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Beilage zur Weiheritz-Zeilung Nr. 238 Freitag, am 11. Oktober 1929 95. Jahrgang . . > !, ! ! " MM-»!-»--- > ! ' .Ter Vorschlag der deutschen Regierung stellt eine erlösendeTat dar. Wir wissen aus dem Weltkrieg, welchen Leiden die Privatpersonen ausgesetzt waren, die in feindlichen Ländern vom Kriegsausbruch über rascht wurden und die dann hinter Stacheldrähten auf das Ende des Kriegsgewitters warten mutzten. Immerhin ging es damals um Sein oder Nichtsein! Sinnlos aber wäre es, wenn jetzt die russischen und chinesischen Truppen am Grenzwall in der Mandschurei in dre Winterquartiere ziehen wollten, so daß allein die Zivilisten in den Lagern die Unbill des Kon fliktes erdulden. Tie deutsche Regierung hat den Geg nern einen gangbaren Weg gezeigt, sie hat der Welt ein gutes Beispiel gegeben und sie hat dargetan, datz die deutsche Politik die Grundsätze der Menschlich keit auch praktisch zur Geltung zu bringen weiß. Chronik -es Tages. — Die Reichsregierung hat Rußland und China den Austausch der internierten Privatpersonen vorgeschlagen. — Wie nunmehr amtlich bestätigt wird, ist nach dem Rücktritt von Dr. Hermes dem deutschen Gesandten in War schau, Dr. Rauscher, die Führung der Handelsvertragsver handlungen übertragen worden. — Gerüchten zufolge will der amerikanische^ Präsi dent Hoover 1930 den Besuch des englischen Minister präsidenten Macdonald erwidern. - Der amerikanische Botschafter in London, Genercck Dawes, ist an Bord des Dampfers „Isle de France nach New Mork abgereist. - Oberbürgermeister Böß hat in einem Kabeltele- gramm an den Magistrat zu den Beschuldigungen im SNw< rekskandal Stellung genommen und eine vorzeitige Rückkehr nach Berlin für unmöglich erklärt. — Wie wir erfahren, bestreiten di« drei Gebrüder Sklarek bis auf den heutigen Tag, von den gefälschten Rechnungen irgend etwas gewußt zu haben. — Das amerikanische Flugzeug „We will" (Wir wollen) befindet sich bereits zehn Tage Nr der Luft, um den Dauer- flugrekord zu.überbieten. Die beiden Flieger, deren Namen geheim gehalten werden, melden, daß sie imstande sein werden, weitere zehn Tage in der Luft zu bleiben. > > — - - . . - r Deutscher Ostasien-Schritt. Vorschlag zum Austausch der internierten Zivilgefan- q gcnen. — Appel» an die Menschlichkeit. - Berlin, 11. Oktober. T e deutsche Regierung, die bekanntlich im Mand- schureironflikt die Wahrung der russischen Interessen in China und der chinesischen Interessen in Rußland übernommen hat, hat der russischen und der chinesischen Regierung in Nanking Vorschläge unterbreitet, die dahingehen, daß beide Regierungen aus Gründen der Menschlichkeit auf die im Zusammenhang mit dem ge genwärtigen Konflikt gegen Privatpersonen ge troffenen Maßnahmen verzichten. Es handelt sich iu erster Linie um die Freilassung der vou beide» Ländern internierten oder gefangen gesetzten Angehörigen des anderen Staates sowie um die Amuestierung. Sen Regierungen wird dabei zur Erwägung gestellt, gegebenenfalls diesen Personen eine angemessene Frist zum Verlassen deS Gebietes zu setzen »der sie in angemessener Weise in ihre Heimat zurück- zubesörderu. Sie Anregungen beziehen sich weiterhin auf die Behandlung des Privateigentums der in Rede stehenden Personen. Im Falle der beiderseitigen Zustimmung hat sich die Reichsregierung bereit erklärt, Rußland und China weitere Vorschläge für die praktische Durchführung der deutschen Anregungen zu unterbreiten. Rauscher Nachfolger von Hermes. Amtlich wird nunmehr bestätigt, daß Reichsmi nister a. D. Hermes auf seinen Antrag von der Füh rung der deutsch-polnischen Handelsvertragsverhand lungen entbunden ist und mitgeteilt, datz Reichspräsi dent von Hindenburg und Reichskanzler Müller Tr. Hermes für seine an Verantwortungen und Mühen reiche Verhandlungsführung aufrichtigen Tank ausge sprochen haben. Tie augenblicklich zwischen Deutschland und Polen schwebenden Verhandlungen würden deut scherseits durch den Gesandten in Warschau Rauscher geführt. Gegenbesuch Hoovers in London. s«s Ergebnis der Verhandlungen in Washington. — Neutralisierung der Meere? — Washington, 11. Oktober. In der Bundeshauptstadt sind Gerüchte in Um lauf, nach denen Präsident Hoover daran denkt, Mac donalds Besuch in Washington durch eine Reise nach London zu erwidern. Zunächst eilen diese Gerüchte allerdings den Tatsachen weit voraus. Nicht daran v» srnifeln ist jedoch, datz gewisse — und zwar ein- Nußreiche — Kreise es gern sehen würden, wenn Hoo vers Gegenbesuch in London Tatsache werden würde. Sie Verhandlungen Macdonalds mit Hoover sind . über den Rahmen der mit der Flottenkonferenz technischen Fragen hinausgegan- Slaubt allgemein, datz Hoover und Mac- donald sich auf die Surchführung bestimmter Pläne Zusammenarbeit ge- vo« einer geplanten Ncutrali- darin bestehen soll, /einer Nation Handel treibt, die ans A?"y»»^?ic^"?üs9'htungS- oder des Loearnovertrags '"utz, während Eng land ans das Blokaderccht ge.ien den neutralen Handel verzichtet, sofern diese Staate» nicht mit dem An greifer Wirtschaftsbeziehungen unterhalten. Preisgabe britischer Flottenstützpunkte? Viel erörtert wird ferner der angebliche Plan Macdonalds, den Amerikanern die Schleifung der Be festigungen der britischen Flottenstützpunkte in den Ge wässern vor der amerikanischen Ostküste anzubieten. Von der Entfestigung sollen die Flottenstützpunkte aus den Bermudas-Inseln, auf Trinidad, Jamaika und — falls Kanada zustimmt — auf Halifax betroffen werden. Gemeinsame Erklärung Hoovers und Macdonalds. „Wir treten a» alte historische Probleme von neuen Gesichtspunkte» aus und in nenem Geiste heran." Ter amerikanische Präsident Hoover und der eng lische Ministerpräsident Macdonald gaben eine gemein same Erklärung heraus in der sie betonen, der Haupt zweck des Besuchs Macdonalds in Washington sei ge wesen, eine persönliche Fühlungnahme herzustellen. Es wird dann bestätigt, daß nicht nur Fragen des Flotten abkommens, sondern „auch wichtigere Angelegen heiten" besprochen worden sind. Man habe verein bart, alle Meinungsverschiedenheiten auf friedlichem Wege beizulegen. England und Amerika wollten den Kriegsächtungspakt nicht nur als eine Erklärung guter Absichten nehmen, sondern als die Verpflichtung, die nationale Politik mit den aus diesem Pakt erwachsenden Verpflichtungen in Ueberetnstimmung zu bringen. Die Erklärung fährt fort: ' „Tie Rolle, die jede unserer beiden Regierungen bei der Förderung des Weltfriedens spielt, wird ver schieden sein, da die eine niemals wünscht, in Euro pas Diplomatie verwickelt zu werden, während es dis Aufgabe der anderen ist, die Politik aktiver Zusammen arbeit mit den europäischen Nachbarn zu verfolgen. Beide Regierungen erklären nicht nur, daß Krieg zwi schen ihnen undenkbar ist, sondern daß Mißtrauen und Argwohn, die aus Zweifeln und Furcht entstehen, und vielleicht vor Abschluß des Friedenspaktes gerechtfertigt waren, nunmehr aufhören müssen, die nationale Po litik zu beeinflussen. 1 Wir treten an alte, historische Probleme von neuen Gesichtspunkten ans und In neuem Geiste heran. Iu der Annahme, daß Krieg zwischen »ns unmöglich ist, haben diese Fragen ihren Sinn verändert und ihre Lösung in beiden Ländern befriedigenderweise ist möglich geworden. Wir haben vereinbart, daß diese Kragen Gegenstand eingehender Erwägung zwischen uns werden. Eines der hoffnungsvollen Ergebnisse des nunmehr -eendeten Besuches ist es, daß unsere zwei Regierungen Beratungen darüber nach der gleichen Art und Weise beginnen werden, die während des Sommers in Loudon angewandt wurde. Wir hoffen für alle Zeiten, alles Wettrüsten zwischen uns selbst, das Kriegs gefahr und Verschwendung öffentlichen Geldes in sich barg, dadurch zu beende», daß wir Flottengleichheit in jeder Schiffsart vereinbarten." Die Auflösung des Stahlhelms. Der Reichs aus schuß für das Volksbegehren hat sich mit einer Beschwerde an den Reichsinnenmi nister, den Reichskanzler, die Reichs- und die preußi sche Staatsregierung sowie an den preußischen Innen minister gewandt. In der Beschwerde wird ausge führt, im Zusammenhang mit der Auflösung des Stahl helms in Rheinland und Westfalen sei auch Material des Reichsausschusses für das Volksbegehren beschlag nahmt und fortgeschafft worden, ferner seien bei Per sönlichkeiten Haussuchungen vorgenommen worden, die dem Stahlhelm nicht angehörten. Nachdem die Be schwerde noch feststellt, daß das Material des Reichs ausschusses nach Durchsicht wieder zurückgebracht wor den ist, wird gefragt, was die Regierung zu tun gedenke. Von selten der preußischen Regierung mird mitgeteilt, das Organ des westfälischen Stahl helms habe angekündigt, daß Bundesführer Seldte den Hebungen beiwohnen werde. Ob Seldte tatsächlich an wesend gewesen sei oder nicht, sei in Bezug auf die Auflösung ohne Bedeutung. Tie Auflösung wäre er folgt, weil es sich um ein militärisch aufgezogenes und somit gesetzlich verbotenes Manöver gehandelt habe. Geländespiele an sich seien statthaft. Gegen den Reichs ausschutz für das Volksbegehren habe sich die Maß nahme nicht gerichtet. Wenn auch Material des Reichs ausschusses beschlagnahmt und weggeschafft worden sei, so liege das nur daran, datz zwischen Stahlhelm und Reichsausschutz in vielen Fällen Bürogemeinschaft be standen habe. Der Stahlhelm an den Innenminister. Einspruch der Bundesführer Seldte und Süsterberg. Tie Bundesführer des Stahlhelms, Seldte und Tüsterberg, erhoben in einem Brief an den preußischen Innenminister Einspruch gegen die Auflösung des Stahlhelms in Rheinland und Westfalen. Sie bean tragten die Aufhebung der Auflösungsverbote und Herbeiführung einer Entscheidung des Gesamtministe- riums und der Reichsregierung. Tas der Auflösung zugrunde gelegte Gesetz dürfe nur auf solche Vereint- gungen ausgedehnt werden, die ihre Mitglieder im Gebrauch von Kricgswaffen ausbilden. Bei dem Ge ländespiel des Stahlhelms habe es sich aber um eine rein sportliche Veranstaltung gehandelt. Tie sport liche Betätigung deS Stahlhelms unterscheide sich nicht von der des Jungdeutschen Ordens und des Reichs banners. Be- H auf « Le- Prozeß Monroy. Helga von Monroy weg«» FuwekenvWSGchls vor ! Gericht. Warnung an Frankreich. Arnold Rechberg über die deutsch-französische i Zusammenarbeit. > ' Ter durch seine Propaganda für engste Zusam menarbeit Teutschlands und Frankreichs bekannte Groß industrielle Arnold Rechberg schreibt in einem Brief an eine Pariser Zeitung, es sei eine Illusion, wenn jemand glaube, daß deutsche Volk werde in seiner jetzigen Lage jemals zu einer aufrichtigen Versöhnung mit Frankreich bereit sein. Wenn die Franzosen Zei tungen des Reichsbanners, des Jungdeutschen Ordens ' oder des Stahlhelms lesen würden, so würden sie überall die gleichen Ansichten finden: nämlich, daß von allen Gebietsabänderungen, die der Versailler Vertrag geschaffen habe, der Weichsel-Korridor immer un erträglicher werde. Frankreich könne Deutschland in seiner gegenwärtigen Lage nur solange halten, wie es selbst das absolute militärische Uebergewicht habe. Tschitscherin wird abgesägt. Tas Politbüro, eine maßgebende Instanz des Sow jetregimes, soll beschlossen haben, den langjährigen Leiter der russischen Außenpolitik Tschitscherin, end gültig durch eine andere Persönlichkeit zu ersetzen. Ter Nachfolger Tschitscherins soll noch im Oktober ernannt werden. Als Kandidaten gelten Litwinow und der ge genwärtige Vorsitzende des Rates der VoWiennnissare, Rhkow. Vor dem Großen Schöffengericht Berlin-Lichter felde hatte sich am Donnerstag die Gräfin Helga von Monroy zu verantworten. Sie Ist «»geklagt wegen Juwelendicbstahls bei ihrer Tante, der Gräfin Hermersberg. Antzerve« wird ihr zur Last gelegt, in einem Schriftwechsel mit dem Bankhaus Emden die Unterschrift deS Kürsten Hans v. Hohenlohe-Oehringen gefälscht z« haben. Ser Vuvch die Fälschungen verursachte Schade« betrug 16ö VOV Mark. Bis auf einige tausend Mark konnte dk trag jedoch wieder herbeigebracht werden, allerd eine besonders tragische Weis«, nämlich durch ... bensversicherung des Bräutigams der jetzigen Ange- klagten, Rittmeisters Fritz v. Wedel, der sich, nach dem gegen die Komtesse von der Staatsanwaltschaft eingeschritten worden war, das Leben genommen hatte. In der Hauptsache war Helga v. Monroy bisher ge ständig. Zunächst wurde über die Vermögensschädigung des Bankhauses Emden u. Co. verhandelt. Ter Verlobte der Gräfin, von Wedel, schuldete dem Bankhaus 32 600 Mark, wofür die Gräfin Monroy die selbstschuldnerische Bürg,chaft übernommen hatte. Ta das Bankhaus mit Zwangsvollstreckung drohte, bot die Gräfin der Bank ein Schmuckstück als Pfand an, das sie ihrer Tante ent wendet hatte. Weiter gab die Angeklagte zu, daß auch von We del einige von ihr entwendete Schmuckstücke zu Geld aemacht habe, doch erklärte sie, ihr Bräutigam habe ge glaubt, daß der Schmuck ihr selbst gehörte. Auf die Frage des Vorsitzenden, ob das Bankhaus ihr Ange bot angenommen habe, erwiderte die Angeklagte, oke Bank hätte die Sachen verwertet. Sie blieb bei dieser Aussage, obwohl ihr der Vorsitzende die Angabe eines Juweliers vorhielt, wonach von Wedel den Schmuck bei ihm versetzt habe. . , - In der Zeugenvernehmung bekundete der 71jah- I rige Fürst zu Hohenlohe, der die Anzeige wegm Urkun- j fälschung erstattet hat, daß auch Gräfin Hermersberg niemals einen Vermächtnisanspruch gegen ihn gehabt ! hab«, geschweige denn die Komtesse Monroy. Ein Pro- zeß des Bankhauses Emden u. Co. gegen tyn wegmr des angeblichen Testaments zugunsten oer Gräfin Mon- ! roy schwebe noch. Aus die Frage, warum er Anzeige aeoen die Gräfin Monroy erstattet habe, erwidere der Heuae daß er sich gegen die Forderung des Bankhauses Akren wollte. An einer Verfolgung der Angeklagten Se er An Interesse, er möchte aber festgestellt haben, dak der Brief mit der angeblichen testamentarischen Zu- ! Wendung von A bis Z gefälscht sei. i Darauf wurde der Inhaber des Bankhauses Emden i u. Co., der Bankier Paul Emden, vernommen. Er ! machte Angaben über die Darlehenshingabe cm Herrn ! von, Wedel und betonte, daß das Darlehen, das auf Wer ist stimmberechtigt für das Volksbegehren? Nach Artikel 73 Absatz 3 der Reichsverfassung ist ein Volksentscheid herbeizuführen, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten das Begehren nach Vorlage eines Gesetzentwurfes stellt. Als Zahl der Stimmberechtigten gilt für das Volksbegehren mit dem Kennwort „Frei heitsgesetz" die amtlich festgestellte Zahl der Snmm- berechtigten bei den letzten RelchStagswahlen; sie be trägt 41278 897. . i 1 Das neue Republikschutzgesetz. Keine Aufenthaltsbeschränkungen. Tas Reichskabinett begann mit der Beratung des neuen Republikschutzgesetzes. Im Verlaufe der Bera tungen wurde mitgeterlt, daß entgegen früher ausge tauchten Meldungen das Reichsmmisterium des In nern nicht die Absicht habe, in das neue Republik schutzgesetz Bestimmungen über Aufenthaltsbeschränkun gen auszunehmen.