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' 6. Fortsetzung. Nachdruck verboten. Sie sah nicht, wie daS Lächeln auS dem Gesicht doS Herrn verschwand und einem Ausdruck tiefsten Mitleides Platz machte. Aber sie schrat aus, als er, nachdem er leise zu ihr getreten war, sie sanft an der Schulter berührte. .Lasten Sie mich!" schrie sie aus. Er wich sosort zurück, nahm eins der gefüllten Gläser, reichte es ihr und bat: , .Trinken Sie einen Schluck, Fräulein! Und sürchten Sie sich nicht, ich werde Ihnen nichts zuleide tun...* Sie schaute in seine Augen, und sofort wurde sie wieder ruhig. Sie war gewiß keine Menschenkennerin, aber sie war ein Weib, und ein Instinkt sagte ihr, daß sie diesem Manne trauen dürfte. Sie nahm das Glas und trank einen Schluck. Nun nahm der Fremde aus einer Tasche seines Smo kings einen großen Briefumschlag, öffnete ihn und zog eine Kabinettphotographie heraus. Die reichte er Käthe: .Bitte, betrachten Sie dieses BUd und sagen Sie mir, ob es Ihnen bekannt vorkommt!* Käthe, die noch immer wie in einem Traume war, nahm die Photographie und schaute darauf nieder. Dann zuckte sie zusammen. Sie sprang auf und schaute den Un bekannten fast entsetzt an. .Das bin doch ich!* murmelte sie. .Als Kind! Ich kenne das Bild wieder — ich wußte nichts mehr davon, aber jetzt.. .* Und plötzlich drohte sie umzusinken. Er sah es noch rechtzeitig und fing sie auf. „O Himmel!* stöhnte sie. .Was bedeutet das alles?* Er führte sie sanft zu dem Stuhl zurück und setzte sich ihr gegenüber. Scheu und fragend schaute sie ihn an. Ihr Atem ging sehr hastig. Ihr war, als müßte sie ersticken. Doch er lächelte. .Liebes Fräulein*, sagte er nun endlich, „Sie verstehen das alles natürlich nicht, wissen nicht, wie ich zu diesem Bilde komme, und sollen nun alles erfahren, auch, weshalb ich Sie mit Ihrem Vornamen anredete... Zunächst eins! Haben Sie die Todesanzeige der Frau Wohllebe, die Sie für Ihre Tante hielten, in die Zeitung setzen lassen?' Käthe schüttelte den Kopf. Sie wußte nicht das ge ringste davon. „Vielleicht hat Herr Edelmann es getan?* sagte sie leise. „Wer ist das?* fragte er. Sie erzählte, auch, daß Frau Wohllebe gestanden hatte, sie sei nicht ihre Tante. „Dann ist dieser Förster ein sehr vernünftiger Mann, dem Sie großen Dank schulden*, sagte der Herr, der immer noch nicht seinen Namen genannt hatte. Oder war es doch geschehen, und sie hatte es nur überhört? — „Er hat vie Anzeige einrücken lasten in der Hofsnung, daß sie vielleicht von jemand gelesen werden würde, der diese Frau gekannt hat. Er hoffte, dadurch erfahren zu können, wie Sie zu dieser Frau gekommen sind. Er hat sich nicht getäuscht. Fräulein Käthe, ich will es kurz machen. Bitte, erschrecken Sie auch nicht, wenn ich Ihnen sage, daß Sie nicht allein auf der Welt stehen, wie Sie annahmen. Sie haben noch eine Verwandte...* „Ich? Ach, wenn das wahr wäre!* Käthe faltete die Hände und schaute flehentlich zu ihrem Gegenüber aus. „Es ist wahr!* sagte der Herr. .Aber es ist eine Ge schichte, wie sie nicht alle Tage vorkommt, höchstens in Romanen. Sie sollen alles hören. Sie kannten die Photo graphie wieder, die ich Ihnen zeigte und die Sie als fünf jähriges Kind vorstellt. Sie haben sie vergessen gehabt, aber jetzt werden vielleicht wieder Erinnerungen in Ihnen wach. Ist das so?* Käthe suhr sich mit einer Hand über die Augen und über die Stirn. Sie sah Bilder vor sich aufsteigen, die noch undeutlich waren, aber allmählich Klarheit gewannen. Wie im Traume sagte sie: „Ich entsinne mich, daß ein großer, bärtiger Mann bei mir war. Wir saßen in weiten Stühlen aus Rohr unter einem Dache, aber es waren keine Wände da. — Ich sehe seltsame Pflanzen vor mir — und seltsame Menschen — gelbe Gesichter — schwarzes Haar. Die Männer hatten zwar Jacken an, aber Frauenröcke — es war sehr warm, und ich trug ein kurzes weißes Kleidchen.. .* .Wie aus dem Bilde!* schaltete der Herr ein. „Ja, ja, und ein sremder Mann war da mit einem Kasten.. .* .Der Photograph!* „Und Vater...* Doch kaum hatte sie, ganz unbewußt, dieses Wort ge- sprachen, da sprang Käthe Fernau abermals aus. .Vater!* schrie sie. „Das war mein Vater! Wo ist er?* Sanft stützte der Herr die Wankende, und leise sagte er: „Vielleicht wacht die Erinnerung noch weiter in Ihnen auf. Ihr Vater starb.. .* .Er ist tot?* ächzte sie. „Leider. Sie scheinen das damals nicht verstanden zu yaben. Man hat Ihnen das alles vielleicht aus guter Ab- sicht verhehlt. Was wissen Sie weiter?* Käthe dachte nach, aber ihre Erinnerungen waren nur schwach. Sie wußte eigentlich nur noch, daß sie mit der Frau zusammen gewesen war, die sie hatte Tante nennen müssen, und die immer so hart und lieblos gewesen war. .Sie werden sich vielleicht später besinnen*, sagte der Herr und bat sie, sich wieder zu setzen. „Ich will Ihnen jetzt sagen, was damals geschehen ist: Das Haus, auf dessen Veranda Sie damals photo graphiert wurden, stand weit, wett von hier, in Buitzen- zorg. Das ist ein Ort auf der Insel Java. Dort besaß Ihr Vater zusammen mit einem Freunde große Kaffeepflan- gungen. Seine Frau, Ihre Mutter, war gleich nach Ihrer Geburt gestorben. Ihr Baler scheint damals auch sein nahes Ende geahnt zu haben, denn er ließ Sie, sein ein- ztgeS Kind, photographieren und fand noch Zeit, eins der Bilder an seine Schwester zu schicken, die hier in Deutsch land lebte. Als er dann sein Ende nahen fühlte, ließ er seinen Freund rufen, bat ihn, sich seines Töchterchens an zunehmen und dafür zu sorgen, daß es seiner Schwester überbracht würde. Das wurde ihm feierlich versprochen, aber nicht gehalten. Der Freund wurde von der Habsucht gepackt. Er wollte das reiche Erbe Ihres Vaters an sich reißen. Damit er das konnte, mußte das Kind beseitigt werden. Gott sei Dank schreckte der Elende vor dem Aeußersten zurück. Er übergab das kleine Mädchen einer deutschen Frau» die sich nach der Heimat zurücksehnte und zahlte ihr eine ziemliche Summe dafür, daß sie das Mädchen mit sich nahm und als ihre Nichte ausgab. Solange sie dieses Geheimnis wahrte, wollte er ihr halbjährlich einen bestimmten Betrag überweisen. Und die Frau willigte ein.. .* „Es war Frau Wohllebe!* stöhnte Käthe. „Ganz recht!* bestätigte der Fremde. „Sie hat auch Wort gehalten und bis an ihr Ende geschwiegen. Dann mag sich ihr Gewissen aber doch geregt haben. Sie wollte sprechen, konnte indes nicht mehr alles offenbaren. Viel leicht hätten Sie nie erfahren, wer Sie in Wahrheit sind, hätte nicht der Förster Edelmann jene Todesanzeige ver öffentlicht. Die Sache liegt so: Die Schwester Ihres Vaters, Fräu lein Käthe, hatte das Bild erhalten. Sie hatte schon er fahren, daß Sie geboren worden waren. Als dann die Kunde eintraf, daß ihr Bruder gestorben war, erkundigte sie sich vergeblich nach dem Verbleib des Kindes. Der falsche Freund behauptete, er habe es, wie versprochen, in sicherer Obhut an sie geschickt. Er war sogar sehr bestürzt, daß es dann verschwunden sein sollte. Aber Ihre Tante faßte Argwohn gegen den Mann und hat sich all die Jahre bemüht, jene Frau zu finden, die mit dem Kinde ver schwunden war. Durch Zufall kam ihr die Todesanzeige in die Hände. Sie las den Namen, den der Elende seiner zeit genannt hatte, und sie las auch den Namen der ein zigen Leidtragenden — nur der Vorname kam in Be tracht — Käthe. So heißen Sie wirklich; der andere Name stimmt nicht. Ich habe nicht die Erlaubnis, Ihnen zu sagen, welcher Ihnen zu Recht zusteht.* „Aber wie konnten Sie mich denn finden? Und gerade in dem Restaurant?* fragte das junge Mädchen ver ständnislos. Da lächelte ihr Gegenüber und erwiderte: „Ich fand Sie nicht erst dort, sondern ich war Ihnen schon dorthin gefolgt. Sie haben nur das Auto nicht be merkt, das hinter dem Ihren herfuhr. Um es kurz zu machen: Ich bin Privatdetektiv und von Ihrer Tante be auftragt worden, die Käthe Fernau zu suchen, die als Nichte der verstorbenen Frau Wohllebe in der Todes anzeige genannt war. Es war nicht schwer, da Sie selbst ja dem Förster Ihre Adresse angegeben hatten. Als Sie heute aus dem Hause auf die Straße traten, als ich Ihr blondes Haar sah, da wußte ich schon, daß ich die richtige Fährte hatte...* Käthe Fernau faßte das alles noch nicht, sie gab sich auch keine Mühe. Sie hatte aus seinen Reden nur eins herausgehört: Ihre wirkliche Tante lebte noch! Und außer sich vor Freude faltete sie nun die Hände und bat: „Bringen Sie mich zu meiner Tante, Herr... !" „Bodenstein heiße ich*, sagte der Detektiv. „Herr Bodenstein, Sie werden begreifen, wie ich mich danach sehne, meine Tante kennenzulernen, den einzigen Menschen, der mir noch geblieben ist...* Sie verstummte mitten im Satz, denn auf einmal war ihr, als sähe sie unmittelbar vor sich ein Paar leuchtende Augen. Schaudernd erinnerte sie sich des Vorfalls im Cafö Metropol, wo er wieder vor ihr ausgetaucht war, dem diese Augen gehörten. Bodenstein antwortete: „Morgen werde ich Sie zu Ihrer Frau Tante begleiten. Heute werden Sie mir die Ehre erweisen, mein Gast zu sein. Ich habe meinem Diener schon die nötigen Weisungen gegeben. Daß Sie bei mir nicht das geringste zu fürchten haben, das brauche ich Ihnen nun Wohl nicht erst noch zu versprechen, nicht wahr?* „Nein, nein, Herr Bodenstein! Ich vertraue Ihnen! Ich will auch hierbleiben, und ich danke Ihnen so sehr! Aber nicht wahr, Sie bringen mich morgen früh gleich zu meiner Tante? Wie sieht sie aus? Ist sie schon alt? Wie heißt sie?* „Wozu soll ich Ihnen sagen, was Sie morgen selber sehen und hören werden!* sagte der Detektiv. „Sie werden müde sein und schlafen wollen.. .* Er klingelte dem Diener. Dann reichte er ihr die Hand und verbeugte sich vor ihr. Käthe betrat ein Schlafzimmer, das in seiner Ausstattung den übrigen Räumen entsprach. Sie fürchtete sich wirklich nicht tm geringsten, und da eine unbekannte Hand für alles gesorgt hatte, was sie brauchte, so entkleidete sic sich und schlüpfte in das Weiche Bett, nach dem sie das Licht ausgedreht hatte. Sie wollte all das Wunderbare, was sie erlebt und gehört hatte, noch einmal überdenken. Aber ehe sie sich dessen versah, war sie eingeschlafen. * * Am nächsten Morgen war sie wieder früh auf, wusch sich, kleidete sich an und freute sich, daß sie ein so schönes Kleid hatte und sich nicht vor ihrer Taute zu schämen brauchte. Sie bemühte sich, sich vorzustellen, wer das sein könnte, wie sie wohl aussah. Sie kam nicht damit zustande. In fieberhafter Aufregung lauschte sie immer wieder, ob noch niemand außer ihr wach sei. Endlich hörte sie im Nebenraum das Kaffeegeschirr leise klirren, und sosort öffnete sie die Tür. Sie erblickte nur den Diener, der sich achtungsvoll vor ihr verbeugte und meldete, daß Herr Bodenstein sogleich erscheinen würde. So war eS denn auch. Voller Freude elfte Käthe ihm entgegen und bot ihm die Hand. Er aber schaute sie in heimlicher Bewunderung an und sagte ernst: „Ihre Frau Tante wird sich sehr freuen l* „Meinen Sie das wirtlich?* .. - „Gewiß, Fräulein Käthe.* Aber er sagte nicht, daß sie nicht erwartet haften, ein so schönes und so reizvolles Kind zu finden. Er war noch nie so stolz auf einen seiner Erfolge gewesen wie auf diesen, der doch sehr, sehr leicht zu erringen gewesen war. Er lenkte das Gespräch geschickt auf andere Dinge, be diente sie beim Kaffeetrinken und verschwand dann einem Augenblick, um sich zum Ausgehen fertigzumachen. Wieder wartete Käthe voll Ungeduld. Bald erschien Bodenstein wieder. In dem bereitstehenden Auto fuhren die beiden durch die Stadt in das vornehmste Viertel, daS Käthe überhaupt noch nicht kannte. Vor dem kunstvollen schmiedeeisernen Tor einer im Grün versteckt liegenden Villa hielt der Wagen. Boden stein sprang heraus und half Käthe. Dann drückte er auf die Klingel. Ein Diener in gestreifter Jacke schloß die Tür auf, den Detektiv als Bekannten begrüßend. Käthe wußte nicht, was sie denken sollte. In einer so vornehmen Villa wohnte ihre Tante? Dann mußte sie sehr reich sein! Als sie die Stufen zum Eingang emporschritten, ^am aus der Tür eine schlanke, weißhaarige Dame in schwarzem Seidenkleid und eilte ihnen entgegen. Noch einmal blieb sie, wie stutzend, stehen, dann rief sie laut: „Käthe! Herzenskäthe! Endlich!* Sie breitete beide Arme aus und Käthe warf sich an ihre Brust. Beide hielten sich lange umfangen, beide schluchzten. Endlich gab die alte Dame Käthe frei und schaute ihr ins Gesicht. „Ja, du bist es! Das sind die Züge meines BruderS, deines Vaters, Kind! Willkommen, tausendmal will kommen I* Sie zog Käthes Arm unter den ihren und führte sie ins Haus. „Erst will ich dir dein künftiges Reich zeigen, Kindl Alles steht schon für deine Aufnahme fertig!* Sie betrat mit Käthe ein reizendes Mädchenzimmer, wo sie Platz nahmen. Während sie nun Käthes beide Hände in die ihren nahm, sagte sie: „Also daß ich deine Tante, deines Vaters Schwester bin, das wird dir wohl Herr von Bodenstein gesagt haben. Dein Vater hieß Norman von Bernsbruck, und ich bin seine einzige Schwester Adelheid. Ich war verheiratet mit dem Vizeadmiral Gerd Botlrup. Mein Mann ist schon zehn Jahre tot. Da ich selber keine Kinder habe, sehnte ich mich um so mehr nach dir. Der liebe Gott weiß eben immer, was er tut, denn hätte ich ein halbes Dutzend Kinder gehabt, dann hätte ich mich vielleicht nicht groß unr dein Schicksal gesorgt und wir hätten uns nie gesehen, aber so... Sage, Käthe, freust du dich denn, daß du nun endlich jemand hast, der dich liebt und den du wieder lieben darfst?* Aus den Augen der alten Dame strahlte ihre große Herzensgüte, und Käthe konnte nicht anders, sie sank vor der Tante nieder und barg ihr Haupt in deren Schoß. Dabei kam ihr der Gedanke: Was sollte sie der Tante erzählen, wenn sie nach ihrer Vergangenheit fragte. Sie beschloß bei sich, ihre seltsame Ehe zu verheimlichen; sie sollte begraben und vergessen sein. Berndt Klausen würde sicher nie mehr zum Vorschein kommen. „Ich lasse dich jetzt allein, Käthe*, hörte sie endlich die Tante sagen. „Du mußt erst ruhig werden. Dann sollst du dich hier heimisch machen. Ich werde dir das Mädchen schicken — oder'nein — klingle selbst, wenn du es haben willst. Dann fahren wir noch vor Tisch aus. Ich werde dir doch allerlei kaufen müssen... So, Kind, nun steh' auf und gib mir noch einen Kußl Und fürchte dich nicht mehr! Das Leben hat dir schon schlimm mitgespielt, doch nun soll es dich nicht mehr zu fassen kriegen!* Sie zog Käthe empor, nahm das von Tranen feuchte Gesicht zwischen ihre beiden schlanken Hände und schaute lange in die klaren blauen Augen. Immer Heller und freundlicher wurde dabei ihr eigenes Gesicht. Sie sah, daß die Seele dieses jungen Menschen kindes noch rein war, ein fast unbeschriebenes Blatt. Zug um Zug dieses Antlitzes erinnerte sie an den toten Bruder, den sie so sehr geliebt und um dessen Erbe sie einen hart näckigen Kampf geführt hatte. Sanft küßte sie Käthe auf den leise zuckenden Mund. „Kind, wie bin ich froh, daß mein Suchen nicht ver gebens geblieben ist, daß ich nun doch noch die Tochter meines Bruders gefunden habe! Ich werde dich sehr, sehr lieb haben. Und du?* Käthe schlang anstatt einer anderen Antwort beide Arme um den Nacken der Tante und preßte ihr Gesicht an deren Brust. Dann stand Frau Adelheid Bottrup langsam auf: „Auf Wiedersehen, KUü>! Und noch einmal: Mögest du recht, recht glücklich werden in meinem Haufe!" Käthe stand noch lange an der gleichen Stelle, unfähig, sich zu rühren, unfähig auch, etwas anderes zu denken als das eine: Ich habe endlich eine Heimat gefunden und wahre Liebel Lortsetzuna folgt-