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»Wir brauchen kein Eßzimmer", hatte sie gesagt, „abei ich einen Arbeitsraum." »Wozu brauchst du ihn?" fragte ihr Mann. »Um darin zu arbeiten natürlich." »Hast du nötig, für Geld zu arbeiten? Ich verdiene ivch soviel, daß es zur Führung des Haushalts reicht." »Ich nehme kein Geld von dir, du magst es anlegen, wie du willst. Es wird einmal der Tag kommen, wo du es sehr nötig gebrauchen wirst." Die Wut stieg in ihm auf. Mit der Hand auf den Tisch schlagend, schrie er sie an: „Latz deine blödsinnigen Prophezeiungen. Gar nichts wird kommen — gar nichts, hörst du!" Sein Gesicht hatte sich gerötet, seine Augen blickten voll Haß aus sie. Sie hielt seinen Blick ruhig aus. „Du weißt auch ohne meine Prophezeiung, was für dich kommen muh und kommen wird." „Was wird kommen — was?" Er trat dicht vor sie hin. Sie wich keinen Schritt zurück. Ihr Gesicht war leichenblatz, und ihre dunklen Augen glühten. „Was fragst du mich, was kommen wird — du weißt es. Das Schicksal webt, und du hältst die Fäden des deinen nicht mehr in Händen..." »Du hältst sie?" „Ja, ich halte sie." Westphal fühlte mit beängstigender Deutlichkeit, daß Ida die Fäden seines Schicksals in ihren Händen hielt. Roch war nicht recht erkennbar, wie sie sie spann, aber er zweifelte nicht daran, daß sie sie allmählich zu einem Netz verwob, das sie ihm eines Tages überwerfen würde. Sie umlauerte ihn. Es verging kein Tag, an dem sie nicht zu ihm von Geyer und seinem Tode sprach. Weil es ihm lästig wurde, bat er sie einmal, nicht mehr davon zu sprechen. „Warum nicht? Bereitet es dir Qual?" In ihrem Blick war etwas, das ihn empörte. Er schrie sie an: „Quatsch! Qual? Langweilig ist es mir. Ich mag von diesen Dingen nichts mehr hören!" Er schrie sie jetzt oft an, was er früher nie getan. Seine Nerven waren so überreizt, daß er sich nicht mehr be herrschen konnte. Einmal sagte er es ihr. Wenn sie etwas gegen ihn habe, so sollte sie sich zu ihm aussprechen; aber dieses heimliche Belauern sollte sie sein lassen, es mache ihn verrückt. Sie sah ihn mit ihrem rätselhaften Blick eine Weile an, und dann fragte sie unvermittelt, warum er sich am Tage vor seiner Abreise nach Oberschlesien habe erschießen vollen? Er vermochte keine Antwort zu geben. Sein Ge« ^cht ward kalkweiß und sein Blick ging hilflos ins Leere. „Ich will dich nicht quälen", sagte Ida, „aber dir doch tu bedenken geben, ob es nicht für dich und mich gut Ware, du sagtest mir den Grund. Die Sache hat mir schon Ichlimme Stunden bereitet." Nun hatte er sich wieder in der Hand. -Ja, was denkst du denn...?" Sie ließ ihn nicht ausreden. .Ich denke, daß es in deiner, vielmehr in Gehers Kaffe licht gestimmt hat." -Blödsinn! Auf so etwas kannst du nur kommen!" Ihre Augen bohrten sich förmlich in sein Gesicht. Er wurde unruhig. „Was stehst du mich so an? Du kannst das, was du eben sagtest, doch im Ernst nicht glauben? Eben war BücherreMston; wenn da irgend etwas nicht in Ordnung gewesen Ware, na. dann hätte ich mich gratulieren können. Rein, «ein, Ida, du bist aus falscher Fährte. Ida, ich hab' eS verdient, daß du mich schlecht behandelst; aber dein Etrauen, das du mir zeigst, das verdiene ich nicht, Jetzt. Will ich vlr gestehen, warum ich mich erschießen wollte: ich bin verliebt gewesen in Frau Donat; als ich von dir hörte, daß sie mit ihrem Liebhaber durchgebrannt sei, da Hai mich das so erregt, daß ich mein Leben enden wollte. Ich nahm etwas ernst, das nicht verdiente, ernst genommen zu werden. Heute begreife ich nicht, wie ich mich in diese Frau habe verlieben können, und das andere, daß ich freiwillig aus dem Leben gehen wollte. Siehst du, das begreife ich erst recht nicht. Und nun, Ida, laß uns Frieden schließen! Wir gehören doch zusammen, Ida. Willst du mir mein ganzes Leben zerquälen wegen dieser dumme» Geschichte? Was auch bis jetzt Schweres in unserem Leben war, es darf uns nicht elend machen; uns kann das Leben noch so viel Schönes bringen. Sei wieder gut, Ida!" Er streckte ihr die Hand entgegen. Sie aber nahm sie nicht. „Du kannst nicht verzeihen?" „Dir? — Nein!" Sie schüttelte langsam den Kops. Er aber gab es noch nicht auf, sich mit ihr zu versöhnen. „Aber du sagtest mir doch, daß dir mein Selbstmord versuch schwere Stunden bereitet hat." „Ja, ich nahm einen Grund an, von dem ich weiter folgerte, bis ich zum Schlimmsten kam." Er erbleichte, fragte aber nicht, was sie mit dem Schlimmsten meine. Schweigend verließ er das Zimmer. Ida hatte die Nähmaschinen und den langen Zu schneidetisch und die Schneiderbüsten vom Boden holen lassen und die große Berliner Stube wieder so ein gerichtet, wie es viele Jahre hindurch gewesen war. Als alles am rechten Platz stand, ging sie zu ihrer Mutter, um sie zu bitten, sich ihr Werk anzusehen. Aber sie «ras die Mutter nicht an; diese war wieder mit Nora ausgegangen. So ging Ida zu Lotte, um das Zurückkommen der Mutter zu erwarten. Lotte war noch immer nicht recht auf dem Posten. Sie lag auf der Chaiselongue, als Ida in ihr Zimmer trat. „Ist es dir recht, wenn ich dir etwas Gesellschaft leiste, Lotte, nur so lange, bis Mutter vom Spaziergang heim- kommt?" Lotte war es sehr lieb. Ida erzählte von der Ver änderung, die sie in ihrer Wohnung vorgenommen habe. „Warum hast du das so gemacht? Du denkst doch nicht daran, zu schneidern?" „Doch denke ich daran. Aber eben lag mir erst einmal daran: den Naum wieder so zu sehen, wie er gewesen war, als wir drei darin schafften. Mutter wird sich auch freuen. Sie har es oft bedauert, daß ihre alten, guten Sachen, die ihr so treu gedient hatten, auf den Boden gestellt waren; nun kommen sie wieder zu Ehren." Wie gleichgültig ihr das war! Lotte strich sich das Haar aus der Stirn, und sah versonnen vor sich hin. Daß die Ida an anderes denken konnte, als an das Schwere, das ihnen allen bevorstand, sie begriff das nicht. Es schien, daß sie und die Mutter an ihrem Leid vorübergingen. Sie sprachen nie davon. Oder wußten sie nicht, daß Leid und Qual für sie war, daß Hans noch immer in Untersuchungs haft saß? Sie sah Ida an; die erschien ihr jetzt oft so merkwürdig. „Bald wird man Hans vor die Geschworenen stellen", sagte sie. „Doch nicht sobald, Lotte. Es wird überhaupt nicht dazu kommen", setzte sie mit Bestimmtheit hinzu. Lotte sah sie fragend an. „Warum glaubst du das?" „Ich kann es dir jetzt nicht sagen, Lotte; aber ich weiß, daß es nicht dazu kommen wird Also sei ruhig und zu versichtlich, Lotte. Es kann ihm nichts geschehen. Er ist unschuldig." Ihre Hände hakten sich gefaßt und hielten sich lange fest. Nach einem langen Schweigen begann Ida wieder von ihrer Wohnung zu sprechen. (Fortsetzung folgt.)