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Hotel! Wenn es nur niemand erfahrt! Herr Kommissar, ich bitte Sie, tch beschwöre Sie, nennen Sie den Namen meines Hauses nicht in der Oessentlichkeit. Sie glauben ja nicht, wie bösartig die Konkurrenz ist. Wenn die Leute erfahren, daß ich einen Mörder — oh, verzeihen Sie, Herr Daly, das ist mir nur in der Aufregung entfahren, tch glaube natürlich keinen Augenblick an Ihre Schuld, aber die Konkurrenz, die wird daran glauben. Das wird ein Gerede geben ...! Schon unlängst hörte ich, daß Flcdgeby behauptet hätte, unser Haus wäre eine Spelunke! Ich bitte Sie, Herr Kommissär, dieses Haus! Nicht ein Stäubchen sehen Sie auf dem Teppich! Und überhaupt Fledgeby — ich bin der letzte, der seinem Nebenmenschen Böses nach- sagt, aber Fledgebys Haus sollten Sie sehen! Ein Stall! Ein Stall, sage ich Ihnen. Und unlängst hatte er noch einen Skandal im Hause. Ein Mann, der sich für einen russischen Großfürsten ausgab und schließlich als ein durch gebrannter Portier entlarvt wurde ..." Herr Rose hatte sich ein wenig erheitert, aber dann fiel es ihm wieder schwer auf die Seele. „Was wird er jetzt alles erzählen! Sie glauben nicht, wie er klatscht! Sie können noch so unschuldig sein, Herr Daly, und ich bin ja davon überzeugt, daß Sie es sind, felsenfest überzeugt, aber in den Augen der Konkurrenz sind Sie nun einmal ein Mörder, den man mitten in der Nacht aus dem Bett auf das Schafott geschleppt hat. Furchtbar! Entsetzlich!" Ein Auto wartete vor dem Hause, und die Herren stiegen ein. Aber erst, als der Wagen sich in Bewegung setzte, sah sich Herr Rose genötigt, seine ein wenig un bestimmte Vorstellung vom Kriminalverfahren, sowie seinen Kummer über Fledgebys voraussichtlichen Triumph in Gedanken weiterzuspinnen. Der ehrenwerte Augustus Witherden erschien heute srüher als sonst in seinem Bureau. Es gab Leute in der Nachbarschaft, die ihre Uhr nach seinem Eintritt in das große Tor des Gerichtsgebäudes zu richten pflegten. Es war Schlag neun Uhr. Aber heute meinte der Barbier, der noch unbeschäftigt vor seinem Laden gegenüber stand und seine Uhr mit dem Erscheinen des Herrn Witherden verglich: „Entweder geht meine Uhr zurück oder Herr Witherden geht vor.' Letzteres mochte auch wirklich der Fall sein, denn Witherden schien es eilig zu haben. „Guten Morgen, Herr Migg", rief der Barbier einen anderen Herrn an, der mit ruhigen Schritten die Straße herunterkam. Der Mann war kein Kunde von ihm, er trug einen roten Vollbart, gewissermaßen ein Erbstück von väterlicher und großväterlicher Seite, der vielleicht schon mit Hengtst und Horsa ins Land gekommen war. Diesen Vollbart sowie sein dicht gekraustes Haar von der gleichen Farbe pflegte er zum Wochenende, bevor er das Amt ver ließ, mit der Bureauschere selbst zu stutzen. „Was sagen Sie zu dem neuesten Mord?'' „Ich habe ja nichts zu sagen", knurrte Migg, „ich habe nur zu schreiben. Ich weiß von nichts. Und Morde inter essieren mich nicht. Die sind ja bei uns etwas Alltägliches." „Leider, leider, Herr Migg", sagte der Barbier, „die Mörder treiben es heutzutage ärger als jemals." Aber Herr Migg war schon im Gerichtsgebäude ver schwunden; er liebte es nicht, aus der Straße Konversation zu treiben, noch dazu mit einem Barbier, der ihm längst verdächtig war, nur, daß er nicht wußte, warum. Inzwischen hatte sich auch der Barbier in seinen Laden begeben, wo ein Kunde eingetreten war, den er persönlich zu bedienen pflegte. „Was sagen Sie zu dem neuesten Mord", begann er, und hatte die Genugtuung, daß bald ein lebhaftes Gespräch im Gange war. Witherden dagegen saß bereits an seinem Tische, prüfte seine Stahlfedern und seine Tinte. Seine linke Land rubte aus einem schmalen Aktenstück, das er bereits düHgesehm hatte. Es trug nur eine kurze Notiz: „Des Mordes an dem in der zweiten Morgenstunde durch einen Revolverschuß getöteten Bankters Archibald Mantle verdächtig, wurde der Angestellte Gilbert Daly auf Grund sofort ausgestellten Verhaftungsbefehls aus seiner Wohnung geholt und in das Untersuchungsgefäng nis des Gerichtsgebäudes geschafft. Inspektor Stevens.« Die Mitteilung hatte Herrn Witherden nicht überrascht, denn er hatte schon beim Frühstück in der Zeitung die sensationelle Mordnachricht gelesen, die mangels irgend welcher Anhaltspunkte mit ganz äußerlichen Zutaten, der Erzählung von Mantles Reichtum und seinem Ausstieg, seinem Verkehr, seiner Klubmitgliedschaft, ferner auch mit allerlei Vermutungen ausgeschmückt war. Denn die Polizei verweigerte grundsätzlich jede Mitteilung über die Person des mutmaßlichen Täters, solange die Untersuchung nicht abgeschlossen und die Anklage nicht erhoben war, und eS auch nicht notwendig schien, die Mithilfe des Publikums anzurufen. Die Nachricht hatte, von ihrer beruflichen Bedeutung abgesehen, den Untersuchungsrichter insofern besonders berührt, weil er zu den zahlreichen kleinen Klienten des ermordeten Bankiers gehörte. Da es sich um einen Mord handelte, war Witherden wegen der Sicherheit seiner Ein lage nicht beunruhigt. Immerhin beschleunigte er, zum Erstaunen des Barbiers, seinen Gang ins Amt, um sofort seine Tätigkeit zu beginnen, wenn ihm der Fall zugewiefen sein sollte. Er fand seine Vermutung auch bestätigt. Aber Herr Migg, der Gerichtsschreiber, der zur Auf nahme des Protokolls unerläßlich war, blieb unverant wortlicherweise noch aus. Er mußte doch auch schon von dem Mord gehört haben! Natürlich! Migg hatte ganz andere Interessen als Mord und Totschlag. Er war Spezialsammler englischer Kolonialmarken, womit er ein einträgliches und einwandfreies Tauschgeschäft verband, und sonst interessierte ihn nur noch der Viktoria-Fußball« klub, wo sein Zweitältester Sohn Reservegoalmann war. Herr Witherden klopfte mit dem frisch gespitzten Blei stift auf den Schreibtisch, bald mit dem stumpfen, bald mit dem spitzen Ende. Gerade als die große Pendeluhr neun Uhr zetgte, öffnete sich die Tür, und Herr Migg trat mit einem höflichen und doch gleichgültigen „Morgen" ein. In demselben Augenblick brach auch leider der allzu scharf gespitzte Bleistift. „Der Fall Mantle ist uns überwiesen", sagte Witherden. „Mantle?" „Nun ja, haben Sie die Zeitung noch nicht gelesen?« „Die lese ich immer erst nach Tisch. Von halb acht bis halb neun Uhr bin ich bei meinen Briefmarken, Herr, Sio wissen ja." „Der Bankier Mantle ist ermordet worden." „Verwandter von Ihnen?" Herrn Witherdens Ohren wurden dunkelrot. O Themis, dachte er wütend bei sich, deine Blindheit zeigt sich nicht so sehr in deinen Urteilen, als in der Anstellung deiner Gehilfen und Vollzieher. „Ich pflege im Amt nicht von Verwandten zu reden. Verwandtschaft existiert hier nicht." „Ist ja auch ein Ausschließungsgrund", sagte Migg, der immer daraus ausging, den sichtbar werdenden Aerger seines Vorgesetzten zu steigern. „Herr Migg", wimmerte der hilflose AugustuS Wither den, und lehnte den Kops weit nach hinten, „wir müssen sofort mit den Verhören beginnen. Sagen Sie Foxley, ich lasse den Inspektor Stevens hierher bitten, er wartet sicher schon in der Registratur." Migg verfügte sich hinaus und kam sofort wieder zurück. „Haben Sie alles, Herr Migg?" Herr Migg sah aus den Schutzüberzug seines rechten Rockärmels, auf den neben den Schreibtisch des. RichtM