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-rann «v r: 5-2 24 gestellten nackten Tisch, wo einige Lagen Schreibpapier, ein großes schwarzes Tintenfaß und mehrere Schreibfedern, sich ihrer Wichtigkeit bewußt, breitmachten, und ant wortete: „Alles in Ordnung, Herr." Der Polizeiinspektor trat ohne weiteres ein und setzte sich nach kurzem Grußwechsel auf den vor dem Schreibtisch Witherdens stehenden Stuhl. „Ich glaube, kein komplizierter Fall. Wurde gegen halb zwei Uhr nachts telephonisch angeklingelt. Von John Sleath, Diener bei dem Bankier Mantle. Sleath, der die ganze Nacht unruhig geschlafen hatte, war durch das Ge räusch eines Revolverschusses geweckt worden. Eilt in das Zimmer seines Herrn. Der liegt tot am Boden, mit einer Schußwunde im Kops, hält einen Revolver, der ihm offen bar gleich nach der Tat in die Hand gedrückt worden ist. Dieser Revolver trägt die Initialen 6. v. Der letzte Mensch, der spät am Abend bei Mantle gewesen ist, und den Sleath wohl eintreten, aber nicht weggehen gesehen hat, war Gilbert Daly, Vetter des Ermordeten, sein Erbe. Sleath will einen lebhaften Wortwechsel gehört haben. Ich habe ihn, sowie Herrn und Frau Rose, die Besitzer des kleinen Hotels, in dem Daly wohnt, gleich für neun Uhr hierher bestellt." „Sehr gut, wie immer", bemerkte Witherden, und quälte sich, mit dem Bleistift ohne Spitze die Namen zu notieren. „Und der Verhaftete?" „Er lag angekleidet schlafend auf feinem Bett. Ich öffnete sein Zimmer, und mußte ihn erst gehörig rütteln, ehe er erwachte. Er sah aüs und benahm sich, wie jemand, der einen Rausch noch nicht ausgeschlafen hat oder nach einer großen körperlichen oder seelischen Aufregung kraft- los niedergesunken ist. Nachdem er sich ein wenig er muntert hatte, folgte er ohne den geringsten Widerstand." „Dank Ihnen einstweilen, Inspektor. Wollen Sie dem weiteren Verhör beiwohnen?" „Wenn Sie es für notwendig erachten ..." „Das nicht. Sie haben ja gewiß noch anderes zu tun." „Freilich", sagte der Inspektor, und gähnte lachend. „Man hat ja überhaupt immer nur anderes zu tun." „Das möchte ich für meinen Teil nicht behaupten", meinte der Untersuchungsrichter etwas kühl. „Also, wenn Ihre Hilfe noch weiter benötigt wird, dann erhalten Sie Instruktion." „Guten Morgen, Herr Witherden", sagte der Inspektor, der rasch aufstand. „Guten Morgen. Bitte, Herr Migg, rufen Sie doch mal den Diener herein." Migg tippte auf einen der elektrischen Knöpfe auf dem Schreibtisch des Richters. Er war ja kein Diener, und wozu war der Knopf da? Witherden ärgerte sich, aber er konnte nichts machen. Der Gerichtsdiener erschien. „Bitte, führen Sie aus dem Wartezimmer Herrn John Sleath herauf; wenn dieser abgegangen ist, dann schicken Sie mir das Ehepaar Rose, und wenn dieses erledigt ist, dann holen Sie den Untersuchungsgefangenen Gilbert Daly, der heute nacht eingebracht worden ist." Der Gerichtsdiener trat ab. Witherden zog inzwischen sein Taschenmesser, um seinen Bleistift, den er übrigens selten zum Schreiben, sondern nur zum Ablenken seiner Nervosität benutzte, eine neue, feine Spitze zu geben. Sleath hatte sorgfältig Toilette gemacht. Er wußte, was er dem Gericht und was er dem verewigten Herrn Mantle schuldig war. Daß er einen guten Posten verlor, das bekümmerte ihn nicht. Er war ein Mann von all gemeinem Ansehen, um den Mantle von manchem vor nehmen Herrn beneidet worden war; er stand in den besten Jahren, und wenn er auch nicht soweit war, sich völlig zur Ruhe fetzen zu können, so besaß er doch schon ein respek tables kleines Kapital. Mantle war nie ein Knauser ge wesen und hatte sich seinen John Sleath etwas kosten lassen. Sleath hatte schwarze Schuhe mit Lackspitzen gewählt, eine dunkelgraue, schwarzgestreifte Hose, Rock und Weste aus einem weichen, schwarzen Stoss, einen nicht zu niedri gen steifen Umlegekragen mit schwarzer Schleife, die die schmal gefältelte weiße Hemdbrust sehen ließ, Tulaknöpfe in den Manschetten. Herr Mantle selbst hätte sich nach der Ermordung John Slcaths nicht würdiger präsentieren können. Migg nahm ihm die Lebensdaten ab aus denen hervorging, daß er ein Londoner Kind, noch unverheiratet, zweiundvierzig Jahre alt sei, wovon er fünfzehn Jahre im Dienste des Herrn Mantle zugebracht hatte. Dann sagte Witherden höflich: „Nehmen Sie Platz, Herr Sleath." Der Diener setzte sich mit großem Anstand aus den Stuhl, den der Inspektor kurz vorher innegehabi hatte „Kennen Sie Herrn Daly?" „Gewiß. Ei war der Vetter Herrn Mantles und zwan zig Jahre jünger. In den letzten Jahren, als er eben mündig geworden war, kam er jährlich etwa zwei- oder dreimal zu uns, speiste auch manchmal abends da. Aber seine Besuche waren immer kurz. Herr Dato war der ein zige nähere Verwandte des Herrn Mantle, und sein gesetz licher Erbe. Das war ja kein Geheimnis. So kam er auch gestern nachmittag zu Herrn Mantle; ich glaube, gehört zu haben, daß Herr Daly Abschied nehmen wollte. Die beiden Herren waren sehr freundschaftlich miteinander. Gegen sieben Uhr ging Herr Daly." „Können Sie uns über die weiteren Ereignisse des Abends noch etwas erzählen?" Sleath räusperte sich, die Hand vor dem Mund, neigte sein Haupt, und begann: „Nachdem Herr Daly gegangen war, lud Herr Mantle telephonisch seinen Rechtsanwalt, Herrn Everard zum Diner, das ich auf seinen Wunsch besonders aufmerksam Herrichten sollte. Die beiden Herren sprachen bei Tisch nur vom Essen und Trinken, nachher in der Bibliothek, wo sie den schwarzen Kaffee und einen Whisky nahmen, hörte ich einmal aus dem Munde meines Herrn das Wort .Testa ment'. Nachdem Herr Everard gegangen war, gab mir Herr Mantle die Erlaubnis, mich zurückzuziehen. Ich glaube, auch er war in der Verfassung, die Ruhe zu suchen. Da läutete es noch einmal. Ich war wohl schon im Be griff, zu Bett zu gehen, aber ich sah es als meine Pflicht an, zu öffnen. Es dauerte ein paar Minuten, bis ich wieder in den Kleidern war. Unterdessen wurde nochmals und recht heftig geläutet. Als ich öffnete, stürzte Herr Daly an mir vorüber. Das fiel mir auf, denn Herr Daly kam sonst so selten, daß zwei Besuche innerhalb weniger Stunden sehr ungewöhnlich waren. Auch bemerkte ich, daß Herr Daly außerordentlich erregt war. Herr Mantle stand auf dem Treppenabsatz und ließ Herrn Daly in das Parterre zimmer eintreten, wo nachher die Mordtat begangen wurde." „Um wieviel Uhr war das? Können Sie sich darauf be sinnen?" „O ja, es war schon nach zehn Uhr, als Herr Everard wegging. Ich konnte mich natürlich nicht ohne weiteres zurückziehen. Man kann den erledigten Tag nicht als ab geschlossen ansehen, wenn man den kommenden nicht vor bereitet hat. So kam es, daß ich, ohne es zu wollen, einige Worte aus dem Gespräch der beiden Herren vernahm, be- ziehungsweise von Herrn Daly, denn Herr Mantle Hai nie ein lautes Wort gesprochen. Das war auch der Hauptgrund unserer gegenseitigen Achtung. So glaubte ich, aus Herrn Dalys Munde das Wort .Heirat' zu hören." „Heirat? Wissen Sie etwas darüber?" „Nein, von keiner Seite. Ich kann nicht sagen, ob es sich um eine Heirat Herrn Mantles gehandelt haben könnte; verlobt war er nichi. und über etwaige Beziehungen wüßte ich nichts anSzusagen." Herr Slcarh versuchte hier ein undurchdringliches Ge sicht zu machen, damit auch der Richter erkenne, mit welch diskretem und korrektem Manne er es zu tun habe... lKortsevuna iolat.)