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Beilage zur WeMerty Jettung M 17g Sonnabend, am 27. Juli 1929 ,65. Jahrgang Vo« Woche z« Woche. Randbemerkungen zur Zeitgeschichte. 4k Stehen neue Umgruppierungen in der Weltpolitik bevor? Ansätze nach dieser Richtung hin sind ohne Zweifel vorhanden. Am deutlichsten sind sie in London und in Washington zu erkennten. England und die Vereinigten Staaten von Nord amerika wollen sich verständigen. Sie wollen ihre Rüstungsausgaben einschränken, um mehr Geld als bisher in wirtschaftliche Unternehmungen stecken zu können. Sie wollen neue Absatzmärkte er obern! Amerika ist dazu gezwungen, weil sein ge waltiger Produktionsapparat nicht von Reparaturen leben kann, sondern produzieren und neue Werte schaffen muß, wenn das Geschäftskapital eine Rente abwersen soll. Und da der amerikanische Binnenmarkt gesättigt ist, mässen neue Wirtschaftsgebiete erschlos sen werden. England sieht sich durch sein Arbeitslosen heer zu ähnlichen Ueberlegungen veranlaßt. Der Kurswechsel in London ist keine Folge der Regierungsumbildung, keim. Laune Macdonalds, son dern der Versuch einer Verständigung zwischen Eng land und Amerika war eine politische Notwendigkeit und mußte gemacht werden. Wenn Macdonald nicht ans Ruder gekommen wäre, hätte eben der Parteiführer der Konservativen, Baldwin, nach Washington fahren mässen. Abgesehen von Amerika sind Mr England vor allem noch seine Beziehungen zu Ruhland von größter Bedeutung. Und auch Rußland gegenüber zeigt England Verständigungsbereitschaft. Es soll eben alles aus der Welt geschafft werden, was in den nächsten Jahren die Ruhe stören und den wirtschaftlichen Er- oberungsprozeh der beiden angelsächsischen Völker stö ren kann. Tie Rückwirkungen dieser neuen Wendung sind in ihrer Gesamtheit noch nicht zu überschauen. Kommt eine aufrichtige Verständigung Englands mit Amerika und Rußland zustande, dann verliert Frank reich für London ganz erheblich an Wert. Denn dann ist England nicht mehr darauf angewiesen, U/r die französischen Waffen mit verfügen zu können. Wirdsich dann nur das englisch-französische Verhältnis abkählen oder wird England vielleicht ganz Europa weniger Interesse entgegenbringen? In diesem Zusammenhang gewinnt der von Briand so überraschend in die Debatte geworfene Gedanke der Vereinigten Staaten von Europa plötz lich ein etwas anderes Aussehen. Hofft man vielleicht in. Parls, durch diesen Schachzug die von Frankreich Chronik des Tages. — Nach siebenwöchigen Verhandlungen wurde nun mehr der Haag als Tagungsort der Regierungskonferenz bestimmt. — In dem Prozeß gegen den Führer des Deutschen Volksbundes in Kattowitz, Ulitz, wurde am Freitag das Ur teil gefällt. — Am Montag beginnen in London Verhandlungen über die Wiederaufnahme der englisch-russischen Beziehungen. — Ueber München ist ein schweres Unwetter gegangen. — Auf einer Viehweide bei Zborow in Ostgalizien sind sechs Knaben, die mit einer gefundenen Granate Wel len, zerrissen worden. — Bet Los Angeles ist auf einer Autotour eine sieben- köpfige Familie verdurstet. — Die amerikanischen Rekordflieger befinden sich be reits Wer 300 Stunden in der Luft. - oesurchreten ungünstigen Folgen einer angelsächsischen ! Verständigung aufheben zu können? Eine Beantwor tung dieser Frag« mit Ja würde manches erklären ! und vor allem das Rätsel lösen, das damit gegeben ' ist, daß in einer Zeit, in der noch nicht einmal der i erste Pfeiler der paneuropäischen Brücke über die Ein tracht ganz Europas diskutiert wird. Bedeutsame Handlungen vollziehen sich ferner in Afia s ien. China hat den Rückzug angetreten und überlegt, wie es sich ohne zu schlimme Demütigungen aus der Affäre ziehen kann. ,,, Es M je^ offensichtlich, daß die Nänkingregierung sich im chinesisch-russischen Konflikt arg verspekuliert hat. Die Chinesen kannten die Sowjetfeindschaft der bürgerlichen Welt und hofften deshalb mit dem Bol schewistenschreck die Großmächte gegen Rußland mobil machen zu können. Um so größer war die Ueber-. raschung, als die Mächte den Chinesen die lalle Schul ter zeigten und Japan sogar offen mit den Russen - sympathisierte. Wie erklärt sich dies überraschende Eintreten der Mächte für Rußland? England, Amerika und Japan sind eben nicht nur geschworene Feinde des Kommunis- : mus, sie sind auch Gegner des chinesischen Nationalis- I mus, soweit er aus die Abschafftlng der Sonderrechte : der Fremden abzielt. Von einer Ermunterung Chinas i im Kampf gegen die russischen Sonderrechte an der ! ostchinesischen Bahn befürchtete man in Tokio, London und Washington ungünstige Folgen für die eigenen Interessen. Man hat die Folgen der Preisgabe der deutschen Rechte in China durch die „Sieger"mächte - noch zu deutlich in Erinnerung. i Welche Lehren wird nun China aus dieser Lektion ziehen? Wird sich Nanking nun wieder mchr den Russen nähern? Und welche Rückwirkungen wird Ja pans Eintreten für Moskau haben? Es ist bekannt, daß gegenwärtig einflußreiche Kreis« in Tokio am Wer ke sind, die für eine weitgehende Verständi gung Japans mit Rußland kämpfen. ! Ter „ferne Osten" ist aber von den Machtzentren der Welt nur räumlich fern, im übrigen sind die großen Mächte der Welt ganz erheblich an den Dingen in der Mandschurei und China interessiert, politisch, und erst recht finanziell! Der Haag als Tagungsort. ! Sämtliche Mächte mit der Wahl einver standen. — Berlin, 27. Juli. Rach siebenwSchig«« Vorverhandlungen ist end lich die Entscheidung über den Ort der großen Regie rungskonferenz gefallen. Ter englische Botschafter in Paris, Lord Tyrell, und der deutsche Botschafter v. Hoesch, spräche» sich im französischen Auswärtigen Amt nochmals für die Wahl eines neutralen Landes aus. Darauf erklärte sich auch Frankreich mit dem Vor- I schlag im Haag zu tagen, einverstanden Danach mußte - unr noch Belgien für den Tagungsort gewonnen wer den, das anfangs von einer Tagung in Holland nichts wissen wollte. Auf englisch« und französische «or- stellungeu in Brüssel hin erklärte sich schließlich auch Belgien mit dem Haag als Tagungsort einverstanden. ! Ueber den Termin der Regierungskonferenz schwe- I ben noch Verhandlungen. Als Tatum wird zwar auch heute noch der 6. August genannt, doch findet man j in der französischen Presse vielfach auch Andeutungen, die auf gewisse Vertagungsabsichten schließen lassen. So ist z. B. von umfangreichen Vorarbeiten die Rede, ferner wird in Paris von der Notwendigkeit eines gemeinsamen Schrittes in Washington gesprochen, iw» die amerikanische Regierung zur EntsenDUttg eines Be obachters zu bewegen. Die Aufgabe der Konferenz. Tie wichtigste Aufgabe der RegierungSkoufeveuz ist die, aus dem Aoung-Plan eine« internationale« »ertrag zu mache«. Zu diesem Zweck muß der De» des Sachverständigengutachten-, der Erwägungen, Be trachtungen oder Werturteile enthält, anSgefchaltet und der Rest des Planes in juristische Forme« umgewa«- delt werde«. Selbstverständlich müssen daneben auch die Frage» gelöst werde«, die die Sachverständige« offengelassen haben. Für Deutschland kann selbstver ständlich eine Annahme des Uvung-Pplanes nnr dann in Frage kommen, wenn gleichzeitig »ie Besetzung des Rheinlandes anshört und die Saarfrage gelöst wird. Soweit sich diese Arbeiten schon jetzt übersehen lassen, dürsten für ihr« Durchführung drei Ausschüsse eingesetzt werden: ein juristischer Ausschuß, ein Fi nanzausschuß und ein Liquidierungsausschuß. Die Hauptarbeiten dürften den Finanz- und juristischen Ausschüssen zufallen, von denen der erstere die Emp fehlungen der Sachverständigen auszuarbeiten, de« zweite sie in eine juristische Form umzuwandeln hätte. Der Liquidierungsausschuß wird sich mit all den Be stimmungen aus dem Versailler Friedensvertrag, auS dem Tawesplan und aus anderen Abmachungen zu beschäftigen haben, die durch den Young-Plan überholt werden. Deutschland für de« 6. A«g«st. Auf deutscher Seite ist man der Auffassung, daß es sehr wohl gelingen könnte, vom 6. August bis 2. September diese Arbeiten zu beenden. Doch würde auch damit der Young-Plan noch nicht am 1. Septem-, ber in Kraft treten, da er nach der Billigung duxch di« Regierungen noch der Ratifizierung der Parlaments der sechs interessierten Mächte bedarf. Bis zu dieser Ratifizierung, die erst nach der Genfer Bölkerbunds- tagung vermutlich sogar erst Mitte November er folgen wird, wird somit noch eine gewisse Zettspanns vevstreichen. Allerdings müßte die Ratifizierung dann in der Weise erfolgen, daß sie mit rückwirkender Kraft den Young-Plan zum 1. September in Kraft seht. Tie in der Zeit vom 1. September bis beispielsweise zum 15. November nach dem Tawesplan gezahlten höheren Summen, die die Zahlungen des Young-Planes um etwa 80 Millionen Mark im Monat üoeEeigen würden, müßten nach den Bestimmungen des Young- Planes dann mit Deutschland verrecKret werden. Ma« rechnet i« unterrichtete« Kreisen Mr »ie Re- gicrungskonferenz mit einer Teilnehinerzähl von 1000 »iS 1580 Personen, z« »eueu noch etwa »08 bis 688 Journalisten aus allen Ländern »er Welt käme«. Opposition gegen Flottenabbau. Tie Amerikanische Legion legt Verwahrung ein — England soll Schiffe zerstören, «nv Amerika soll weiterbauen! Der Entschluß des amerikanischen Präsidenten Hoover das Kreuzerbauprogramm einzuschränken, hat einen Teil des amerikanischen Volkes in Harnisch ge bracht. Die Amerikanische Legion, der Verband der Frontkämpfer, übersandte dem Präsidenten eine Pro- testerklärung und betont darin, die erstrebte Parität de« englischen und amerikanischen Flotte sei nur dadurch zu erreichen, daß England einen Teil seiner Schiff« zerstöre, während Amerika sein Flottenprogramm durch führe! Arnold Merten s Modell Roman von Anna Fink < Loxxrixbt dx krau Lon» kwlc, Orssäen-1,Lubeg«st, LrLinerstr. 21 l54. Fortsetzung) „Es wäre mir allerdings sehr lieb, wenn ich den anderen Auftrag, den ich noch ausführen soll, mit vor Weihnachten erledigen könnte." „Für wen ist der denn?" fragte -er Graf. „Frau Gräfin Münsterberg sagte mir, daß es eine Freun- Lin einer gewissen Frau von Riedel sei", antwortete Arnold Merten. „Ich kenne keine der beiden Damen." „Frau von Riedel? Ach ja, ich entsinne mich, ben Namen gehört zu haben. Aber ich will Ihnen jetzt ein paar Photo graphien zeigen. Die mögen Sie mitnehmen und dann können Sie sich immer ein wenig hinetnsehen. Können Sie denn., zu gleicher Zeit an zwei verschiedenen Porträts ar- beiten?" erkundigte sich Graf Heilmannsdorf. Arnold mußte lächeln. „Gewiß, das kann ich schon. Im Gegenteil, es fällt mir leichter, zwei Arbeiten vorzuhaben. Weun man an ber einen nicht mehr recht vom Fleck kommt, bann geht es mit -er anderen um so besser." „Nun, versuchen Sie es", meinte Ler Graf. „Wenn Sie Las Kunststück fertig bekommen, ohne daß Lie Qualität der Arbeit darunter leidet, so spreche ich Ihnen meine größte Anerkennung aus." „Sie scheinen immer noch etwas mißtrauisch zu sein, Herr Graf", sagte Arnold. „Ich habe gelernt, mich im Leben immer nur an die Tatsachen zu halten", sagte der Graf. „Auf Absichten un guten Willen darf man nur bedingt etwas geben. Obgleich auch der dazu gehört." Wieder ging ein kritischer Blick zu Merten hin. Dann nickte ber Graf befriedigt, übergab Arnold ein paar Photographien seines verstorbenen Bruders und entließ ihn. Als Merten znm Wagen zurückkehrte um nach Gut Mün sterberg hinüberzufahren, wurde er von Annemarie begrüßt, die wieder zu Pferde war. „Ich hatte noch einen Spazierritt gemacht", erklärte sie zur Begrüßung. „Ich reite nämlich furchtbar gern unü werde mir ein Vergnügen daraus machen, Sie zu eskor tieren." Merten lachte herzlich. Ihre frische und natürliche Art gefiel ihm sehr gut. „Wie verlief denn der Besuch?" fragte sie zu ihm hinüber. Sie ließ ihr Pferd neben Lem Wagen hergehen. „Gut", sagte er vergnügt, „ich kann mit -er Arbeit an fangen." „Machen Sie das auf Schloß Heilmannsdorf?" erkundigte sie sich wißbegierig. „Gewiß", antwortete er. „Der Graf läßt Ton zum Modellieren besorgen. Wie dann die Plastik ausgeführt werden soll, ob in Holz, Stein oder Bronze, das weiß er noch nicht." „Indessen hat Frau von Riedel angerufen und sich er kundigt, ob Sie morgen früh zur Besprechung hinkommen können. Sie scheinen ja mit einem Schlage ein vielbegehrter junger Mann geworben zu sein!" und sie lachte ihn schel misch au. Merten sah sehr glücklich aus. „Ich werde morgen früh hingehen" sagte er. „Morgen Nachmittag beginnt meine Arbeit beim Grafen Heilmanns dorf." „Wie gefällt Ihnen der Graf?" erkundigte sich das junge Mädchen wißbegierig. „O danke, sehr gut. Ich muß sagen, daß mir selten ein Mensch vom ersten Augenblick an so sympathisch, ja ich möchte beinahe vertraut meinen, gewesen ist, wie gerade Graf Heilmannsdorf. Er macht einen sehr klugen und ge wandten Eindruck." „So, ich kenne ihn nicht weiter. Er gilt allgemein ai sehr interessanter Mann,' vor allem auch, weil er dauernd 1« Overägypten lebt. Aber er steht in dem Geruch, leicht sehr ironisch und äußerst kritisch zu sein. Nehmen Sie sich nur in acht mit ihm!" - „Das ist eine Wesensart, die mir selbst sehr liegt", eps widerte Arnold lächelnd. „Deshalb habe ich keine Angst davor." „Und morgen, wenn Sie Zeit haben, wollen wir mal zusammen ausreiten. Haben Sie Lust dazu?" fragte Anne marie und blitzte ihn übermütig an. „Ich bin schon dabei!" rief Arnold lachen-, „aber Sie bürgen für mein Leben!" „Auch das noch! Wer das nicht jederzeit einsetzt, -er ist kein echter Mann!" meinte sie herausfordernd und sah ihn an. „Sie wollen mich wohl ärgern?" fragte Arnold gut ge« launt. „Aber das soll Ihnen nicht so ohne weiteres ge lingen." Der Wagen hielt vor dem Münsterbergschen Gute. Merten sprang heraus. „Kommen Sie und helfen Sie mir vom Pferd!" rief si» Merten kehrte zurück, er war schon halb die Treppe hinauf. „Entschuldigen Sie, ich war in Gedanken bereits bet meiner neuen Aufgabe. Sie müssen einem Kastler etwas zugute halten, -er den Kopf voll hat", metnte Merten. „Für diesmal will ich's so Hinsehen lassen, erklärte Annemarie gnädig. „Mir scheint'ö, man muß Sie ein wenig für den Verkehr mit Frauen erziehen! Merten hatte ihr aus dem Sattel geholfen. Für einen Augenblick hatte er ihren fchlanken Körper gestreift. „Tun Sie das nur", sagte er. „Ich glaube allmählich selbst, -aß mir das sehr fehlt." iFortsetzung folgt)