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8. Fortsetzung. Nachdruck verboten. Immerhin lächelte sie, denn das Erröten ihrer Nichte entging ihr nicht. Sie hoffte, daß sich alles nach ihren Wünschen entwickeln würde. Käthe vergaß für die nächsten Tage nicht den Schrecken, der sie beim ersten Wiedersehen mit diesen beiden Menschen durchzuckt hatte. - ' Und dann begannen Tage hohen Glücks für sie. Fast stündlich war sie mit Felix Turnau zusammen. Und nie wagte er auch nur die geringste Anspielung, daß er sie schon gekannt hatte. Er schien selber dara.n zu zweiseln, daß das der Fall sein könnte; er glaubte sicher nur an eine große Aehnlichkeit und behandelte Käthe genau so, wie es ihr als Dame zukam. Aber sie sah doch, daß seine Augen jedesmal aus leuchteten, wenn er sie erblickte. Sie hörte das leise Beben seiner Stimme, wenn er zu ihr sprach. So glücklich sie darüber war, so sehr bemühte sie sich, sich zurückzuhalten. .Er liebt mich!* sagte sie sich jeden Abend, wenn sie in ihrem Zimmer allein war. Sie wußte es genau, und jetzt wußte sie selber, was Liebe war. Sie empfand alle Tage von neuem das unbeschreiblich süße Glück, wenn sie ihn sah, wenn er sie anblickte, wenn er zu ihr sprach. Ihr Herz schlug dann so sroh, eine Wonne ohnegleichen er füllte sie... Und doch fürchtete sie sich vor dieser Liebel Sie durfte ja nicht lieben! Sie war die Frau eines anderen! Entsetzlich dünkte es Käthe, ihr ganzes Leben lang diese unsichtbare Kette schleppen zu müssen, die niemand von ihr nehmen konnte! Sie war und blieb die Frau eines anderen, den sie nie geliebt hatte, der ihr Gatte geworden und es doch nie gewesen war. Und dessen Leib sicher schon längst irgendwo in der Erde ruhte, wenn er überhaupt bestattet worden war! Seit Käthe sich an das neue Leben gewöhnt, hatte sie jede Gelegenheit benutzt, um über London und das Leben dort zu lesen, und erfahren, daß dort jährlich Hun derte von Menschen spurlos verschwinden, um nie wieder aufzutauchen. Und dann erwachte in ihr eine leise Hoff nung, daß sie doch vielleicht frei war, nur noch die Witwe Berndt Klausens. Aber selbst der Gedanke an diese Möglichkeit konnte die Schatten nicht aus ihrer Seele scheuchen. Sie wichen nur von ihr, wenn Felix zu ihr sprach, doch sobald er sich ent fernt hatte, waren sie wieder da, schlimmer als vorher. »Ich werde Tante doch alles erzählen müssen-, dachte sie. Aber sie kam nie dazu, diesen Vorsatz auszuführen. Eines Abends stand sie mit Felix noch auf der Terrasse des Hauses. Die Dämmerung breitete ihre Schleier bereits über den Park unter ihnen, aber es war so wunderschön, daß sie schweigend nickte, als Felix Turnau sie fragte, ob sie noch ein wenig mit ihm durch die Wege schlendern würde. Dicht nebeneinander schritten sie dahin, diese beiden schönen, jungen Menschen, die wie füreinander geschaffen schienen. Beide spürten im tiefsten Innern, daß jetzt Vie Entscheidung über ihr Schicksal faken mußte — er bebend vor Glückshoffen, sie bebend vor Angst. Und als sie dann auf einer Bank unter einer alten Linde Platz genommen hatten, da faßte Felix Turnau Käthes beide Hände und sagte: »Käthe, Sie haben doch schon längst erraten, was in meinem Herzen für sie lebt. Ich brauche Ihnen kaum noch zu sagen, daß es nur für Sie noch schlägt, daß es kein Glück mehr für mich geben kann ohne Sie. — Aber ich wage kaum noch zu hoffen, daß Sie diese Liebe erwidern, daß Sie sich entschließen könnten, mich zu erhören, mein geliebtes Weib zu werden... — Käthe, liebe Käthe, darf ich hoffen?" Er spürte, wie ihre Hände zuckten und bebten, er sah, daß Tränen aus ihren Augen rannen, unaufhaltsam. Sie schluchzte nicht dabei, nur ihre junge Brust wogte ungestüm und krampfhaft. Da sank er vor ihr nieder und umschlang sie. Sein schönes Gesicht hob sich zu ihr empor, und die Augen, die Käthe immer geliebt hatte, blickten sie an, voll unaussprech licher Liebe, so sehnsüchtig bittend, daß sie von neuem erbebte und nahe daran war, ihn zu sich emporzuheben und ihm alles zu sagen, was in ihr war: Daß sie ihn liebte, seit sie ihn gesehen hatte, daß sie das glücklichste Weib aus Erden sein würde, wenn er sie als seine Gattin heimführen wollte. Sie brachte kein Wort hervor. Sie vermochte sich nicht zu rühren, und die Stimme ihres Herzens ward übertönt von einer anderen, die gebieterisch sagte: »Du darfst nicht! Du bist eines anderen Mannes Frau! Rie wirst du deinem Herzen folgen dürfen — nie!" Und ehe Felix Turnau wußte, was geschah, hatte Käthe sich losgerissen und lies, als würde sie gehetzt, durch den Park dem Hause zu. Er kniete noch vor der Bank. Nur das Haupt wandte er ihr nach und sah sie versinken gleichsam in den Schatten der Nacht, die nun zwischen den Bäumen und Büschen hervorkroch. Felix Turnau stand langsam auf und strich sich über die Augen. Und dabei spürte er, daß seine Hände feucht waren von Käthes Tränen; er küßte die Tropfen einzeln hinweg. Langsam, ganz langsam kehrte er ins Haus zurück. Er wußte nicht, ob er sich freuen dürfte, er wußte nur, was er ganz klar gesehen hatte: Käthe liebte ihn! Ms er den Salon betrat und Frau Bottrup allein dort fand, als sie ihn betroffen anschaute und fragte, was ihm geschehen sei, da bekannte er ihr seine Liebe für Käthe und bat sie um ihre Hilfe. Frau Adelheid antwortete leise: »Ich Weitz schon längst, daß mein Kindchen Sie liebt, Felix! Aber sie ist so scheu, so schüchtern. Wir dürfen nicht in sie dringen; lassen Sie ihr Zeit — Sie können es ja in der Gewißheit, daß Ihre Liebe erwidert wird. Und Sie wissen, daß ich das herrliche Geschöpf niemand gönne als Ihnen, Felix. Ich wäre so froh — ich bin es schon. Aber warten Sie, warten Sie in Geduld!" Damit gab Felix Turnau sich zufrieden. Er küßte beide Hände der gütigen Frau. Nachdem er sich zurückgezogen hatte, stieg Frau von Bottrup hinauf zu dem Schlaf zimmer Käthes. Sie lächelte nur, als sie das junge Mädchen vor dem Bett knien sah, den Kopf in die Kissen vergraben. Leise, ganz leise trat sie näher und legte Käthe eine Hand aus das Haupt. »KSthekind!" sagte sie voll unendlicher Liebe. Da fuhr das junge Mädchen herum, schaute aus ver weinten Augen zu ihr auf, umklammerte mit beiden Armen ihre Tante und stieß hervor: »Du weißt alles, Tante? — Ach, ich bitte dich, schicke ihn fort! Er soll nie wieder so zu mir sprechen — nie wieder! Hörst du, Tante? Das mußt du ihm sagen..." »War denn das so schrecklich, was er dir anvertraut hat, Kind?" Sie sah, wie Käthes Augen strahlten trotz der Tränen, die noch in ihnen standen. Sie hoffte schon, da riß sich das junge Mädchen auch von ihr los. »Tante, ich bitte dich, quäle mich nicht! Sag' ihm, daß ich nie heiraten, nie einen Mann lieben werde..." „Bestimmt nicht, Käthekind?" fragte Frau Adelheid lächelnd. „Ganz bestimmt, Tante! Ich weiß, du glaubst mir nicht, aber es ist mir bitter ernst zumute." Und dann warf sie sich doch wieder an die Brust der Tante und preßte ihren Kopf an deren Schulter. Sie er bebte dabei in so heftigem Schmerz, daß die erfahrene Frau wußte, sie durfte nun mit keinem Worte mehr an das Geschehnis rühren. „Still, still, mein Mädelchen!" flüsterte sie. »Niemand wird dich zwingen, ich am wenigsten. Und ich will tun, was du wünschst: ich will ihn fortschicken. Vielleicht kommt er einmal zur rechten Zeit wieder. Nur weine und sorge dich nicht mehr, Kätherle, es ist ja gar nicht so schlimm.. ." Sie streichelte das blonde Haar Käthes und redete ihr noch lange zu, bis sie sich von ihr auskleiden ließ und sich niederlegte. Noch in der gleichen Stunde bat Frau Adelheid den jungen Baron zu sich und sagte ihm schonend, daß es besser sei, wenn er für einige Zeit abreisen würde. Ihr Lächeln verkündete dem Bestürzten, daß nichts ver loren sei. Er hatte Mühe, nicht laut auszujubeln. Am nächsten Morgen war er abgereist, ehe einer der anderen Gäste erwachte. Als Käthe die Augen aufschlug und sich an alles erinnerte, was gestern geschehen war, als sie beglückt wieder seine Worte zu hören vermeinte, als aber auch all die Angst jäh wieder in ihr wach wurde, die sie dabei empfunden hatte, da wurde die Tür geöffnet. Tante Adelheid kam zu ihr und sagte leise: „Er ist fort, Käthekind! Er läßt dich noch grüßen und bittet um Verzeihung, weil er dich so erschreckt hat!" Da lächelte Käthe, während heiße Tränen aus ihren Augen rannen. Käthe verbrachte schreckliche Tage und noch schrecklichere Nächte, seit Felix Turnau Nonnenwerth verlassen hatte. Um so schrecklicher, als sie niemand hatte, dem sie sich an vertrauen konnte. Und sie mußte sich doch das große Geheimnis vom Herzen sprechen, sonst würde sie daran zugrunde gehen — sie wußte es! Warum, ach, warum nur hatte das Schicksal so grau sam mit ihr gespielt? Was hatte sie denn damals von Liebe gewußt, als sie Berndt Klausen nach London gefolgt und seine Frau geworden war? Sie wußte nur das eine: Daß sie nie Liebe für ihn empfunden hatte, denn sonst wäre sie nicht immer zurück gebebt, wenn er nur in ihre Nähe kam; sonst wäre sie ihm nicht so dankbar dafür gewesen, daß er keine Zärtlichkeiten von ihr verlangte, ihr keine erwies! Jetzt aber... Ach, sie sah ja immer und immer wieder, im Wachen und Träumen, das schöne Gesicht, die strahlenden, um Liebe bettelnden Augen Turnaus. Sie hörte die Worte, die er zu ihr gesprochen hatte. Nicht ein einziges hatte sie vergessen, denn sie waren wie mit feuriger Schrift in ihr Herz gegraben! Wie selig, ach, wie unbeschreiblich selig hätte sie sein können, wäre nicht jenes entsetzliche Geheimnis in ihrem Leben gewesen! Und nie, nie würde sie es bannen können! Nie! In ihrer großen Herzensnot kam ihr der Gedanke, ob Herr von Bodenstein, der so ritterlich zu ihr gewesen war, ihr nicht helfen könnte. Ihm als Detektiv mußte es ein leichtes sein, sestzustellen, was aus Berndt Klausen ge worden war, ob er noch lebte oder zu den Toten zählte. Und wenn Bodenstein sie fragte, warum sie das wissen wollte? Ob sie sich ihm würde anvertrauen können? Sie zweifelte. Sie marterte sich mit diesen Gedanken und kam zu keinem Entschlusse. Käthe war Tante Adelheid unaussprechlich dankbar, als diese mit keinem Wort an den Vorfall rührte, als sie die übrigen Gäste, die eS nach der Abreise Turnaus für ihre Pflicht hielten, sich eben falls zu entfernen, nicht zurückhielt. Nun waren die beiden wieder allein in Lem stillen Nonnenwerth. Und Käthe Netz Tante Adelheid gern davon schwärmen, wie schön es werden würde, wenn sie dem nächst nach Wiesbaden gehen würden, vielleicht auch nach der Schweiz... »Ich muß dir doch noch so vieles von der Wett zeigen, Kindl" sagte die gütige Frau oft. »Sie ist so schön!" »Wenn man reich ist!" dachte Käthe bei sich mit einige» Bitterkeit und erinnerte sich, wie sie schon die Menschev beneidet hatte, die in jene kleine Sommerfrische hatten reisen und sich dort vergnügen können, wo sie mit de» hgrten Tante gelebt hatte. Niemals hatte sie sich träumen lassen, Laß sie einst selber sehr reich sein und einen vornehmen Namen sührev würde. Aber sie hätte beides hingegeben für daS Bewußt- sein, frei zu sein. Sie kam sich vor wie eine Gefangene, die an einer unsichtbaren Kette gehalten wurde — einer Kette, von der sie niemand befreien konnte! Wenn sie damals hätte ahnen können, was das Leben ihr noch bringen würde! Aber sie war noch ein Kind gewesen, töricht und un erfahren! Und mutzte nun dafür das Glück ihres Herzens opfern! --l Eines Tages saß sie mit der Tante auf der Terrasse, als ein Reiter in den Hof sprengte, dessen Pferd schaumbedeckt und sichtlich erschöpft war. Frau Adelheid stand erschrocken auf; auch Käthe erhob sich. Eine unerklärliche Beklemmung ließ sie erbeben, sie mußte sich auf die Stuhllehne stützen, um nicht nieder zusinken. Der Mann, ein Reitknecht, kam die Treppe heraus, zog tief die Mütze und verbeugte sich. Dann aber keuchte er: »Gnädige Frau, eine dringende Botschaft..." »Warum in aller Welt hat man nicht das Telephon benutzt?" fragte Frau Adelheid. ,, Der Mann lächelte verlegen und schaute auf Käthe. „Ich weiß nicht, ob ich vor dieser Dame sprechen darf?" Da schritt Käthe auch schon wankend hinweg. Aber sie hörte noch, wie der Fremde sagte: „Ich komme von Werdenfels, gnädige Frau, von Frau Baronin von Turnau..." Da preßte Käthe eine Hand auf das Herz, das jäh sein Schlagen fast einen Augenblick einstellte. Und totenbleich lehnte sie sich an eine der hölzernen Säulen, die das Dach der Terrasse trugen. Von Felix' Mutter! Und daß ein Unglück geschehen war — ihm! —, das stand für sie fest. Sie hörte nicht, was der Reitknecht noch meldete; sie vernahm nur einen Schreckensrus der Tante und seinen Namen! „Felix?" schrie Frau Adelheid. Was war geschehen? Dann sprach Tante leise einige Worte zu dem Manne-, der die Treppe wieder Hinabstieg. Schritte erklangen, weiche Arme umschlangen Käthe, und diese hörte hinter sich eine sanfte Stimme: „Liebe Käthe, erschrick nicht! Etwas Schreckliches ist geschehen: Felix ist verunglückt bei einer Fahrt mit einem neuen Motorrad. Man hat es nicht telephonisch melden wollen, um uns nicht zu sehr zu ängstigen." Da wandte Käthe sich um. Ihr Gesicht war vollkommen farblos, ihre Lippen zuckten und ihre Augen waren wett geöffnet. Sie faltete die Hände, als sie nun stammelnd fragte: „Tante — er ist — tot?" „Kind! Nein, nein! Aber schwerverwundet!" „Dann wird er sterben!" „Käthe, ich begreife dich nicht! Nein, er lebt noch, unb er hat dich gerufen. Der Arzt schickt, du sollst kommen! Von dir wird es abhängen, ob er am Leben bleibt oder nicht..." „Von mir?" „Käthe, hast du denn vergessen..." Da schoß jäh das Blut wieder in das Herz des armen Kindes zurück und von dort aus in ihre Wangen. Käthe konnte nicht fassen, was sie da hörte. Und doch erfüllte ein Glücksempfinden ohnegleichen aus einmal ihre Brust. Felix hatte sie gerufen! Nichts weiter wußte sie. Die Schatten der Vergangen heit wichen zurück wie Nebel, die von der siegreichen Sonne zerstreut werden, und mit beiden Händen umklammerte Käthe die Hände der Tante. „Wo, wo ist er? Tante, wir wollen zu ihm — gleich!" „Ich wußte es", erwiderte Frau Adelheid. „Ja, wir fahren gleich. Ich will nur dem Boten Bescheid sagen." Sie eilte fort. Käthe hörte den Reiter wieder fort sprengen. Dann ließ sie sich von der Tante ins HauS führen. Eine halbe Stunde später fuhren beide schon im Auto davon. Käthe wußte noch nicht einmal, wohin es ging» sie wußte nur, daß sie ihn Wiedersehen sollte — ihn! Und er war schwer verwundet! Aber er hatte sie ge rufen! Vor einem prächtigen, schloßähnlichen Gebäude, dessen beide Seiten von schlanken Türmen begrenzt wurden, hielt der Wagen. Eine sehr vornehm aussehende Dame kam die Treppe der Rampe herab und umarmte Frau Adelheid, um sich dann sogleich Käthe zuzuwenden. »Fräulein von Bernsbruck?" „Meine Nichte, liebe Manon", erklärte Frau Bottrup. Da erfaßte die Dame beide Hände Käthes, schaute ihr bittend in die blauen Augen und sagte: »Von Ihnen wird das Leben meines Sohnes ab« hängen." Das also war seine Mutter! »Wie geht es ihm?" fragte Käthe mit versagender SNmme. Tin Achselzucken war die Antwort. Daun sagte dkl Baronin: Be '^b ck?*^^ gkH demArztesühren, Fräulein von »Ach ja - bitte..." , Sortletzuuawd^