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Beilage zur Weitzerty Iettung Nr. 184 Mittwoch, am 17. Juli 1929 95. Jahrgang Chronik des Tages. — Der neue deutsche Ozeandampfer „Bremen" trat am Dienstag seine erste Ausfahrt nach Amerika an. — In der französischen Kammer kam es zu einem Zu« sammenstoß zwischen PoincarS und Herriot. — In Frankfurt a. M. ist das ganze Gallusviertel einem Brande zum Opfer gefallen. — Das russische Flugzeug „Flügel der Sowjets" ist von Berlin nach Paris weitergeflogen. — Die Schwebebahn Vohwinkel — Elberfeld ist vor übergehend außer Betrieb gesetzt, weil ein Lastauto gegen eine Stütze gefahren ist und st« schwer beschädigt hat. — In Frankreich ist infolge der Trockenheit die Ernte gefährdet. — Eine Dhnamitexplosion hat in Philadelphia einen Riesenbrand verursacht. — In Trapezunt wurden bisher 425 Todesopfer fest- gestellt. Ausfahrt der „Bremen". - — Breme», 16. Juli. Die alte Hansestadt Bremen und ihr Hafen an der Geeste tragen festliches Gepräge. Das neueste, größte und schnellste Schiff der deutschen Handelsflotte, die „Bremen", tritt heute ihre erste Ausfahrt nach New Jork an! Von den Hotels und den großen Gebäuden wehen die Flaggen des Reichs und die bremischen Far- ! ben. In Bremerhaven stauen sich die Menschen. Immer i neue Schaulustige treffen ein. Ein Extrazug von ! Berlin brachte allein an die 400 Pressevertreter! Es geht lebendig her. Menschen kommen und ! gehen, der Presse wird die Besichtigung des Schiffes gestattet, es wird erklärt und erläutert, man bewundert ! die architektonisch außerordentlich schön anmutenden i Gesellschaftsräume, freut sich über die Einrichtung der Kabinen und verläßt dann mit einer Fülle von Ein- ! drücken das Schiff. s Kommandos ertönen! Die Anker werden gelichtet, ! die „Bremen" geht in See! Ihr zur Seite fährt ; die „Roland", die nun die Pressevertreter beherbergt. Die Photographen stürzen nach vorn. Bremerhaven verschwindet . . ., der Rote-Sand-Leuchtturm taucht auf, und nun heißt es Abschied nehmen. Die „Roland" , kehrt heim, die „Bremen" fährt in die Nordsee hinaus, > Kurs auf New Mork! , § Die Jungfernreise dieses neuen 50 000-Tonnen< § Dampfers, dessen Pate Reichspräsident von Hinden- - bürg ist, ist heute ein Ereignis für Deutschland. Eine lange Spanne liegt zwischen der ersten Ausfahrt dieses ' neuen Ozeanriesen und der letzten Ausfahrt der großen ' deutschen Handelsschiffe der Vorkriegszeit. Gewiß hat ! die deutsche Handelsschiffahrt in den letzten Jahren : mächtig wieder ausgeholt, haben Lloyd und Hapag wieder eine prächtige Handelsflotte modernster und bester Schiffe, aber man bevorzugte bisher den Bau j mittlerer Ozeanschiffe. ! Allerdings mit vollem Recht. Im Schiffsbau darf - es keine Nekordhascherei geben. Das wichtigste ist immer die Sicherheit, und daneben müssen die Schiffe schnell sein, Bequemlichkeiten bieten und Ertrag abwerfen, i Alle diese Anforderungen vermag aber auch ein Ozean- - schiff unter 50 000 Tonnen zu erfüllen, zudem ist bei diesen Schiffen das Risiko, daß der Schiffsraum nicht boll ausgenutzt wird, erheblich geringer. Man ver gesse nicht, daß die „Bremen" allein für Abschreibun gen, Versicherungsprämien und Zinsen jährlich einen Betrag erfordert, der nicht weit unter 20 Millionen Reichsmark liegt! Wenn trotz dieser Verhältnisse zum Bau der „Bre men" und der „Europa" geschritten wurde, so spricht das von Wagemut und Vertrauen in die deutsche Tüch tigkeit. Denn es unterliegt gar keinem Zweifel: aus dem Ozean wird in den nächsten Jahren ein scharfer Wettkampf entbrennen. Auch in den englischen, ameri kanischen und italienischen Werften liegt man nicht auf der Bärenhaut. Auch hier wird gehämmert und gezimmert, sind neue Ozeanriesen im Werden, deren Gesamttonnenzahl zwischen 500 000 und 600 000 Ton nen schwankt und für deren Bau rund 700 Millionen Mark ausgegeben werden dürsten. - Dem Verlauf der ersten Ozeanfahrt der „Bremen" sieht man allseits mit großem Interesse entgegen. Im Auslande warten die Reedereien ab, wie sich der neue deutsche Ozeanriese bewähren wird, und dann werden sie die Folgerungen aus der Jungfernfahrt der „Bremen" ziehen und gleichfalls in verstärktem Maße an die Arbeit gehen. Am gespanntesten ist.man natürlich in Bremen. Man hofft zuversichtlich, daß das Schiff für den Weg von der englischen Küste nach New Dort höchstens fünf Tage benötigen wird, und man hofft ferner, daß die „Bremen" ohne sonderliche ? . rstrengungen 27 See meilen in der Stunde hinter sich bringt. Gelingt das, dann winkt der deutschen Handelsschisfahrt ein neuer Erfolg: die Wiedergewinnung des Blauen Bandes des Ozeans! Es ist nichts Materielles an diesem Blauen Band des Ozeans, aber es ist eine Auszeichnung vor der Weltöffentlichkeit! Freilich hat auch Deutschland schon das Blaue Band des Ozeans innegehabt. Das war, als die „Vaterland" noch nicht „Leviathan" hieß und die anderen deutschen Ozeanriesen noch nicht fremden Mächten ausgeliefert waren. Doch das ist lange her. In der Nachkriegszeit ging der Kamps um das Blaue Band nur zwischen Amerika und England, und wenn jetzt auch Deutschland wieder in die Reihe der Bewerber eintritt, dann beginnt damit ein neues Kapitel in der Geschichte der deutschen Ozeanschiffahrt. Denn dann haben wir endgültig die Folgen der Auslieferung der deutschen Handelsflotte überwunden! Freilich bedarf cs auch fernerhin härtester Arbeit. Tas zeigt schon ein Blick in die Statistik. Vor dem Kriege stand Deutschland an zweiter Stelle in der Handelsschisfahrt, heute begnügen wir uns mit der vierten und wenn wir unsere jetzige Bruttotvnnage um weitere 25 Prozent vermehren, dann haben wir trotzdem erst die Bruttotonnage wiedererlangt, die wir bereits 1914 aufzuweisen hatten. Möge das Ergebnis der ersten Ausfahrt der „Bremen" für die Weltstellung der deutschen Handels flotte einen neuen vollen Erfolg bedeuten. Zusammenstöße in der Kammer. Konflikt PoinearSs mit Herriot. - Paris, 17. Juli. Am Dienstag kam es in der französischen Kammer zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Poincarö und Herriot. Poincarö beendete seine in der Vorwoche begon nenen Ausführungen über den Uoung-Plan und erklärte dabei, das Werk der Sachverständigen ent- c halte größere wirtschaftliche und finanzielle Sicherheiten ! für Frankreich, als der Dawesplan. — Eine Erklärung, die man sich merken muß! — Ms Poincarö dann fort fuhr, der Uoung-Plan habe zum ersten Mal tatsächlich ! und juristisch einen Zusammenhang zwischen Repa rationen und interalliierten. Kriegsschulden hergestellt, fiel ihm der Führer der Radikalen, Herriot, in» Wort. Herriot warf die Frage auf, ob Frankreich von diesem Zusammenhang überhaupt Nutzen haben werde. Wenn Deutschland seine Zahlungen aus irgend einem Grunde einstelle, so meinte Herriot, dann müsse Frankreich die Schuldentilgung aus eigenen Mit teln vornehmen. Nun geriet der frauzösische Ministerpräsident Poincare in Erregung. Gr verlangte von Herriot ei» Nares Ja oder Rein auf die Frage, ob er de» Young» Plan «»nehme oder adlehue. Herriot erwidert« in gereiztem Ton, er habe et» Recht darauf, auf die „Lücke im Young-Plan" aufmerksam mache» zu dürfen. Die Verbindung der Reparationen und Kriegsschulden binde zwar Frankreich, nicht aber die französischen Schuldner. Auf diese Erklärung hin erreichte die Un ruhe Poinearks ihren höchsten Grad. Poincarö schrie Herriot an, es sei unerhört, wie ein früherer fran zösischer Ministerpräsident zu erklären wage, Deutsch land sei durch seine Unterschrift nicht gebunden. Im weiteren Verlaus der Sitzung zitterte die Er regung über das Wortgefecht zwischen Poincarö und Herriot noch geraume Zeit nach * Entrüstung über den Kriegsminister. Ter französische Kricgsminister Painlevö hat in einer englischen Zeitschrift erklärt, die Besetzung des Rheinlandes sei keine Garantie für die Sicherheit der französischen Grenze. Sobald die Zahlung der Repa rationsschuld durch Deutschland geregelt sei — also nach der Annahme des Uoung-Planes — könne das Rheinland geräumt werden; die Räumungsoperation selbst würde einige Monate dauern. Die Pariser Rechtspresse kann sich über diese Erklärung des Kriegsministers nicht beruhigen; sie will das Parlament alarmieren und beschuldigt Painlevö, er habe die französische Armee derart herunteMbracht, daß „der Frieden ernstlich gefährdet sei". Die Zei tungen der Linken ergreifen die Partei des Kriegs ministers und verweisen aus einen Ausspruch Fochs, nach dem selbst der französische Generalissimus davon überzeugt war, daß die Besetzung militärisch ohne Nutzen ist! Um so mehr Veranlassung für uns, zu fragen, wielange Deutschland noch mit der Besetzung schikaniert werden soll. Ehrende Nachrufe für Delbrück. „Er starb mit 8V Jahren immer noch zu früh." Reichskanzler Müller hat aus Bad Mergentheim an die Witwe des verstorbenen Historikers Hans Del brück folgendes Telegramm gesandt: .„Zudem schweren Verlust, der Sie durch das Hin scheiden Ihres Gatten betroffen hat, spreche ich Ihnen und den Ihrigen zugleich im Namen der Reichsregierung meine aufrichtigste Teilnahme aus. Hans Delbrücks Verdienste als Forscher sichern ihm ein bleibendes Andenken. Er starb mit 80 Jahren immer noch zu früh, weil er zu den Be gnadeten gehörte, deren Arbeitskraft unerschöpflich schien." In dem Telegramm des Preußischen Kultusmini sters Dr. Becker heißt es u. a.: „In seinem reich er füllten Leben hat er der historischen Wissenschaft An triebe gegeben, die weiter wirken werden. Er leibt in seinen Werken, die ein gesegnetes Alter zum Ab schluß reifen ließ, durch die Weite des Wissens und Arnold Merke»'« Modell Roman von Anna Fink Vopxrigm tu krau Hak, vresäen-I,Luds8LSt, Lraioerslr. (42. Fortsetzung) „Nun", sagte Arnold, „cs wird uns wohl allen so gehen, »le wir es mit der Kunst ernst nehmen.« > Max Vogel zuckte bloß Lie Achseln und schwieg. Ihr Gespräch wurde unterbrochen, weil sie auf Lie elektrische Bahn stiegen. „Wir fahren ja in einer ganz anderen Richtung wie früher!« sagte Merten erstaunt, Ler seit zwei Jahren nicht hier gewesen war. Max lachte bloß. „Warte nur, Du wirst schon staunen!" sagte er geheim nisvoll. ' „Bist Du umgezogen?" fragte Merten. „Freilich!" war Lie Antwort. Arnold sah Max Vogel von Ler Seite an. Er merkte /etzt erst, Laß Lieser fast mit einer gewissen Eleganz gekleidet war. Joden falls sah er im Gegensatz zu früher bedeutend sorgfälttser ansezogen aus. / Sie fuhren bis in einen Vorort. Dort stiegen sie aus. „Wir haben es glücklicherweise nicht weit!" sagte Max. !. . Sie gingen ein paar Schritte Lie Querstraße entlang. - ! Vor einem hübschen Hause hielt Vogel an. ,, „Hier ist es!" Im ersten Stock war Ler Name „Vogel" auf einem Mrberen Türschild zu lesen. „Ich glaube gar, Du bist Kapitalist geworden und hast Dir eine eigene Wohnung zügelest!" rief Arnold verblüfft. „Und «ine Frau", ergänzte Max, auf -essen Klingeln HM eine jung« hübsche Frau Lie Türe geöffnet hatte. „Kinder, ich muß mich erst mal setzen auf Len Schreck!" rtef Merten und stand wie eine Bildsäule La. „Ich glaube gar baS ist Ilse!" „Allerdings", sagte Lie Frau lächelnd. „Willkommen, Arnold Merten, im eigenen Heim!" „Und wo sind Lie Lazu gehörigen Kinder in diesem Idyll?" erkundigte sich Merten und sah sich suchend um. „Aber Arnold, so geschwind geht Las nicht!" sagte Max mit komischem Vorwurf. „Wir sind erst ein halbes Jahr verheiratet." „Na, Las wußte ich nicht, nach Lem hier muß man Loch auf alles gefaßt sein!" meinte Merten mit leichter Ironie. „Wir wollten Dich mit Liesen Neuigkeiten überraschen", sagte Ilse vergnügt, „und Lies ist ja auch, scheint's voll kommen gelungen." .Nun erzählt aber einmal, wie ihr Las angefangen habt. ES ist Euch beiden doch immer reichlich knapp gegangen?" „Das kann man wohl nicht anders sagen", erwidert« Max rnhig. „Hast Du eine Erbschaft gemacht?" „Nein, keineswegs. Es ist alles sehr natürlich zuse- gangen", sagte Ler Frennü. „Du weißt ja, ich kam mit meiner Dichterei auf keinen grünen Zweig. Das bekam ich ebnes Tages satt. Ich fing an, Feuilletons für ein paar Blätter zu schreiben. Und allmählich Vin ich damit weiter gekommen. Außerdem bin ich HilfsrcLakteur an einer Ler größeren Zeitungen hier geworLen und habe Aussichten, ural später Chefredakteur zu werben." Merten sah ihn verständnislos an. „Ich muß gestehen, ich hätte alles andere eher erwartet als gerade das bei Dir!" „Ich hätte es selber noch vor zwei Jahren für ganz aus geschlossen gehalten", sagte Max. „Man ändert eben seine Meinungen." „Aber Dn hattest Loch so strense Ansichten von Deiner Kunst", rief Merten. „Die habe ich auch noch. Für mich arbeite ich waS mir behagt. Mit Lem anderen verdiene ich mir das Geld. Glaube nicht, daß mir das im Anfang leicht gefallen ist", sagte er l eifrig, als Arnold die Stirn runzelte. „Du glaubst nicht, wie ich mich habe umstellen müssen. Aber, — was soll man machen? Von seinen Idealen allein kann man nicht leben. Zu Ler Erkenntnis kommt wohl ein jeder von uns früher ober später. Außerdem tat ich's ja nicht für mich, sondern für meine Frau." Ilse war hinausgegangen, um das Essen für den Gast zurecht zu machen. „Na, Ilse hat sich auch zur Genüge verändert!" meinte Arnold nachdenklich. „Hat sie denn ihre Malerei ganz und gar an Len Nagel gehängt?" „So ziemlich", sagte Vogel. „Sie komnrt nicht mehr dazu. Ein Mädchen kann sie sich nicht halten, Leun Lazu reicht eS nicht. Und sie hatte sich auch scheinbar mit ihrer Arbeit etwas übernommen. Sie ist froh, Laß sie sich nicht mehr Lauernd im Existenzkämpfe herum zu schlagen braucht." „Dann geht es Euch sonst gut?" fragte Arnold ein dringlich. „Ach, ja", sagte Max, „ebn Rest bleibt immer, man muß mit ihm fertig werden. Aber imn erzähle Du von Deiner Arbeit." Merten berichtete, aber er war nicht ganz bei Ler Sache. Er hätte es nie für möglich gehalten, Laß Max Vogel seine Anschauungen über die Kunst so gänzlich ändern würde. Und Ilse gar! Die Loch immer so für ihre Selbst ständigkeit gekämpft hatte und für sic eingetrcten war. „Hast Du für Deine anderen Arbeiten einen Verleger gefunden?" unterbrach sich Arnold selber auf einmal. „Nein, noch nicht", war »be Antwort. Und Ilse, die gerade Lie letzte Frage gehört hatte, sagte zuversichtlich: „Das kommt schon noch. Max hat ja mit Len anderen Arbeiten so viel zu tun, »aß für feine Dichtungen wicht viel Zeit bleibt.« Es klang etwas resigniert, ohne daß «S so gemeint war. Aber Arnold konnte manchmal sehr feine Ohren haben. Fortsetzung auf der 2. Seit« dieser Beilage