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Lotte kttzk, und sagk: »Gern, Herr Geyer/ Sie dachte! Mutter oder Glich kann es ihm hintragen. So viel Arbeit hatten sie lange nicht bekommen, wie Lotte hetmbrachtel Und kein Stück von der gelieferten Arbeit zurück! Und Lottes Engagement als Mannequin! DaS war ja ein richtiger Glückstag. Man war vor lauter Freude darüber wie auS dem Häuschen. Von dem ver lorenen Lieferbuch hatte Lotte noch kein Wort gesagt. Es war drei Uhr geworden. Die Mutter hatte Wirsingkohl vom Mittag aufgehoben, und fragte Lotte, ob sie ihn essen wolle? Nein, auf Wirsingkohl hatte sie gar keinen Appetit. Kaffee sollte Ida aufbrühen, und der Erich sollte Kuchen vom Konditor holen. Sie rief den Jungen herein, gab ihm drei Mark. „Du weißt doch, wo Bohnsdorf ist?' Der Junge nickte: „Nollendorf-Ecke.' »Ganz recht. Da holst du für drei Mark Streusel kuchen.' .Ach, ich will lieber eine Schillerlocke mit Sahne.' «Gut, bringe du für dich, was du willst.' .Aber Lotte, bist du toll jeworden!' sagte die Mutter, »so 'ne Verschwendung! Nachher fehlt's wieder.' .ES wird nicht fehlen, Mutter, bald hab' ich mein großes Gehalt. Davon gebe ich dir glatt jeden Monat hun- dertfünfzig ab. Das wird ein Leben, Mutter!' Sie legte ihren Arm um den Hals der Mutter, und küßte sie. »Und heute wollen wir gar nichts mehr tun, wollen wir bloß lustig sein. Zum Abendbrot lasten wir Anna und Hans herübirrbttten — ja, Mutter? Ich mache schnell einen schönen Heringssalat, und dazu geben wir Bockwürstchen und ein paar Flaschen Bier. Das kostet nicht viel. Laß uns auch mal vergnügt sein. Der Tag hat uns so viel Glück gebracht, der mutz gefeiert werden.' Die Mutter senkte leicht auf, dann sagte sie: ,Na, meinetwegen.' Während sie um den Käffeettsch saßen, erzählte sie ihr Erlebnis, daS sie mit Fräulein Krögel gehabt. Nun kam natürlich auch daS verlorene Lieferbuch zur Sprache. Die Mutter lieb vor Schreck die Hand sinken, die eben ein Stück Kuchen in den Mund schieben wollte. .Was wird nun werden?' .WäS soll werden?! Der Kutscher bringt es schon wieder, und wenn nicht, schadet es auch nicht viel; da gibt uns Herr Geyer ein neues Buch. Und die Arbeit wird er dir nie entziehen, daS steht fest.' Ida lächelte hinterhältig. .Geyer ist ein sehr guter Chef', sagte .Ja, das ist er', bestätigte die Mutter. „Gott, ich kenne ihn ja nun schon dreißig Jahre. Ich erinnere mich feiner noch janz jenau, als er bei feinem Vater als Lehrling ein- trat. Achtzehn Jahre war er wohl damals. Man sagte, er hätte in der Schule schlecht jelernt; eijentlich hatte der Baier vor, ihn studieren ,u lasten, aber dazu reichten seine Jaben Woll nich aus. Aber 'n juter Mensch war er immer. Schade, daß er nich jeheiratet hat; nun sind seine Eltern tot, und er ist janz mutterseelen alleine. Auch keine Kleinig keit für solchen Menschen. Er ist auch nich mehr so jung — wartet mal, wie alt kann er denn sein?' Sie berechnete es. »Fünfundvierzig Jahre wird er fein.' »Erst?- Zotte war erstaunt. Sie hätte geglaubt, er sei schon über sechzig Jahre. «Quatsch!- sagte die Mutter kurz. Wie man so etwas glauben konnte! Der Mann hatte noch kein einziges weißes u"d sah so frisch und gesund aus. wurde mtt einem Briefe zu Anna Bruck und HrE Bruder Hans Cleve geschickt. Anna war eine ent- Verwandt« von ihnen. Sie war früh verwitwet Ut« lebte mtt chrem jüngeren Bruder zusammen, für den sie daS vettw Vermögen, das ihr Mann ihr hinterlassen, geopfert hatte, dauM er studieren sollte. Er hatte mehrere Semester 3naeuieurwtffenschakt studiert, um schließlich zu erkennen, daß das Geld, das dafür zur Ver fügung stand, doch nicht ausreichte. Er mutzte sein Studium vorläufig aufgeben und wurde Vertreter einer Maschinen fabrik. Sein Einkommen war mätzig, weil die Fabrik, für die er arbeitete, klein und gar nicht leistungsfähig war. Gut, datz die Anna eine kleine Pension bezog, so konnten sie sich mühsam durchdringen. Gegen sieben Uhr abends kam Anna Bruck mit ihrem Bruder Hans. Ida empfing die Geschwister. „Nun, was ist denn los bei euch, ihr macht Wohl gar 'ne grotze Ausrichtung?' fragte Anna. Sie hing ihren Hut an den Garderobehaken und wandte sich dann nach Ida um. Ida lachte. „Lotte feiert ihr Engagement als Manne quin.' „Was?' — Hans Cleve sah Ida erstaunt an. „Na, du hast doch verstanden, Hans." Sie ging den Geschwistern voran in die Wohnstube. „Ich hörte etwas von Mannequin", sagte Hans. Ida nickte ihm zu. „Du hast schon recht gehört." „Ach, da seid ihr ja; na, das ist schön!" rief Lotte, ins Zimmer kommend. Sie umarmte Anna. Dann reichte sie Hans die Hand. „M—h—m, Hans, bist du heute nobel! Einen neuen Anzug hast du dir bauen lassen.' Ihre Augen gingen musternd über seine hohe, schlanke Gestalt. Sie besah ihn von allen Seiten; endlich faßte sie ihr Urteil in dem einzigen Worte „Schön!" zusammen. „Aber was machst du für eine Leichenbittermiene?" fragte sic dann, zu ihm aufsehend. „Du hast dich als Mannequin engagieren lassen, Lotte?" Sie nickte, mit einem kleinen, zagen Lächeln um den Mund. „Dreihundert Mark Monatsgehalt, Hans." „Nicht fürs Doppelte solltest du es tun." „Warum nicht, Hans?" > „Ach, frag' doch nicht, du weißt doch, wie wenig schön der Beruf ist." Sie zog die Schultern langsam hoch. „Was soll man machen; wenn man aufs Geldverdienen angewiesen ist, kann man sich die Arbeit nicht aussuchen.' Sie wandte sich zu Anna: „Was, Anna, hab' ich nicht recht?" Sie wartete gar nicht erst Annas Antwort ab, sondern fuhr gleich mit dem Fragen fort: „Würdest du dich besinnen anzunehmen, wenn man dir solchen Posten anböte?' „Ich kann nicht in diese Verlegenheit kommen, denn ich bin zu dick." Lotte lachte. Ja, die Anna war mit ihren fünfund dreißig Jahren schon ein bißchen rundlich geworden. Das war wahr. „Haste Aergerliches gehabt, Hans?- fragte Frau Menkin. „Sehr Aergerliches, Tante.' „Doch — ooch", sagte sie bedauernd; „ja, das is nu nich anders: hat man Jeschäfte, hat man auch Verdruß und Enttäuschungen.' „Tante, bist du denn damit einverstanden, daß Lotte als Mannequin gehen will?" Mutter Menkin sah ihn ein bißchen verwundert an. „Ja, warum sollt' ich nicht? Sie kriegt dreihundert Mark monatlich, mehr kann 'n Mädel doch ja nich verdien'«.' Hans schüttelte den Kopf. „Gerade einen großartigen Ruf haben die Mädchen nicht, die als Mannequin gehen, Tante." Mutter Menkin hob abwehrend die Hand: „Jeh ma mit so wat vom Leibe, Hanseken, jedes Mädel macht sich seinen Rus. Lottens wejen kann ich in dem Punkt be- ruhigt sin." So? Na, dann wollte er nichts mehr sagen. Man setzte sich zu Tisch. Nach dem Heringssalat mit Würstchen gab es Butterbrote mit Käse. lKortkevmur kolat.t