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so Während Nora im Entree war. sagte Jakob zu Lotte: »Nimm du dich der Kleinen an, Hanna ist eben von allerlei Dingen in Anspruch genommen; ich glaube, das Kind kommt bek ihr nicht zu seinem Recht/ Er wußte, daß Lotte Kinder sehr liebte, und hoffte, ihr mit dieser Aufgabe eine Freude zu machen. »Wie kommst du zu dem Kinde? Ich denke, du kommst gar nicht mehr mit Hanna zusammen?- Mit einem verlegenen Blick an ihr vorbeisehend, sagte er: »Ich sehe mich selbstverständlich dann und wann nach meinen Schwestern um. Du wirst doch nicht wollen, daß ich sie verliere?" — Nun war Nora schon mehrere Wochen bei Geyers im Hause. Hanna hatte so nach und nach alles, was Nora gehörte, in die Grunewaldstraße geschickt. Es fehlte ihr bald nichts mehr. Ihr Bettchen und die Spielsachen waren da. Auch ihr Fräulein, das ihr die Anfangsgründe des Schulunterrichts beibrachte, wohnte bei Geyers. Lotte hatte däS zutrauliche und kluge Kind gern um sich; aber seine völlige Uebersiedlung in ihr Haus befremdete sie. Wurde etwas damit bezweckt, das sie nicht ahnte? Zu weilen kam ihr diese Vermutung. Daß Hanna ihr Kind so lange von sich ließ, begriff sie nicht. Einmal fragte sie ihren Mann,L>ie lange Nora noch bei ihnen bleiben sollte? »So lange wie möglich; sie ist hier besser aufgehoben als in der Kurfürstendammwohnung. Wenn Franz zurück- kehrt, soll sie wieder heim; so lange behalte sie, Lotte." Man war nun mitten im Sommer. Die Sonne brannte heiß auf das Asphalt der Berliner Straßen. „Ich wäre dafür, wir gingen auf ein paar Wochen an Lie See-, schlug Geyer seiner Frau vor. Lotte hatte Bedenken. Die Mutter ging aus ein paar Wochen nach Thüringen, um mit dem Jungen zusammen -U sein, der noch immer in dem verhaßten Pädagogium war, wett Jakob es so für richtig hielt; wenn sie nun auch sortging von Berlin, blieb Ida, die noch immer sehr schwach und pflegebedürftig war, allein. Das war ihr ein unerträglicher Gedanke. Jakob wandte ein, daß sie doch ihren Mann habe. »Ihren Mann?" Lotte zog die Schullern hoch. Es war etwas in dieser Bewegung, das ihm das Blut ins Gesicht trieb. Er wußte, an was Lotte dachte. Ein Zorn gegen Hanna stieg in ihm auf, dem er gern in Worten Luft gemacht hätte; aber er unterdrückte dieses Verlangen. Er schlug Lotte vor: »Nehmen wir sie mit, was kann da weiter sein. Der Aufenthalt an der See wird ihr gut tun." Zwei Tage danach fuhr man nach Swinemünde. Nora war auch mit ihnen. Geher versprach sich für Lotte viel von dem Aufenthalt an der See. Das bunte Treiben des Bade lebens würde sie gewiß aufheitern. Und daß sie das Kind um sich hatte, daS sie mit tausenderlei Dingen in Anspruch nahm, hielt er für gut. Aber weder das eine noch das andere brachte zustande, was er wünschte. Lotte blieb still und in sich gekehrt. Geyers . Blick ruhte ost mit sorgenvollem Ausdruck auf ihrem Gesicht. Was mochte Lotte so völlig umgewandelt haben? Daß ihr Zustand an ihrer seelischen Depression schuld sein sollte, glaubte er nicht... Die Ferienwochen, die Jakob Geyer sich genommen, gingen zu Ende. Er verlangte nach seinem Geschäft. „Wenn ihr wollt-, schlug er den Frauen vor, „fahrt noch für ein paar Tage nach Thüringen/ Die Mutter hatte geschrieben, daß der Junge Sehnsucht nach den Schwestern habe. »Es kommt mir nicht daraus an, ich bringe euch selbst im Auto dorthin. Eure Saalfelder Verwandten würden sich gewiß freuen, wenn ihr zu ihnen kommen würdet/ Bei Erwähnung dieser stieg Lotte alles Blut ins Ge- ficht. Sie dachte an ihren Zustand, und daß es ihr un möglich sei, sich in diesem vor Hans zu zeigen. Vor ihm hätte sie ihren Zustand als Schande empfunden. Sie lehnte ganz entschieden ab, und so fuhren sie schon am nächsten Tage nach Berlin zurück. Man traf ganz un erwartet zu Hause ein. Gleich am selben Tage ging Jakob ins Geschäft. Er wollte von Westphal hören, wie es während seiner Ab wesenheit gegangen sei, und befahl dem Kontordiener, ihn zu sich zu bitten. „Herr Westphal ist auf einige Tage verreist-, sagte der Mann. „Wass- Geyer warf sich auf seinem Stuhl herum, sah den Mann starr an. Die Ruhe, mit der der Mann seine Worte wieder holte, brachte ihn zur Besinnung. „Gut-, sagte er, „Sie können gehen!- Einen Moment sah er starr vor sich hin. Eine angst volle Ahnung dämmerte in ihm auf. Seine Hand ergriff das Schallrohr seines Tischtelephons. Er rief Donats Amt und Anschlußnummer hinein, verlangte auf Meldung seine Schwester zu sprechen. Frau Professor sei auf einige Tage verreist, wurde ihm gesagt. Er ließ das Schallrohr sinken. „Nun also-, sagte er laut vor sich hin. Es klopfte leise an die Tür, und gleich darauf trat Fräulein Krögel bei ihm ein. Ob Herr Geyer eben Zett hätte, ihren Bericht anzuhören? „Hol' Sie der Teufel mit Ihrem Bericht!- schrie er. Fräulein Krögel verschwand und nahm sich vor, zum nächsten Ersten zu kündigen. Sie flatterte dahin, wie ein aufgescheuchtes Huhn. Sie stand in der Kleider-Abteilung und erzählte dort, was ihr passiert war. Eine solche Un verschämtheit sei ihr noch nie vorgekommen. Sie könne nicht begreifen, wie ein Mann, der seinen klaren Verstand habe, plötzlich so heftig werden könne. Lydia Rosinski, der Mannequin, sagte: „Er hat sich von der See einen kleinen Tülütitü mitgebracht/ Alle lachten. Nur Fräulein Krögel nicht. Ihr war es mit der Kündigung ernst; beleidigen ließ sie sich nicht. Herrjehmineh, so 'n Quatsch! Was schon dabei war, wenn der Chef einem mal anschrie, der hatte auch seinen Kopf voll. Er hatte sich gewiß darüber geärgert, daß der Westphal auf Reisen gegangen war. So ungefragt, das war ja auch eine Frechheit. Westphal war überhaupt so einer, 'rausschmeißen sollte er ihn, das wäre das Beste. Sicher war, daß der ihn gehörig besah. Wie der Kerl auf trat, der knallte ja vor lauter Protz. Anzüge aus eng lischen Stoffen und Lackstiefel konnte man sich doch nicht anschaffen, wenn man nur zweihundertundfünfzig Mark Monatsgehalt hatte. Kein Gedanke! Der mopste — aber ganz unverschämt. „Er muß sich feinmachen, das ist er Geyers Schwester schuldig-, sagte eins. „Mit der hat er was-, raunte sie den anderen zu. „Man darf aber nicht darüber reden, sonst könnte man erleben, eines Tages an die frische Luft gesetzt zu werden." Geyer ging in Westphals Arbeitszimmer. Er sah sich nach den Geschäftsbüchern um. Sie waren irgendwo ein geschloffen. Er versuchte die Kästen des Schreibtisches auf zuziehen; sie waren verschlossen. Verschlossen waren auch die Türen des eisernen Geldschrankes. *Jhm fiel ein, daß er ja den Doppelschlüssel zu diesem besaß. Er holte ihn aus seinem Schreibtisch. Schloß den Schrank auf. Er fand die Bücher darin. Er sah hinein. Fein säuberlich standen die Zahlenreihen untereinander. Was wollte er? Wenn da etwas nicht in Ordnung war, dann konnte er es nicht so schnell ermitteln. Wie kam er eigentlich auf den Verdacht, daß Westphal etwas veruntreut haben könne? Daß er ihn heute als unverläßltch erkannt habe — Herrgott, deswegen brauchte er doch noch lange kein Dieb zu sein! Er klappte die Bücher zu, verschloß sie. Es war, als ob er mit ihnen die Sorge um sein Geld verschloß. Eine andere drängte sich vor, eine viel schlimmere, die um Lanna. Er batte schon lange keinen Zweifel mehr,