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Beilage zur Weiheritz-Zeitung Nr. 245 Sonnabend, am 19. Oktober 1929 95. Jahrgang gen zu unterbreiten. Davon will man selbstverständlich in England nichts wissen, erst recht aber nicht in Amerika, weil die Vereinigten Staaten dem Völkerbund nicht an- gehören und zu der Arbeit des Genfer Abrüstungs ausschusses überhaupt kein Vertrauen haben. Ein vollkommener Szenenwechsel ging in China über die Bühne. Staatspräsident Tschangkaischek ver zweifelt daran, sich aus eigener Kraft behaupten zu Von Woche zu Woche. Randbemerkungen zur Zeitgeschichte. Im politischen Leben Deutschlands prallen wie der einmal die Gegensätze scharf aufeinander. Der Mensch der Gegenwart liebt es zwar, sich den An schein der Sachlichkeit zu geben und über Phrasen zu lächeln, er bekundet auch in vielen Dingen eine sehr nüchterne Auffassung, nur scheint es ihm unsag bar schwer zu werden, auch in der Politik die Dinge vorurteilslos so zu sehen, wie sie wirklich sind. Ein Schulbeispiel dafür ist der Kamps um das Volksbegehren, der gegenwärtig viel Staub auswir- belt. Es soll hier nicht auf die Gründe eingegangen werden, die für das Volksbegehren angeführt werden, und ebenso nicht aus die sehr ernsten Bedenken, die gegen das Volksbegehren bestehen. Wir beschränken uns aus die Mahnung, daß der Kamps sachlich und ritterlich geführt wird. Keinesfalls darf der Geg ner als ein Bösewicht hingestellt werden, dessen Va terlandsliebe in Zweifel steht! Schiller sagt in bezug auf den Naturforscher und den Philosophen: ,Menn ihr im Suchen euch trennt, wird erst die Wahrheit erkannt." Aehnlich verhält es sich mit den Politikern. Auch in der Politik führen viele Wege zum Ziel, aber kein Weg ist gangbar, ohne daß man sich von Verantwortungs- bewutztsein leiten läßt! Und man tut gut, auch die Klugheit nicht außer acht zu lassen. Die alten Germanen waren gewiß kampsfrohe Gesellen, Schild und Schwert waren ihnen immer zur Hand. Trotzdem läßt das von herber Leidenschaft durchzitterte Alte Hamdirlied in der Edda den Sohn der Gudrun die Worte aussprechen: „Kühn bist du, Hamdir, doch Klugheit fehlt dir; viel fehlt dem Manne, der Vorsicht nicht kennt." Gegenwärtig gebietet uns die Vorsicht, die neue Epoche innerer Zerklüftung und innerer Zerrissenheit baldigst hinüberzuleiten in eine neue Epoche der Zu sammenarbeit und der Einigung. Wir können es uns noch nicht leisten, aus unseren inneren Gegen sätzen eine große Sache zu machen, weil noch zu viele deutsche Forderungen unerfüllt sind und weil nnr Erfolge nur dann errÄchen können, wenn wir alle an einem Strang ziehen! In der Weltpolitik brachten die letzten Tage die Annahme der englischen Einladungen zur Flot tenkonferenz durch die beteiligten Mächte. Ueber- vascht hat vor allem die Schnelligkeit, mit der Frank reich sich zur Teilnahme an der Flottenkonferenz be reit erklärte, oder, um mit einer französischen Rechts zerrung zu sprechen, die Eile, mit der Briand sich in ein neues Abenteuer gestürzt hat. Wenn somit das Zustandekommen der Flotten- konferenz gesichert ist, so gilt das doch keineswegs im Hinblick aus den Erfolg dieser Veranstaltung. Sach- 'lich bestehen zwischen den Mächten große Differenzen, außerdem lassen Frankreich und Italien deutlich er kennen, daß diese Mächte die Flottenkonferenz zu einer bloßen Abrüstungs-Vorkonferenz degradieren wollen. Das heißt, die Flottenkonferenz in London sE nicht mit der Annahme bindender Beschlüsse über die Be grenzung der Seerüstungen enden, sondern sie soll lediglich befugt sein, dem Völkerbund Empfehlun Chronik -es Tages. — Reichspräsident v. Hindenburg nahm einen Vor* trag des Kanzlers entgegen und empfing den yt«reuyl- schen Minister Slama sowie den deutschen Botschafter in Moskau. „ — Für den kommenden Sonntag sind in Berlin alle Umzüge verboten worden. - Die russische Regierung hat die von,Deutschland vorgeschlagene Freilassung der chinesischen Zivilgefangenen abgelehn^ Z^ung der 1. Klasse der Preußisch-Süd deutschen Klassenlotterie am Freitag entfiel ein Gewinn von 100 000 Mark auf Nr. 148 479. — Der Bauweltverlag veranstaltet im Architekten hause zu Berlin eine Musterschau, die eine gedrängte Uebersicht über sämtliche Bauzubehörteile gibt. — Bet der Baufirma BoSwau und Knauer in Berlin haben Einbrecher ^140 000 Mark Lohngelder erbeutet. — Der „Graf Zeppelin" wird am Dienstag oder Mitt woch der kommenden Woche eine Spanienreise unternehmen und dabei die Weltausstellung in Barcelona besuchen. — Das amerikanische Luftschiff „Vigilant" ist beim Start zerschellt. können.^ Er will sich deshalb anlehnen und sich mit den Rebellen-Generalen in die Macht teilen. Neu artig ist dieses Angebot nicht. Wir kennen die Trium Roms und wissen aus der römische« i Geschichte, daß diese Drei-Männer-Kollegien regel. mäßig nur einen kurzen Waffenstillstand gebrach j LoWe' et" "m so schlimmerer Vernichtungskamp ...Der russisch-chinesische Konflikt hat noq ! nichts von seiner Spannung verloren. Rußland bb ! harrt daraus, daß China vor der Einigungskonferenz i Zusicherungen machen muß und ist bemüht Chino durch ArtMerieseuer und die Ablehnuug der vo! ' Deutschland angeregt«. Freilassung d« ZivUge^ genen gefügig zu machen. Hoffentlich blüht de? Ost. asten-Armee, d.e fetzt noch einen gewichtigen Zweä hat, nicht das Schicksal jener Schildwache,' daS^unS Bismarck überliefert hat. 1859 fiel es dem russischen Zaren aus, daß mit ten auf dem Rasenplatz vor dem Paulspalais in Pe tersburg ein Posten stand. Als er den Soldaten fragte, was der Zweck seines Daseins sei, erwidert« der nur: „Es ist besohlen!" Aus der Wache wußt« man auch nur, daß der Posten seit vielen Jahren dort stand. Als die Sache Stadtgespräch wurde, meldet« sich ein weißhaariger Pensionär und erklärte, als er als kleiner Junge mit seinem Vater am PalaiS vorübergegangen sei, habe sein Vater zur Schild- wache gedeutet und gesagt: „Schau! da steht er noch immer und bewacht das Schne^löckchen, das die Zarin einmal ungewöhnlich früh im Rasen gesehen hatte und das deshalb aus ihren Befehl hin nicht abgepslücki werden sollte." Der Befehl war durch die Aufstellung einer Schildwache zur Ausführung gelangt, nur hatte man vergessen, die Wache später wieder einzuziehen. - Eine ergötzliche Probe russischer Beharrlichkeit! Hindenburg und Volksbegehren. Kanzler-Vortrag beim Reichspräsidenten. — Hinven- bürg verurteilt den Paragraphen 4. — Berlin, den 19. Oktober. Im Laufe eines Vortrags, den der Reichskanz ler dem Reichspräsidenten hielt, nahm Reichspräsident von Hindenburg nach einer amtlichen Mitteilung Ge legenheit, darauf hinzuwetsen, daß er den Para graphen 4 des Volksbegehrens, welcher Reichskanz ler nn» Reichsminister, die den Yonngplan oder ahn- liche Verträge abschlietzen, unter die Anklage des Landesverrats stellt, als einen unsachlichen und per sönlichen politischen Angriff ausehe, den er bedauere nnd vermsteile. Reichspräsident von Hindenburg bat den Reichs kanzler, hiervon de« Mitgliedern des ReichSkabinettS Kenntnis zu geben. Di« Stellungnahme des Reichspräsidenten hat in politischen Kreisen große Beachtung gefunden. Be kanntlich haben auch die Vertreter des Reichsland bundes und der Christlich-Nationalen Bauern- und Landvolkpartei in den Verhandlungen über die For mulierung des dem Volksbegehren zugrunde zu legen den Gesetzentwurfs Bedenken gegen den Par. '4 vor gebracht. Ein deutschnationales SPStabendblatt ver öffentlicht zu der für die Oeffentlichkeit bestimmten Auslassung des Reichspräsidenten von Hindenburg eine Erklärung, nach der sich der Par. 4 des Volks begehrens mit seinen Strafbestimmungen nicht gegen den Doungplan richtet, sondern er solle nur für die Zukunft gelten und dem Abschluß von Verträgen auf der Basis des Kriegsschuldanerkenntnisses Vorbeugen. * Umzugsverbot für Berlin. Der Berliner Polizeipräsident gibt bekannt, daß sämtliche für den kommenden Sonntag geplanten Um züge verboten sind. Bekanntlich waren große Pro- pagandakundgebungen für das Volksbegehren veabsich- ttgt, während die Kommunisten Gegenkundgebunge« im Rahmen ihrer Werbewoche abhalten wollten. Durch das Verbot soll der Gefahr von Zusammenstößen vor- gebeugt werden. * Maßregelung eines Regierungsrats? Wie uns aus Düsseldorf mitgeteilt wird, ist dort bisher von einer Maßregelung des Regierungsra« noch nichts bekannt, doch liegt das mogtlcherwe.se auch nur varan, daß die Anordnung des Innenministers infolge des Instanzenwegs in Düsseldorf noch nicht eingetroffen ist. * Der Vorsitzende des Reichsausschusses für das > Volksbegehren, Geheimrat Hugenberg, der gegenwär- tig eine Reise durch Deutschland unternimmt, legte in : einer Rede in Hamburg nochmals die Haltung des Reichsausschusses dar. Da es sicher sei, da« der Reichstag den Aoungplaw mit Zweidrittelmehrheit an- nehmeu werde, habe mau zum Volksbegehren grei- feu müssen. Spreche sich das deutsche Volk für den Aoungplan aus, dann müsse es eben die Folgen tra gen. Wenn es ihm, Hugenberg, vergönnt gewesen sei, eine gewisse Kapitalmacht zu sammeln, um einen letzten Wurf der Propaganda zu machen, so könne , er versichern, daß es sich dabei um ein Kapital handele, - das ein Zweckvermögen darstelle. * Briefwechsel des Reichsansschusses mit Severing. Der Reichsausschuß für das Volksbegehren ersuchte den Reichsinnenmtnister, gemäß Paragr. 38 der Reichs« sttmmordnung dafür zu sorgen, daß auf 2500 Einwohner eme Eintragungsstelle entfalle. Reichsinnenminister Z««« ring erwiderte darauf, Paragr. 38 der Reichsstimmord-- nung beziehe sich nur auf den Volksentscheid, weil bei diesem an einem Tage abgestimmt werden müsse. Oesterreichs Justizminister bei Hindenburg Reichspräsident von Hindenburg empfing am , Freitag den gegenwärtig in Berlin weilenden öfter- ! reichischen Bundesminister für Justiz Dr. Slama. In ! Begleitung des Bundesministers befand sich der Ber- ' liner Gesandte Deutsch-Oesterreichs, Dr. Frank. Fer- ner empfing der Reichspräsident den deutschen Bot- schafter in Moskau, Dr. v. Dircksen, und den Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft Dietrich-Bäden, der dem Reichspräsident Vortrag hie«! Die Kosten -er Arbeitslosigkeit. Di« Debatte im Berwaltungsrat der Reichsanstatt. — Man befürchtet eine erhebliche Z«nahme der Arbeitet lofenziffer. Der Berwaltungsrat der Reichsanstatt für Ar beitslosenversicherung beschäftigte sich mit dem neuen Gesetz zur Reform der ArbetSlosonversicherung. In einem zusammensassenden Bericht stellte Präsident Dr. Syrup die wichtigsten neuen Bestimmungen dar, di« der Verwaltung eine Handhabe zur wirksamen Be- kämpsung mißbräuchlicher Inanspruchnahme der Ver sicherung geben. Anknüpfend gab der Präsident ein , Bild der finanziellen Lage der Reichsanstatt. Danach werden sich Einnahmen und Ausgabe« etwa bis Anfang November die Waage halten. De, in den Sommermonaten angesammelte Notstock vmi nur 28 Millionen Mark dürfte voraussichtlich bis Mitte Dezember ausreichen. Das Beitragsauskommen hat sich günstiger entwickelt, als seinerzeit bei der Vorbereitung des geltenden Gesetzes angenommen wurde, so daß die Reichsanstatt künftig etwa 850 OOs Hauptunterstützungsempfänger im Jahresdurchschnitt auS Eigenen Einnahmen tragen kann. "Doch hat sich infolge der sehr ungünstigen Monate April und Mai die Durchschnittszahl für die letzten 6 Monate be reits auf 928 000 Hauptunterstützungsempsänger er höht. Angesicht der vielen unübersichtlichen Faktor ech insbesondere der Witterung, der allgemeinen Kon junktur und des Kapitalmarktes ist eine einigermaßen sichere Voraussage über die Belastung der Arbeits losenversicherung im kommenden Winter kaum möglich Immerhin muß wohl mit der Möglichkeit ge rechnet werben, daß eine ZWer von Mindestens 1SH wahrscheinlich aber von 1,8 Millionen «nkerstütznngS- berechtigter Arbeitsloser im Durchschnitt per Win. termonate erreicht werden wird. Der Betrag von 68 Millionen M., der im ReichShanShalt M Dar- lehen an die Reichsanstatt «och z«r Verfüg««- steht, wird daher bei weitem nicht anSveiche«; vielmehr mntz damit gerechnet werden, daß das «Horperttch« Darlehen bis zur GrStzevordmmg do« 20» VR SS« Millionen Mark ansteigen kann. Wir- Haegy Senator? Eine wichtige Ersatzwahl im Elsaß. — Straßburg, den 18. Oktober. Am kommenden Donnerstag hat das Oberelsaß als Nachfolger für den verstorbenen Senator Hel mer ein neues Mitglied in den französischen Senat zu wählen. Die bisherigen vier Vertreter des Be- zirks waren sämtlich zu einer Zeit gewählt worden, als die autonomistische Bewegung noch in ihren An fängen steckte. Um so mehr ist man gespannt, wie die seit Januar 1927 eingetretene Neugruppterung der ,Parteien sich bei der kommenden Wahl auswir ken wird. Die Volkswahlen der letzten anderthalb Jahre lassen keine sicheren Rückschlüsse zu, da bei einer französischen Senatswahl nur ein beschränktet Kreis von Wahlberechtigten entscheidet. Di« beide« Hauptgegncr sind der boka««te km tholisch« Publizist und Politiker Dr. Haegh ««p p« katholisch« Abgeordnete Dr. Pfleger. Die französischen Blätter im Elsaß bekämpfen di« Kandidatur Dr. Haegys als „anttfranzösisch" und als angebliche Gefährdung der kirchlichen Interessen. Sein Gegner Dr. Pfleger ist der Kandidat einer auf Poin- carös Drängen im letzten Winter gegründeten katho lischen Gegenpartei, die über reiche Geldmittel und über die offene Unterstützung des französischen Bi schofs von Straßburg verfügt, aber wegen Ihrer tta- tionalistischen Einseitigkeit bischer noch nirgends Er folge erzielen konnte. Ei« Sieg Dr. Haeghs würde »on Elsässer in den Scwat bringe», »er heut« zweifellos der eindrucks vollste Vertreter »er elsaß-lothringische« Hei-^tbe- weg«ng ist. Politische Run-schau. /» — Berlin, den 19. Oktober 1929. :: Steuerfreiheit für ReichSschulvbuchforverunge« beantragt. Die Arbeitsgemeinschaft für den Ersatz von Kriegs- und Verdrängungsschäden fordert unter Hinweis auf den geplanten Abbau der Kapital- ertragsstssuer, auch Reichsschuldbuchfordeymgen von der Kovitalertragssteuer zu befreien. Rundschau iw AusLan-e. k Wie aus Brüssel gemeldet wird, stehen im belgi schen Kabinett groß- Veränderungen bevor. * Könia, -or sich im iohton Jahro -Li der Laft-nsttlKLs-i-r wird in diesem Jahre der Veranstaltung femmelven. * Lemberg sind neue Ukrainerverhaftungen vor- genomE worden^ diesmal handelt es sich um zwei ukrai nische Studenten. . T-r Heimwehraufmarsch in Wien verboten. * Der Bürgermeister von Wien hat in seiner Eigen- s-balt als Landeshauptmann den Heimwehraufmarsch für den 27. Oktober verboten. Neue Machthaber in Afghanistan. 4 Die Gerüchte von der Wahl Nadir Khans zum