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Dieses Konzert gibt in Dresden den Auftakt zu einer musikalischen Würdigung und Huldigung des großen Genies „Goethe". Sein Einfluß ist gewaltig und noch gar nicht abzuschätzen, seine Wirkung ist überall spürbar. Auch die Musik erfährt seine Aus Strahlungen. Große Meister der Musik geraten in seinen Bann und setzen sich mit dem Geist und dein Werk dieses einmaligen Mannes auseinander: Richard Wagner legte in Paris 1840 dem Diri genten Habeneck, dessen hervorragende Beethoven Aufführungen ihm eine innere Hilfe in sei.ier äußeren Not sind, seine Faust-Ouvertüre vor, der aber mit dem „langen Rätsel" nichts anzufangen wußte. Die düsteren Töne, die Wagner dem vorangestellten Motto — gemäß einem Worte Fausts — anschlägt, sind noch nicht ganz seine eigenen Töne, die er erst später finden wird. Und auch die gewählte Form des Sonatensatzes mit seinen zwei Themen entspricht noch nicht seinen künftigen Freiheiten und Neu Schöpfungen auf formalem Gebiet. Auch der spe zifisch wagnersche Glanz des Orchesters ist noch nicht da. Trotzdem ist die Faust-Ouvertüre ein Werk, das die Pranke des Löwen schon ahnen läßt, in dem schon, bei aller Abhängigkeit von Beethoven, der eigene Wuchs Wagners nicht mehr zu überhören ist. Auch Franz Liszt schrieb nach längerem Planen eine Faust-Sinfonie im Jahre 1854, die er zunächst in drei Sätzen entwarf, welche er Charakterbilder nannte, denen er später den Schlußchor „Alles Ver gängliche ist nur ein Gleichnis" anfügte. In den drei Charakterbildern will Liszt die Hauptgestalten der Tragödie nachformen: Faust, Gretchen, Mephisto. Die komplizierte Faustnatur, die ruhelose Welt des ewig unbefriedigten faustischen Dranges, die Tat sache der sich immer streitenden zwei Seelen in Faustens Brust kommt im ersten Charakterbild zum Ausdruck. Gretchens Einfachheit und Schlichtheit sind im zweiten Satz zu hören, in dem Liszt eine wirklich reine, mädchenhafte Musik gelungen ist, die in einer unerhörten Liebesszene gipfelt. Die teuflische Gebärde, des „Geistes, der stets ver neint“, bannt Liszt durch die groteske Verzerrung alles thematischen Materials des Faust-Satzes. So zeigt er, daß die beiden eine unlösliche Einheit sind und schicksalhaft zusammengehören. Den Schluß bildet der Chorus mysticus. Liszt wollte nicht mit dem teuflischen Zerrbild schließen, sondern mit dem versöhnlichen Ende der Tragödie ausklingen lassen. Er hat ein wirklich bedeutendes romantisches Werk mit dieser Faust-Sinfonie geschaffen — sie aber ebenbürtig der .9. Sinfonie Beethovens an die Seite zu stellen, wie dies die Generationen vor dem ersten Weltkrieg taten, hieße ihr jedoch eine Bedeutung zuzuerkennen, die ihr nicht ganz zukommt. Johannes Brahms schrieb seine Rhapsodie nach einem Fragment aus Goethes „Harzreise im Winter“. Dieses op. 53 für Altstimme, Männerchor und Or chester läßt Brahms echt romantische Töne auf greifen, er findet einen Schluß, der in Rührung schwelgt. Das herbe Wesen Brahms’ fand in dem Text Goethes etwas, was ihn besonders ansprach und was er auch in Töne umzusetzen vermochte. Hugo Wolf entzündete sich ebenso am Genie des großen Dichters. Ungezählt ist die Fülle der Lieder, die Wolf aus der geistigen Begegnung mit Goethe heraus schrieb. Bei einigen empfand er selbst das Bedürfnis, sie, die er ursprünglich für Klavier und eine Singstimme schrieb, für Orchester zu instru mentieren, um ihnen noch Glanz und Farbigkeit dieses vielgestaltigen Instrumentes zu verleihen. So sind Mignon und Anakreons Grab, diese Perlen goethescher Lyrik, vbn ihm selbst instrumentiert worden. Den Blumengruß hat mit kundiger Hand Heinz Bongartz in ein orchestrales Gewand geklei det, womit er das Innige und Schlichte dieses fast dem Volksliede verwandten Meisterwerkes Hugo Wolfs feinsinnig getroffen hat. Goethes Einfluß auf die Musik ist aus der Fülle der dargebotenen Werke zu erkennen. Seltsam ist, daß alle Werke der musikalischen Romantik angehören. Vielleicht hatte das 19. Jahrhundert ein besonderes Verhältnis zu Goethe — und es wäre interessant festzustellen, wie das 20. Jahrhundert sich mit dem Phänomen Goethe, an dem es wohl nicht vorüber gehen kann, auseinanderzusetzen hätte.