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6 eine recht passable Frau. Don ihr hatte Lotte die herrlichen Wblauen Äugen und das schöne seidenweiche Haar. Mutter MenÜnS Haar war zwar schon weiß, aber man sah, da- eS einmal sehr schön gewesen sein mußte. Er forderte sie jetzt zum Platznehmen auf. »Du Sie sich nun schon einmal selbst zu mir bemüht haben, kann ich Sie doch nicht so schnell wieder weglassen.* Mutter Menkin ließ sich in den großen Ledersessel, der neben dem Schreibtisch stand, nieder. »Ich möchte Jhn'n auch noch danken, Herr Geyer, für '»re jute Stelle, die Sie meiner Tochter jejeben haben.* Heyer nickte wohlwollend. »Gern geschehen — gern geschehen, Frau Menkin. Aber rmn sagen Sie mir mal, wie lange arbeiten Sie eigentlich Hon für unsere Firma?* Atssißlg Jahre, Herr Geyer.* »Donnerwetter!* Er sah sie nun doch achtungsvoll an. DceiÄg Jahre für ein Konfektionshaus Morgenröcke arbeiten, das war bestimmt keine Kleinigkeit! Er hätte beinahe gefragt, ob sie etwas erspart hätte in diesen langen Hhren, aber da fiel ihm noch rechtzeitig ein, daß es besser Mre,' nicht danach zu fragen. »Sie find Witwe, Frau Menkin?* «Ja, Herr Geyer, seit zehn Jahren.^ Er nickte wieder. »Und wieviel Kinder haben Sie?* »Drei. Zwei Töchter — die Ida, was die Aelteste is, is jetzt einundzwanzig, und die Lotte is zwanzig Jahre, Wyd dann hab' ich noch 'nen zehnjährigen Jungen. Alles jut jeratene Kinder. Meine Aelteste kenn'n Se Woll nich?* Er verneinte. »Nee — wie soll'» Se auch, die war ja selten mit, wenn M Werte!* Und nun erzählte sie von ihrer Aeltesten, die ihrer Schilderung ein Muster von Tugendhaftigkeit ! Er hörte zu, aber er kam auf allerlei Gedankenumwegen LyH immer Wieder zu Lotte. Plötzlich fragte er: »Ist Ihre Äeltefie auch so hübsch wie Ihre Zweite?* Mütter MenkinS Wangen särbten sich schämigrot. »Finden Sie die Lotte hübsch?* fragte sie naiv. Ihr Besicht hatte dabei einen so einfältigen Ausdruck, daß Geyer lachen mußte. »Wie soll ich das nicht, Frau Menkin, das sehe ich doch so gut wie jeder andere.* »Sagen Sie mal, Herr Geyer, ist das mit Lottens neuem Berus auch 'ne reelle Sache?* Mit einem schiefen, unsicheren Blick zu ihr hinsehend, stzgte er: »WaS wollen Sie damit sagen? Sie kennen doch UIsere Firma; sind Sie bei uns schon einmal auf Dinge gestoßen, die nicht reell gewesen wären?' »Ach Jott, nee — natürlich nicht. Es is ma so ent fahren, man wird ja rein vadreht jemacht von de andern.* Nun mußte sie aber gehen. Sie erhob sich. Geyer, der ryhig sitzenbltsb» die Hand hinstreckend, sagte sie: ,Na, nischt für unjut, Herr Geyer.' Abend- fragte Frau Menkin: „Hättest du Lust, Lotte, noch auf ein Stündchen an die frische Luft zu jehn?' »Ich weiß nicht, Mutter, wo soll man jetzt noch hin, es ist bald neun Uhr.* »Na, wir brauchen doch nicht schon um neun Uhr schlafen zu jehn! Was meinste, jehn wir noch auf 'n Sprung bei Annan 'ran?* Lotte ließ einen Augenblick die Näharbeit in ihren Schoß sinken und sah zu ihr aus. , »Wenn du Lust hast*, sagte sie langsam, „ich bin dabei. Aber wir haben doch noch nicht zu Abend gegessen.' Die Mutter wollte schnell Stullen machen und diese zum Mitnehmen etnwickeln. »Die essen wir dann auf Annas Balkon.' »Na ja, meinetwegen.* Viel Lust hatte sie nicht, der Hans hatte sie am Nachmittag sitzen lassen, nun kam sie. Das sah aus, als liefe sie ihm nach. Aber eigentlich war es ja ganz gut, daß man in die Vorbergstraße ging, da kMNtz sie doch sehen, ob der Hans wirklich so dringend zu arbeiten hatte, daß er nicht zu ihr kommen konnte, wie er ihr geschrieben hatte. „Jott, wie fein de dir jemacht hast, um zu Annan zu jehn!' sagte die Mutter. Sie hatte ihr beigefarbenes Kostüm und eine weiße Bluse angezogen. Das stand ihr so gut, und Hans sah sie so gern darin; besonders hübsch fand er es, wenn sie gleichfarbige Strümpfe dazu trug und die kleinen ausgeschnittenen Lackschuhe, die sie auch heute an hatte. Sie wollte hübsch sein für ihn, wenn sie auch auf ihn böse war. In der Stube saß Hans an seinem Schreibtisch. „Tante Menkin und Lotte sind da', sagte Anna im Vorbeigehen zu ihm. Er schrieb ruhig weiter. Hielt auch weiter den Kopf über feine Arbeit geneigt, als alle die Stube betraten. „'n Abend!' wünschte Lotte, und sah verwundert zu ihm hin. Er hatte den Gruß kurz zurückgegeben. „Na, nu mach' mal Schluß mit deiner Arbeit', sagte Anna. Er erhob sich langsam. Schaltete das Licht der Schreib- tischlampe aus, und trat dann erst auf Mutter Menkin und Lotte zu, um ihnen die Hand zu reichen. „Wie kommt es, daß ihr noch so spät auf dem Damm seid, ihr pflegt doch sonst um neun Uhr in die Klappe zu gehen.* Lotte sah ihn forschend an. »Ist dir wohl nicht recht, daß wir gekommen sind? Wenn du zu arbeiten hast, laß dich nicht stören.* Er antwortete nicht. Anna war mit Mutter Menkin auf den Balkon gegangen. Sie standen sich allein im Zimmer gegenüber. Lotte spürte deutlich, daß Hans etwas gegen sie hatte. Sie ahnte auch, was es war. Daß sie die Stelle als Mannequin angenommen hatte. Wenn er das doch bloß nicht so falsch ansehen wollte! Sie seufzte leise ' aus. Dann fragte sie: „Hast du so viel zu tun?* „Ziemlich viel*, gab er einsilbig zurück. Lotte sah ihn noch immer an. In ihrem Blick war eine leise Feindseligkeit. „Warum bist du nicht am Nachmittag zu mir ge kommen?* „Ich konnte nicht, Lotte, wirklich nicht. Die Arbeit kann ich nicht versäumen; ich bin ja froh, wenn ich recht viel Arbeit habe, dann kann man doch hoffen, daß man bald am Ziele ist.* „Ach, hoffen! Ich hoffe schon gar nicht mehr. Jetzt ziehen wir uns schon glücklich drei Jahre hin. Das ist bald nicht mehr zum Aushalten.* Er wich ihrem Blick aus. „Was bleibt uns übrig, als Geduld zu haben.' „Ach was, Geduld!' sagte sie verzweifelt. „Immer Geduld, wo soll man die noch hernehmen, ich bring' sie einfach nicht mehr auf. Ich will nicht ewig bei Muttern in der Arbeitsstube sitzen und Morgenröcke schustern, ich will mehr vom Leben haben. Dich will ich und einen kleinen bescheidenen Haushalt, und Kinder will ich mal haben, Hans.' Eine Helle Röte flammte über ihr Gesicht. Er faßte nach ihrer Hand. „Es kommt ja alles, wie du es dir wünschst, Lotte, nur Geduld.' Sie entzog ihm hastig ihre Hand. Nein, das sollte er nicht mehr sagen, dies Wort „Geduld* haßte sie. „Du mußt dir eine Stelle suchen, die besser bezahlt ist als die, die du jetzt hast — hundertundfünfzig Mark Monatsgehalt für einen Herrn, der ziemlich ausstudiert hat, ist viel zu wenig. Eine freche AuSschinderei ist's, Men schen das zu bieten.' „Man läßt mir Zeit zur Weiterarbeit an meinem Studium.' „Ach, was haben wir davon! Du wirst doch nie damit zu Ende kommen. Und wenn wirklich, so hätten wir da- von auch nicht viel. Die studierten Ingenieure müssen auch erst lange praktisch arbeiten, bis sie einL nennenswerte