfnissen besser angepaßt, veraltete und unzweckmäßige Vorschriften beseitigt und Erfahr»,»gen der Praxis für die Gesetzgebung der- wertet werden können. Insbesondere soll der Familien- schütz der Krankenversicherung durch verschiedene Maß nahmen (Krankenhilfe für Familienangehörige, Kami- lienzulagen zum Krauten- und Hausgeld) verbessert werden. zweite Teil der Erörterungen wird sich mit dem Aufbau der Krankenversicherung befassen. Bei der Neuerrichtung von Krankenkassen soll der Wille der beteiligten Versicherten und ihrer Arbeitgeber mehr als bisher zur Geltung kommen. Eine Stärkung der Selbstverwaltung versprechen die Grundsätze durch neu artige Gemeinschaftseinrichtungen. Für das ganze Reich soll ein Hauptausschuß für Krankenversicherung gebildet werden. Die Spitzenverbände der Krankenkassen sollen öffentlich-rechtliche Aufgaben erhalten. Tie Formulierung der Erklärung läßt darauf schließen, daß auch über die Frage Aner Erhöhung der Grenze der Pflichtversicherung, die gegenwärtig bei einem Jahreseinkommen von 3600 Mark liegt» diskutiert werden wird. venoung oer zur Förderung der G ig im ersten Halbjahr 1929/30 Millionen Mark und Erlaß der vom vorge- Zinsen Der Vorsitzende des RetchSverbandeS der deut schen Industrie, Geheimrat Duisberg, erwiderte, alle Tagungsteilnehmer seien tief beeinflußt von dem, was sie im Saargeoiet gesehen hätten. Was uns östlich Tagungsteilnehmer seien tief beeinflußt von dem, sie im Saargebiet geschen hätten. Was uns östlich vom Rhein fehle, um aus dem Schlamassel berau»- zukommen, finde sich im Saargebiet: Die Einigkeit aller Bevölkerungsschichten! Für die deutsche Industrie ver sichere er ihre Bereitschaft, alles zu tun, nutz der Saar wirtschaft bei der hoffentlich nahe bevorstehenden Rück gliederung zu helfen. Mitglieder der deutschnationalen Reichstagsfrak tion, der Deutschen Bauernpartei und der Christlich-Na tionalen Bauern- und Landvolkpartei haben im Reichs tag Anträge eingebracht, die u. a. folgende Jorderun- gen enthalten: Bereitstellung eines Bettages von jährlich 20 Mil lionen Mark aus die Dauer von fünf Jahren zur Ver billigung des Futterrogens sowie zur Förderung der Roggenausfuhr und um für Getteidebrennereien j einen Anreiz zu schaffen, an Stelle von Mais Roggen ' A^arbeiten. Bereitstellung von jährlich sieben Mil- "°nen Mark gleichfalls auf die Dauer von fünf Jahren Zur Förderung des KartosfelabsatzeS. Erhöhung o H s auf 15 Mark für den Doppelzentner; sofortige Verwendung der. zur Förderung der Getrei- debewegun- ' - - - * sehenen 3,7 s des der Tei Das Saarland als Vorbild. Abschluß der Jndustrietagung. — L«iSb-rg unterstreicht die Einheitsfront im Saargebiet. Tie Jndustrietagung in Saarbrücken fand mit einem Empfang der Vorstandsmitglieder des Reichs« Verbandes der Industrie und der Bereinigung deut scher Arbeitgeberverbande ihren Abschluß. Im Verlaufe der Ansprachen gab Oberbürger meister Tr. Neikes der Hoffnung Ausdruck, daß de« Verständigungswille der europäischen Völker, der be reits die Räumung des gesamten besetzten Gebiets festgelegt habe, auch die Saarfrage in kürzester Frist, und zwar im Sinne der Wünsche der Saaroevölkeruna» beseitige. Sollte wider Erwarten eine sofortige Lo sung der Saarfrage im deutschen Sinne nicht möglich! sein, so würde die Saarbevölkerung ruhig weiter auS- harren, bis 1935 der Zeitpunkt gekommen sei, wo iHv Wille ihr künftiges politisches Schicksal zu entscheiden habe. Die Saarwirtschast bedürfe zur Rückgliederung der entgegenkommenden und verständnisvollen Mit hilfe der gesamten Wirtschaft, wofür der persönliche Besuch der deutschen Wirtschaftsführer eine Gewähr biete. Politische Rundschau. - Berlin, den 28. Oktober 1S2S. — Der Reichspräsident empfing den Gesandten des Nischen Freistaates, Dr. Binchh, zur Entgegennahme seines Beglaubigungsschreibens. :: Disziplinarverfahren gegen Bürgermeister Berndt? Ter Bürgermeister von Berlin-Schöneberg, Berndt, der zugleich deutschnationaler Retchstagsab- geordneter ist, hat sich geweigert, die Erklärung des preußischen Ministerpräsidenten über das Verhalten der Beamten zum Volksbegehren an di« ihm unter stellte Beamtenschaft weiterzugeben. Bürgermeister Scholz hat dem Oberpräsidenten davon Kenntnis ge geben und ersucht, eine Stellungnahme des preußi schen Innenministers herbeizuführen. — Wie verlautet, soll ein Disziplinarverfahren gegen Bürgermeister Berndt eingeleitet werden. :: General Heye im Rheinland. Ter Chef der Heeresleitung, General Heye, stattete den Städten Wiesbaden, Birkenfeld, Oberstein und Idar einen Be such ab, bei dem u. a. die Jugendherberge auf Burg Birkenfeld, die Gewerbehalle in Idar und die Felsen kirche in Oberstein besichtigt wurden. Agrarantrage im Reichstag. Förderung der Roggenausfnhr. — Erhöhung de» Malz zolls. — Absatzerleich terungen für Kartoffel«. BolkSpartei und Getreidewirtschaft. Ter Landwirtschaftsausschuß der Deutschen Bolks- partei sprach sich in seiner! letzten Sitzung für die Erhöhung des Futtergerstenzolls aus. Darüber hinaus hielt der Ausschuß zur Stützung der Getreidepr^s« auch noch folgende Maßnahmen kur dringmd erford«- lich: Beimischungszwang von etwa lö Prozmt RoggM zum Weizenmehl, Prüfung des Ausbaues des Lager- Haus- und Lagerscheinsystems, Stützung der Braugerste durch zollpvlitifche Maßnahmen. Das Zündholz-Monopol. Ter »cntsch-schw-sische Zündholzvertrag. Wie amtlich bekanntgcgeben wird, ist der Vertrag zwischen dem Reiche und dem schwedischen Zundholz- konzern am 26. Oktober tm Reichsfinanzministerium endgültig gezeichnet worden. Ueber den Inhalt des Vertrages und die geplante Neuregelung der Zündholz wirtschaft wird nunmehr u. a. folgendes mitgeteilt: Tie vrganikatton der MonopolgeseUschast entspricht