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Gage bekommen. Nee, Hans, laß das man — sieh zu, mehr zu verdienen, das ,wie', ist dabei total schnuppck.* „So?* Er sah mit einem Seitenblick aus sie. „Das meinst du? — Na ja, du beweist es ja dadurch, daß du eine Stelle als Mannequin annimmst.* Sie zuckte die Achseln. „Es ist 'ne Arbeit wie jede andere. Und ein gutes Ge halt gibt es. Dafür kann man sich langsam was schaffen — anders käme ich ja doch zu nichts.* Mit festem Griff umspannte er ihr Handgelenk. „Wenn du die Stelle annimmst, Lotte, dann ist's aus', raunte er ihr zu. „Das wäre ein Grund!* Sie lachte kurz auf. Sein Griff lockerte sich. „Lotte", bettelte er, „Lotte, versprich mir, daß du die Stelle nicht annehmen wirst. Vielleicht ist es dumm von mir, es von dir zu erbitten — auch unrecht — ich weiß es nicht —, aber ich habe so eine häßliche Vorstellung von diesem Beruf.* Sie antwortete nicht, sah an ihm vorbei, und dachte daran, wenn sie die Stelle ausschlug, wie schwer es ihr sein würde, auf die dreihundert Mark Gage zu verzichten. Sie hatte sich doch schon ausgedacht, was sie sich alles so nach und nach dafür kaufen wollte- Lotte weinte plötzlich auf. „Herrgott, Lotte, was ist denn nu?' Hans legte den Arm um sie, und führte sie hinaus. In Annas kleine Wohnstube führte er sie. Diese hatte einen kleinen viereckigen Balkon zum Hof hinaus, auf dem zwischen zwei Rohrsessel ein Tisch stand. In einen dieser Sessel drückte Hans die weinende Lotte, und in dem anderen nahm er Platz. „Willst du ein Glas Wasser, Lotte, oder eine Selter?* fragte er. Nichts wollte sie, gar nichts. Ihre Tränen flossen un aufhaltsam. Hans konnte dieses leise Weinen gar nicht mehr anhören. „So sei doch ruhig, Lotte! Was ist denn bloß auf ein mal in dich gefahren?* Er nahm ihre Hand, und streichelte sie. „Lotte, es wird ja alles gut werden. Wir werden ge wiß auch bald so viel haben, daß wir heiraten können, und dann kommt alles so, wie du es dir wünschst." Sie trocknete ihre Tränen. „Wenn du mich machen läßt, wie ich es für richtig halte, dann ja, Hans. Anders nicht. Für dich allein ist es doch unmöglich, alles zu schaffen, was wir zu einem Haus halt brauchen." Er ließ ihre Hand los, lehnte sich schweigend in seinen Sessel zurück. Lotte sah mit ihren verweinten Augen auf ihn. „Wie eigensinnig du bist. Wenn du dich in eine Sache festbeißt, dann ist nichts zu machen." Als Mutter Menkin zum Abschied drängte, fühlten Hans und Lotte, daß etwas gerissen war zwischen ihnen... * » * Blaß und übermüdet sah Lotte am nächsten Morgen aus. „Haste nich jut jeschlafen?" fragte die Mutter. „Nein, es war so heiß." Ida bestätigte das. „Nicht zum Atmen ist die Luft in der kleinen Bude." Die Mutter schüttelte den Kopf. „Warum macht ihr denn nich das Fenster auf?- „Weil uns da bloß noch die Gerüche vom Hof herein- zögen", sagte Ida. „Aber wenn Lotte erst dreihundert Mark im Monat verdient, dann nehmen wir noch eine Stube dazu. Unsere Nachbarin, die Lühlsdorfen, hat eine zu vermieten; das paßte gut, so auf 'nselben Korridor." „Noch hab' ich nicht die dreihundert Mark", sagte Lotte verdrießlich. „Na, du wirst sie doch bekommen?" „Weiß ich nicht.' Mutter und SchwefM süM sich rrstaMt än. PMe Wk Hans ihr die Sache ausgeredet? Es sah beinahe so aM „Hast du denn keine Luft mehr auf dse gute MLM5 fragte die Mutter. „Viel nicht.* Keiner sagte mehr ein Wort. Ein wenig ärgerlich war die Mutter darüber, daß Lotte so unter HanS' Einfluß stand; aber sie zeigte ihren Aerger nicht. Lotte trat ihr« neue Stellung an. Die Direktrice der Kleider-Abteftung, Fräulein Hirth, gab ihr ein weißes und ein schwarzes Satin-Unterkleid. „Bei den Anproben müssen Sie stets eins von diesen Unterkleidern tragen. Heilte probieren wir dnnkle Sachen; also ziehen Sie das schwarze an." Lotte tat, wie ihr befohlen. Sie ging in den Garde roberaum, und kleidete sich um. Lydia Rosinski, die in der gleichen Abteilung wie sie beschäftigt war, folgte ihr. Sie half Lotte beim Anziehen des engen Kleides. „So*, sagte sie lachend, „nun stecken Sie drin in Ihrem Futteral!* Sie zog das enge Unterkleid noch ein wenig herunter, und forderte Lotte dann auf, in den Spiegel zu sehen. „Herrgott, so soll man sich vor den vielen Leuten zeigen!* sagte Lotte. „Wenn dieser Ueberzug doch wenig stens Aermel hätte.* Sie sah ihre nackten Arme im Spiegel, hob sie über den Kopf, und sah das blonde Gekräusel unter ihnen. Alles Blut schoß ihr zu Kopf; sie ließ die Arme sinken. „Nein, so zeige ich mich niemanden!* sagte sie be stimmt. Lydia Rosinski sah sie ratlos an. „Ja, was wollen Sie machen? Sie sind doch nun ein mal engagiert, also da hilft Ihnen nun alles nichts; Si« müssen Ihre Pflicht tun,* Lotte schüttelte den Kopf. Sie musterte noch einmal ihr Spiegelbild. Das dünne Unterkleid umschloß ihre Glieder so fest, daß sie sich bei jeder ihrer Bewegungen deutlich markierten. „Nein, das ist zum Schämen. Ich mache das nicht mit!" „Aber Horen Sie einmal, Verehrteste l* Lydia Rosinski war beleidigt. Lotte entschuldigte sich, sie wollte sie ge wiß nicht kränken. Sie wisse ja sehr gut, daß dieser Anzug notwendig sei zum Probieren, und es sei ja auch nichts dabei, wenn man nur vor der Direktrice anzuprobieren brauchte. Lydia lachte sie aus. „Haben Sie sonst noch Wünsche? Vielleicht Wäre es Ihnen noch angenehmer, «sich bloß vor Ihrer Mutter so zu zeigen? Na, hören Sie mal, Kleine, so lächerlich müssen Sie sich hier nicht machen." Lotte zog das schwarze Unterkleid aus, schlüpfte wort los in ihr Kleid, und ging zur Direktrice, die gerade mit Geyer sprach. Sie trug die beiden Unterkleider über dem Arme, und sie über einen Stuhl legend, sagte sie: „Entschuldigen Sie, Fräulein Hirth, daß ich Ihnen die Sachen zurückgcbe; ich brächte es nicht fertig, mich darin vor fremden Augen zu zeigen.* Fräulein Hirth starrte sie sprachlos an. Geher glaubte, nicht recht gehört zu haben, und fragte: „Was wünschen Sie denn, Fräulein Menkin?' „Ich mag nicht Mannequin sein; ich könnte es nicht', fügte sie hinzu. „Nun, nun machen Sie keine Geschichten. Alles ist Ge wohnheit. Sie werden sehen, wenn Sie es erst einmal versucht haben, daß die Sache ganz leicht und einfach geht.* „Ich kann nicht, Herr Geyer.' Er sah sie mit einem erstaunt - prüfenden Blick an. Machte die Kleine hier Theater? Es war ja gar nicht denkbar, daß ein richtiges Grobstadtmädel so lächerlich- prüde war, davor zurückzuschrecken, sich in einem ärmel-