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Seitzeriy Zeitung 98. Jahrgang Mittwoch, am 7. August 1929 Nr. 182 M Chronik des Tages. — Reichsautzenmintster Dr. Stresemann forderte bei der Eröffnung der Haager Konferenz die Wiederherstellung der deutschen Staatshoheit. — Dr. Eckener will Donnerstag früh M.E.Z. in Lake- Hurst mit dem „Graf Zeppelin" zum Weltflug starten. — In der Nähe Zechliner Hütte wurde die Leiche des vermißten Landgerichtsvirektors Dr. Bombe gesunden. — Der Drohbriefschreiber von Flensburg ist-verhaftet worden. — Die Zahl der Toten beim Ostender SchtffsunMck beträgt bis jetzt 11. Vermißt werden noch 6 Personen. — Bet einer Bergwerkskatastroph« in den Hokkaido- Werken in Japan sind 75 Arbeiter umS Leben gekommen. Vier Lleber-Zeppeline geplant. Ter Vertreter des Luftschiffbaus Zeppelin in den Vereinigten Staaten, v. Meister, hat nach Meldungen aus Lakehurst mitgeteilt, daß Pläne für die Errichtung einer Luftschiffstation in Richmond durch den Luftschiff bau Zeppelin in Friedrichshafen ausgearbeitet werden. Tie Station soll den Endpunkt eines regelmäßigen Transatlantik-TiensteS bilden, für den vier lenkbare Luftschiffe, doppelt so groß wie »er „Graf Zeppelin" und einer «m ein Tritte! höheren Geschwindigkeit so wie dreifachen Tragfähigkeit für bezahlte Last gebaut werden sollen. , Meister fügte hinzu, er hoffe, daß im Frühjahr 1931 ein 7O-Stunden-Transatlanttk-Dienst aufgenom men werden könne. Der Dienst soll zunächst sechsmal monatlich betrieben werden. Zn letzter Stunde! Ein Notruf der besetzten Gebiete. — Appell für sofor tige Räumung «nd Rückgabe des SaargebieteS. Der Wirtschaftsausschuß für die besetzten Gebiets hat der deutschen Delegation im Haag telegraphisch folgende Entschließung übermittelt: „Der Wirtschaftsausschuß als die Gesamtvertre tung von Industrie, Handel, Handwerk und Landwirt schaft des besetzten Rheinlandes hält sich angesichts der sich von Tag zu Tag verschlechternden wirtschaftlichen Lage für verpflichtet, von der Reichsregierung zu ver langen, bet den politischen Verhandlungen im Haag darauf zu bestehen, daß die sofortig« Räumung des besetzten Gebietes und die Wiedervereinigung des Saargebiets mit seinem Mutterlande zur Vorbedingung der Annahme des YoungplaneS gemacht wird, der für die deutsche Wirtschaft eine kaum tragbare Belastung bringen wird. Die Rheinlandräumung darf nicht von irgendwelchen wirtschaftlichen oder politischen Zuge ständnissen abhängig gemacht werden. Insbesondere mutz die Einsetzung einer Festster- lnngS- «nd »ergleichskommifsion abgelehnt werde«, weil sie der Ausdruck eiueS die endliche Befriedung gefährdenden Mißtrauens ist. Tas Saarland bildet mit dem deutsche« Mutter land eine untrennbare wirtschaftliche Einheit. Tie «n- natürliche Grenzziehung schädigt insbesondere die Grenz gebiete ans das schwerste. Tie Wiedervereinigung des SaargebieteS mit Teutschland ist um so notwendiger, als Teutschlanv die ihn» anferlegten ungcheuren Laste« des YoungplaneS nur dann wird tragen können, wenn es seine gesamten wirtschaftlichen Kräfte, zu denen die starke Wirtschaft des Saarlandes von jeher gehört hat, wieder einheitlich zusammensassen wird und sich in Freiheit entfalten kann." Gleichberechtigung «nd staatliche Freiheit Um zn arbeite« und »»produzier«« brauche« aber di« «Aller Freude a« der Arbeit «nd Befriedung. Da» ist ein« der Unwägbarkeiten, die von de« größte« deutsche« StaatSmam» der deutsche« Ratto« -mpf-htt» wurde«. Auch in dieser Hinsicht hoffe ich auf ei« gutes Ergebnis »er Konferenz. Sie sott v» einer freudige« Znsammenarbett auf der Grundlage vSNiger Gleichberechti- guug und staatlicher Freiheit zwischen de« Ratio nen führen, die an dem Krieg teNg-mnnmc» habe«. ES scheint mir, daß di- Versöhnung»- «nd «erstiwdi- gnngsarbeit im der letzte»» Feit kangsaueer fortschreittt, «G wir die» erwarte« durfte«. Richt» ist schwerer zu ertrage«, als euttSuscht« Hoffm»«ge«, und deshalb hoffe ich, daß diese Konferenz dazu beitragen wird, da» Werk der Ver söhnung «nd Zusammenarbeit wieder in dem gleiche« rasche« Tempo fortznsetze«, wie die» vor ewiger Zeit der Fall war. Ich bin mir der Schwierigkeiten, die «och z« über- winde« sek« «»erden, voll bewnßt, aber di« Führer »o« Böller« dürfe« «icht warte«, bi» ü« v. H. hinter ihne« stehe«. Wir müsse« an der Spitze gehe«. Auch in dieser Hinsicht ist der Haag der beste Ort, «m eine« Erfolg der Konferenz zu sichern." Stresemanns Rede. Reichsautzenminister Dr. Stresemann leitete sein» Rede mit einem Dank.an die holländische Regierunx für die Vorbereitung der Konferenz ein. Er fuhr fort, der Erfolg der Konfercuz würd» wesentlich von dem Echo abhängrn. vas die Verhand lungen bei den Völkern finden würden. Tic außeror dentlich große Bedeutung der kommenden Beratungen ginge weit hinaus über das, was ein finanzieller Re chenstift mit einer finanziellen Regelung zwischen den Böller»» schaffen könne. Der Haag sei für die Konferenz der geeignetste Ort als die Stätte, wo der Gedanke des internationalen Rechtes geboren worden sei und seinen Weg zur Ausführung gefunden habe. Zwar würden die kommenden Beratungen von nüchternen wirtschaftlichen und finanziellen Erwägungen ausgehen und die Folgerungen der Londoner Konferenz vom Jah re 1924 bilden. Damals sei es aber bei dem ersten Versuch geblieben, eine wirtschaftliche Liquidierung des Krieges herbeizuführen. „Unsere heutigen Beratungen," führt« Stresemann aus, „werden auf der Arbeit der Sachverständigen beruhen. Aber es ist klar, daß die wirtschaftlichen und finanziellen Ergebnisse nicht die einzigen dieser Konferenz sein werden. Die wirtschaftlichen Beratungen müssen auch politische Folgen haben, nicht nur für die Länder, welche, wie die Vertreter von Frankreich mit Recht behaupten, noch unter den Folgen des Krieges zu leiden haben, sondern für alle Länder der Welt. Die Leistungen, welche die hier ver tretenen Länder schaffen müßten, werden nur möglich sein» wenn die Wirtschaft auf eine neue Grundlage gestellt wird. Ich sehe elne neue WeltwirtschastSkonfe- renz voraus, welche sich damit beschäftigen wird, den international«, Handel auf eine größere Grundlage zu stellen. Ich hoffe, daß der Augenblick kommen wird, wo wir auf die Zeit, in der die europäischen Länder wirt schaftlich getrennt waren, ebenso spöttisch zurückblicken wer- den, A« wir heute in Deutschland spöttisch auf die Zeit zurückblicken, in der die verschiedenen Teile Deutschlands von hohen Zollmauern umgeben waren. Ein Fortschritt in dieser Richtung wird eine» der wichtigsten Ergebnisse dieser Konferenz sein. Politische Rundschau. __ Berlin, den 7. August 1929. rungen vor genommen worden. — Nachdem di« Immunität des nationalsozialistischen Abgeordneten Strasser aufgehoben worden ist, hat das Schöffengericht in Oranienburg als Termin der Verhand lung gegen Strasser den 27. August bestimmt. Arrhattbare Zustände in Danzig. Tie Westerplatte erneut gesperrt. — Wege« ei«eS pol nische« M««itto«stra«Sportsr Auf Anordnung der polnischen Regierung wurde der Handelsverkehr auf der Westerplatte erneut ge sperrt, weil ein polnischer Dampfer mit Explosiv- material an Bord Anker geworfen hat. Der Dampfer wird bereits entladen. Da gegenwärtig gerade der italienische UnterstaatS- sekretär beim Völkerbund, Marchese Paolucci di Cal- bolt, in Danzig weilt, wäre es zu wünschen, daß der Vertreter des Völkerbundes sich einmal selbst von den unhaltbaren Zuständen auf der Westerplatte überzeugt. * Eine Offiziersabordnung der in Danzig weilenden italienischen Kriegsschiffe legte am deutschen Krieger denkmal in Langfuhr einen Kranz nieder. An der Ge fallenenehrung nahm auch der deutsche Marineveretn teil. Weltflug des Aeppeli«s. — New York, 6. August. Das Interesse des amerikanischen Volkes für den „Graf Zeppelin" ist dadurch, daß das Luftschiff zum zweiten Mal in Lakehurst ankert, nicht beeinträchtigi worden. Tag Mr Tag kommen große Scharen neuer Besucher nach dem Militärlufthasen, um den „Gras Zeppelin" zu bewundern. Ihre Zahl hat bereits di« 100 OOO-Grenze überschritten! Dr. Eckener hat bisher den größten Teil seine» Zeit als Gast des Commanders Peirce in Lakehurst verbracht und die Arbeiten zur Auffüllung des Be triebsstoffes persönlich geleitet. Schwierigkeiten ergaben sich dadurch, daß der Zeppelin mehr Wasserstoff be nötigte, als in Lakehurst überhaupt vorhanden war. Tie Flugstation hat jedoch tatkräftig «ingegriffen und das fehlende Wasserstoffgas aus anderen MarinedepotS nach Lakehurst geschafft. Inzwischen gehen die Vorbereitungen Mr den Weltflug des „Graf Zeppelin" kräftig weiter. Di« Schiffsmotoren sind bereits wieder betriebsfähig und die Löcher, die der Sturm aus dem Atlantik in die Hülle des Luftschiffes gerissen hat, sind ausgebessert. Dr. Eckener hofft, am Mittwoch gegen Mitternacht amerikanischer Zeit — also Donnerstag früh euro päischer Zeit — in Lakehurst zum Weltflug starten zu können. Tie Weltreise Mhrt von der Freiheitsstatue im New Uorker Hafen über den Ozean hinweg nach Frie drichshafen und von dort über Europa, Rußland und Asten nach der japanischen Hauptstadt Tokto. Von Tokio aus geht die Weltreise ijber den Stillen Ozean nach Los Angeles und von da nach Lakehurst, von wo aus der „Gras Zeppelin" dann endgültig die Heimreise nach Deutschland antreten wird. Die Männer des „Graf Zeppelin" hoffen, dis Reise um die Welt in 21 Tagen durchführen zu kön nen. Gelingt das, dann wird das deutsche Luftschiff einen neuen Rekord aufftellen, denn bisher brauchte man Mr die schnellste Reise Um die Welt im Flugzeug und Schiss immer nocb 23 Tage, 15 Stunden und 25 Minute«. Tos Interesse für die Wettfahrt des „Graf Zeppe lin" ist in allen Ländern groß, wird auf dieser Fahrt doch die Leistungs- und Verwendungsfähigkeit des Luft schiffes auf die härteste Probe gestellt. Tas Luftschiff mutz tagelang jedem Wetter trotz bieten und gegen Zufälle aller Art gewappnet sein. Bedeutung kommt dem Weltflug ferner dadurch zu, daß der „Graf Zep pelin" zum ersten Mal einen wirklich großen Ueber- landslug in west-östlicher Richtung aüsführt. Vielleicht ist das Luftschiff berufen, gerade in dieser Hinsicht einmal großes zu vollbringen Erheblich ist natürlich der Andrang zu der Weltfahrt, und das, obwohl der Fahrpreis für den einzelnen Platz 9000 Dollar beträgt also mehr als 36 000 Mark! Tas amerikanische Marineamt nimmt an dem Zeppelin-Weltflug durch dret Offiziere teil. Als Privatleute haben sich drei Amerikaner für die Weltfahrt eingeschrieben; mehr Plätze hat man Mr die Vereinigten Staaten nicht zur Verfügung stellen können, weil auch Fahrgäste anderer Nattonalität Auf nahme finden sollten Für dtt erste Fahretappe, die rn Friedrichshafen endet, nimmr der „Graf Zeppelin" auch Post und Fracht mit. Unter der bereits verstauten Ladung befin den sich zwei Pakete Filme, eine Kiste mit wissen schaftlichen Instrumenten, eine Schreibmaschine und — eine Kiste mit Insektenpulver! Tr. Eckener erhofft von der ersten Wettfahrt des „Graf Zeppelin" nicht nur einen ideellen und einen sportlichen Erfolg, sondern auch einen guten finan ziellen Gewinn für die Zeppelinwerft. Ter Fahrpreis allein, so hoch er mit 36 000 Mark auch ist, wird zwar die Unkosten nicht decken, doch vereinnahmt der „Graf Zeppelin" außerdem auch noch erhebliche Summen für die Fracht und die Post, deren Beförderungskosten na türlich gleichfalls erheblich höher sind, als die gewöhn lichen Fracht- und Postgebühren. Möge denn die Weltfahrt des „Graf Zeppelin" der deutschen Luftschiffahrt und den Männetn der Zep pelinwerft neuen Ruhm bringen und mit dazu bei tragen, das Luftschiff endgültig in den Handelsverkehr etnzugliedern. Friedensappell Stresemanns. Tie erste Vollsitzung »er Haager Konferenz. — Deutlich« Sprache der ve«ts«he« Delegation. — Haag, 7. August. Die Haager Konferenz hat gestern ihr; erste Voll sitzung und im Anschluß daran ihre erste Geheim- sttzung abgehalten. Schon lang« vor der Eröffnung der Konferenz waren die Zufahrtsstraßen zum Binnen hof von dichten Zuschauermassen besetzt. Polizei zu Pferde sorgt« musterhaft Mr Ordnung. Dicht gefüllt war auch der vornehme Senatssaal des Binnenhofs. Man sah viele der bekanntesten cha rakteristischen Köpfe wieder, ohne die im letzten Jahr zehnt eins repräsentative, internationale Konferenz un denkbar geworden ist. Die Hauptdelegierten saßen um einen großen ovalen Tisch, ohne Rangordnung, nach der alphabetischen Reihenfolge ihrer Ländernamen. Ms erste die Delegierten Deutschlands, d. h. die vier Minister Dr. Stresemann, Dr. Wirth, Curtius und Hilferding. An einer Schmalseite des Tisches saß der Vertreter des Gastlandes, Außenminister Belaerts van Blockland, zwischen Briand und dem eigentlichen Füh rer der englischen Delegatton, Schatzkanzler Snowden. Briand enttäuscht. Ter holländische Außenminister eröffnete die Kon ferenz mit einer formvollendeten herzlich gehaltenen Begrüßungsrede. Dann sprach Briand und — ent täuschte! Briand sprach von Anfang bis Ende ganz formell. Seine Begrüßungsrede entsprach ungefähr dem, was er seinen Kammerabgeordneten als Regie rungserklärung zur Haager Konferenz vorgetragen batte. Man hört erneut davon, die Konferenz habe eine schwierige Ausgabe zu erfüllen, die nur mit gutem Willen zu lösen sei. Zum Schluß betonte Frank reichs Ministerpräsident, er sei überzeugt, daß der Abschluß der Haager Konferenz ein Schritt vorwärts aus dem Wege des Friedens sein werde und er wünsche dringend, daß dieser ein entscheidender Schritt sei. Alle Völler seien an der Lösung dieser Fragen inter essiert. Der unlösliche Zusammenhang zwischen allen Völkern wachse heute im Bewußtsein der Oeffentlich- keit. Die Aufgabe des Führers. Sensationell wirkte die große Rede des deutsche». Außenministers Dr. Stresemann, der ei«e starke per sönliche Rote in de« Konferenzton brachte. Die Rede wirkte wie ei« Appell an den Friedenswille« »er Welt, an de« Wille«, de« Frieden «»»»gültig z« organi siere«. Melfach durch lebhafte Zustimmung und warmen Beifall unterbrochen, trat Dr. Stresemann dafür ein, daß die Kleinstaaterei der Völker von einer höheren Organisation abgelöst werde, so wie die deutsche Klein staaterei zu Ende gegangen sei. Gemeinsam sollten die Völker auf der Basis gegenseitiger Achtung, Gleich berechtigung, in voller Souveränität mitein ander arbeiten. Dr. Stresemanns Schlußbemerkung, daß ein Führer führen müsse, ohne auf die Zu stimmung oder Anregung der Mehrheit seines Par laments zu warten, wurde als eine Aufforderung an Briand aufgefaßt, sich von den Hemmungen der Kam- merpolittk zu emanzipieren. Man wußte anscheinend im Augenblick nicht, wie man darauf reagieren sollte, jedenfalls wurde der Schluß der Rede des deutschen Außenministers ohne jede Kundgebung ausge nommen. Nach der Uebersetzung ins Französische und Eng lische gab es einen kleinen Zwischenfall. Der hollän dische Außenminister erklärte die Sitzung für geschlos sen, als sich Henderson zu Wort meldete und einen mit warmen Beifall aufgenommenen Dank an das Gastland Holland aussprach. Er fand auch herzliche Worte Mr Briand und Stresemann, die ihm wiederum beide dankten. Als Belaerts van Blockland nun wirk lich den Schluß der ersten Vollversammlung verkün dete ,fiel auf, daß Dr. Stresemann den Konferenzsaal sichtlich ermüdet verließ.