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Beilage zur Weiheritz-Zeitung Nr. 240 Montag, am 14 Oktober 1929 SS. Jahrgang Chronik des Tages. . — Die Eröffnung der Saarkonferenz ist vom 16. auf den 28. Oktober vertagt worden. — Der britische Ministerpräsident Macdonald begibt sich am heutigen Montag nach Kanada. — Der gesamte Süden Chinas soll sich gegen die Zentralregierung in Nanking erheben wollen. — Die Polarfahrt des „Gras Zeppelin" ist zunächst in Frage gestellt worden. - Das neue englische Luftschiff „R. 101" ist zum erstenmal aus der Halle herausgeoracht und am Ankermast festgemacht worden. — Die portugiesische Regierung hat beschlossen, aus den Azoren einen Lusthafen zu bauen, auf dem Flugzeuge auf Ozeanflügen landen und ihren Brennstoff ergänzen können. — Bei einer starken Explosion von Chemikalien ent stand im Dorf Greenwich bei New Dork ein großer Brand, wobei zwei Männer getötet und drei Personen verletzt wurden. — Das Flugzeug „Wir wollen" wurde gezwungen, im Lufthafen Chicago zu landen, nachdem es 264 Stunden in der Luft gewesen war. Die Verbesserung des Dauev- rekords muhte ausgegeben werden. — Nach Berichten aus Tlapocoyan im Staate Vera cruz ist eine Barke durch eine große Sturzwelle gekentert und gesunken. 30 Personen sollen ertrunken fein. Beamte oder Angestellte? Hauptversammlung des Reichsverbandes der Kommunal beamten. — Mannheim, 14. Oktober. In Anwesenheit einiger hundert Vertreter aus allen deutschen Gauen, aus dem Saargebiet, aus Tanzig und Teutsch-Oesterreich hielt der Reichsbund der deut schen Kommunalbeamten in Mannheim seine diesjährige Bundestagung ab. Im Mittelpunkt der Beratungen standen Fragen des Berufsbeamtentums. Ueberein stimmend wurde die Auffassung vertreten, eine gute und in ihrer Existenz gesicherte Berufsbeamtenschaft sei ein wesentlicher Bestandteil des Gemetndelebens. Ter Er öffnung der Hauptversammlung voraufgegangen waren Besichtigungen der städtischen Betriebe. In der Telegiertenversammlung sprach Bundes direktor Schubert- T-resden über das „Gesetz über den Uebertritt von Beamten in dm Reichsdienst aus Anlaß der Steuervereinheitlichung".'Ten Zwang zur Sparsamkeit auch in der Personalpolitik erkannte der Redner unumwundm an, nur müßtm die Grenzen gewahrt bleibm. Es gehe nicht an, mit einem Feder strich über die in der Reichsverfassung verankerten Be- amtenrechte Hinwegzugehm. Wenn die Regierung die Uebernahme der Realsteuerverwaltung auf das Reich für notwendig erachte, müsse sie auch das Personal mit seinen Rechten übernehmm. Stadtrat a. D. Ehrmann-Berlin behandelte ausführlich das Verhältnis zwischen Angestellten und Beamten. Aus Grund eines umfangreichen Zahlen materials legte er dar, daß von dem Personal der Reichsverwaltungen — ohne Post und Eisenbahn — 79,6 v. H. im Beamtenverhältnis und 20,4 im ar- bettsrechtlichen Verhältnis beschäftigt werden; die Reichs post beschäftigte 98,6 v. H. Beamte, die Reichsbahn 81,5 v. H. Aehnlich verhalte es sich bei den Län- dern. Bei den Gemeinden dagegen seien die Ange stelltenzahlen ungleich höher; teilweise könne man sogar von einer Verdrängung der Berufsbeamten durch An gestellte sprechen. In der Kommunalverwaltung wür- dm höchstens 50 v. H. des Personals im Beamten verhältnis beschäftigt; ein erheblicher Teil der Beamten sei zudem noch kündbar, während die Reichs- und Län derbeamten ohne Ausnahme auf Lebenszeit angestellt seien. Redner verlangte eine staatsrechtliche Bindung der Gemeinden dahin, daß für dauernd notwendige Dienste zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben Berufs beamte anzustellen sind. Gerade in der Gemeinde verwaltung mit ihrem direkten Verkehr mit den Bür gern, wo unter Schwierigkeiten und in stetem Aus gleich der Interessengegensätze die Gesetze auszuführen seien, sei Unparteilichkeit und Unbestechlichkeit ganz besonders geboten. Eine gesicherte Anstellung sei aber eine starre Stütze gegen unsachliche nnd einseitige Ein flüsse. Es liege also im Interesse des StaatSgedankens und der Reinhaltung des öffentlichen Lebens, wenn eine weitere Verminderung des Berufsbcamtentums verhindert werde. Stadtrat a. T. Ehrmann wandte sich dann gegen die Vorschläge des Deutschen Stüdtetags zur Verwal tungsreform, soweit sie darauf abzielen, die jetzigen landesrechtlichen Bestimmungen aufzuheben und den Gemeinden volle Freiheit für die Anstellung von Be amten oder Angestellten und für die Ausstattung ihrer Rechtsverhältnisse zu gewähren. Abzulehnen ist der Vorschlag des Stüdtetags nach der Auffassung des Vor tragenden auch schon deshalb, weil die Neichsverfas- sung die Einheitlichkeit in den Beamtcngrundgesetzen und die Möglichkeit der Grundsatzgesetzgebung aus drücklich vorsieht. Tie Verwaltungsreform, dis von dem Gedanken der Vereinheitlichung ausgehe, müsse diesem Grundsatz auch in der Personalfrage gerecht wer den. Tas kommunale Beamtentum bilde nämlich nur einen Teil des Berufsbeamtentums und müsse deshalb rechtlich und organisch mit dem großen Körper des Berufsbeamtentums in Verbindung bleiben. Der Vorschlag einer Unterkommisston des Der- fassungsausschusses der Länderkonferenz, Ler «ine Ver einheitlichung des Ausbildungs- und Prüfungs wesens Vorsicht, wurde von dem Bundestag grundsätzlich begrüßt. Mit Recht wurde jedoch die Einschränkung gemacht, daß die Gemeinden der Vereinheitlichung praktisch nur dann Folge geben können, wenn Reich und Länder von einer Uebersteigerung formaler Vor bildungsanforderungen Abstand nehmen, damit den sich als tüchtig erwiesenen Menschen aller Volksweise Auf stiegsmöglichkeiten offen sind. Die Reichsbahn dem Reiche. Eine Entschließung der Eisenbahnerverbände. — Ver stärkte Einflußnahme des Reiches gefordert. Tie Arbeitsgemeinschaft der Eisenbahnerverbände veranstaltete in Berlin eine Kundgebung zu der Frage: Tie Reichsbahn und die Neuregelung der Reparations frage. Ter Leiter der Versammlung gedachte zunächst des verstorbenen Außenministers Tr. Stresemann; dann hielt der Vorsitzende des Zentralgewerkschaftsbundes deutscher Reichsbahnbeamten und -anwärter, Friedrich Wieg, den Hauptvortrag. Redner wandte sich gegen die Absicht, die Reichs bahn als private, vom Reich unabhängige Gesellschaft einzurichten und erblickte in dem Personalabbau eine Gefährdung der Betriebssicherheit. Ter Vortragende verwies danach auf die Entschließung des Reichstags, die die Entlassung der Reichsbahn aus der unmittel baren Haftung für die Reparationszahlungen fordert, desgleichen auf die Beunruhigung, Lie durch den Brief des Reichsbankpräsidenten Schacht an Owen Young entstanden ist. Er berief sich ferner auf das Zeugnis T-r. Stresemanns, der in einer Unterredung den Aus bau der staatlichen Rechte auf dem Gebiet der Reichs bahn gefordert hatte. Ter Absicht des preußischen Fi nanzministers, die Beförderungssteuer von 290 Mil lionen Mark weiter aus der Reichsbahn lasten zu lassen, trat der Redner entgegen. Zum Schluß der Kundgebung wurde einstimmig eine Entschließung angenommen, in der gefordert wird, den Einfluß des Reiches auf sein wichtigstes Unterneh men zu stärken, das Reichsbeamtenverhältnis für die Reichsbahn wiederherzustellen, die deutsche Sozialgesetz gebung für die Eisenbahner zu erhalten und zu be- festtgen, die Betriebssicherheit und Leistungsfähigkeit der Bahn durch Entlastung von zu hoher Repara- tionsbürde zu schützen und zu fördern. Vertagung der Saarkonferenz. Bvm 16. auf den 28. Oktober. — Schleppender Ver lauf der französischen Vorarbeiten. - Berlin, 14. Oktober. Tie Eröffnung der deutsch-französischen Saarkon ferenz, die bisher für Mittwoch zu erwarten war, ist auf Wunsch der französischen Regierung auf den 28. Oktober vertagt worden. Zur Begründung ihres Ver tagungsvorschlags verwies die französische Regierung darauf, daß die von ihr eingesetzten Kommissionen infolge des schleppenden Verlaufs der Beratungen mit der Arbeit in Rückstand geraten seien. Bon deutscher Seite wird diese Mitteilung dahin ergänzt, die Verzögerung der Vorarbeiten zeige, welche Hemmungen in der Saarfrage noch zu überwinden sind. Tic Verhandlungen auf der Saarkouferenz wür den sich sicher schwierig gestalten, wenn die Lage anch keineswegs hoffnungslos sei. Sollte Frankreich jedoch überspannte Forderungen stellen, würde Teutschland in aller Ruhe den im Versailler Vertrag für 1S36 vorgesehenen Termin für die Volksabstimmung im Saargebiet erwarten. Es sei nicht daran zu zweifeln, daß das Saargcbiet in eimmütiger Geschlossenheit in das Reich zurückwolle. Die Verzögerung der deutsch-französischen Saar konferenz ist bedauerlich, gehört doch die Saarfrage zu den Fragen, die im Zusammenhang mit der Räu- mungs- und Neparationsfrage zu regeln sind! Leider flößt man in Bezug auf die Saar in Frankreich auf Gedankengänge, die an Naivität ihresgleichen suchen. ' Kann man doch im „Journal" lesen, die Saarfrage sei sehr verwickelt, weil das Saargebiet „in jeder Hin sicht geographisch, historisch, wirtschaftlich und nnlitä- riscü einen Teil des Elsasses bilde"' Taß das Geschichtsklitterungen sind, dürfte auch dem „Journal" bewußt sein; wenn es seinen Lesern trotzdem diese Weisheiten auftischt, dann nur deshalb, um nicht eingestehen zu müssen, daß es den Franzosen vorläufig noch darum zu tun ist, das Saargebiet als ein Absatzgebiet für französische Waren zu erhalten. Ein deutsches Eingehen auf Projekte, die für das Saargebiet auch nach der Rückgliederung i ein Ausnahmerecht schaffen, ist ausgeschlossen. Tie Saarländer wollen frei in das Deutsche Reich zu rückkehren, und die deutsche Delegation wird entschieden dafür kämpfen, daß diese Freiheit den Saarländern nicht geschmälert wird! Koblenz in einigen Tagen frei. — Koblenz, 14. Oktober. - Au Dienstag werden die in Koblenz liegendem französischen Regimenter, das 23. und 151. Jnfanterie- Regiment und das 29 Artillerie-Regiment, abtrans- porticrt werden. Es bleiben nur einige Abwicklu gs kommandos zurück, tue nach Erledigung ihrer Arbeit wenige Tage später auch abrücken werdet. Tas in Bad wird ebenfalls am "bttcaiMortiert, das Abwicklungskommando Oktober. In Bad Ems bleibt dann nur b°?rm-iA"aEeriestatton bis zur völligen Räumung der zweiten Zone am 1. Dezember zurück. r Teil der von der Besatzung beschlag ¬ nahmten Wohnungen und des für sie angelegten Fried. Hofs ist bereits an die Stadtverwaltung znrückgrUeve« worden. Ein Gemeinnützigkeitsgejetz. Einheitliche Regelung der Frage der Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen. , Tas Rcichskabinett hat dem vom ReichsarbeitS- Minister vorgclegten Entwurf eines Gesetzes über die Gemeinnützigkeit von Wohnungsunternehmen zuge- sttmmt. Nach dem Entwurf soll die bisher zersplitterte Materie einheitlich behandelt werden. Für jedes Woh nungsunternehmen soll nur eine Behörde mit Wirkung für das gesamte Reich und für Lais gesamte Reichs und Landesrecht feststellen, ob ein Unternehmen gemein nützig ist oder nicht. Ter Entwurf regelt die Voraus setzungen und das Verfahren. Einzelheiten werden den Durchführungsbestimmungen überlassen. Die Auswir kungen einer solchen „Anerkennung" bemessen sich nach wie vor nach den einschlägigen Gesetzen des Reicks uu> der Länder. * Ausdehnung der Angestelltenversichernngspflicht. In« Reichsgesetzblatt wird eine Verordnung veröffent licht, wonach ab 1. Oktober 1929 die VersicherunaSPflicht in der Angestelltenversicheruna auf Musiker und Hebamme» ausgedehnt werde, die ihre Tätigkeit aus eigen« Rechnung ausüben, ohne Angestellte zu beschäftigen. Die Vorschrift gilt nicht für Hebammen, denen eine der Angestelltenver sicherung gleichwertige Versorgung gewährt wird. Hierüber trifft die oberste Verwaltungsbehörde Li« Entscheidung. Politische Rundschau. — Berlin, den 14. Oktober 1929. — Der Organisationsausschuß der Bank für inter nationale Zahlungen hat in Baden-Baden die erste Lesung des Satzungsentwurfs beendet. * :: Stresemann-Gedächtnisfeier des Bühnenklubs. Der Deutsche Bühnenklub in Berlin gedacht«'in einer stillen und stimmungsvollen Feier seines ehemaligen Mitgliedes Minister Dr. Stresemann. Der Gedächtnis feier wohn*» auch der amerikanische Botschafter Schur- man bei. :: Ter Vorstand des deutsch-französische« Studien, komitees trat am Sonntag in Düsseldorf zu eine« Sitzung zusammen, um das Arbeitsprogramm für das nächste Jahr zu beraten. Einweihung einer neuen Rheinbrücke. In Anwesenheit des Reichsverkehrsministers Dr. Stegerwald wurde die neue Rheinbrücke zwischen Düssel- dorf und Neuß dem Verkehr übergeben. Nach einer Ansprache des Generaldirektors Fritzen von der Rhei nischen Bahngesellschaft ergriff Reichsverkehrsminister Stegerwald das Wort und beglückwünschte die Städte Düsseldorf und Neuß, die trotz der schweren Zeiten den Mut fanden, diese bewundernswerte Anlage zu verwirklichen. Er übergab die neue Rheinbrücke unter Böllerschüssen dem Verkehr, worauf sich die ersten Kraftwagen und Straßenbahnen über die Brücke in Bewegung setzten. Rundschau im Auslande. * In Bozen haben nunmehr auch die letzten fünfzig, nach deutschen Männern benannten Straßen italienische Namen erhalten; einzig die Goethestraße behielt ihre alt« Bezeichnung. k Der polnische Landtag nimmt am 31. Oktober seine Plenarberatungen wieder auf; man erwartet heftige Aus einandersetzungen. ! Die japanische Regierung hat den Bau eines Flug zeugmutterschiffes von 8000 Tonnen in Auftrag gegeben. Belgien für einen europäischen Zollverein. « Presse feiert den Besuch des französi schen Präsidenten und Briands als ein großes Ereignis. 3»Paneuropa, so schreibt man in Brüssel, die wirtschaftliche Vereinigung Belgiens mit Frank- diebelgis^französische Grenze mehr oder weniger aufgehoben werde. Im übrigen habe die belgische Wunsch, Kusammen mit den anderen Staaten den Plan eines europäischen Zollvereins zu verwirklichen. Stahlhelmverbot und Ausschuß. Auseinandersetzungen mit dem Innenminister. — Preußische Regierungserklärung über Stahlhclmverbot? — Berlin, 14. Oktober. Reichsinnenminister Severing erklärt in einem Brief an den Reichsausschuß für das Volksbegehren, er habe keinen Auftrag zu Haussuchungen beim Reichs- ausschuß oder zur Beschlagnahme von Werbematerial ' des Reichsausschusses erteilt, sondern lÄiglich dem Ver- ; bot des Stahlhelms zugestimmt. Daß Major a. D. ! Heider, bei dem eine Haussuchung vorgenommen wurde, ' dem Stahlhelm nicht angehöre, gwu^ er nicht, Major Heider das Geländespiel, wegen dessen As Ver bot ausaekvrochen worden sei, geleitet habe. Bei Bc- scklaonabmunaen dürften Ausführungsorgane im Jn- teÄft von Vttme^ von Indiskretionen dieSchcht- stücke an Ort und Stelle nicht genauer durchsehen. Der Reichsausschuß für das Volksbegehren er widert darauf, Lie Kriminalbeamten hätten bei der Durchführung des Stahlhelmverbots schriftlich« Anwei sungen vorgezeigt, nach denen sie auch zur Beschlag nahme von Werbematerial des Reichsausschusses er mächtigt waren. Es müsse sestgestellt werden, wer dafür verantwortlich sei.