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Beilage zur Weitzeriy Zeitung Ni. 177 Donnerstag, am 1. August 1S2S 95. Jahrgang Drucksachen: Carl JehneH Chronik des Tages. — Reichspräsident v. Hindenburg empfing den For scher Sven Hedin, der auf der Durchreise Berlin berührt«. — Von den bet der Grubenkatastroph« in Walden burg schwer verletzten Bergleuten sind einige gestorben. — In Friedrichshain wurde gestern zum Start des „Graf Zeppelin" zur neuen Amerikafahrt gerüstet. — Die „Bremen" trifft am Freitag von ihrer Amerikas fahrt wieder in Bremerhaven ein. — Dte nach Beendigung der „Pressa" in Köln ver schwundenen wertvollen Handschriften wurden unter altem Gerümpel bei einem Kölner Spediteur gefunden. — Einem Arzt in Rußland sind 30 Ampullen mit sibirischen Pestbazillen abhanden gekommen. — Die historische Kapelle an der Kremlmauer in Mos kau ist auf Beschluß des russischen KultuSkommissariatS ab gerissen worden. — Die amerikanischen Rekord-Dauerflieger sind nach 17 tägigem Flug gelandet. 57 Mill. Spindeln rnhe». — London, 1. August. Als am Montag die 500000 Arbeiter der eng lischen Baumwollindustrie sich in Liverpool, Lanca shire, Manchester, Oldham und Bradford zu ihren «Arbeitsstätten begeben wollten, fanden sie die Fa- briktore geschlossen. Die Arbeitgeber hatten ihrer An- Mndigung gemäß das Scheitern der Lohnverhandlun gen mit der Schließung der Betriebe beantwortet. Was dieser Arbeitskampf für, England bedeutet, wird jedem klar, wenn man hervorhebt, daß die Baumwollindustrie den wichtigsten Bestandteil der zweitgrößten englischen Industrie bildet und das Aussperrungsgebiet das größte Textilzentrum der Welt darstellt! 57 Millionen Spindeln laufen in den Favrikstädten an der englischen Ostküste, das sind fast 40 Prozent aller in der Welt vorhandenen Spindeln. Jetzt sind sie zum Feiern verurteilt. Tie Ursachen des Arbeitskampfes liegen in der Forderung der Arbeitgeber auf eine Herabsetzung der Akkordlöhne um 12^ Prozent. Begründet wurde diese Forderung von den Arbeitgebern damit, daß es der englischen Baumwollindustrie seit Jahren herzlich schlecht gehe und die Krise immer größere Formen anzunehmen drohe. Tie Ausfuhr der englischen Baum wollindustrie» die im letzten Vorkriegsjahr 30 Prozent des gesamten Exports an Fertigfabrikaten ausgemacht habe ,sei dauernd gesunken. Während 1913 4,2 Mil lionen Ballen Baumwolle von rund 56 Millionen Spindeln verarbeitet worden seien, würden jetzt noch nicht einmal drei Millionen Ballen von 57 Millionen Spindeln verbraucht. Neues vermögen uns diese Zahlen nicht zu sagen. Es ist eine längst bekannte Tatsache, daß die europäische Produktion hinter der Entwicklung der amerika nischen und asiatischen Erzeugung zurückgeblie ben ist, und die Baumwollindustrie macht davon keine Ausnahme. Verwunderlich ist nur, daß es in England zu dem Rtesenarbeitskampf kommen konnte, nachdem bereits seit Jahren über die Not der Baumwollindustris und die Wege zu ihrer Beseitigung diskutiert worden Von dem Entlohnungssystem in der englischen Baumwollindustrie kann man sich nur schwer ein Bild machen. Im ganzen Gewerbe sind die Löhne aus eine Art Akkord-System eingestellt, das sogenannte Preis- Usten-System. Darnach wird der Lohn bestimmt durch die Produktionsmenge und für jeden einzelnen Ar- « oettsvorgang gilt ein Grundpreis. Dieses System ist i schon außerordentlich alt und trotz mancher Mängel halten noch heute Arbeitgeber und Arbeitnehmer an diesem traditionellen Lohnsystem fest. Auf die zuletzt im Jahre 1911 festgelegten Grundlöhne wurden An fang 1914 bereits 5 Prozent zugeschlagen. Es folg ten dann von 1915 bis Mat 1920 noch wertere 205 Prozent Erhöhungen» und dann ein Lohnabbau von 120 Prozent. Seit dem 4. November 1922 wurden die Preislisten nicht mehr geändert, so daß die Akkord sätze um rund 85 Prozent über den Stand von 1914 stehen. Ties bedeutet aber nicht, daß die Wochenlöhne j ebenfalls um 85 Prozent höher wären, denn im Jahre 1919 wurde die Arbeitszeit herabgesetzt, und dann darf nicht vergessen werden, daß die Indexziffer für die Lebenshaltungskosten in England 160 beträgt. Tys Vorgehen der Industrie findet in der eng lischen Oeffentlichkeit keine besondere Billigung. Tie führenden Zeitungen haben sich eingehend mit der wirtschaftlichen Lage der Baumwollindustrie beschäftigt und sind dabei zu der Ueberzsugung gekommen, daß die Ueberwindung der Krise zum großer« Teil an einer allzu individualistischen Betriebsführung scheiterte. Ueberkapitalisierung, mangelhafte Austeilung, gleich artiger Produkte auf die zweckmäßigsten Betriebsein heiten, unzulängliches Zusammenarbeiten der Produ zenten mit den Exporteuren, monopolistische Preis festsetzungen für Farben und Appretur» werden der englischen Baumwollindustrie vorgeworfen. j Tie Arbeitgeber behaupten ihrerseits, daß sie in - den letzten zwei Jahren alles mögliche an Rationali- ' sierung getan und trotzdem kein« genügende Herab- ' setzung der Produktionskosten erzielt hätten. l Rückwirkungen der Aussperrung aus die verwandten Industrien sind natürlich nicht zu vermeiden. Sie haben bereits zur Schließung von Fabriken geführt, die die Baumwollindustrie belieferten. Gewaltsame Erschütte rungen im Zusammenhang mit der Aussperrung sind allerdings nicht zu befürchten. Gab es doch sogar schon einmal einen Riesenarbeitskampf in England, in dem die Streikenden zum Zeitvertreib mit den Polizei- mannschasten Fußball spielten! Tas wird die Regierung Macdonald jedoch nicht über den Ernst der Lage hinwegtäuschen und ihre Be reitwilligkeit zur schleunigen Beendigung des Kampfes beizutragen, nicht beeinträchtigen. Wie verlautet, hat sich der britische Arbeitsmintster, Frau Margarete Bondfield, bereits zu einer Vermittlungsaktion bereit erklärt. Leicht wird eine solche Vermittlung jedoch nicht sein. Die sachlichen Gegensätze sind groß, und formell werden die Verhandlungen noch dadurch erschwert, daß 170 Arbeitgeberverbände an der Aussperrung betei ligt sind. Im übrigen wird die Lage der englischen Baum wollindustrie, «nag der Arbeitskampf ausgehen wie er will, nicht allein durch Rationalisierungen geändert werden können. In England wird man sich damit ab finden müssen, daß innerhalb der englischen Ausfuhr die Gruppe Baumwollwaren mehr als bisher zurück- l treten wird. Die ostasiatischen Länder mit ihren nie- l drigen Herstellungskosten werden alle Anstrengungen ! machen, den ihnen so nahen Absatzmarkt China und ! Indien zu erobern. Die englische Baumwollindustrie ist angesichts der vorhandenen Absatzmöglichkeiten zu groß geworden. Und das gibt dem Ärbeitskamps auch eine politische Note. Konferenzbeginn am 6. August. Lie ««Meldungen im Haag bereits erfolgt. — Die 33. Konferenz feit de« Waffenstillstand. Die Eröffnung der Haager Konferenz ist nun mehr bestimmt für Dienstag den 6. August zu erwar ten. Tas holländische Außenministerium hat bereits die Anmeldungen der interessierten Regierungen er halten. Tie amtlich« Bekanntgabe des genauen Zeit punkts der Konferenzeröffnung verzögerte sich dadurch etwas, daß die französische Regierung erst durch die Kammer bestätigt werden mutzte. Als Plenarsitzungssaal sicht der Regierungskon ferenz der Saal der zweiten Kammer des holländischen Parlaments zur Verfügung. Die Ausschüsse werden in den übrigen Räumlichsten der Kammer, dem so genannten Binnenhos, tagen. Für die Presse hat gleichfalls genügende Säle freigemacht. Die Kabinettsbesprechungen der Reichsregierung über die Haager Konferenz werden Freitag oder So««» abend zum Abschluß gebracht werde«. A« der Hal- tung der deutschen Delegation hat sich nichts geändert« Deutschland steht somit «ach wie vor auf dem Stand punkt, daß eine Annahme des NoungplaneS nnr in Frage kommen kann, wenn die VSNige Räumung der Rheinlands z,«gestanden wird. Auch in der Saarfrage und in der Frage der sogenannten Feststellung»- ««v Berföhnungskommissiou dürfte der deutsche Standpunkt uach wie vor der bisherige sei«. Der Pariser „Jntransigeant" hat auSgezählt, daß die Regierungskonferenz im Haag die 33. Konferenz feit dem Waffenstillstand ist. Ueber den Verlauf der Konferenz urteilt die Zeitung, die Beratungen im Haag würden „sehr ermüdend" sein. ' * Die Mächte laden fich selbst ein. Im Gegensatz zu der Reparationskonferenz wer den die Einladungen zu der Regierungskonferenz nicht von einer der beteiligten Mächte ausgehen. Die Mächte werden sich vielmehr selbst einladen, d. h.r sie werden untereinander verabreden, datz ihre Vertreter am 6. August im Haag mit den Verhandlungen beginnen sollen. Die Regierung der Vereinigten Maaten von Nordamerika wird durch den Doyen des diplomatischen Korps in Washington aufgesordert werden, fich in «neu ihr genehmen Form an der Konferenz zu beteiligen. Ebenso werden die kleineren Machte, soweit sie als Tributgläubiger an der Konferenz interessiert sind- zur Teilnahme eingeladen werden * Die Franzosen reise« am Mo«tag ab. In Paris werden alle Vorbereitungen getroffen, damit die französisch« Telegatton am Montag nach dem Haag abfahren kann. Der Delegatton werden angehören: Ministerpräsident und Außenminister Briand, Finanzminister Chöron, der Generalsekretär des Auswärtigen Amtes Berthelot, Moreau, Präsi dent der Bank von Frankreich, ferner Leger, Fromageotj und Quesnay. , Mello« bestätigt Frankreich Vie Stunv««g der 400 MU« lionen Tollarzahlung. — New Aork, 1. August. Schatzsekretär Mellon überreichte dem französischen Botschafter in Washing ton eine Note, in der die Hinausschiebung des Fällig keitszeitpunktes der 400 Millionen Tollarzahlungon bestätigt wird. Arnold Merken s Modell Roman von Anna Fink dv r-»- Hak, Drs-äsn-LaubeeLst, Lraiusrstr. 21 !- jö8. Fortsetzung) >,7Zur Zett nichts gab das Mädchen an. Die Frau Gräfin, die Gattin des verstorbenen Herrn, sei zu einer Freundin gefahren, um sich von Sen Aufregungen über den Tod vom Herrn Grafen zn erholen. Man erwarte sie erst nach Len Feiertagen zurück. Das Mädchen verschwand nach dieser Auskunft, und Arnold begab sich rasch wieder an seine Arbeit, nachdem er Las Frühstück verzehrt hatte. Selten hatte er Las Gefühl gehabt, so gut zur Arbeit disponiert zu sein wie heute. Es mochte wohl daher kommen, daß er frei von allen geldlichen Sorgen arbeiten konnte. Außerdem fühlte er sich in Ler gepflegten und kultivierten Umgebung, in Ler er sich befand, äußerst wohl. Es war, als hätte er fein ganzes Leben auf Schlössern und alten Gütern gesessen, dachte «r lächelnd bet sich. Nun, der Mensch gewöhnt sich an nichts so geschwind als an das Gut« Und fleißig schaffte er weiter. - Er schaute erst wieder auf, als Kurt von Münsterberg in seinen Arbeitsraum trat und rief: „Na, alter Junge, Du bist scheinbar ganz in Deinem Element! Vergißt Essen und Trinken und Latz Deiner eine zweite Sitzung wartet. Nun aber flink mit Dir zu uns herüber. Der Wagen wartet schon draußen,- ich Vin selber herüberkutschtertl" „Wie kommt eigentlich der Graf Lazu, gerade von mir einen Auftrag ausführen zu lassen. Ich Vin ihm doch als Künstler wie als Mensch gleich unbekannt gewesen?" er kundigte sich Merten. , „Das ist das Werk Ler Mama!" gab Ler Freuno «us- klärung. „Sie hat mal ein paar Aufnahmen Deiner Arbeiten Lurch mich erhalten. Sie mag Dich gut leiden und hat ihn eben Lazu bewogen. Er soll autzeröem gern unbekannte Künstler fördern, wozu er ja in seinem Oberägypten kaum Gelegenheit haben wird. Das ist das ganze Geheimnis." Nachdenklich sah Merten vor sich hin. „Du kannst mich auslachen, Kurt, aber eS ist mir immer, als ob ich Graf Heilmannsöorf schon irgendwie kennen müßte. Aber ich zerbreche mir vergeblich den Kopf, woher!" „Das lasse lieber sein. Du kannst ihn ja fragen. Man träumt auch manchmal von Menschen, denen man erst sehr viel später begegnet." „Das wird es sein. Ich habe ihn heute gar nicht gesehen. Der Graf ließ sich entschuldigen. Er war noch nicht zurück." „Er ist viel draußen und hat immer noch viele Erbschafts sachen zu regeln", meinte Kurt. — — — — — F. „Sitze ich so gut? O. ich lerne es schon mit Ler Zeit, auch wenn es sehr schwer fällt, immer Len Kopf ruhig zu halten", sagte Avonne. Sie war bereits zum -ritten Male gekommen. Aus Ler rohen Tonmasse kamen die Umrisse ihres feinen Köpfchens schon deutlich heraus. „Wie wtrL -te Mama sich freuen", lachte sie und sah Merten zärtlich an. Der asme Arnold Merten! Wo war seine ganze Skepsis den Frauen gegenüber geblieben? Sie hatte eS verstanden, dem jungen deutschen Künstler Len Kopf nach allen Regeln Ler Kunst zu verdrehen. Sie fand Las sehr interessant.in dieser Leutschen Einsamkeit. Es konnte ihr wirklich niemand übelnehmen, denn schließlich sollte ReyS doch die Arbeit Mertens zu Weihnachten geschenkt bekommen. Daß sie LaS Arnold Merten nicht gerade auf die Nase hing, hatte seinen besonderen Grund. Sie glaubte, daß so ein tugendhafter deutscher Mann ihr bestimmt «icht den Hof machen würde. gelernt hätten. (Fortsetzung folgt) wenn er wußte, oaß sie „verrool- «er. uns oamn yane ne vielleicht nicht so ganz unrecht. „Sie sitzen jetzt wunderbar", beteuerte Merten und gab den feurigen Blick Yvonnes reichlich zurück. Zärtlich bearbeiteten seine Hände den Ton,- es war ihm, als ob er Yvonnes Kopf selber unter Len Finger» hätte. Yvonne bemerkte Las sehr wohl und ließ alle ihre Reize spielen. Er sagte sich hundertmal, daß Yvonne LaS koketteste kleine Wesen war, Las es überhaupt je gegeben hatte. Er wußte, Laß sie ihn mit Willen reizte, und daß es Lei ihr nur Spielerei war. Und Loch konnte ihn ein Blick, ein Lächeln von ihr fast besinnungslos machen. Lange würde das nicht mehr gut gehen, sagte er sich. Heute hatte sich Yvonne auch besonders reizend angezogerr. Sie hielt den Kopf solange in einer verkehrten Stellung, bis Merten dadurch genötigt war, ihn zurechtzurücken. Dabei war ein solcher Glutstrom von ihren Wangen in seine Hände geflossen, daß ihm schwindelte. Er beugte sich zn ihr, um sie zu küssen, als es anklopfte und gleich darauf Annemarie hereinkam. Merten wandte sich mit rotem Kbps seiner Arbeit zu und Yvonne sah liebenswürdig unbeteiligt aus. „Sie möchten Heute nachmittag möglichst zeitig zum Grafen kommen. Er hat eben angerufen" richtete Anne marie aus. „Graf HeilmannSdorf hat Heute gerade Zeit, Ihnen zu sitzen", fügte sie harmlos hinzu. Bei Lem Namen „HeilmannSdorf" war Yvonne von ihrem Sitze hochgeschnellt. „Wie, wer ist SaS, sagen Sie nochmals den Namen!" rief sie aufgeregt. Und als ibr Ler Name wiederholt wurde, sprudelte sie heraus- Den kenne ich ja, das ist ein lieber aller Freund von mir! O, Len muß ich besuchen, Ser wird sich aber freuen!" Und sie erzählte, Saß sie und ihre Mutter den reizenden Grafen auf Ser Fahrt von Ägypten nach Italien kennen