Volltext Seite (XML)
Beilage zur Weiheritz-Jettung Nr. 200 Mittwoch, am 28. August 1929 95. Jahrgang Chronik des Tages. — Die Krists im Haag erreichte gestern ihren Höhe punkt. Die Lage erschien allgemein als aussichtslos; es wurde eine neue Sechs-Mächte-Besprechung einberufen. — Das Luftschiff „Graf Zeppelin" wird heute den großen Weltflug beenden. — Wie jetzt festgestellt wurde, ist dem Lokomotivführer Neuhaus auf der Station Düren ein falscher Befehl ausge händigt worden. — In Kiel starb an den Folgen einer Operation der Bürgermeister von Rendsburg Dr. Timm im Alter von 56 Jahren. — In Kladow (Mecklenburg) hat ein Schnitter seine Braut erschossen und sich selbst den Hals abgeschnitten. — In Düsseldorf, wurde wieder ein Mädchen mit meh reren Messerstichen im Rücken aufgefunden. — In Kalifornien wurde eine Lustfahrtgesellschaft mit einem Stammkapital von 300 000 Aktien, die Aktie zu 25 Dollar, unter dem Namen „Aviation Corporation of Cali fornia" gegründet. Krieg i« Palästina. Aus Palästina werden blutige und grausame Kämpfe berichtet, die das ganze Land in Aufruhr ver setzt haben und immer weitere Gebiete in Mitleiden schaft ziehen. Tie Zahl der Toten ist bereits jetzt er schreckend hoch. England, das die Macht im Lande auSÄbt, hat Kriegsschiffe und Flugzeuge in das Un ruhegebiet entsandt und Infanterie in Jerusalem ein- marschieren lassen. Vor dem Konflikt weilten etwa 1000 britische Soldaten im Lande, die Verstärkungen, die inzwischen eingetroffen sind, reichen jedoch noch nicht aus, um neue Kämpfe unter allen Umständen zu verhindern. Tie Lage ist damit auch jetzt noch ge spannt. Von wem der Anstoß zu den Kämpfen aus gegangen ist, ist zunächst nicht zu ersehen. In bezug aus die Schuld frage lauten alle Meldungen wider spruchsvoll. Einmal sollen Juden aus dem Fenster aus einen arabischen Temonstrationszug geschossen haben, dann wieder ist davon die Rede, den Schüssen aus die Araber seien blutige Streitigkeiten an der Klagemauer in Jerusalem voraufgegangen. Nach der Darstellung der Londoner Zeitung „Ti mes" handelt es sich bei den Kämpfen ui Palästina um einen Konflikt „zwischen zionistischer Anmaßung und mohammedanischem Fanatismus." Ter tiefere Grund für die Kämpfe in dem Lande, das den Bekennern dreier Religionen heilig ist, dürfte in den Wandlungen zu suchen sein, die Palästina seit dem Kriege durchgemacht hat. Palästina war vor dem Kriege türkisches Land. Während des Weltkrieges versprach England den Ara bern, die die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ausmachen, die Freiheit. Ter große Abenteuerer Law rence machte die arabischen Stämme mobil, befestigte den englischen Einfluß und leistete alles in allem so gute Vorarbeit, daß die „Großen" in Versailles nach dem Kriege England das Mandat über Palästina zu erkannten. Mit der Uebernahme des Mandats hatte England aber auch die Verpflichtung eingehen müssen, in Pa lästina für die Errichtung einer jüdischen Freistatt Sorge zu tragen, was soviel besagen sollte, daß Eng land die Pläne der Zionisten fördern solle, die auf die Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina hinaus laufen. Im Zusammenhang damit haben die Zionisten in den letzten Jahren eine rührige Tätigkeit entfaltet und zur Rückwanderung nach Palästina aufgeru fen. Wenn seitdem auch zahlreiche jüdische Siedlungen in Palästina entstanden sind, so ist doch der Erfolg der Zionisten nur ein recht bescheidener. Palästina zählt auch heute kaum mehr als 100 000 Juden, und was das jüdische Element durch die Propaganda der Zio nisten gewonnen hat, das hat die arabische Bevölke rung durch ihren Geburtenreichtum doppelt wieder ein geholt! Trotzdem verfolgten die Araber, die nicht ver gessen haben, daß England ihnen im Kriege Vorteile über Vorteile versprochen hat, die jüdische Siedlungs^ tätigkeit mit wachsendem Mißtrauen. Zu einer Ent ladung der seit Jahren aufgestapelten Haß-Energien kam es dann, als an der Klagemauer Blut floß. Damit hat es sich als ein Verhängnis erwiesen, daß seinerzeit Mohammedanern und Juden der gleich« Platz an der Klagemauer für Religionshandlungen zur Verfügung gestellt wurde. Rein rechtlich steht das Eigentum an der Klagemauer der mohammedanischen Glaubensgemeinschaft zu, umgekehrt ist aber auch mcht zu bestreiten, daß die Juden durch die Konzession der britischen Behörden zur Vornahme von Reli gionshandlungen an der Klagemauer ermächtigt sind. Sehr wahrscheinlich haben nun übereifrige Zionisten thre Rechtsbefugnisse überschritten und damit den Un willen der Araber auf sich gezogen. Verschärft wurde der Konflikt dadurch, daß den Mischen arabische Uebergriffe folgten, soll doch ein arabischer Temonstrationszug jüdische GebetSvorschrif- ten, die an der Klagemauer niedergelegt waren, ver brannt haben. Die weitere Entwicklung der Dinge in Palästina ist noch nicht abzusehen. Wenn es auch den Engländern gelingt, neue schlimme Katastrophen abzuwenden, so besteht doch die Gefahr, daß sich ein Kleinkrieg ent wickelt, der das Land monatelang in Aufregung hält. Schon jetzt herrscht in einzelnen Orten Mangel an Lebensmitteln. Wie ernst man in London die Lage beur teilt, gebt daraus hervor, daß sich die britische Regie rung mit dem Gedanken trägt, den bisherigen bri tischen Oberkommissar durch Sir Herbert Samuel zu ersetzen. Wachsende Anruhe in Palästina. Entwaffnung britischer Truppen durch Araber? k In Palästina sind neue Kämpfe im Gange. Die Araber unternehmen verschiedentlich Angriffe auf jüdisch« Siedlungen, wobei es auf beiden Seiten Tote und Verwun dete gab. Bei einem Angriff auf Haifa sollen die Araber auch britische Truppen entwaffnet.haben, die sich in einem Zug auf dem Wege nach Haifa befanden. Eine Bestätigung der Nachricht von der Entwaffnung britischer Truppen steht noch aus. Nach den Berichten der englischen Presse greift der Aufstand immer Wetter um sich. Die englisch« Regierung hat äbermals Truppen und Kriegsschiffe entsandt. Die Mandatsregterung hat die arabischen Schecks zu einer Kon ferenz eingeladen und ist bemüht, den Frieden Wiederherzu stzellen. Wie sich jetzt herausstellt, sind b«i den letzten Zu sammenstößen auch 12 Amerikaner getötet worden. Der amerikanische Botschafter in London, General Dawes, ist deshalb bei der britischen Regierung vorstellig geworden und hat die dringend« Erwartung ausgesprochen, daß England Zwischenfälle, durch di« amerikanische Bürger oder Inter essen in Mitleidenschaft gezogen werden könnten, verhindert. Schärfste Gegensätze im Haag. Die KrtsiS aus dem Höhepunkt. — Snowden lehnt ab. — Reue Sechs-Mächte-Besprechung. — Haag, 27. August. Soviel Ungewißheit hat wohl noch nie über das Schicksal einer Konferenz geherrscht, wie täglich und stündlich über den Ausgang der Haager Konferenz! Gestern gab es dramatische Auseinandersetzungen mü» ein neues Nein des englischen Schatzkanzlers Snowden. Heute wußte niemand mehr, lebt die Konferenz noch, oder lebt sie schon wieder, oder wird man sie jetzt! tatsächlich feierlich zu Grabe tragen? Der Borsitzende der Konferenz, Jaspar, erhielt heute einen Brief nach dem andern. Zuerst traf ei« Schreiben des französischen Ministerpräsidenten Briand ein, in dem um die sofortige Einberufung einer neue» SechS-MSchte-Konferenz gebeten wurde mit dem Auf trag, „einen Instand zn beende«, der nunmehr ohne Ausweg zu sein scheine". Kurz darauf ließ der englische Schatzranzler Snowden ein Schreiben überreichen, das die Bitte enthielt, für Mittwoch eine Bollsitzung ein« zubernfen. Lie Führer der italienischen, belgischen und japanischen Delegation schickten »riefe ähnlich»» In* Halts; die deutsche Delegation ließ kein Schriftstück überreichen. Nach dem Bekanntwerden dieser Vorgänge liefen im Haag Gerüchte über neu« Vermittlungs aktionen um, und dis Optimisten flüsterten sich zu, man werde schon wieder einen Weg finden und eine Tür öffnen. Worauf sich dieser Optimismus grün dete, war nicht einzusehen. Denn Snowden war gestern allen Zureden Jaspars und Adatschis unzugänglich. Er erklärte nur, was er schon so oft gesagt hatte, daß auch das als „das letzte Wort" frisierte Angebot der „Opsermächte" — das Englands Forderung zu 60 Pro zent erfüllen soll — nicht annehmbar sei. Im übrigen beachte dieses Angebot auch nicht, daß England keine Opfer Deutschlands oder der kleinen Mächte wolle. Von deutscher Seite wurde zu dem Vorschlag der „Opsermächte" betont, daß Deutschland an diesem Angebot nicht beteiligt sei und daß von einer deutschen Zustimmung zu den Deutschland berührenden Punk ten dieses Angebots — Erhöhung des ungeschützten Teils der Tribute und Verzicht auf den Dawesüber schuß — keine Rede sein könne! Deutscher Protest gegen Briand. Am LienStagvormittag hielten die vier an der Rheinlandräumung interessierten Mächte eine neue Sitzung ab. Briand wollte ein Protokoll über die Kommission anfertigen lasse«, doch erhob die deutsch« Delegation dagegen Einspruch Briand erklärte dann «och bei einem Zusammenbruch der Konferenz müßten die politischen Fragen in dem Stadium verbleibe«, in dem sie sich gegentvärtig befänden. Sonderverhandlungen im Haag, i Deutschland und England verhandeln über den Abzug - der britischen Besatzung- Tie deutsch« und die englische Delegation haben j im Haag Verhandlungen über die Durchführung des ! Abtransports der britischen Nheinlandtruppcn geführt. - Dabei wurde eingehend über die technischen Angelegen- - heiten der Räumung, so z. B. über die Fragen der j Eisenbahntransporte und der Ueberführung der Laza- . rette und des Heeresmaterials gesprochen. Als fach- ! liches Ergebnis dieser Verhandlungen liegt die Lat- § fache vor, daß England unter allen Umständen in j kürzester Zeit das Rheinland räum«n wird. Wann und in welcher Form die englische Regie- ! rung den Rückzug der englischen Besatzungsarmee offi- zielt den übrigen Mächten notifizieren wird, ist bisher ' noch nicht entschieden, dürfte jedoch nur noch eine Frage der Zett sein. Ein Brief Westarps an Stresemann. Graf Westarp, der Vorsitzende der deutschnatio nalen Reichstagsfraktion, hat einen Brief an die deut schen Minister im Haag gesandt, in dem er die Ver öffentlichung des auf der Pariser Konferenz von den deutschen Sachverständigen abgegebenen Gutachtens und der von der Regierung zur Verfügung gestellten Unter lagen fordert. Zum Schluß des Schreibens heißt «S. „Der bisherige Verlauf der Haager Konferenz hat > gezeigt, daß die Veröffentlichung sofort erfolgen muß- 2u j oer sur Deutschland tn jeder Beziehung verhängnisvouen Lage der Verhandlungen hat es wesentlich betgetragen, daß die deutsche Delegation die Größe des Deutschland zu- gcmuteten Opfers, seine Unvereinbarkeit mit Deutschlands innerer und äußerer Leistungsfähigkeit und s«tne Undurch führbarkeit bisher überhaupt nicht oder jedenfalls nicht öffentlich erkennbar geltend gemacht und nachgewiesen hat." Wahrheit, Klarheit und Offenheit, so schließt der Brief, seien erstes Gebot der Pflicht gegen das eigen« Volk. Politische Rundschau. — Berlin, den 28. August 1920. — Der preußische Ministerpräsident Braun hat dem ^haitischen Ministerpräsidenten' Deist anläßlich der zehn jährigen Wiederkehr des Tages seines Regierungsantritts ein Glückwunschtelegramm gesandt. * :: Argentinischer Besuch bei der Reichswehr. Dev Generalinspekteur der argentinischen Armee, General-, leutnant Toranzo, ist zu einem vierwöchigen Besuch in Deutschland eingetrofsen. General Toranzo kommt aW Gast der Reichswehr nach Deutschland. Der General wird u. a. auch an kleineren Uebungen der Reichs-, wehr teilnehmen. :: Bisher 63 Schund- u«d Schmutzschrifte« ver boten. Das Reichsministerium des Innern hat d«N Reichstag eine Denkschrift über die praktischen Erfah rungen bei der Durchführung des Gesetzes zur Be kämpfung von Schund- und Schmutzschriften übermit telt. Danach sind bis zum 31. Mai 63 Schriften ver boten worden. :: Ein Gesetzentwurf über BergmauuSfiedlunge«« Dem Reichstag ist ein Gesetzentwurf über BergmannS- siedlungen zugegangen, der den zur Zeit unsicheren, Rechtszustand der Bergmannssiedlungen beseitigen will. Rundschau im Auslände. ! Der Sonderausschuß für di« Ausarbeitung eines Entwurfes für die Kontrolle der Rüstungsindustrie «at un ter dem Vorsitz des Grafen Bernstorff in Gens zu einer Sitzung zusammen. ; Am Dienstag trafen 20 französische Parlamentarier, zu einem Besuch Polens in Posen ein. ; Bolivien und Peru, die seit 1022 keine Abordnungen mehr nach Genf geschickt hatten, werden sich dieses Jahr Wieder in der Völkerbundsversammlung vertreten lassen , * Japan witt seinen KreuzerSestand erhöhen. ; Die japanischen Botschafter in London, Paris, Rom und Washington haben ein« Denkschrift über di« Frage der Seeabrüstung überreicht. Zeitungsmeldungen zufolge for dert Japan darin, daß es ebensoviel Kreuzer und U-Boote erhält als England und Amerika. Auslandsfahrt der Flotte. Die Linienschiffe auf dem Wege nach Schwede«. Die deutsch« Flotte hatte ihre zweite diesjährige Ausbildungsreise nach dem Ausland angetreten. Für, die Linienschiffe ist das Reiseziel Schweben, während ein großer Teil der Torpedoboote verschiedenen Häsen der baltischen Randstaaten, Ltbau, Riga und Reval, einen Besuch abstatten wird. Als erstes Schiff lies die „Schlesien" aus. Es folgten „Schleswig-Holstein" und die Torpedoboote „Iltis", „Tiger", „Luchs" und „Wolf". Der Skandinavienreise folgen sofort die Herbstübungen der Flotte in der Ostsee, die vom 7. bis 20. September dauern werden. Tie Flotte bleibt also über einen Monat den Heimathäfen fern. der Start w „Graf Zeppelin- vor Lakehurst. Die Weltfahrt vor dem Abschluß. — Der «Lchtlich« Start in Los Angeles. — New York, 28. August. Das deutsch- Luftschiff „Graf Zeppeliu", da« gestern ,u nntteruachtticher Stunde — d. i. S,16 Uh, deutscher Zeitrechnung — in Los Angeles zur Weiter, fahrt nach Lakchurst startete, ist in glatter Fahrt gut vorwärts gekommen und wirv „och heute in Lokehurß zur Landung schreiten'. Tr. Eckcner, der sich in Loi Angeles Wege« ei««r Magenverstimmung Schonung auferlegen mutzte, ist bereits wiedcrhergesteilt. Tas Empfangsprogramm der Stadt Los Angeles ist durch den raschen Start des „Graf Zeppelin" über »geworfen worden. Die Passagiere des Luftschiffes haben sich von dem zu ihren Ehren gege- benen Festessen direkt in die Gondel des „Graf Zep- -^L?/6eden müssen, nachdem die Auffüllung des Luftschiffes in der Hälfte der sonst dafür erforderlichen Zeit beendet worden war! Trotz der Kürze seines Aufenthalts in Kali fornien wurde „Graf Zeppelin" doch in Los Angeles von Hunderttausenden bewundert. Auf Meilen war jede zum Flugfeld führende Straße mit Parkenden Autos auf beiden Seiten eingefaßt. Schaulustige kamen selbst aus den Staaten Oregon, Nevada, Arizona. Die allermeisten verblieben gleich auf dem Flugfeld, um "°* «'L"--- >°m° W der Start LVgm als Gewitterstürme «emeldet wurden. nach Mit- ternackt Ortszeit wurde dann das Luftschiff zur Mitts des Flngfeldes gez-Aen und dk SPH^nack HLm, der Zielrichtung, gedreht. Nur mit Mime komiten Hst« Wachmannschaften, die immer wieder herandÄngenden Zuschauermengen zurückhaltm. MS sich dann da» Luft« WM langsam erhob, kannte die Begeisterung der Mena« keine Grenzen.