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2. Fortsetzung. Nachdruck verboten. „Er muß verunglückt sein!* schrie Käthe auf. Doch sogleich erwiderte der Direktor: „DaS dürste so gut wie ausgeschlossen sein, denn habe mich bereits an den zuständigen Stellen erkundigt -aber man weiß dort nichts, daß ein Deutscher mit dem Namen Klausen als verunglückt gemeldet und irgendwo eingeliefert worden ist.* „Aber wo soll er denn sein? Er wollte doch um zehn Uhr spätestens wieder hier sein!* „Er wollte! Gewiß, gnädige Frau! Er ist, wie Sie sagen, früher schon hier in Stellung gewesen. Vielleicht hat er einen guten Bekannten getroffen. Er hat vielleicht auch versucht, Sie zu benachrichtigen, aber es ist ihm aus irgendeinem Grunde nicht gelungen. Freilich, freilich, ich gebe zu, es ist unverantwortlich von einem jungen Ehe mann, seine Frau so zu ängstigen. Allein, Sie werden uns Männer noch kennenlernen, wir sind allzumal keine Heiligen...* Käthe hörte wieder einmal Worte, nichts als Worte, die ihr nichts sagten. Was wußte sie von den Männern? Nichts! Gar nichts! Berndt Klausen war der erste, mit dem sie anders als geschäftlich oder gleichgültig gesprochen hatte! Sie ängstigte sich, daß sie es nicht sagen konnte, aber doch gestand sie sich, daß es weniger um Berndt war, als vielmehr, weil sie allein war in der fremden Stadt, mutter seelenallein trotz der Millionen von Menschen, die hier lebten! Wenn sie in Deutschland drüben gewesen wäre, es wäre nicht so schlimm gewesen! Aber hier! Berndt Klausen war doch jetzt der einzige Mensch, an den sie sich klammern konnte, nachdem die Tante ihr die Tür gewiesen hatte! Wohin, wohin sollte sie sich wenden, wenn er nicht wiederkam? Der Direktor redete ihr vergebens zu, mit hinunter zukommen und sich durch die Musik in der Diele etwas zerstreuen zu lassen. Käthe blieb auf ihrem Zimmer und wanderte unruhig hin und her, Stunde um Stunde, bis sie endlich erschöpft zusammenbrach und liegenblieb, wo sie lag. Als spät abends das Mädchen noch einmal nach ihr sah, fand sie sie so, hob sie auf und trug sie mit Mühe zum Bett. Dann alarmierte sie das Haus, man rief einen Arzt. Er schüttelte bedenklich das Haupt. „Körperlich krank ist sie nicht, höchstens zu Tode er« schöpft*, sagte er, „aber ihr Gemütszustand.. .* Käthe schaute die Menschen an, die sie umstanden, ohne einen zu sehen. Sie sprach nicht, sie weinte nicht mehr — es war, als sei etwas in ihr gestorben, sie wußte nicht, was. Und stumpf ließ sie alles geschehen. Sie trank auch, was man ihr reichte: ein Schlasmittel. Und so vergingen ihr die nächsten vierundzwanzig Stun den, ohne daß sie etwas davon wußte. Als sie erwachte und ein fremdes Mädchen an ihrem Bett sitzen sah, wußte sie überhaupt nicht, wo sie war. Sie lastete mit beiden Händen nach dem schmerzenden Kopfe. Was war nur mit ihr? Die Pflegerin fragte sie nach ihrem Befinden. Sie sprach deutsch. Da kam alles wieder über Käthe. „Ist er da?* stieß sie hervor, indem sie auffuhr. Sanft ward sie wieder in die Kiffen gedrückt, ohne daß eine Antwort erfolgte. Und sie fragte nicht wieder. Sie wußte alles. Berndt war nicht gekommen! Er war verschlungen worden von dieser fremden, unheimlichen Stadt! Käthe dachte nicht einen Augenblick daran, daß sie nun Witwe geworden war, ohne Frau gewesen zu sein. Sie hatte überhaupt nur einen Wunsch: Fort! Heim! Heim? Wo war sie denn daheim, seit Tante Wohllebe sich von ihr losgesagt hatte? Ihr kamen keine Tränen bei diesem Gedanken. Wieder fühlte sie, daß etwas in ihr tot war. Und dann schwand ihr das Bewußtsein. Die Umwelt versank vor ihr. Am achten Tage erst kam Käthe Klausen wieder zu sich, schwach und matt und so müde, ach, so unbeschreiblich müde! Sie sah den Arzt, sie sah die Pflegerin, den Direktor. Sie hörte Worte, immer wieder nur Worte, aber sie wartete nicht mehr darauf, daß man ihr sagte, Berndt sei gekommen. Der war doch tot, schon lange! Aber der Direktor hatte ein gelbes Kuvert in der Hand, es sah ganz sonderbar ans. Er schaute auf den Arzt und fragte ihn etwas und erhielt eine Antwort. Da trat er an das Bett und reichte Käthe den sonder baren gelben Umschlag. „Dieses Telegramm ist sür sie eingetroffen, Frau Klausen*, sagte er. „Es ist dringend und kommt aus Ihrer Heimat, wie ich annehme. Wollen Sie es in aller Ruhe lesen? Vielleicht enthält es die ersehnte Nachricht?* Aus der Heimat! Mehr hörte Käthe nicht. Sie griff nach dem Kuvert und wollte es öffnen, aber sie war zu schwach. Da riß die Pflegerin es auf und hielt ihr das Blatt dicht vor die Augen. „Sofort kommen! Tante sehr krank, ruft Sie! Edel- mann.* Immer wieder las Käthe die Worte. Wer war nm dieser Edelmann? Und Tante krank? Tante ries sie? Mein Gott, was war denn das nur? Der Arzt schaute besorgt auf sie, als sie sich aufrichtete. „Sie dürfen nicht aufstehen, müssen noch liegenbleiben*, fagte er. .. . .. V Da blickte sie ihn verwundert an. ' V ' - ! «Tante ruft mich doch!* sagte sie. > . Sie reichte ihm das Telegramm. Gr las und sprcwh LkUe mit dem Direktor. Dann laate er: — „WennSie noch diese'Nachttbrawschlasen, nachdem Sie ordentlich gegessen haben, wollen wir sehen, ob Sie morgen-fahren-können.* Schlafend Ja, schlafen! Käthe schlief schon längst wieder, als das Essen kam, und man störte sie nicht. Diesmal aber war es nicht Be< wußtlostgkeit, diesmal arbeitete ihr Geist und zeigte ihr das Häuschen unter den Kastanien, zeigte ihr die alte, strenge Frau darin. Tante war sehr krank! Sie sehnte sich nach Käthe! War die Liebe in ihr doch erwacht? In Käthe war, trotzdem sie schlief, immerfort ein Drängen. Sie wollte fort und konnte nicht. - Als sie am Morgen erwachte, waren ihre Augen klar. Im Schlummer hatte ihre Seele sich wtedergefunden. Sie dachte nicht mehr an den Mann, der in ihr einsames Leben getreten und wieder daraus verschwunden war, sie dachte nur an ihre Tante und an das große, unfaßbare Wunder, daß sie von dieser gerufen wurde! Der Arzt staunte, als er kam. Er redete etwas von der Kraft verwandtschaftlicher Liebe, aber er hatte nichts ein zuwenden, daß Käthe aufstand und sich zur Reise fertig machte. Er verlangte nur. daß sie von der Pflegerin bis zum Schiff gebracht wurde. So geschah es, daß Käthe das Hotel wieder verließ, ohne daß sie etwas von dem Verbleib Berndt Klausens erfahren hatte; und niemand wagte, sie an ihn zu er innern. Niemand versprach ihr, die Nachforschungen nach ihm fortzusetzen. Es war wie ein Wunder, daß er ihr sein Geld gegeben und sie dadurch in den Stand gesetzt hatte, die Hotel rechnung und nun die Reise zu bezahlen, den Arzt, die Pflegerin und alles andere. Es würde ihr auch sonst noch genug bleiben, denn es war eine große Summe in der Tasche gewesen. Käthe dachte nicht daran, daß sie vielleicht gar nicht hätte darüber verfügen dürfen, sie dachte überhaupt nur eins: Würde sie die Tante noch am Leben finden? So kam sie auf das Schiff, erhielt eine Kajüte an gewiesen, betrat sie aber nicht, sondern blieb an Deck. Und sann und sann, und kam nicht zur Klarheit. Sie gewahrte nicht, daß die Mitreisenden immer von neuem auf sie schauten. Sie sah nichts, gar nichts. Aber sie erschrak, als sie merkte, daß dieser Dampfer einen anderen Hafen anlief als den, aus dem sie mit Berndt abgefahren war. Ratlos stand sie auf dem Pier, ihr Köfferchen in der einen Hand. Wie sollte sie nun weiterkommcn? Da trat ein junger Herr neben sie und sprach sie an, und sie besann sich plötzlich, daß sie ihn schon aus den- Schiffe gesehen hatte. Vielleicht hatte er sie auch dort schon an- gesprochen? Der Klang seiner Stimme kam ihr bekannt vor. Sie wußte es nicht. Sie schaute ihn an und sah in gute, ehrliche Augen. Da klagte sie ihm ihre Not. Und er bat sie, mit ihm zu gehen, führte sie zu einer Autohaltestelle, mietete einen Wagen, ließ sie einsteigen und brachte sie zum Bahnhof. Dort bezahlte er den Chauffeur, löste eine Karte und brachte Käthe, da sie warten mutzte, in den Wartesaal. Er bestellte einen warmen Trunk für sie und nötigte sie, etwas zu essen. Er sorgte für sie, als sei er ihr Bruder, und sie lietz sich alles gefallen. Es tat ihr so wohl, wenn ie seine Stimme hörte, wenn sie seine Augen sah. Ihr var, als könnte sie froh, unbeschreiblich froh sein, wenn er sie jetzt in seine Arme nähme und ihr leise über das Haar striche... Nicht eine Sekunde lang empfand sie die geringste Angst vor ihm. Und als er sie an den Zug brachte und sie im Frauenabteil satz, blieb er an der Tür stehen, schaute sie besorgt an und fragte, ob er noch etwas für sie tun könnte. Da streckte Käthe ihm beide Hände entgegen, ersatzte die einen und sagte: „Dank! Tausend Dank! Sie sind sehr, sehr gut!* Seine Augen leuchteten auf, er drückte ihre Hände und agte etwas, aber sie verstand es nicht, sie sah nur den Glanz in seinen Blicken. Und so ließ sie sich vom Zuge entführen, ohne zu wissen, wer ihr so selbstlos geholfen hatte. Unterwegs sah sie, wenn sie die ihren schloß, immer nur seine leuchtenden Augen vor sich und fühlte es warm ins Herz dringen in dem Bewußtsein: Das war ein Mensch, ein wahrhafter Mensch gewesen! Er hatte ihr seinen Namen genannt, sic erinnerte sich dessen, aber sie hatte gar nicht darauf geachtet. Es hatte ja keinen Zweck. Sie würde ihn nie Wiedersehen — ebenso wenig wie Berndt Klausen... Und als sie an ihn dachte, wunderte sie sich, daß nur eine leise Trauer in ihr war, aber kein Schmerz. Ihr kamen die Erlebnisse der letzten Tage wie ein wüster Traum vor, und wenn jetzt jemand sie nach ihrem Namen gefragt hätte, so würde sie ohne alles Zögern geantwortet haben: „Ich heiße Käthe Fernau!' Daß sie verheiratet war und einen anderen Namen er halten hatte, wäre ihr geradezu lächerlich erschienen. Sie war doch noch genau dieselbe, wie sie die Heimat verlassen hatte! Und als der kleine Dampfer sie durch den schmalen Kanal dahintrug, als sie von weitem die hochragenden alten Kastanien sah und unter ihnen das Dach des Häuschens, da jubelte ihr Herz in überströmender Freude, wie es schon gejubelt hatte, als der Schiffsführer sie be grüßte — nicht der alte Jansen, sondern ein anderer, der sie ebenfalls kannte, und der sie nicht neugierig ausgefragt hatte, wo sie gewesen war. Das war hier nicht Brauch. Als sie landete, war niemand da, der sie abgeholt hätte. Aber sie wußte doch, wohin sie gehen mußte. Und sie lief, als aälte es ibr Leben, dem Läustben »u. — .. > Vor der Tür erst hielt sie beklommen-inne. Wie eine furchtbare Ahnung überfiel es sie, daß sie die Hand njcht.. nach der Klinke ausstrecken konnte. Und sie brauchte Minuten, ehe sie es vermochte. Die Schelle an der Tür war mit einem Tüchfetzen um wunden und lärmte nicht klappernd wie sonst. Im Haus flur war es düster wie früher, aber ein Geruch drang ihr entgegen, der früher nicht hier gewesen war. „Pas ist die Medizin!" sagte sie sich, und dachte wieder daran, daß Tante Wohllebe sehr krank war. Aber sie war nicht ängstlich, in ihr war es nur wie ein großes Freuen, wie in einem Kinde, das an der Tür des Weihnachis- zimmers lauscht. Tante hatte sie gerufen! Die Liebe war in ihr erwacht! Nun würde Käthe jemand haben, den sie lieben durste, von dem sie wiedergeliebt wurde! Und gerade als sie die Stubentür leise öffnete, kam über sie die klare Erkenntnis, die sie bisher nicht hatte finden können: Sie hatte Berndt Klausen nicht geliebt! Jetzt wußte sie es auf einmal, denn was sich jetzt in ihr regte, das hatte sie nie empfunden ihm gegenüber. Sie wär ihm gefolgt, weil er der erste Mensch gewesen war, der freundlich zu ihr gesprochen hatte, weil er sie hatte erlösen wollen aus ihrer Einsamkeit. Warum aber mußte sie auf einmal an jenen anderen Mann denken, dessen leuchtende Augen sie nicht vergessen konnte. Liefe Glut stieg in Käthes Wangen bei diesem Gedanken. Ihr war, als hätte sie eine Sünde begangen. Da hörte sie eine heisere, matte Stimme. „Käthe!" . : Nun Mte sie hinein in den Raum, dessen verhängte Fenster der Sonne den Zutritt verwehrten, daß sie kaum die Kranke auf dem ärmlichen Lager erkennen konnte. „Tante!" schrie sie auf, halb jubelnd, halb klagend und sank auf die Knie nieder, nach den Händen der Kranken tastend Doch wie erschrak sie, als ihre Hände zurückgestoßen wurden, als die harte Stimme von einst ihr entgegenklang: „Rühr' mich nicht an! Rühr' mich nicht an! Ich habe dich gerufen — ich wollte, ich hätte es nicht getan — aber die Stimme in mir — ich konnte sie nicht mehr hören, und..." „Tante!" jammerte Käthe weinend. Da erschrak sie von neuem. Ihr war, als hätte die Kranke höhnisch aufgelacht, und sie «nutzte sich doch verhört haben! „Tante! Ich bin es nicht, war es nie — du — hahaha — du bist mir fremd ich habe..." Weiter hörte Käthe nichts. Die Stimme der Frau er starb in einem entsetzlichen Röcheln. Sie bäumte sich auf und sank zurück, streckte sich und lag still. — „Tante!" schrie Käthe trotz allem, was sie eben ver nommen hatte. „Tante!" Keine Antwort kam. Nur die alte Kastenuhr in dei Ecke tickte wie immer schwerfällig, und die Blätter der Kastanien drautzen rauschten im Winde. Käthe kniete vor dem Bett und starrte in das Gesicht der Frau, das jetzt noch starrer schien als je, wie vom Hatz verzerrt — so wie damals, als sie aus dem Fenster ge- chaut und sie fortgeschickt hatte. Und allmählich kamen Käthe die Worte zum Bewußt- ein» die sie hier gehört hatte. Diese Frau war nicht ihre Tante gewesen? Ja, wer denn sonst? Wie waren sie beide zueinander gekommen? Warum hatte die alte Frau sie so sehr gehaßt, daß sie ihr noch im Sterben wehgetan hatte? Aber sie hatte sie doch gerufen?! Käthe Fernau wußte nichts von den Qualen, die ein böses Gewissen dem Menschen zu bereiten vermag. Sie ahnte nicht, daß die Angst vor dem Jenseits diese Frau dazu getrieben hatte, sie heimzurufen, daß sie ihr Herz hatte erleichtern wollen. Nicht meine Tante! Käthe hörte es in sich und hörte eine andere Frage: Wen habe ich denn sonst aus der weiten Welt? Niemand, gar niemand! Du bist mutterseelenallein! klang es zurück. Da brach sie weinend zusammen und lag lange, lange so, bis die Dunkelheit sie aufschreckte, bis sie aus dem Hause stürmte, hinüber zum Förster. Und erst dabei fiel ihr ein, daß er ihr telegraphiert hatte, daß er Edelmann hieß. Sie klopfte an, man öffnete ihr — der Förster selber. Und als er ihr verstörtes Gesicht sah, zog er sie liebevoll herein, und seine Frau nahm das arme Ding an ihr Herz und ließ es sich dort ausweinen, brachte es endlich zur Ruhe in einem Giebelstübchen, und Käthe schlief den tiefen Schlaf vollkommener Erschöpfung. * » * Förster Edelmann nahm sich Käthe Fernaus mit aller Menschenfreundlichkeit an, ebenso seine Frau. Sie fragten nicht, wo sie gewesen war, fragten nicht nach ihren Erleb nissen. Sie wußten, daß das arme Mädchen bald von selbst sprechen würde. Darin hatten sie sich freilich zum Teil getäuscht. Käthe Fernau erzählte nicht, datz sie entflohen war, daß man sie in England einem Manne angetraut hatte, der am Tage nach der Hochzeit spurlos verschwunden war. Sie verschwieg, daß sie krank gewesen war, aber sie mutzte erzählen, was am Sterbebett ihrer „Tante" geschehen war. Der Förster horchte aus. „Frau Wohllebe war nicht Ihre Tante?" fragte er, alr> könne er diese Tatsache nicht fassen. „Sie sagte es, sie lachte dabet — ach, wie muß sie mich gehaßt haben, daß sie mich bloß deswegen^zurückrufen ließ, um mir das zu sagen!" erwiderte Käthe letse, und wieder spürte sie in sich, daß sie nun allein war — ganz, ganz allein auf der Zweiten MelU-^ "' Fortsetzung