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1. Fortsetzung. Nachdruck verboten Klopfen, bis die Tante erwachte? Nur das nicht! Nur das nicht! — Aber was sonst? Sie sollte sich nicht lange mit dieser Frage quälen müssen, denn schon wurde oben ein Fenster geöffnet und eine hart klingende Stimme sagte: „Gib dir keine Mühe! In mein Haus kommst du nicht wieder! Ich kann nicht mit einem Geschöpf zusammen leben. das nachts heimlich aus dem Fenster steigt, um sich mit einem sremden Manne zu treffen. Geh' zu ihm! Immer geh'! Ich habe belauscht, was er dir sagte! Fahr' nur mit ihm über das Meer! Ich habe nichts dagegen. Ich will den Tag segnen, da ich dich nicht mehr sehen muß. Fort mit dir» fort!" Da wankte Käthe Fernau lautlos davon. Sie kam aus dem tiefen Schatten der Kastanienbäume in das gleißende Licht des Mondes, sie wußte nicht, wohin sie ging, bis die Arme Berndt Klausens sie umfingen und stützten. Sie ließ sich von ihm in den Wirtshausgarten führen, und dort saßen die beiden fast regungslos die ganze Nacht, schweigend, Käthe vor Angst zitternd, Berndl vor Glück. Als die Sonne aus dem Meere aufstieg, da geleitete er die Geliebte zu dem Dampfer und übergab sie dem alten Jansen, bis er sein Gepäck geholt hatte. Bald war er wieder bei ihr. Dann fuhren sie fort von Käthes Heimat, nach der Hafenstadt, wo der Dampfer sie aufnehmen sollte. Berndt Klausen hatte in der Hafenstadt für seine kleine Braut viel, viel kaufen müssen, denn sie hatte ja nichts mitgebracht als das, was sie auf dem Leibe trug. Immer noch hatte er sich gehütet, sie durch Zärtlich keiten zu erschrecken. Sie war ihm unbeschreiblich dankbar dafür, obwohl sie nicht wußte, was ihr hätte geschehen können. Sie war ganz und gar unerfahren, und sie fürchtete sich fast vor den vielen Menschen, die sie nun alle Tage sah. Sie konnte sich nicht freuen, wenn er sie in der Stadt umherführte, und sie bai ihn flehentlich, sie daheim zu lassen, als er sie mit in ein Theater nehmen wollte. Er hatte zwei Zimmer gemietet. Und nie betrat er das ihre, nie kam er zu ihr, ohne daß sie es erlaubte. Immer wieder versicherte er ihr,' daß sie sich nicht vor ihm zu fürchten brauchte. Sie glaubte ihm, sie sah, wie er sich zurückhielt, aber sie konnte die Furcht doch nicht aus dem Herzen bannen, in dem immer und immer wieder die Frage war: Ist das die Liebe, die herrliche, göttliche Liebe? Und bangen Herzens fuhr sie mit Berndt Klausen auf dem großen Schiffe über das Meer, bangen Herzens be- rrat sie vie Riesenstavt an der Themse. Riesengroß war ihre Furcht, als sie durch diese Straßen fuhren, in denen das Leben brandete wie ein sturmgepeitschtes Meer. Fremde Laute schlugen an ihr Ohr. Sie verstand nicht, was Berndt Klausen zu ven Menschen sprach. Sie ließ sich von ihm wieder in ein Gasthaus bringen, das freilich ganz anders war als vas drüben in der Heimat — so kahl, so öde, so fremd, wie alles hier! Und nur, wenn Berndt Klausen zärtlich und liebevoll zu ihr sprach, atmete sie auf. Sie konnte sich an ihn schmiegen, das Köpfchen an seine Schulter pressen und seiner Stimme lauschen — stundenlang! Und dann führte er sie eines Tages in ein anderes Haus, das noch öder und fremder war als das Gasthaus, in eine Stube, wo ein Mann hinter einem tintenbeklecksten Tische saß und zwei andere an der einen Wand Platz ge nommen hatten. Und sie hörte wieder Worte, von denen sie nicht eines verstand. Dann raunte Berndt ihr zu: „Sage ,Ves', Liebste! Es heißt .Ja', denn er fragt dich, ob du meine Frau werden willst. Er traut uns, Kätherle!" Da schaute sie ihn an, daß er diesen Blick sein Leben lang nicht vergessen konnte. In tiefem Erbarmen zog er sie an sich. „Liebste, willst du mich denn nicht glücklich machen?" fragte er. Da sagte Käthe Fernau „Veg", und die MännA kamen zu ihr und wünschten ihr Glück. Aber so aHwDig ihre Worte klangen, sie konnte sich nicht freuen, vermochte die heimliche Angst vor etwas Schrecklichem, das ihr bevor stand, nicht aus ihrem Herzen zu bannen. Sie sah noch, daß Berndt Klausen mit dem Fremden sprach, der sie getraut hatte, und ihm Geld gab für einen Schein, den er erhielt. Beinahe hätte sie weinend auf schluchzen müssen. Wie ganz, ganz anders hatte sie sich ihre Hochzeit vor gestellt. Nur selten, sehr selten hatte sie daran gedacht, wenn sie über einer Näharbeit saß und die Gedanken kamen und gingen, ohne daß sie ihnen gebieten konnte. Sie hatte nur einmal in ihrem Leben eine Hochzeit ge sehen oder vielmehr bloß den Hochzeitszug — als der Förster seine junge Frau heimführte, hatte sie am User ge standen, als die beiden aus der wunderbar mit Blumen gewinden und Fahnen geschmückten Barkasse ausstiegen und auf den Teppich traten, der für sie auf dem Boden ausgebreitet war. Nie konnte sie vergessen, wie glückstrahlend die junge Frau ausgesehen hatte, wie eine Märchenfee in weißem Kleide und weißem Schleier, ein grünes Kränzchen mit Weißen Blüten im Haar. Und wie die beiden einander in die Augen geschaut hatten! Der große, starke und schöne Mann in der schmucken Uniform und das schlanke, schöne Mädchen! Wie glücklich die Braut gewesen sein mußte! »le das Herz sich ihr zusammenkrampste. Doch da trat Berndl Klausen zu ihr, ihr Mann. MS seine Blicke sie trafen, da konnte sie nicht länger an Wh halten, da mußte sie ihr Köpfchen an seine Schütter und fassungslos weinen. Sanft strich er ihr über das lichte Blondhaar und preßte sie zärtlich an sich. Sie fürchtete, er würde sie küssen vor diesen fremden Männern; er tat es nicht. „Mut, Kätherle!" flüsterte er ihr zu. „Wenn wir deine Tante versöhnt haben, holen wir die kirchliche Trauung nach, und nicht eher, will ich dich als mein Weib betrachten. Wir werden ja auch nicht länger hierbleiben, als unbedingt nötig ist. Ich denke, morgen schon werden wir dieses Land wieder verlassen können, und vielleicht kann ich dich gleich mit mir nehmen in ein anderes Land, wo es herrlich ist. Kätherle, ich will dir nur sagen, daß ich Aussicht habe, durch meinen früheren Chef hier — den bartlosen Herrn dort — eine sehr gute Stellung zu erhalien." „In England?" fragte sie erschrocken. ' „Nein, Kind, nein! Ich selber hielt es hier nicht aus, jetzt gleich gar nicht; aber ich will dir weiter nichts ver raten. Es soll eine Ueberraschung sür dich sein. — Und nun komm! Wir müssen mit den beiden Trauzeugen speisen. Es geht nicht anders; heute abend tanzen wir miteinander." Da lächelte Käthe unter Tränen, die noch an ihren Wimpern perlten. „Ach, Berndt, ich kann doch gar nicht tanzen!" flüsterte sie. „Wie sollte ich es denn gelernt haben!" Wieder kam das tiefe Erbarmen, das sie schon einmal so beglückt hatte, in seine Augen. Er erwiderte nichts mehr, preßte sie nur noch einmal an sich und führte sie hinaus. Käthe atmete zwar auf, als sie die kahle Stube ver lassen konnte; aber sie ward nicht froh, denn wieder um- brandete sie der Riesenverkehr der Weltstadt, der sie so ängstigte. Sie stieg in das Auto, das sie erwartete und hinausbrachte zu einem kleinen Orte mitten im Grünen. Auf einer Terrasse über einem Flusse aßen sie, und der bartlose Herr, der frühere Chef Berndt Klausens, brachte in deutscher Sprache» die er ganz beherrschte, einen Trink spruch auf das junge Paar aus. Die Gläser klangen an einander, und Berndt drückte seiner jungen Frau heimlich die Hand, während er sie mit leuchtenden Augen an schaute. Sie blieben lange beieinander, und Käthe schauderte, als sie in die häßliche Stadt zurück mußte, als sie wieder in dem Zimmer stand, vor dem ihr fast graute; aber sie war müde, so müde, und als Berndt sie nun leise auf den Mund küßte, da spürte sie es kaum mehr, war so froh, als er sie allein ließ, nachdem er ihr allerlei gute Worte zu geraunt hatte. Zum ersten Male schlief sie in dem harten Bett die ganze Nacht durch, bis sie durch ein Klopfen an der Tür geweckt wurde. „Kätherle, bist du schon wach?" fragte sie ihr Gatte vor der Tür. Da sprang sie schnell auf, warf den Schlafrock über, den er ihr gekauft hatte, und öffnete. Berndt kam herein, umfaßte und küßte sie; dann aber sagte er: „Schatz, ich will mich jetzt gleich auf den Weg machen, um mit Mister Frome wegen meiner Stellung zu reden und alles zu ordnen. Je eher das geschieht, desto eher können wir fort. Wirst du dich fürchten, wenn ich dich auf eine Stunde oder etwas länger allein lasse? Du brauchst ja nicht aus deinem Zimmer zu gehen. Ich werde dem Mädchen sagen, daß es dich nicht stört, bevor ich zurück bin." „Ach ja, geh', Berndt!" erwiderte sie, und zum ersten Male, seit sie sich in London befand, leuchteten ihre blauen Augen auf. „Ich sehne mich fort von hier. Und du wirst doch nicht lange bleiben?" „Wo ich mich so nach meiner kleinen Frau sehne!" ent gegnete er. Er sah auf die Uhr. „Jetzt ist es acht Uhr. Um zehn Uhr spätestens bin ich wieder zurück. Wenn du nicht hier bleiben willst, kannst du ja in mein Zimmer hinübergehen, das schon auf geräumt ist." „Nein, nein! Ich bleibe hier!" wehrte sie angstvoll ab. „Wie du willst, Kätherle. Und noch eins! Ich möchte nicht mein ganzes Geld bei mir tragen, wie bis jetzt immer. Jetzt habe ich ja meine Frau, der ich es übergeben kann. Willst du es an dich nehmen, bis ich zurückkomme?" Schweigend nahm Käthe die Brieftasche und schob sie zunächst unter das Kopfkissen. „Ich werde sie nachher zu mir stecken und immer fest halten", sagte sie. Da lachte er fröhlich auf. „Ja, ja, die Frauen verstehen das gut!" sagte er. Dann küßte er sie nochmals, erhob sich und schritt zur Tür, von der aus er ihr nochmals einen Gruß zuwinkte und sie an- lachte. Dann war Käthe Klausen allein. Sie hatte aufspringen und hinter ihm die Tür wieder verriegeln wollen, aber sie war nicht dazu imstande. Wie eine Lähmung fühlte sie es in allen ihren Gliedern, eine Lähmung, die vom Herzen ausging und mit dem Blute überallhin wanderte. Eine Angst überkam sie, daß ihr war, als müsse irgend etwas Schreckliches geschehen, und sie wußte doch nicht, was... Sie wollte aufschreien, wollte Klaus zurückrufen. Sie konnte es nicht, denn die Stimme versagte ihr, und so saß sie lange, lange — starr und regungslos, schwer atmend. „Mutter!" stöhnte sie endlich auf. „Oh, lieber Gott, warum habe ich keine Mutter!" Da endlich flossen erleichternde Tränen, denen sie nicht wehrte, aus ihren Augen. Und nachdem sie sich aus geweint hatte, wusch sie sich, kleidete sich an und wartete. Sie besaß keine Uhr. Berndt hatte noch nicht daran gedacht, ihr eine zu schenken. Auch im Zimmer war keine. Sie wußte nicht, wie spät es schon geworden war, aber sie öffnete ein Fenster und lauschte. Irgendwo müßte doch eine Kirche fein oder ein an deres Gebäude, wo eine Uhr angebracht war, die die Stunden schlug! Sie hörte nichts. Alles war in dieser Stadt so anders als in Deutsch land. Es schien, als wollten sich diese kühlen, nüchternen Menschen nicht durch den Glockenschlag daran erinnern lassen, wie rasch die Zeit entflog. Käthe spürte Hunger, aber sie wagte nicht, durch die Klingel das Mädchen herbeizurufen. Berndt mußte ja auch bald wiederkommen. Es dünkte sie so lange, seit er fort war. Doch Käthe harrte und harrte vergebens. Endlich entschloß sie sich, zu klingeln. Sie bat das Mädchen, das etwas Deutsch sprach, ihr Frühstück zu bringen und fragte nach der Zeit. „Gleich elf Uhr, gnädige Frau." Das Mädchen erschrak und sprang hinzu, als sie Käthe taumeln sah. „Was ist Ihnen?" fragte sie besorg.. „Ach, nichts ich aber ist es denn wahr? Ist es wirklich schon so spät?" „Gewiß, gnädige Frau", antwortete das Mädchen ver ständnislos. „Und mein Mann wollte schon um zehn Uhr spätestens zurück sein!" hauchte Käthe. „Er wird aufgehalten worden sein, gnädige Frau!" »Ja, ja, so wird es sein." Käthe konnte nicht viel essen, trank nur etwas Tee. Dann machte sie eine Ecke des Tisches frei und begann zu schreiben. Sie teilte der Tante mit, daß sie hier in Eng land getraut worden sei, nannte auch den Namen ihres Mannes und bat um Verzeihung sür alles. Ja, sie fand Worte warmen Dankes für das, was die harte Frau an ihr getan hatte, denn sie besann sich, daß sie doch ihre Jugend behütet hatte, und ihr war, als müßte sich unter der harten Außenseite der Frau vielleicht doch ein füh lendes Herz verborgen haben. Sie schrieb lange und dachte dabei an daheim, sah den wunderbaren See, die alten Kastanien vor dem Hause, den Wirtshausgarten, das Forsthaus. Käthe barg das tränenüberströmte Gesicht in den Armen, die sie auf die Tischplatte gelegt hatte. Ein wehes Schluchzen schüttelte ihren schlanken Leib. „Liebe!" schrie es in ihr. „Liebe!" Wann je in ihrem jungen Leben hatte sie Liebe er fahren? Und sie sehnte sich doch so danach! Sie konnte nicht glauben, daß das Liebe war, was in ihr lebte. Und sie wollte doch nicht daran zweifeln, sie durste es nicht, denn sonst... Mein Gott, wenn sie Berndt Klausens Frau geworden war, ohne daß sie ihn liebte? Erschrocken fuhr Käthe auf und starrte vor sich hin. Nie hatte sie diesen Gedanken gehabt, aber nun, als er ihr einmal gekommen war, konnte sie ihn nicht wieder bannen. War die Stimme, die in ihr nach Berndt rief, die der Liebe? Sehnte sich so eine junge Frau nach dem Manne ihres Herzens? War es nicht bloß die Angst vor der Fremde, in der sie allein war? Sie fand keine Antwort, aber als sie Schritte draußen hörte, wischte sie sich schnell die Tränen ab. Es war nur das Mädchen, das abräumen wollte. Käthe gab dem Mädchen den Bries an die Tante mit und bat, ihn schnellstens zu befördern. Dabei kam ihr wieder ein Gedanke, den sie noch nicht gehabt hatte. Ob denn nicht auch Berndt Eltern hatte, wenigstens eine Mutter, einen Vater, jemand, dem er melden mußte, daß er sich verheiratet hatte? Nun erst besann sich Käthe, daß Berndt nie von Ver wandten gesprochen hatte. Sie wußte nicht einmal, woher er stammte. Nicht ein Wort hatte er davon gesagt. War das nicht schrecklich? Sie war die Frau eines Mannes, dessen Name ihr bekannt war, sonst aber auch nichts! Das Mädchen ging mit dem Briefe. Und Käthe war wieder allein. Allein mit sich und den Gedanken, die nm» erst recht auf sie einstürmten. Wo blieb nur Berndt Klausen? Käthe hatte den schrecklichsten Tag ihres Lebens ver bracht. Berndt Klausen kam und kam nicht zurück! Er war noch nicht da, als sich bereits die Schatten des Abends auf die Riesenstadt senkten und die Lichter überall aufflammten. Er kam nicht, als der Verkehr langsam zu verebben begann. Käthe wußte sich vor Angst nicht mehr zu fassen. Das Mädchen hatte vergebens zu trösten versucht, und endlich schickte sie den Direktor des Hotels zu der trostlosen jungen Frau. Er sprach Deutsch; er fragte, er erfuhr nichts, sie wußte ja nichts — nur, Paß sie getraut worden war und dann in dem Restaurant gesessen hatte. Sie beschrieb es. Der Direktor nannte einen Namen. „Ich werde sogleich selbst anfragen, ob man die Herren dort gekannt hat, wenigstens die Engländer", sagte er. „Ich weiß, wo Sie gewesen sind." Käthe atmete auf. Endlich kam ein Lichtstrahl in daK Dunkel. Sie wartete in fieberhafter Erregung und eilte denk Direktor entgegen, als er wiederkam. Sie sah ihn lächeln — er wußte etwas. „Sie haben den Namen verhört, Frau Klausen", sägte er. „Er lautet Frome" — er buchstabierte ihn —, „dar ist eine bekannte Firma. Und wenn ich auch nicht dort an- fragen konnte, well niemand mehr im Bureau ist, so wissen wir doch nun wenigstens, wo Ihr Gatte gewesen ist. Ma» kann nicht wissen, was ihn zmÄkgehatten hat.».*