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rmerWe C. Zehne vo/r. <35. Fortsetzung). Auch als dies erledigt ist, kehrt sie zum Schöne berger Ufer zurück. Fiebernde Stunden gehen den Frauen hin. Am «Abend kommen die Baudentelegramme. Bon Peter« baude: „Dame war gestern hier, wohin gewendet un« bekannt." Der Schneegrubenbaudenwirt weiß nichts von der Gesuchten, doch will er sie anhalten, falls sie noch eintrifft. Hans Tönnes Wirtin hat nicht telephoniert. Als sich Marie gegen zehn Uhr abends nochmals persönlich hinbegibt, rst keine Nachricht von Charlotte einaeaanaen. 11. Kapitel. An dem gleichen Nachmittag, da Marie telegra phiert und Viktor von Berlin abreist, irrt Charlotte in den Bergen umher. In ihr Wettercape gehüllt, eine kleine Reise tasche in der Hand, so schreitet sie in den kühlen, win digen Tag hinein. In der Tasche ist außer Nacht zeug nur ein Browning, den sie in Görlitz gekauft hat. Charlotte sucht einen Platz zum Sterben — — Im Riesengebirge ist noch nicht der volle warme Sommer eingekehrt, wie drunten in den Ebenen. Auf der Kammhöhe weht eine herbe, frische Luft. Nebel lagern in den. Tälern und ziehen über die Kuppen hin. Die Mittagssonne vertreibt sie nur für Stunden. In einer weißen Haube schimmert die Koppe. Dort ist noch einmal Neuschnee gefallen. Nur erst wenige Touristen wandern auf den schmalen Bergpfaden; ihre Gesichter sind vom Winde gerötet und zeigen ein Lachen. Die herbe frische Lust gibt ihnen Frische und Frohsinn. Der kleinen Charlotte soll sie den Mut zum Sterben geben. Schon einmal war sie im Riesengebirge, in ihrer Backfischzeit. Das waren kurze, aber unendlich schöne Tage gewesen. Charlotte hatte seitdem die Berge nur aus der Entfernung gesehen. Wenn wieder einmal der Zug sie durch Schlesiens Land trug, lagen sie blauend zur Seite. Auf der reinen, steten Höhe, unter dem Rau schen ihrer alten Tannen will sie den Atem ver hauchen. * Sie hatte, vor Tagen schon, den Bries an Tante Lina geschrieben und ihn einem Boten mitgegeben, der vom Kamm nach Böhmen hinunterging. Dann meinte sie, nun sei es Zeit zur Tat, und nahm den Browning zur Hand. Wer nie zuvor hatte sie einen Schuß aetan. Da überfiel ein schütternder Schrecken die Arme. Nicht nur das Grausen war es, das eisig durch schauernde Todesgesühl, als sie probeweise den kleinen, kalten Laus an ihre Schläfe setzte — — auch eine deutliche Vorstellung trat hinzu. Oft genug hat sie von Menschen gelesen, die sich erschießen wollten, und nur eine furchtbare Verstümmelung erzielten. Bebend ließ sie die Waffe sinken, sie fiel ihr zu Füßen ins Gras. Dann verhüllte sie das Gesicht — wild ausschluchzend sank sie selbst zu Boden nieder, neben dem grausamen Ding mit dem starren, metall kalten Kugellaus. Zwei volle Tage war sie dann planlos gewandert. Und hatte noch nicht den Mut gefunden zum Letzten. Gestern, als sie in dem großen, halbdunklen Gast raum der Peterbaude saß, hat sie in Verzweiflung lange gegrübelt. Sie sah nichts von den wenigen Tou risten, die hereinkamen. Sie bemerkte nicht, wie sie sich behaglich niederließen und die Einsicht des Wir tes lobten; denn der hatte bei dem seuchtkalten Nebel wetter in dem kleinen Eisenofen ein Feuer angemacht. Das gab so etwas Urgemütliches. Charlotte wußte nichts von alledem. In einen Winkel gedrückt, schaute sie vor sich nieder und pei nigte ihr schmerzendes Hirn. Dieses Herumirren kann sie auch nicht länger ertragen. Sie schrieb noch mit zitternder Hand den Gruß an Hans Tönne. Sie gab ihn sogleich zur Post. Dann verließ sie die Peterbaude mit dem festen Entschluß, den Platz zu suchen für den großen Schlaf. Ehe noch mals vierundzwanzig Stunden vergangen sind, muß sie ihn gefunden haben. Den Abhang nach Böhmen stieg sie hinab. In irgend einer entlegenen Talbaude verbrachte sie die Nacht. Sollte sie es hier vollbringen in tauiger Mor genfrühe? Aber dann wußte sie plötzlich, daß es nur in steter Höhe geschehen kann. So wendete sie heute noch einmal um und wan dert nun wieder bergauf. Ihr Weg führt sie durch eine breite, waldige, wie weltverlorene Senkung. Sie ist mit jungen, halbhohen Tannen bestanden. Die schimmern im Schmuck lichtgrüner Triebe. Den Hin tergrund geben machtvolle, runde Bergkuppen, auch ganz mit Wald bedeckt. Wer der trägt ein tiefes Schwarzgrün. Ein blauer Himmel wölbt sich über dem Berggelände. Die Sonne flutet breit hernieder. In diesem geschützten Tale fühlt man nur ihre goldige Wärme. Die kerben, frischen Winde finden nicht herein. Es ist ganz sommerlich. Und so wundersam men- schensern und friedlich. Ein wenig, ein klein wenig dieser sonnigen Friedsamkeit senkt sich auch in Char lottes zerrissene Seele. Zwischen Jungtannen und Ebereschensträucherr kauert sie sich neben dem Weg hin. Sie schaut vor sich ins Gras, wo kleine Anemonen schüchtern die Kelch« öffnen. Sie hebt die Augen und schaut über das lichte Grün der Tannenschonung aus dke dunkelwaldi» gen Berge. Noch einmal überläßt sie sich ihrem Sinnen. An die Eltern will Charlotte nicht denken. Iw emem angstvollen Schuldgefühl drängt sie die Er. innerung an die leidgebrochenen alten Leute zurück. ,MaS bin ich eigentlich für ein jammervolles Ge schöpf?" klagt eS m ihr mit Weinen. ,Hin ich grund schlecht in meinem egoistischen Glücksverlangen bin ich aut in meiner heimlichen LiebeSkrast? Wie es auch sei, ich trage an meinem Elend nicht allein die Schuld. Der Gott, den sie den Gütigen nennen, gab mir nicht Kraft, das Glück zu entbehren. Wer das Glück gab er mir auch nicht. — Doch die Liebes- kraft, o Himmel, ist auch sie vielleicht nur eine Jäm merlichkeit — — ist sie Gewinnen- und Genießen wollen? Doch nein o nein, ein Trost mutz ! bleiben. Die Mutterliebe, die hinter allem steht, sie > ist kein Genießenwollen, denn sie gibt doch immer nur j sie gibt. O, lieber Gott — —" etwas Weiches j legt sich über ihre blassen, gealterten Züge, etwas , Weiches, das wunderbar verjüngt und verschönt. „Ein liebes süßes Kind — — wenn ich das gehabt hätte ." Sie wirst mit einem wilden Ruck den Kopf - zurück und starrt in die Bläue empor. Wieder gräbt > sich die unsägliche Bitternis um die schmalen fest ge schlossenen Lippen. „Er hat es mir nicht gegeben, der , liebe gute Gott. Ich hätte als Weib und Mutter ! eine der besten sein können. Ich hätte dulden kön- ! nen, wie Tante Lina es verlangt ach, die arme, i liebe Tante Lina, jetzt hat sie meinen Bries schon i längst und weint sich die alten Augen blind — —l i Und ich sitze hier, ein schiffbrüchiges Menschenwrack. ! Dort, wo ich lieben sollte, kann ich es nicht; ich lasse ' die treuesten Seelen in Kummer und Einsamkeit ver- > gehen." j Verflogen ist das arme bißchen Friedsamkeit. Die - unselige, kleine Charlotte, um alle Hoffnungen be- ! trogen, geht sie grausam ins Gericht auch mit > sich selbst. Sie gräbt und wühlt in ihrem zerrissenen j Innern; sie hält sich die Wahrheit vor Augen, uner- , bittlich und ungeschminkt. Nur einmal in ihrem Leben hat sie wirklich ge« - liebt. Und diese eine und einzige Liebe hat sie ver raten o ja, es war ein Verrat trotz aller Aus sichtslosigkeit. Denn nun wollte sie sich einem an- - dern geben, dem ihr Herz ja niemals schlug — — i nur um Trost zu haben. Um nicht einsam zu bleiben. Ah — — ah — — und als es gescheitert war mit ! Wehlen? Sie hätte noch einmal denselben Wahnsinn j begangen, wenn nur einer ihn hätte mit ihr be- - gehen wollen. Daraus — — darauf — — auf eine neue Liebe — — ach fort mit dem Lug und Selbst betrug — — auf ein neues elend halbes Gefühl — — darauf hat sie gewartet all die langen Jahre. kFortsetzims folgt.)