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— Am 28. September tritt Macdonald seine Neis« nach Washington an. — Ein Regierungskompromiß in der Frage der Re- form der Arbeitslosenversicherung sieht eine gestaffelte Er höhung der Beitragssätze vor. — In Köln wurde der achte deutsche Richtertag er- öffnet. — Macdonald unterstrich in einer Unterredung Eng lands Willen zu einer selbständigen Europa-Politik. — Der berüchtigte Fassadenkletterer Paul Kaßner war aus dem Strafgefängnis Tegel ausgebrochen. Auf der Flucht wurde er von Anstaltsbeamten angeschossen und schwer verletzt. — In der Fabrik Förde der AG. Siegener Dynamit- fabrik in Köln ereignete sich eine Explosion, der der stell vertretende Betriebsdirektor, der Bctriebschemiker, ein Mei ster und zwei Arbeiter zum Opfer fielen. — Auf dem Breitlahner bei Mayrhofen hat eine Lokaltermin im HalSmann-Prozetz stattgefunden. — Das französische Küstengebiet zwischen Toulon und Marseille ist von einem äußert heftigen Wirbelwind, beglei tet von Gewittern und Hagelschlägen heimgesucht worden. Von Woche z« Woche. Randbemerkungen Mr Zeitgeschichte. Bon den Beschlüssen der gegenwärtigen Herbst- tagnng des Völkerbundes ist einer der bemerkens wertesten negativer Natur: der Verzicht auf die Be handlung des Anleiheantrags der Saarregierung. Wenn man will, kann man darin ein Anzeichen dafür erblicken, daß die Selbständigkeits-Herrlichkeit des Saarlandes — die man übrigens nirgends gründ licher satt hat, als im Saargebiet selbst — mit Riesen schritten zu Ende geht. Und da man diesen Eindruck auch im Völkerbundsrat hat, glaubte der Rat, die Entscheidung über die Saaranleihe auf unbestimmte Zeit vertagen zu sollen. Jnzwrschen werden Deutschland und Frankreich ihre Sonderverhandlungen aufnehmen. Die Er öffnung der Saarkonferenz stekt bevor. Ta die Saarregelung des Versailler Vertrags in erster Linie von reparationspolitischen Erwägungen diktiert war, hätte die Frage der Rückgabe des Saar gebietes bereits von den Reparationssachverständigen im Hotel Georg V. zu Paris behandelt werden müssen. Wenn das nicht möglich war, dann deshalb nicht, weil Frankreich aus der Saarrückgabe ein Geschäft machen will. Tie französische Regierung wird von der In dustrie bedrängt und beschworen, um Gottes willen nicht „Schwäche gegenüber Deutschland" zu zeigen. Als „Schwäche" wird dabei jede Handlung ausgelegt, die nicht die Einräumung des Verfügungsrechtes Über die Saarkohle und die Erhaltung des Saar gebietes als französischen Absatzmarkt erstrebt. Tas sind gewiß maßlose Forderungen! Leider aber auch „Anregungen", denen man im französischen Außenministerium nur zu willig das Ohr leiht. Kämpfe wird es daher auch aus der Saarkonferenz geben. Als Richtschnur muß der deutschen Delegation dabei die Erklärung Stresemanns dienen: „Wir verzichten nicht auf einen Quadratzentimeter deutschen Bodens und nicht auf ein Pfund deutscher Saarkohle." Als positive Ergebnisse kann Genf die Reden des deutschen Außenministers Stresemann, des eng lischen Ministerpräsidenten Macdonald und des Un garn Apponhi verbuchen. Erfrischend waren vor allem die Darlegungen des 84jährigen ungarischen Grafen, der darauf hin wies, daß er drei Kaiserreiche entstehen und vergehen gesehen hat und der daraus zu der gleichen Erkennt nis kam, M der vor rund 2500 Jahren schon die griechischen Philosophen gelangt sind, nämlich zu der, daß es in der Welt nur einen ewigen Wandel gibt, ein ewiges Werden und Vergehen, aber -keine Er starrung des Seienden. Aus die europäische Politik angewandt heißt das, Verträge und Diktate können unanwend bar werden und müssen revidiert werden. Und da davon der Artikel 19 der Völkerbundssatzung handelt, wird man diesem Artikel, den jetzt China erstmals zur Debatte stellte, im Völkerbund bald etwas mehr Aufmerksamkeit schenken müssen. Im großen und ganzen ist die gegenwärtige Völ- kerbundstagung wohl die ruhigste in der ganzen Ge schichte des Bundes. Sie fand gleichzeitig zu früh und zu spät statt. Zu spät, weil über Räumung und Re- parationen bereits im Haag Entscheidungen gefallen sind und das Programm der Saarverhandlungen fest gelegt ist, zu früh, weil man die „Liquidierung des Krieges" noch nicht feiern kann. Es sind noch zuviel Konten offen. Zudem mußte die große angelsächsische Abrüstungs-Proklamation vertagt werden, weil Macdonald und Hoover nicht mehr rechtzeitig zur Eröffnung der Herbsttagung einig werden konnten. Der Termin der Abreise Macdonalds von Loudon nach Washington ist nunmehr bestimmt worden. Am 28. September tritt Macdonald als erster amtierender englischer Ministerpräsident eine Reise nach Ame rika an. Tas ist ein historisches Ereignis, und noch mehr wird die Konferenz mit dem amerikanischen Prä sidenten Hoover geschichtliche Bedeutung erlangen. Tie Lage ist ähnlich der, als England Haldane, der Deutschland seine geistige Heimat nannte, zu Aus gleichsverhandlungen nach Berlin schickte. Haldane schei terte mit seiner Mission, weil die sachlichen Differenzen nicht beseitigt werden konnten; kehrt jetzt auch Mac donald von Washington mit leeren Händen heim, dann ist der Gedanke der englisch-amerikanischen Verständi gung endgültig tot. Dann treten die Admirale in den Vordergrund, wird man hüben und drüben verstärkt Kriegsschiffe bauen und die Schiffsgeschütze instand- halten! Tas größte Aufsehen erregten in den letzten W »»DEM bei Rheuma, WWW D iHIIlT Mch«aS.Yexen. UMD W schuß, Nerven- und Erkältung«- WWW W schmerzen. — In Apotheken unb LWÄAMKLNL'LLä Drogerien erhältlich . - - - - - Tagen freilich die Verhaftungen' in der Spreng stoff-Affäre. Es ist zu begrüßen, daß das lang gehütete Geheimnis sich lichtet und einem Treiben ein Ende gemacht ist, das die Bevölkerung beunruhigte und das Vertrauen zur Polizei erschütterte. Aber mit Politik haben Höllenmaschinen nichts zu tun Bündnisse find veraltet. Aufsehenerregende Erklärungen Macdonalds. — E»M- land will freie Hand gegenüber Frankreich. — Paris, 14. September. Ein Vertreter des „Petit Parisien" hatte eins Unterredung mit dem englischen Ministerpräsidenten Macdonald über die englisch-französischen Beziehungen. Macdonald führte aus: Die englische Arbeiterpartei, die gegenwärtig die Regierung stellt, wird ihre Politik niemals gegen Frankreich richten. Immer erstrebt sie eine enge Zu sammenarbeit mit Frankreich. Die Politik der kon servativen Regierung sei aber keine Politik der Zu sammenarbeit mehr gewesen, sondern eine Politik der Unterordnung Englands unter Frank reich. Tie überwiegende Mehrheit des englischen Volkes sei der festen Ueberzeugung, daß die britische Politik sich lange Zeit im Schlepptau einer Abhängigkeit von Frankreich befunden habe. Eine Aenderung dieses Verhältnisses sei notwen dig gewesen. Nicht ein Wechsel im Geiste, aber in der Methode und der Art der Stellungnahme, die Groß britannien die Ueberzeugung verschaffe, daß seine Zu sammenarbeit mit Frankreich aus freien Stücke« er folgt. Wäre das nicht geschehen, dann hätte sich die Mißstimmung in England noch gesteigert, und ernsteste Rückwirkungen wären nicht zn vermeiden gewesen. Aus eine Anfrage, was er damit gemeint habe, daß er im Wahlkampf geäußert habe, die Arbeiterregierung werde keine Allianzen mehr eingehen, erwiderte Mac donald, diese Worte hätten sich an die Adresse des damaligen Unterstaatssekretärs Lord Cushendun gerich tet, der den Eindruck hervorgerufen habe, als bestehe das Vorkriegsbündnis des herzlichen Einvernehmens — die Entente cordiale — zwischen England und Frankreich noch fort. Demgegenüber betone er, daß die Bündnisse ber Vorkriegszeit sich gegen andere Mächte gerichtet hätten. Tie Arbeiterrcgierung lehne die Fortsetzung einer solche» Politik ab. Tie Freundschaft von Volk zu Volk dürfe nicht eine Spitze gegen andere Völker in sich tragen. Tie Zusammenarbeit mit Frankreich werde eine dauernde sein, aber das Wort Entente sei veraltet. * Das Echo in Frankreich. „Tie Entente cordiale ist ein ausgedienter Hund." Tie Erklärungen Macdonalds haben in Paris' großes Aufsehen erregt. Macdonalds Rede unterstreicht zwar deutlich den Willen zur Zusammenarbeit mit Frankreich, doch ist der Unterschied zwischen dem, was Macdonald sagt und dem, was man in Paris von Chamberlain gewohnt war, zu groß. Ter „Petit Parisien" begleitet die englischen Darlegungen mit dem Seufzer, es scheine fast, als betrachte London die alte Entente cordiale als einen ausgedienten Hund, dem man nach vollbrachtem Dienst den Gnadenstoß versetzen muß, damit er nicht die Tollwut bekomme. In Deutschland denkt man wesentlich ruhiger. Macdonalds Ausführungen wiederholen lediglich, was auch andere englische Erklärungen schon besagten, näm lich, daß England mit Frankreich in Freundschaft leben will, es jedoch ablehnt, den Franzosen nachzulaufen und Frankreichs Sache unbesehen zur englischen zu machen. Der Gesundungsprozeß Europas rann dadurch nur günstig beeinflußt werden. Aber Sensationen wird es nicht geben. Deutscher Richtertag in Köln. Ansprachen der Minister. — Bedarf cs einer Fustiz- reform? Unter Teilnahme des Reichsjustizministers von Guörard und des preußischen Justizministers Dr. Schmidt wurde in Köln der achte Deutsche Richter tag eröffnet. Reichsjnstizminister v. GuLrard führte aus, der achte Deutsche Richtertag erhalte ein besonderes Gepräge dadurch, daß wir am 1. Oktober das fünfzigjährige Jubiläum der einheitlichen deutschen Rechtsverfassung feiern könnten. In diesem einheit lichen Recht besitze unser Volk ein Gut von unschätz barem Wert. Richter- und Anwaltschaft seien allezeit treue Hüter dieses Gutes gewesen. „In jungen Jahren," so fuhr Minister v. GuLrard fort, „hatten wir die 50. Wiederkehr des Geburtstages unserer Reichseinheit schöner erhofft. ES ist anders ge kommen. Unsagbar Schweres ist über uns hinweggegan gen. Jahre namenloser Kraftanstrengung, Jahre schiverster Erschütterungen und tiefgreifender Umwälzungen liegen hin ter uns. In diesen Zeiten, wo die Gesetzgebung mit der Entwicklung nicht Schritt hatten konnte, fiel dem Richter die Aufgabe zu, Mittler zwischen dem starren Gesetz und der Seel« des Volkes und damit Träger der lebendigen Rechts entwicklung zu sein. Gewiß mag an dieser und jener Stelle gefehlt sein. Aber ich meine, jeder objektiv Denkende wird mit mir anerkennen, daß der deutsche Richter diele . schwerste Prob«, die ihm ft befchieben war, bestände« ! und sich auch in dieftr «eit «rwttsen hat al» da-, was j er fein soll, als Diener der Gerechtigkeit und Diener do» Volkes." Zum Schluß behandelte der Minister die Frag« der Justizreform und betonte dabei, eine kritische Prü fung bestehender Einrichtungen auf Grund einer durch Erfahrung geläutert«! Erkenntnis sei immer ein Go« Winn für das große Ganze. ' Der preußische Justizminister Dr. Schmidt Wer« brachte die Grüße der Skratsregieruna und unter strich die unlösbare Verbindung des Richters mit dem praktischen Leben. Das Hauptrefevat erstattete Landgerichtspräsident Hermsen-Koblenz; Redner behandeu-e das Thema: „Bedarf es einer grundlegenden Justizreform?" Seins Forderungen lauteten: qualitative Hebung Des Rich- tertums, Verminderung der Zahl der Richter, Dif ferenzierung der richterlichen Geschäfte in dem Sinne» daß Richter nur bei der eigentlichen Spruchtättaikeit in Straf- und Streitsachen eingesetzt werden. Herbstübungen der Flotte. Unter dem Kommando des Flottenchef». — Gefechts» Handlungen in der Ostsee. — Stettin, 14. September. Unter dem Kommando des Flottenchefs begännest in der mittleren Ostsee die Herbstübungen der Flotte. Die Flottenmanöver, die wiederum ein AusbildungS- jahr beschließen, stehen in diesem Jahre an Umfang; denen der Vorjahre erheblich nach. Tie schwierige Fi nanzlage des Reiches hat auch zu Abstrichen an« Flottenetat geführt, so daß auf manches verzichtet wer den mußte. Insbesondere fällt das übliche strate gische Manöver weg. Die erste Uebungswoche bringt in der Hauptfachs Fahr« und Lehrübungen der Linienschiffe, Tor pedoboote und Minensucher. Kreuzer nehmen an den Uebungen nicht teil. Die „Amazone" befindet sich in der SchifssartilleriSschule, die „Königsberg" ist unab kömmlich, die „Emden" befindet sich auf etner Aus landsreise in den amerikanischen Gewässern und deo Kreuzer ,Herlin" ist wegen Alters aus dem Klotten- verbarw ausgeschieden. Den Aahrü-ungen am Tag« folge« »ei Eintritt der Dämmerung AngrifMb««gen der Torpedoboots- flotiNe auf Linienschiffe ««d markierte schwere Streit kräfte. Im weitere« Verlaufe der Uebrrngen wird dis Flotte im gemeinsamen Verbände manövriere«. Ter Ches der Marineleitnng, Admiral Raeder, wickd dft> Schiffe wahrend der GcfechtShandlnng besichtige«. * Die erste« Hebungen spielten sich in der Nähe von Rügen ab; es nahmen! daran teil: vier Linienschiffe, die Boote der erstem und zweiten Torpedobootsflottille, eine Reihe vom Minensuchbooten, einige Tender und zahlreiche klein« Fahrzeuge. Den größten Raum der Manöver nahm: die Nachtübung ein, bet der den Torpedobooten die Aufgabe gestellt war, den Gegner vor dem Zusammen-, treffen der schweren Streitkräfte so weit als möglich zm schädigen. Die Manöver nahmen bei einem, dem Äe. danken der Uebungen entsprechend nicht ungünstigen» Wetter einen sehr befriedigenden Verlauf. Der Flotten. Hef, Vizeadmiral Oldekop, befand sich an Bord der« „Schleswig-Holstein". Waffenfunde in Rönne. Auch Maschinengewehre nnb Handgranate« beschlage nahmt. — Geständnisse Weschkes u«V NickelS? Die Untersuchung in der Sprengstoff-Affäre dürfte in Berlin am heutigen Sonnabend zu einem vor läufigen Abschluß kommen. Ueber die Zentralisierung der Untersuchung gegen die an verschiedenen Orten verhafteten Personen ist noch keine Entscheidung ge troffen. Geschäftsführer Pla atz, der von der Polizei ge sucht wurde, hat sich mit einem Brief des Kapitäns a. D Ehrhardt aus dem Polizeipräsidium in Berlin zur Vernehmung gestellt. Bei einer Haussuchung in der Wohnung wurde eine Sprengkapsel Nr. 8 ge sunden, wie sie bei den Bombenattentaten verwendet worden ist, serner beschlagnahmte die Polizei 174 Stück S-Mumtton. Tie Altonaer Polizei nahm eine Durchsuchung auf dem Anwesen des BaterS des verhafteten Amandus Bick i« Rönne vor. In einem drei Meter tiefe« anS- gema«crten Schacht, über den eine Futterkrippe gestellt worden war, wurden zwei Maschinengewehre, SS Stil" Handgranate«, 28 Gewehre, 7 Schachteln Spreng kapsel«, 2 Käste»» Gewehrmunition, S Käste« Ma« schinengewehrmunition «. a. mehr gefunden. Ter Be sitzer des Grundstücks wurde verhaftet. Weitere Verhaftungen erfolgten AM Alheim an der Ruhr, wo drei Personen tn Gewahrsam g nommen wurden. Landbund und Volksbegehren. L KL""»* Die Deutsche Allgemeine Zeitung" berichtete, da» NrSlidium des Retchslandbundes habe sich einstimmig aeaen die Aufnahme des Paragraph 4 des Gesetzes wurfes für das Volksbegehren gegen den Dounaplan ausgesprochen. Paragraph 4 Hartelt von der Straf, barkeit künftiger Unterzeichnung von Vertrügen, die «uü