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Beilage zur WeWerW-Zellung Nr. 183 Donnerstag, am 8. August 1929 95. Jahrgang Chronik des Tages. - Im Haag treten die ersten Gegensätze in Ev- scheinungr der Kampf geht mn die Verteilung der deut- "-^Der Bundeskanzler Deutsch-Oesterreichs, Streik». Witz, traf, von Prag kommend, zu einem kurzen Besuch in Bayern ein. — Die englische Regierung veröffentlicht den Wort laut des Vertragsentwurfs mit Aegypten; di« Veröffent lichung bestätigt di« ersten Pressemittetlungen über den Inhalt des Abkommens. — In Berlin wurde amtlich ein Fall von Tollwut festgestellt. Für verschiedene Bezirke ist Hundesperre an geordnet. — Eine halb« Million Sommerfrischler ist am Ferien- ende nach Berlin zurllckgekehrt. — Die Deutsche Ostmesse findet vom 18. bi» 21. . August in Königsberg statt. In Lupenh in Rumänien und in Kalkutta ist es zu blutigen Streikkrawallen gekommen. Gegensätze im Haag. Streit um Verteil«,tgsschlüssel und Sachlieferungen. — Was will England ?— Stresemann iibt Zurückhaltung. — Haag, 7. August. Tie Gegensätze unter den Regierungsabordnungen im Haag sind gleich in der ersten Sitzung der Konferenz, die unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfand, in Erscheinung getreten. Es gelang den Ministern nicht, die beiden Unterausschüsse einzusetzen, ferner eröffnete Englands Schatzkanzler Snowden eine heftige Attacke gegen den Verteilungsschlüssel für die deutschen Tribute und gegen die Bestimmungen über die Sachlieferungen. Am Mittwoch herrschte in Konferenzkreisen eine eigenartig« Stimmung. Snowdens aufsehenerregende Rede, seine Klage» über eine Benachteiligung Englands waren nicht ohne Eindruck geblieben. Neberall wurde die Krage diskutiert: Was will England? Daß England nicht den Nounaplan gefährden und keine neue langwierige und peinliche Reparationsdis kussion heraufbeschwören will, darüber war man sich einig. Im übrigen ist man auf Mutmaßungen angewie sen. Und so sind jetzt Englands Wünsche und Forde rungen — d. h. die wirklichen, nicht die „elastischen" — vas große Geheimnis der Konferenz. Optimisten be haupten, daß England mit seinem Widerstand bei Frankreich die frühere Rheinlandräumung als Preis für die Aufgabe des Verteilungsschlüssels von Spa durchsetzen wolle. Tas ist. allerdings eine sehr gewagt« Erklärung! Mehr für sich scheint di« Meinung der nüchternen Beob achter der Konferenz zu haben, nach der Englands «irklicher Kampf darum geht, daß Loudon Sitz der Reparationsbank wird. Damit kann England soviel finanzielle Vorteile erzielen, daß die Berluste durch die abgeänderte Verteilung reichlich ausgewogen werden. Frankreichs Stellungnahme. Aus der Generaldebatte, die heute fortgesetzt wurde .geht jedenfalls noch nicht hervor, wohin der Kurs treibt. Man unterhielt sich heute zwei Stunden lang über Snowdens Rede, und es war überraschend auffallend, wie sehr die Meinung des französischen Wortführers, des Finanzministers Chöron mit der des italienischen Finanzministers und Delegations führers Fosconi übereinstimmten. Sie vermieden allerdings ganz offenkundig jede Polemik gegen Snow den. Chöron drückte seine Befriedigung darüber aus, daß Snowden grundsätzlich den Uoungplan anerkennen wolle und wies darauf hin, daß Frankreich im Inter esse einer Kompromißlösung große Opfer gebracht habe. Seine Einkünfte aus dem Uoungplan wären geringer als die aus dem Tawesplan. England dürfe nicht verkennen, daß man ihm in der Frage der Sachliefe rungen sehr entgegengekommen sei und die durch die Lieferungen erschwerte Konkurrenz ständig vermindere. In zehn Jahren werde das Sachlieferungsproblen; auch praktisch erledigt sein. Frankreich trage sein Teil dazu bei, meinte Chöron, die Vergangenheit zu liquidieren; es nehme den Uoungplan an, so wie er sei. Auch der italienische Finanzminister bekannte sich zum Uoungplan in seiner jetzigen Form. Man könne doch nicht, so führte er aus, verlangen, daß die Sachverständigen wieder einberufen würden und ihre Beratungen von neuem beginnen. Ter Uoungplan sei zwar ein Kompromiß mit allen Schattenseiten, die eben nur «in Kompromiß haben könne, aber er sei ein unteilbares Ganzes, zu dem man such rückhaltlos bekennen müsse, wenn man die Vergangenheit liqui- Vieren wolle. Der Wunschzettel der „Kleinen". Tie Redner der sogenannten kleinen Neparations gläubiger, die nunmehr zu Worte kamen, benutzten die Gelegenheit, ihre Ansprüche anzumelden; so de, rumamsche Delegationsführer Titulescu, der süd. slawische Minister Marinkowitsch, und die Vertrete, Portugals und Griechenlands. Sie hätten bis jetzi geschwiegen, erklärten sie, aber dieses Schweigen sei nicht gleichbedeutend mit ihrer Zustimmung zum Uoungplan. Auch ihren von „wirklicher Ftnanznot" diktierten Forderungen müßt« Rechnung getragen wer. den, wenn die Erinnerung an die Kriegsschäden endlich beseitigt werden solle. " Tann nahm noch einmal der Führer der deutschen Abordnung, Neichsaußenminifter Dr. Stresemann das Wort, um eine Erklärung abzugeben. Minister Stresemann betonte Vari«, Dentschkanv -ab, mit dem Streit um de« BertcilnnMch«jss<i nicht» z« w» , und unterstrich alsdann di« Notwendig««, die Politische« und finanziellen Verhandlung«« in den Ausschüssen gleich. j zeitig zu führen. Die deutsche Erklärung schloß mit den Wortenr „Di, deutsche Regierung wird mit allen Kräften dahin wirken- ein« Regelung zum Abschluß zu führen, die, wie de, französische Finanzminister CHLron fügte, di« Vergangen- f bett liquidiert und die Grundlage eines dauechaften gute« s Verhältnisses zwischen den beteiligten Regierungen bilde« kann." Leider läßt die Bildung der beiden Kommissionen noch aus sich warten, weil die Generaldiskussion um die Anteil« weitergeht. Für Deutschland sind jetzi , die politischen Fragen jedenfalls das Wichtigste. Es j war daher gut, daß Dr. Stresemann in seiner Erklä rung politische Forderungen anmeldete und die Ein setzung der politischen Kommission gleichzeitig mit dei finanziellen verlangte. Deutschland muß fordern, daß di« Grundlage del Uoungplans nicht verschoben wird, daß die Wirtschaft», dcsricdung gleichzeitig mit der politischen kommt, d. daß die völkertrermende Rheinlandbesetzung endlich verschwindet und die Saar frei wird. Ohne diese Zm geständnisse wird von keinem deutschen Parlament btt Uebernahm« der Opfer des YoungplaneS zn erwarte« sein. Es kommt auf die Gleichzeitigkeit an und darauf, »atz Deutschland nicht Leistungen gegen »-«' sprechungen eintauschtr Snowdens Angriff. Ter englische Schatzkanzler Snovüven hakte in fest ner Red« zunächst betont, England könne zwar den Bestimmungen über die Höhe und die Zahl der denbi schen Jahresraten zusttmmen, nicht aber dem Verteil lungSschlüssel für die deutschen Tribute und ebenso nicht den Bestimmungen über die Sachlieferungen. Im ein zelnen führte der Schatzkanzler dann noch aus: Die englische Regierung stell« fest, daß Kraukveich von dem ungeschützten Teil der Reparation«« fünf Sechstel erhalte, somit zwei Millionen Pfund jährlich mehr, als im Dawesplan vorgesehen war. ES müsse offen «nd mit Entschiedercheit erklärt werde«, daß dieser Sta«dpu«kt über haupt nicht zu vertreten sei und «S könne auch kein Versuch gemacht werde«, ihn zu ertönter« oder z« rechtfertigen. Die englische Regierung lehn« die Abände rung der festliegenden Verteilung der Tribntzahlnng unter den Glaubigernationen ab. Snowden betonte, daß England der Hauptleidtragende des neuen Verteilungsschlüssels sei und daher Wider spruch gegen den Verteilungsschlüssel er heb«. Großbritannien erhalte nach dem Uoungplan ledig lich das, was es an Schulden an die Vereinigten Staate« M zahlen hab«. Somit erhalte Großbritannien keines wegs die 2vl) Millionen Pfund, die es an die übrigen Länder zu zahlen hab«. Wie Snowden zusammenfassend erklärte, richtet sich der englische Widersprich 1. gegen den Berteiluugsschlüssel, 2. gegen die Art der Verteilung «nd S. gegen die Bestimmungen des Noungplanes übe» die Sachtieferungen. hierüber, wie jeder Mensch es w wären. Eine Preisgabe nationaler Das englische Abgeordnetenhaus werde niemals sein« Zustimmung zu irgendwelchen neuen Opfern und neue, Preisgabe englischer Interessen geben. Hierüber bestehe kein Unterschied zwt chen den Parteien, da alle Parteien sich ' wisse, vollkommen einig :r Interessen könne von England nicht erwartet werden, solange eine englische Re gierung im Amte sei, und jede Regierung Großbritanniens werde darauf bestehen, daß Großbritannien in der Re gelung der Reparationen fair behandelt werd«. Dl« ostasiatisch«,t Verhandlungen auf dem toten Punkt. Nach einer Meldung aus Nanking teilt di« chine sische Regierung amtlich mit, daß in den chinesisch-russi schen Ausgleichsverhandlungen «in toter Punkt er reicht worden sei. Tie chinesischen Unterhändler sähen sich außerstande, die russische Forderung auf Wiederein setzung des russischen Mitleiters der chinesischen Ost- eifenbohn anzunehmen. Die Verficherungsreform. Erneute Ablehnung der Beitragserhöhung durch dis Arbeitgeber. Lie Vereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände betont in einer öffentlichen Erklärung, di« Sachver ständigenvorschläge zur Reform der Arbeitslosenver sicherung würden nur Ersparnisse in Höhe von 160 Millionen Mark bringen und die Reichsanstalt nicht genügend entlasten. Tie vorgeschlagene Erhöhung der Beiträge um Prozent müsse von den Arbeitgebern abgelehnt werden. In der Begründung dieser Stellungnahme weisen die Arbeitgeber darauf hin, daß die Sachverständigen sich nicht genügend um eine Beseitigung der wesent lichsten anerkannten Fehlerquellen deS Gesetzes bemüht hätten. Auch seien wichtige Vorschläge der Arbeit geberseite, so z. B. solche über die Heimarbeiterfrage, zur Lösung des Saisonarbeiter-Problems und über den Fortfall der Unterstützung bet eigenem Vermögen nicht in das Kompromiß hineingearbeitet worden. Tie Veröffentlichung der Bereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände schließt mit den Worten: „Tie Arbcttgeberseite ist auch jetzt noch überzeugt, daß durch eine sachgemäße, die sozialen und wirtschaftlichen Not wendigkeiten berücksichtigende Reform die Einnahmen und Ausgaben der Reichsanstalt ins Gleichgewicht ge bracht werden können. Sie lehnt daher vor allem jede Erhöhung des Beitrags ab? Sechs-Mächte-Besprechung im Haag. Beratung«« über das Arb«itsprogramm der Regie« rungskonferenz. Die Abordnungen der sechs Mächte, Deutschland, England, Frankreich, Italien, Japan und Belgien hiel ten am Mittwoch im Haag eine Sonderbesprechung ab. Deutschland war durch die Reichsminister Stresemann, Hilferding, Curtius und Dr Wirth vertreten. Die De legationen der sogenannten kleinen ReparationSgckäu. biger blieben von den Verhandlungen ausgeschlossen. Zur Debatte stand da» AMeitsproaramm der Kon ferenz nach Abschluß der Generaldebatte. Deutschland forderte die Einsetzung eines politischen und eines Wirtschaftsausschusses. Politische Rundschau. — Berlin, den 8. August 1929. ' — Im Reichsministertum des Innern ist ein Gesetz in Ausarbeitung, das den Schutz von Nachrichten zum Gegenstand hat. — Der Bismarckbund der Deutschnattonalen Volks- Partei veranstaltet vom 9. bis 11. August eine Führe»- tagung in Braunschweig. — Am 28. August trttt der Hauptvorstand der De mokratischen Partei in Berlin zu einer Sitzung zusammen« * :: Reichswehrminister Groener in Minde«. Reichs-» Wehrminister Groener befindet sich zur Zejt auf einer Besichtigungsreis« durch die Garnison des Wehrkreises 8 und stattete bei dieser Gelegenheit am heutigen Don nerstag auch dem Pionierbataillon in Minden und der zweiten Wteilung des Artillerieregiments Nr. 6 einen Besuch ab. :: Lockerung der WohnungSzwangswirtschaft in Mecklenburg-Schwerin. Nach ein«r amtlichen Mitteilung des mecklenburg-schwerinschen Staatsministeriums hat die Regierung beschlossen, die WohnungszwangSwirt-» schäft für Wohnungen mit einer Jahresmiete von 1008 Mark und mchr in den Orten der Ortsklasse B, 600 Mark und mehr in den Orten der Ortsklasse C und 400 Mark und mehr in den Orten der Ortsklasse D auf-, zuheben. Rnndscha« im Ausland«. Benesch zusammen. ; Bon London kommend traf König. Fuad von A-ghp, ten zu einem mehrtägigen Besuch in Pari» ein Hl Englisch« Tankabteilung gegen di« Wahabiteu. r Eine stark« Abteilung britischer Truppen mit new, Tanks und elf Flugzeugen ist nach Akaba entsandt wordew- um einem möglichen Angriff der Wahabiten sofort wirksam begegnen zu können. Bereits seit längerer Zett rechnet man mit erneuten Vorstößen größeren Umfanges der Wahablten. Bombes Selbstmord erwiesen. Am Geburtstage ausgefnhrt. — Abschiedsbrief« iu -«« Taschen des Tote». Die Leiche des vermißten Berliner Landgericht»- direktors Tr. Bombe, die am Ufer des Bikowsees un-> weit Zechliner Hütte von einem Rheinsberger Fischer in einem unzäumten Jagen aufgefunden worden ist, wurde am Mittwoch nach Berlin übergeführt. Lie amtlich« Untersuchung ergab, daß Landge- richtsdirektor Bomb« seinem Lebe» durch eiueu Schuß in die Schläfe ei» Ende gemacht hat- Tie Kugel war durch das Schläfenbein in das Gehirn gedrungen «nd hatte de» sofortigen Tod herbeigefichrt. Tie Waffe, derer sich Bombe bedient hat, eine große Parabellum» pistole, lag unter dem Körper am rechten Arm. In den Tasche» wurde ei» offener Briefumschlag gefunden, auf dem die Worte standen: „Heute auf meinem Ge burtstag mache ich ein Ende." Tas Kuvert enthielt einen geschlossenen Brief au den Präsidenten des Land gerichts Hl in Berlin, Dr. Kirchstein, der vom Ober staatsanwalt beschlagnahmt und uneröffnet dem Emp fänger übermittelt wurde. Ta die Leichenschau die Todesursachen klar fest, legte, wurden die irdischen Reste des toten Richt«» zur Bestattung freigegeben. Die Beisetzung soll am Freitag in Berlin stattfinden. Ein seltsamer Zufall wollte es, daß das Gelände, aus dem die Leiche gefunden wurde, an dem Tage dep Auffindung gerade von der Polizei abgesucht werde« sollte. Ein Bauer hatte sich nämlich gemeldet, d« behauptete, vor einiger Zeit einen Mann gesehen z« haben, der über die Umzäunung geklettert sei. Ein Rheinsberger Fischer aber war den Polizei« beamten zuvorgekommen. Er hatte am Montag am Seeufer ein« Reuse ausgestellt und dabet einen starsm Verwesungsgeruch wahrgenommen. Am Admo hatte er seinen Angehörigen davon erzählt, die rieten, an dieser Stelle den See abzufahren und am Ufer Ausschau zu halten. Am DtenSMg Mgte « dem Rat und sand dann einige Schritt? vom Ufer entfernt die bereits in Verwesung übevgsgangsno Tie für die Aufklärung de» Falles ausgesotztq Belohnung dürfte dem Fischer zufallen. v-mb- sollt« LandgerichtsPväsidcnt werd««. - Berlin, 8. August. Wie Ale Zeitig ersah« ren habeir will, sollt« LandgettchtMEyr Dv. Bomb« mit Wirkung vom 1. Oktober ab zum LEdgertchtSprüfi« denken befördert werden. — DM Grund «mn Selbst.