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Beilage zur WettzeriyZettung ^Nr.150 Montag, am 1. Juli 1929 95. Jahrgang Chronikdes Tages. — Reichskanzler Müller und RetchSaußenminister Dr. Stresemann traten einen Erholungsurlaub an. — Der Hauptausschuß des Deutschen Industrie- und Handelstages weist in einer Entschließung darauf hin, daß der Aoungplan bedeutsame Reformen erfordert. — Die amerikanische Regierung hat der französischen Forderung auf Hinausschiebung des Verfalltages der Han delsschuld nicht nachaegeben. — In Berlin-Welßensee ist die Hausbesitzerin Senger ermordet worden. — In Essen wurde di« Große RuhrlSndtsche Garten bauausstellung (Gruga) in Anwesenheit des preußischen Landwlrtschaftsnnnisters feierlich eröffnet. — Die spanischen Ozeanflieger, Major Franco und seine Begleiter, sind, in ihrem Flllgzeug im Ozean schwim mend, lebend aufgefunden worden. Gegen Lüge und Anrecht. Ter Ausklang der deutschen Protestkundgebungen. — Berlin, 1. Juli. In allen Gauen unseres Vaterlandes und nicht minder in den Alpenländern Teutsch-Oesterreichs ha ben deutsche Männer und Frauen aller Parteirich tungen in den letzten Tagen des 28. Juni 1919 ge dacht. Sämtliche Kundgebungen atmeten Kampfs eist I gegen Versailles und die durch das Versailler Schanddokument gekennzeichnete Politik der Gewalt. ! Insonderheit forderten zwei Dinge den Protest des § deutschen Volkes heraus: die in der Schuldklausel ent- ' haltene Lüge von der alleinigen Schuld Deutschlands am Kriege und die Besetzung des deutschen Westens. ! Und der reale Gewinn aus diesen flammenden ! Protesten? Es hat natürlich niemand daraus gehofft, ! datz die Masscnproteste des deutschen Volkes sofort i den formellen Widerruf der Schuldklausel nach sich ! ziehen würden, — praktisch ist übrigens die Lüge ' von der deutschen Schuld längst widerlegt— wohl aber ! sollte der Protest vom 28. Juni 1929 dem Kamps : für einen ehrlichen und gerechten Frieden neuen Aus hieb geben und der späteren Revision des Ver- ! sailler „Vertrags" den Weg ebnen. Tas aber ist erreicht wordenl Die Welt hat sich erneut davon überzeugen können, dah Deutsch land gar nicht daran denkt, sich mit der Schuldklausel abzusinden, dah es das Recht für sich beansprucht, > seinen Gefühlen sichtbaren Ausdruck verleihen zu dür fen und daß es eine Heuchelei ist, von Frieden und ' Recht zu sprechen, solange die Trikolore am Rhein : weht und das Festhalten am Versailler Vertrag zeigt, daß noch immer Gewalt vor Recht geht. Im großen und ganzen hat das gesamte deutsche Volk den Traucrtag des 28. Juni in würdiger Form begangen. Außer den großen Massenkundgebungen fanden vielerorts auch Kirchenfeie rn statt, so z. B. auch im Berliner Dom, wo die Andacht durch die Anwesenheit des Reichspräsidenten von Hindenburg im Gotteshaus eine besondere Weihe erhielt. Ihren vollkommensten Ausdruck fand die natio nale Geschlossenheit des deutschen Volkes im Saar gebiet. Unter der Parole: „Zurück zum Reich!" mar schierten Tausende von Menschen durch Saarbrücken, Mitglieder der bürgerlichen Parteien, Sozialdemokra- j ten, Parteilose, differenziert in vielen Dingen, aber alle einig in dem Willen, das Saargebiet wieder mit den: Reich vereinigt zu sehen, ohne daß Deutschland > dafür neue Opfer zu leisten hat. Zerstiebt ist der Spul ! Clömenceaus von den 150 000 „Saarfranzosen", die Bevölkerung des Saargebietes ist deutsch, und wie sie denkt, das zeigt die in Saarbrücken angenommene Entschließung, in der es heißt: „Die zu einer gewaltigen Kundgebung versammelten, nach vielen Tausenden zählenden Männer und Fraue« aus allen Ständen und Gegenden des Saargebietes rtch. ten im Namen der gesamten Saarbevölkerung an du Welt den einmütigen Appell, der Saarbevölkerung end lich nationale Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Sir fordert die Völler und Staatsmänner der Welt eindring lich und ernst auf, baldigst dem Saargebiet die politisch« und wirtschaftliche Wiedervereinigung mit den Deutschen Reich ohne iedenVorbehalt zu ermög lichen. Die Rheinlandräumung mutz zugleich Rückgliede rung des Saargebietes werden. Das verlangen Gerech tigkeit und Völlerfrieden." Eine außerordentlich starke Beteiligung hatte fer ner die Kundgebung des Arbeitsausschusses deutsche. Verbände im Reichstag zu verzeichnen. Erwies sich doch der Plenarsaal des Parlaments als zu klein, um die einlaßbegehrenden Massen aufzunehmen. In seiner Eröffnungsansprache bezeichnete Ab geordneten Dr. Schnee die Kriegsschuldlüge als dal „moralische" Fundament des Gebäudes von Gewali und Unrecht, von Unterdrückung, Knechtung und Aus saugung, das durch das Versailler Diktat errichte! worden ist. Anknüpfend daran erklärte der Spreche: der Teutschnationalen, Schulz-Bromberg, dai aus Lug und Trug zusammeügesetzte Dokument zeige diesen verlogenen Charakter auch in den einzelnen Tei len. Das gelte vor allem in Bezug aus die Bildung des neuen Staates Polen, dem unzweifelhaft deut sches Land einverleibt worden sei. Der Zentrumsab geordnete Dr. Bell führte aus, auch in der Kolonial- srage habe man den Raub durch das Gewand des Rechtes zu verdecken gesucht. Wir seien es dem An denken der gefallenen Kolonialkrieger schuldig, die Wie dergutmachung des Deutschland angetanen Kolonial unrechts durchzusetzen. Der Demokrat Dr. Haas geißelte das Verhalten der „Sieger" in der Abrüstungs frage. Die Entwaffnung Deutschlands, die nur einen Anfang bilden solle, sei bis heute ein Anfang ge blieben; das sei eine schwere Versündigung an dem Gedanken der europäischen Verständigung. Der Redner der Deutschen Volkspartei, Dr. Moldenhauer, schilderte die Leidenszeit der rhei nischen Bevölkerung unter dem Joch der Besatzung. Für die Bayerische Volkspartei sprach Bayersdörs- fer, der die Befreiung von Saar und Rhein verlangte und erklärte, datz alle dunklen Pläne welscher Frevler an dem Einheitswillen der Bevölkerung gescheitert seien. Abgeordneter Mollath von der Wirtschafts partei gedachte der 40 Millionen deutscher Minder heiten. Unter stürmischem Beifall bekannte er sich zum deutsch-österreichischen Anschlutzgedanken. Als letz ter sprach Abgeordneter Hepp von der Christlich nationalen Bauernpartei, der betonte, datz der Kamps gegen Versailles auch den Kampf um das Recht des Kindes und um die Zukunft bedeute. Einmütig wurde dann eine längere Entschließung angenommen, in der alle die von den Rednern erör terten Fragen zusammengesetzt werden und zuletzt die Berufung eines internationalen Sach verständig e n a us s ch uß verlangt wird, der ein unparteiisches Urteil über die Verantwortlichkeit für den Weltkrieg abgeben soll. Mit dem gemeinsamen Gesang des Deutschlandliedes schloß die Kundgebung. * Höhenfcner an der deutschen Ostgrenz« — Frankfurt a. O., 1. Juli. An der Grenze des deutschen Ostens waren die Gedenkfeiern für die zehn jährige Wiederkehr des Unterzeichnüngstages von Dev« sailles besonders eindrucksvoll. Aus allen HkHen der Grenze entlang, von Fraustadt bis hinaus nach Schlo- chau, wurden Feuerstöße abgebrannt, um weit hinein ins entrissene deutsche Land die Flammen als Zeichen des Protöstes gegen die Lüge von Deutschlands alleiniger Kriegsschuld und die widerrechtliche Grenz ziehung leuchten zu lassen. Rettung der Szeanftteger. Rach siebentägiger Irrfahrt ans dem Atlantik. — Das deutsche AluMeug ««r wenig beschädigtl — London, 1. Juli. Die spanischen Ozeanflieger Major Franco und seine Begleiter, die am 21. Juni zu einem Ozeanflug ausgestiegen waren, sind lebend aufgesunden wor den! Tas englische Flugzeugmutterschiss „Eagle" (Ad ler), das mit einer ganzen Anzahl Flugzeuge an Bord in See gegangen war und sich seit mehreren Tagen an der Suche nach den Vermißten beteiligte, bat fol genden Funkspruch an die britische Admiralität nach London gesandt: „Tas Dornier-Wal-Flugzeug der spanischen Flie ger ist in einer Lage SS,28 Grad nördlicher Breit« und 2V,14 Grad westlicher Länge von der „Eagle" gesichtet worden. Tas Flngzeug ist nnr sehr wenig beschädigt. Die Bemannung befindet sich wohl." Der Funkspruch von der Rettung der Piloten hat in Spanien außerordentliche Freude ausgelöst, hatte man die Piloten doch fast schon verloren gegeben. Als bekannt wurde, datz das Flugzeugmutterschiff „Eagle" mit den Piloten ar: Bord Kurs aus Gibraltar nahm, rüstete man sich sofort, um den Heimkehrenden einen festlichen Empfang zuteil werden zu lassen. Deutschlands Anteil an der Freude. Abgesehen von Spanien hat auch Deutschland in besonderem Matze an der Freude teil, sind die Spanier doch mit einem deutschen Dornier-Flugboot gestar tet. Und wenn jetzt die englische Meldung davon spricht, dah das Flugzeug nur wenig beschädigt ist, dann ist das ein Zeugnis, auf das stolz zu sein die deutsche Flugzeugindustrie alle Veranlassung hat! Siebe« Tag« lang hat das Flngzeug de« Piloten sicheren Schutz ge- goten, oben über dem Ozean, und nicht minder in den Wellen des Weltmeeres. Nach der Längen- und Breitenangabe zu schließen, scheint Mello Franco über die Azoren nicht hinaus- gekommen zu sein. Wie es kommt, daß das Flugzeug erst nach siebentägigen Nachforschungen größten Maß stabes und dann noch in der Nähe der Azorengruppe ausgefundcn werden konnte, bedarf noch der Auf klärung. An den Nachforschungen nach den Piloten haben sich neben spanischen, portugiesischen und eng lischen Schiffen auch deutsche Schisse beteiligt. Ferner hatte man in den letzten Stunden vor der Rettung daran gedacht, das deutsche Zeppelin-Luft schiff einzusctzen. Freudenrausch in Spanien. — Madrid, 1. Juli. Vor dem Gebäude des Mrö- Klubs, der die Zentrale für Flugnachrichten ist, staute sich bald nach dem Bekanntwerden der Rettung der Piloten eine große Menschenmenge, die immer wieder in Hochrufe ausbrach. Die Freude über die völlig unerwartete Rettung Francos ist allgemein. Selbst ganz fremde Leute sprachen einander auf der Stratze an und teilten sich die Nachricht mit, die. sich in un wahrscheinlich kurzer Zeit in der ganzen Stadt ver breitete. , Arnsld Merten s Modell Roman von Anna Fink Ooxxrigbt dx krau Huk, vresäka-LsudegLSt, Lraiaerstr. 81 (24. Fortsetzunai „Deine Augen sind tief und unergründlich dunkel wie das Meer an seiner tiefsten Stelle", sagte er leise und küßte sie behutsam. „Doch, Du hast mir schon alles viel Heller gemacht. Aber bas ändert nichts an der Tatsache, daß " „Um Gotteswillen", rief Yvonne dazwischen, „nun kommt wieder eine lange philosophische Betrachtung von deutscher Gründlichkeit", und sie hielt sich mit dem Hellen Lachen, Las ihr eigen war und das Heilmannsborf so sehr an ihr lieble, ihre kleinen, niedlichen Ohren zu. „Das halte ich nicht aus. Ich kann auch philosophieren, aber anders. Ich sage: man soll den Tag genießen, das Traurige kommt schon von allein." Sie legte Sie Arme um den Hals des Grafen. Sie waren allein und unbeobachtet, denn daß gerade hinter einer Säule zwei Herren vorbeigingen und einen^ diskreten Blick !auf das Paar warfen, rechnete Yvonne nicht mit. Sie küßte !shn hingebend. „Du bist eine richtige kleine Hexe!" sagte Heilmannsborf. „AH", sagte Yvonne und machte ihr unschuldigstes Gesicht. „Dort hinten sehe ich Mama", rief sie, als er sie gerade «och einmal in die Arme nehmen wollte und eilte auf Lie Mutter zu, di« tatsächlich auf Ler Bildfläche erschienen war. Madame Rolaud hatte sich natürlich auch im Stillen in den letzten Tagen Gedanken über Len Grafen und ihr« Tochter gemacht. Sie sah eS nicht ungern, Laß -aS Verhältnis offenbar ein «twaS vertrautes war. Der Graf war reich, er schien aus einer angesehenen Adelsfamilie zu stammen. Wenn ihr« Vvonne nur zufrieden war, Las andere konnte ihr gleich sein. Das war das, was Madame sich auf eigne Hand zu- smnmenkombinierte, Senn ihre Tochter erzählte ihr nur Las Wenigste. Und auch sie wurde aus ihr oft nicht klug. „Mama, der Graf kommt mit!" berichtete ihr Yvonne freudig, „sag' Du ihm nur auch, wie sehr Dich das freut. Auf Wiedersehen, ich muß meine Toilette noch zurecht machen lassen und mich heute abend ein bißchen hübsch machen!" Sie warf beiden eine Kußhand zu, die jeder von ihnen auf seine Rechnung schieben konnte, wenn er wollte, und verschwand eilig. Etwas verdutzt sahen sich Graf und Madame an. „Da müssen Sie schon mit mir vorlieb nehmen", sagte letztere und der Graf beeilte sich zu versichern, daß ihm das ein Vergnügen sei. „Sie ist «in alter Irrwisch", sagte sie, „aber es wird schon gehen, wenn sie sich einmal verheiratet." „Sie ist doch verlobt?" fragte der Graf, mehr, um etwas zu sagen, als um sich darüber zu erkundigen. „Ach" sagte Madame gedehnt", man sagt das wohl und man nimmt es allgemein an in Paris, — wir haben sehr viel gesellschaftlichen Verkehr ," fügte sie hinzu. „Aber", fuhr sie fort, „man kann das bei einem Mädchen wie Yvonne nie fest wissen, bis sie verheiratet ist. Und dann selbst ist man ihrer nie sicher." DaS letzte war von einem hörbaren Seufzer begleitet. Der Graf sagte gar nichts und sah nur nachdenklich ins Weite. Man plauderte bann noch von allerhand, von -er nahe bevorstehenden Ankunft, von der Weiterreise, von den Wetteraussichten in den nächsten Tagen. Dann zog sich -er Graf zurück mit der Begründung, -aß er noch «in paar wichtige Briefe schreiben müsse. Heilmannsborf saß in seiner Kabine. Er hatte einen Briefbogen vor sich. Aber Lie rechte Stimmung zum Schrei ben wollte nicht aufkommen. „Und selbst dann ist man ihrer nie sicher", hörte er noch im Geiste Yvonne's Mutter sagen. Was hatte er denn mit Yvonne, daß er so sehr an sie denken mußte? fragte er sich. Es stimmte, was er ihr am Anfang gesagt hatte, -aß er mit Leichtigkeit ihr Vater hätte sein können. Er betrachtete sich im Spiegel. Er sah noch gut aus. Gerade die letzten Tage auf dem Dampfer hatten ihm sehr wohlgetan. Oder kam -as von dem Umgang mit Yvonne? Wirkte sie so verjüngend auf ihn? Und plötzlich mußte er an eine andere Frau öenken, Sie ihn verlassen hatte. Auf diese Frau hätte man Häuser bauen können, so zuverlässig war sie gewesen. Er strich sich über die Stirn. „Wozu das Grübeln!" Yvonne stand indessen tiefsinnig vor ihrem Schrankkofser und überlegte, was sic heute Abend anziehen sollte. Das Schwarze, mit den silbernen Perlen und der tief roten Rose auf der Schulter? Oder lieber das Kleid aus Goldlamo, Las sich wie ein feiner Panzer um ihren Körper legte? Und dann war da noch das Kleid, das über einem roten Untergrund aus schwerer Atlasseide einen Überwurf aus echten Brüsseler Spitzen hatte. „Wer Lie Wahl hat, hat die Qual", dachte Yvonne seufzend und probierte die drei Kleider Ser Reihe nach an. Sie konnte zu keinem Entschluß kommen. Wenn -och Sie Mutter käme! Sie hatte einen sehr sicheren Geschmack und beriet die Tochter immer vorzüglich. Indem sie noch probierte, kam Sie Mutter herein. „Wo steckst Du nur so lange, Mama?" fragte Yvonne ärgerlich. „Ich habe mich ein wenig mit Sem Grafen unterhalten", sagte die Mutter. „Er ist ein Prachtmensch, ich glaube, er ist sehr verliebt in Dich, mein Kind!" erwiderte Madame Roland und beobachtete ihre Tochter sehr scharf dabei. „So? ", machte Yvonne sehr gedehnt. „Du solltest mir lieber ein wenig raten, wie ich mich heute Abend schön mgche!" (Fortsetzung folgt)