Volltext Seite (XML)
Beilage zur Weitzeriy Zeitung Nr. 165 Donnerstag, am 18. Juli 1929 95. Jahrgang —- --------s-««-»»-----!^^ 1 , Chronik des Tages. — Di« R«ichsregierung hat dem Reichsrat einen Ge setzentwurf über den Ausbau der Angestelltenversicherung zugehen lassen. — Der sozialistische Antrag, der PoincarS aufforderte, ein« Politik der wirklichen Befriedung zu treiben, wurde von der französischen Kammer mit 850 gegen 238 Stimmen rbgelehnt, — Die chinesische Regierung hat den Russen eine vor läufige Antwort auf die ultimative Note erteilt. - In Berlin ist bet einem Brand eine 7 8jährige Frau verbrannt. — Im Harz wurde die Seilschwebebahn auf den Burg berg eröffnet. — Vom 3. August bis 1ö. September findet in Brünn «ine Jnternatwnale Bierbrauerei- und Mälzerei- Ausstellung statt. — Infolge der geringen Niederschläge leidet Eng land unter Wassermangel. — In San Francisco stiegen die amerikanischen Flie ger Bartlett Stepsens und Mc. Kinley im Flugzeug „San Francisco" auf, um den letzten Dauerflugrekoro von 246 Stunden zu brechen. PoincarL setzt sich durch. - Paris, 18. Juli. Am Mittwoch begann in der französischen Kammer die Aussprache über die Regierungspolitik in der Schuldenfrage. Man war auf Angriffe und starke Worte gefaßt, und doch kämpft die Kammer nur einen Scheinkampf. Die Schlacht war schon entschieden, noch ehe sie eigentlich begonnen hatte. Was in der General debatte auch vorgebracht wurde und noch vorgebracht werden mag: das Schuldenabkommen mit den Ver einigten Staaten wird von Frankreich aus feden Fall bestätigt werden! Poincarö hat sich durchgesetzt! Während im Plenum noch gegen das Schuldenabkommen ge wettert wurde, waren die Ausschüsse bereits an der Arbeit, eine Formel zu finden, die die Regierung zur Durchführung des Schuldenabkommens ermächtigt und der auch Amerika zustimmen kann. Den ersten Schritt zur Bestätigung bildet die Ab lehnung des von dem einstigen Vorsitzenden der Ne parationskommission Dubois eingebrachten Antrags aus Vertagung der Debatte. Für den Vertagungsan trag wurden 239 Stimmen abgegeben, dagegen 304, so daß die Mehrheit für die Regierung 65 Stimmen beträgt. Das ist nicht viel, aber Poincarö ist schon mit weit geringerer Unterstützung ausgekommen. Nach dieser Abstimmung sah die französische Presse die Durchführung des Schuldenabkommens allgemein als gesichert an. Man versteht es deshalb, wenn die rechtsradikale „Action Francaise" in Wut gerät und Drohungen gegen die im Kabinett vertretene reichlich chauvinistische große Rechtspartei ausstößt. Das Blatt verkündet „früher oder später werde der Tag kommen, an dem sich Frankreich gegen die Knechtung durch un würdige Mandatare aufbäume," und an diesem Tage würde Tardieu — Mmenceaus Mitarbeiter! — „mit seiner ganzen Bande" Rechenschaft abzulegen haben. Nicht verstehen kann man, wie die linksgerichteten französischen Zeitungen hinsichtlich der Rheinland- räumung als von einer bereits vollzogenen Tatsache sprechen können. Im Gegenteil, in der Räumungsfrage bestehen noch immer erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Was syll man z. B. dazu sagen, wenn Briand in der Kammer erklärt, die französische Regierung habe schon die Möglichkeit der Räumung der zweiten Zone ins Auge gefaßt, wo alle.. Welt weiß, dak bereits der alleräußerste Termin Mr die Räumüüa dieser Zone bevorsteht. Frankreich muß jetzt die Möglichkeit der Gesamträumuna ins Auge fassen und muß noch mehr tun, nämlich sie vorberetten, damit sie in aller kürzester Frist durchgeführt werden kann! Ueber die Gesamträumung gab Briand nur eine sehr zurückhaltende und leider reichlich oberflächliche Erklärung ab; sie lautet im wesentlichen: Tie Verhandlungen über die Freigabe des Rhein landes werden aus der Grundlage der Genfer Be schlüsse stattfinden. Die französische Regierung wird alles tun, um einen Höchsterfolg der bevorstehenden Konferenz herbeizuführen. Deutschland sind offizielle Verhandlungen über eine frühere Räumung zugesichert worden; deutscherseits hat man sich mit der Einsetzung ' einer Ausgleichs- und Festellungskommisston einver standen erklärt. Einer früheren Räumung steht nichts mehr im Wege, wenn über diese Dinge eine Verständigung erzielt ist und Mnn Deutsch land genügende Garantien gibt. Wir werden ' räumen, aber es müssen Garantten dagegen geschaffen werden, daß Deutschland nicht einige Zeit nach der Räumung des Rheinlandes den Uoung-Plan zerreißt. Diese Garantien dürfen sich nicht allein auf die am Uoung-Plan direkt beteiligten Staaten beschränken, son dern sie werden sich auf ganz Europa erstrecken müssen. Darum ist der engste Zusammenschluß aller europäischen Staaten nötig. Man darf es Briand glauben, daß er bemüht ist, einen „Höchstersolg" der Konferenz Mr Frankreich zu erzielen. Nur mögen sich die Franzosen dabei bewußt sein, daß jede Ueberspannung des Bogens die neue Konferenz, deren Zustandekommen sich so überaus schwierig gestaltet, aufs schwerste gefährden muß. In j der Frage der Tauerkontrolle will und wird Deutsch- s land sich unter keinen Umständen zu einem Zugeständ- ! nis bereiterklären! Aus dem übrigen Teil der Briand-Rede ist ledig lich die Mitteilung int Zsant, daß Kriege auch Mr , den Sieger kein gutes eschäft mehr sind und daß ! von den 15 Nationen, die am Ende des Krieges Ameri- ! ka verschuldet waren, außer Frankreich nur noch ein einziges Land die Schuldenverträge noch nicht an erkannt hat. * Eine Erklärung des Reichskanzlers; Als Führer der deutschen Delegation auf der Septembertagung in Genf erklärt Reichskanzler Müller- Franken, daß er nur die schon verschiedentlich von i amtlicher deutscher Seite abgegebenen Erklärungen wie- ! Verholen könne. Insbesondere stimme er in allen Punkten den Ausführungen zu, die noch vor wenigen Tagen der Reichsminister des Auswärtigen gegenüber einem Vertreter der „Frankfurter Zeitung" gemacht habe. Bei den Verhandlungen im September habe er in keinem Augenblick einen Zweifel darüber gelassen, daß für Teutschland eine über das Jahr LSSS hinaus tätige Kommission der in Rede stehenden Art keines falls in Frage kommen könne. Keine deutsch« Regie rung würde sich finden, die in diesem Punkt über den Versailler Vertrag hinaus Zugeständnisse machen > würde. Aus der Haltung der deutschen Abordnung in der Septembertagung erkläre sich auch die Tatsache, daß über die Dauer der Kommission, wie der bei Ab- , schluß der Genfer Verhandlungen veröffentlichte Be- richt zeige, keine Einigung habe erzielt werden können. i - . * In Manila fand in Anwesenheit von 5000 Gästen die Trauung der siamesischen Zwillinge Luzio und Sim- Plicw Godino mit den Schwestern Natividad und Victoria Motos statt. Rheinlandantrag abgelehnt. Mit SS» gegen 2S8 Stimmen. — Briand will Hand« lungsfreiheit behalten. — Paris, 18. Juli. Im weiteren Verlaus der Kammerdebatte über das Schuldenabkommen erklärte der Führer der fran zösischen Sozialisten, Leon Blum, Briands letzte Rede habe nicht die geringste Aufklärung über die außenpolitischen Ziele der Regierung Poincare gebracht. Die Schöpfung der „Bereinigten Staaten von Europa", von der jetzt soviel die Rede sei, müsse eine vollkommen» Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland zur Voraussetzung haben. ' Und damit hat Abgeordneter Blum durchaus recht! Außenminister Briand nahm daraus abermals das Wort und führte au«, er müsse Mr die Politische Konferenz seine volle Handlungsfreiheit bewahren. E« würde der Konferenz nur schaden, wenn er jetzt posi tive Mitteilungen über die französischen Pläne mache; er wolle zu einer „lebendigen Aussprache" gelangen. Wenn schon im voraus jede Partei auf ihrem Stand punkt verharre, dann wäre es besser, erst gar nicht zur Konferenz zu gehen. Briand sprach dann noch über die Abhängigkeit der drei in Genf formulierten, Punkte und schloß seine Rede mit der Phrase: „Wir; wollen einen Frieden, der aus Frankreich weder den Betrogenen noch den Sieger macht." Nach weiterer Debatte trat die Kammer in die Ab stimmung über den Antrag Blum ein, der die Regierung Frankreichs auffordert, zunächst eine Politik der wirklichen Befriedung und Abrüstung zu betreibe,,. Rach Stellung der Vertrauensfrage wurde der Antrag mit »8» aeaen 238 Stimmen abgelehnt. Konferenz in Ostende oder Bonlogne? Gerüchte über eine,» neuen englischen Vorschlag. — Hoesch wird erneut vorstellig. Der deutsche Botschafter v. Hoesch ist von Baden- Baden nach Paris zurückgekehrt und hatte abermals mit den leitenden Herren des französischen Außenmini steriums eine Unterredung. Gerüchte wollen von einem neuen englischen Vorschlag wissen. Danach soll Eng land, um den Zusammentritt der Konferenz nicht weite« hinauszuschieben, selbst einen neuen Verhandlungsork Vorschlägen wollen, und zwar in erster Linie Ostend« oder Boulogne. Ohnmachtsanfall Poinearss. Ler französisch« Ministerpräsident Poincarö erlitt an» Mittwoch einen Ohnmachtsanfall. Die Aerzte, die in alle» Eile herbeigerufen wurden, verordneten strengste Bettruhe, Während der Untersuchung hatte PoincarL leichtes Fieöer, Elne englische Warnung. Die angesehene englische Zeitung „Manchester Gu ardian" behandelt den Stand der internationalen Ver handlungen und schreibt dazu: , "Wenn irgend jemand gedacht hat, daß Deutsch- land sich di« Besetzung des Rheinlandes noch länger ge- lassen oder daß es eine ständige Kontrolle der entmilitarisierten Zone annehmen wird, dann sollten das Interview Dr. Stresemanns und der Artikel Dr. Breit- r Men Glauben ein für allemal zerstören. Es Abis jetzt noch nicht gesagt worden, was der Feststellungs- Ausschuß feststellen und wen er versöhnen soll. Ueber alle Kuscht in Deutschland völlige Einstimnrtg- «A- 'st «ar -«worden, daß, wenn die Räumung des Rheinlandes noch langer hinausacschoben und der "ver- such, eine stand,ge Kontrolle über Vie entmilitarisierte Zone herzustellen, nicht aufgegeben wirb, das ganz« Re, ParatiouSabkommen scheitern dürfte." " Arnold Merten « Modell Roman von Anna Fink ' Lopxrigdt bx ^img. Orssilen-liLuvegÄSt, LraiLorstr. 81 (44. Fortsetzung) ) Am anderen Morgen erwachte er ziemlich spät. Es war schon 11 Uhr. Da hörte er ebn leises Klopfen an der Türe. „Bist Du auf?" fragte Ilse von draußen. „Jawohl", erwiderte er vergnügt. „Endlich habe ich aus- geschlase». „Du kannst vor Lem Frühstück eiu Bad nehmen, ich laße Dir Las Wasser ein", rief sic Lurch L-i« Türe. „Kinder", sagte Merten, als er hinter Ser dampfenden Kaffeekanne saß, „so gut ist mir Las in meinem Leben kaum jemals gegangen. Aber wo ist Max?" fragte «r Sann und sah sich suchend um. „Auf Ser Zeitung. Er mußte heute schon um sieben Uhr Lori sein", war die Antwort. „O Gott, Las wär« nichts für mich, der ich am liebsten immer bis in die tiefe Nacht hinein arbeite und dann Mor gens entsprechend ausschlafe." „Ja", sagte Ilse und ein leichter Schatten flog über ihr Gesicht, „er hat es nicht so einfach. Du glaubst nicht, wie oft er darüber brummt. Mir selber macht ja auch nicht alles Spaß. Ich hatte mir früher vieles anders gedacht. Weißt Du, wir Lenken manchmal an Lie früheren Atelierzeiten zu rück. ES war Loch fein, wenn man's auch ost nicht leicht hatte." Merten sah sie beinahe entsetzt an: „Und ich habe schon meine Betrachtungen angestcllt, daß auch eine bürgerliche Umgebung entschieden ihre Vorteile hat. Und ich denke, Ihr seid die glücklichsten Lent« unter Ler Sonne." „Nun empfindest Du gar fchon unsere Umgebung alS bürgerlich", klagte Ilse. ES fehlt bloß noch, Laß Du sagst, »vir seien Spießer geworden." „Weshalb nicht?" sagte Arnold lächelnd. Er hatte cs nur im Scherz gemeind Aber Ilse brach in Tränen aus. t „Aber mein Gott, Ilse, Du bist doch früher nicht so empfindlich gewesen, hast Loch damals so viel Spaß ver standen", meinte Arnold entschuldigend. Sie trocknete ihre Tränen. " „Ja, damals, das waren noch andere Zeiten. Da hatte man zwar nichts, aber man hatte doch das Gefühl, für seine Ideale zu kämpfen. Und das hielt einen aufrecht." „Ja, dann verstehe ich bloß eins nicht, weshalb Ihr La nicht auf dieselbe Art weiter macht, wie früher!" rief Merten ungeduldig. „Man muß doch schließlich wissen, was «ran tut." „Ach, das ist nicht so einfach, wie Du denkst", jammerte Ilse. „Max hätte Las nicht ausgehalten. Einmal »rußte er doch in geordnete Verhältnisse hinein. Er behauptet zwar immer, er hätte es nur meinethalben getan, aber das ist Selbstbetrug." „Na, hör mal", meint« Merten, „Du kommst mir auch nicht vor, als ob Du Berge versetzen könntest. Ich kann mir nicht helfen." " g Ilse nickt« etwas trübselig vor sich hin. - Da fiel ihr Mick auf di« kleine Standuhr. „Um Gottes willen, ich »ruß Mittagessen kochen. Max hat einen wütende« Hunger, wenn er hetmkommt, und er wird knurrig, wenn ich derweil nicht fertig geworden bin. Er hat ja auch recht." Sie ging hinaus, drehte sich an der Türe «m und bat: „Sage ihm nichts von unserem Gespräch, Arnold. Er wird nur bekümmert. Und drüben liegen Bücher von Max, wenn Du noch «ms lesen magst." Sic war verschwunden. Merten nickte mechanisch. , Also so stand es Hierl ' Da war ihm sein Atelier und seine Hungeret doch «och lieber, als so ein Komvromistdasein, wie eS seine Freunde .sich -u führen entschlossen hatten. Es wäre ja gut gewesen, wenn sie beide sich zufrieden und wohl befunden hätten. Aber so etwas war ja schrecklich! Gab es Senn keine« anderen Ausweg als Kompromisse in diesem Dasein. Merkwürdig, er mutzte auf einmal so -sehr an Herrn Thorwaldt denken. Trotz seiner „Bürgerlich keit", wie Arnold es bei sich nannte, war er Loch eigentlich ein prächtiger Kerl. Aber um Len Gedanken an Gertrud ging er sorgsältig herum, wie Lie Katze um Len heißen Bret. * * * „Hast Du »mn Nachricht, Laß Dein Freund Merten zu uns kommen Mrd?" fragte die Gräfin Münsterberg ihren Sohn Kurt, -er gestern aus Göttingen in die Ferien auf das elterliche Gut gekommen war. „Ich bekam gerade gestern, ehe ich abfuhr, eine kurze Karte. Er bat, wenn es Dir recht sei, noch einige Tage vor dem Fest kommen zu dürfen. Es paßt zur Zeit bei feinen Freunden, bei Lenen er sich aufhält, nicht länger", sagte Kurt und schlug sich das zweite Et auf. „Du hast keine Ahnung, Mama, wie gut hier zu Hause alles schmeckt! Ich glaube, selbst unsere Hühner stird etwas Msonderes und nirgends Md die Eier so frisch wie hier." Er ergriff die feine schmale Hand der Gräfin, an der ein großer Brillant funkelte, und küßte sie galant. „Mein lieber Junge, Ich freue mich, daß Du Meder ein mal bei uns bist!" sagte diese und strich ihrem Sohn über das Haar. Dan« fuhr sie fort: „Natürlich schreibst Du Mevten, Latz er hier jederzeit willkommen ist. Ich habe ihn ja lang« nicht gesehen und bin gespannt, wie er sich entwickelt hat. Du sagtest, es ginge ihm nicht so sehr gut finanziell?" (Fortsetzung solgt)