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Beilage zur Wettzeriy Heilung Nr. 183 Dienstag, am 16. Juli 1929 SS. Jahrgang Chronik des Tages — Im Alter von 81 Jahren starb in Berlin der be kannte Historiker Prof. Dr. Hans Delbrück. — Die chinesische Regierung hielt in Nanking «inen Kabinettsrat ab und erörterte das russische Ultimatum. — Die Polnischen Behörden haben den Generaldirektor der Bismarckhütte aus Ostoberschlesien ausgewiesen. - — Der 26 Jahre alte älteste Sohn des Dichters in der Villa seiner Eltern mord begangen. , , - Durch bis RiesenüberschNAMmungen^ am Schwarzen Meer sind 286 Personen getötet worden. 329 Häuser wurden zerstört. >'_j - - Droht ein neuer Krieg? Russisches Ultimatum an China. S. In Ostasien zucken Blitze, Kriegsgetvölk zieht herauf! Rußland hat dem chinesischen Geschäfts träger in Moskau ein Ultimatum überreichen lassen. Es fordert die sofortige Freilassung der in China ver hafteten Russen, die Rückgängigmachung der Auswei sungen und die Wiederaufnahme russischer Beamter in die Verwaltung der ostchinesischen Bahn. Tie Lage in der Mandschurei ist ernst. Von Osten her sind chinesische Divisionen im Anmarsch, von Westen kommen russische Truppen. In der Nähe der Grenze wird Halt gemacht und abgewartet, was die Politische Zentrale anordnen will. Ein beruhigendes Moment liegt darin, das noch eine Verhandlungsmöglichkeit besteht. Ruß land hat einen Bevollmächtigten nach Charbin ent sandt und die Einberufung einer Schlichtungskonfe renz angeregt. Natürlich unter der Voraussetzung, dah China die Verhafteten frei läßt und mit der Neu ordnung der Bahnverwaltung innehält * Russisch-chinesische Händel waren uns in den letzten Jahren nichts Neues. Wir haben uns daran ebenso gewöhnt, wie uns vor zehn Jahren die rus sisch-chinesische Freundschaft ganz in der Ordnung schien. Und schließlich ist die jetzige Feindschaft zwischen Moskau und Nanking nur eine Folge ihrer „dicken Freundschaft". Im Gegensatz zur zaristischen Regierung hat Sow jetrußland in China einen liberalen Kurs ge steuert. Es hat freiwillig auf die den fremden Mächten zustehenden Sonderrechte verzichtet, in die Aufhebung der eigenen Gerichtsbarkeit gewilligt und den Chi nesen die aus dem Boxerkrieg resultierenden Tribut zahlungen erlassen. Unter den Auswirkungen dieser Maßnahmen wuchs Rußlands Ansehen in China und ebenso sein Einfluß. Frühzeitig ging Moskau mit Nanking, es unterstützte die chinesische Nationalbewe gung mit Rat und Tat und verhalf so Tschangkaischek mit in den Sattel. Wenn Rußland trotzdem keinen dauernden Erfolg in China erzielen konnte, so liegt das daran, daß die Moskauer Politik mit einem schweren Konstruktions fehler belastet war. China sollte ein zweiter Sowjetstaat werden! Um es zu erreichen, orga nisierten die Bolschewisten kommunistische Zellen in der chinesischen Nationalpartei, Aufstände und Revol ten. Als es zum Klappen kam, versagte die Kunst der Russen. Tie Mehrheit des chinesischen Volkes blieb den russischen Lockungen gegenüber taub, und den Parteigängern Rußlands ließ Tsckangkaischek mit asia tischer Grausamkeit den Kovf abschlagen. Franz v. L Hugo von E in Rodaun nnSthal, d«r nnSthal, hat Wien Selbst ¬ wran muß anerkennen, dass Rußland der nun fol genden antirussischen Politik gegenüber eine erstaun liche Langmut an den Tag legte. Selbst auf die Ver letzung der diplomatischen Jmmunitätörechte durch Haussuchungen antwortete Moskau nur mit einigen starken Worten. Allerdings standen damals nur psy chologische Tinge aus dem Spiel, heute dagegen geht es um materielle Fragen. * Die ostchinesische Bahn — eine russische Grün dung — verbindet das russische Wladiwostok, den einzigen russischen Hasen, der das ganze Jahr hindurch eisfrei ist, mit dem übrigen Rußland. Das Programm des Zaren, die Mandschurei, durch die die Bahn fährt, an Rußland anzugliedern, um eine ungestörte Verbin dung mit Wladiwostok zu garantieren, ist im russisch japanischen Krieg endgültig gescheitert. Dafür rettete Rußland aber bedeutende Sonderrechte über die Bahn und den Drahtweg durch die Mandschurei aus seiner Niederlage. Und um diese Sonderrechte geht es jekt. Die chine sischen Behörden haben sich über den Staatsvertmg mit Rußland hinweggesetzt, haben den rusjischen Vor sitzenden der ostchtnestschen Eisenbahnverwaltung sei nes Amtes enthoben, seine Mitarbeiter verhaftet oder ausgewiesen, den Telegraphendraht längs der Bahn beschlagnahmt und die russische Handelsniederlassung geschlossen. Alles nckt der Begründung, die russischen Bureaus in der Mandschurei bildeten ein anti- chinestsches Verschwörerzentrum. ES liegt aus der Hand, daß Rußland sich mit diesen Maßnahmen nicht abfinden kann. Wenn Moskau eine andere Haltung einnehmen wollte, dann würde das nicht nur seinem Ansehen in der Welt einen ge radezu vernichtenden Stoß geben, gleichzeitig würde Rußlands Stellung in Ostasten auch derart erschüttert werden, daß Moskau den Besitz Wladiwostoks kaum würde behaupten können. Moskau muh jetzt, koste es was es wolle, seinen Zugang zum Stillen Ozean verteidigen und kann dabei, wenn Protest- erklärungen keinen Erfolg haben, nicht bei papiernen Erklärungen stehenbletben! Umgekehrt kann natürlich niemand China zumu- ten, in der Mandschurei russische Propagandazellen zu dulden, deren Tätigkeit China erneut jOvevpen Ge- sährnissen aussetzt. * Moskau und Nanking sichen vor schwerwiegenden Entschetdmmen. Sie haben beide noch jahrelang zu tun, um die Wunden des blutigen Bürgerkrieges zu i heilen, sie müssen beide alle Kraft daraus vereinig«:, ; ihre Wirtschaft zu fördern. Und wenn sie jetzt diese Arbeit unterbrechen müßten, um das Schwert zu ziehen, dann würde das für beide eine Katastrophe be deuten! Es grollt in der Mandschurei. ! Rußland fordert von China Genugtuung. — Truppen bewegungen. — Kabinettsrat in Nanking. j - Peking, 16. Juli. ! Das von der russischen Regierung in Moskau dem ! chinesischen Geschäftsträger überreichte Ultimatum an - China ist in Nanking eingetroffen. Rußland erhebt drei Forderungen: 1. die unverzügliche Einberufung einer Schlichtungskonferenz für den Konflikt um die ostchinesische Bahn, 2. Aufhebung aller ohne Ein verständnis Rußlands erlassenen Anordnungen und 3. die Freilassung aller in China verhafteten Russen, Für den Fall, dah auf diese Forderungen nicht binnen drei Tagen eine befriedigende Antwort eintrifft, will Rußland andere Mittel zur Wahrung seiner vertrag lichen Rechte ergreifen. Ku ««schloß a« den Eingang des ruffische« Ulti matums hielt die chimAche Regierung unter Regitz Tschangkaischeks einen AabinettSrat ab. «ntzenminMer Tr. Wang erstattete eine» eingehenden Bericht «bev die Lage and die Entwicklung der ruffifth-chiuesifchen Beziehungen. Wie verlantet, steht da« Mthenkouintts- sariat auf dem Standpunkt, dah China nicht in der Lage ist, innerhalb den drei T«M« «ne« Bescheid auf die ruffische Note M gebe«. Rie Xankingchtegierung hat sich mit Mulde« iu Verbindung gefttzt. Telegramm« aus Mulden berichte« dmr mnstrngweichen Truppenbewe gungen in der Mandschurei. Gerüchten zufolge ist die Beschlagnahme der ost chinefischen Bahn durch chinesische Behörden auch des Nanktngregierung überraschend gekommen. Wenn das zutrifft, hätte der Unterführer in der Mandschure« aus eigene Faust Politik gemacht R Eindruck des Ultimatums in England. Die Londoner Zeitung „Daily Telegraph" schreibt zu dem russischchinesischen Konflikt, daS russische Ulti matum stelle eine Kriegsandrohung dar. Man müsse allerdings zugeben, dah Rußland einen „Schein des Rechts" für sein Vorgehen habe. Die chinesisch« Ostbahn sei ein gemeinsames russisch-chinesisches Unter nehmen und müsse nach dem Vertrage von 1924 ge meinsam von den beiden Regierungen betrieben werden Für Rußland sei die Bahn nicht nur politisch wichtig, sondern auch eine gute Einnahmequelle. „Times" mel den aus Schanghai, daß die chinesische Nationalregie- rung von dem Handstreich gegen die ostchinesische Eisen bahn erst nach seiner Durchführung erfahren habe. Selbst der zu dieser Zeit in Peking befindliche Sohn des Marschalls Tschangsolin, der Gouverneur der Pro vinz Mandschurei, habe reine Ahnung gehabt und sei völlig überrascht worden. * , 's Japan vorläufig gegen eine Vermittlung. Wie aus Tokio gemeldet wird, hat di« japanische Regierung vorerst nicht die Absicht, vermittelnd ei«- zugreifen. Tie Japaner wollen vielmehr erst den wei teren Verlaus der Dinge abwarten. Man glaubt jedoch^ wenn es ernst wird, aus einen VermittlungSschrttt Japans hoffen zu können. Am Sonntag fanden in allen größeren russischen Städten Protestkundgebungen gegen China statt. Politische Rundschau. — Berlin, den 16. Juli 1929. — Am 5. August treffen zwei italienische Kriegsschiffe zu einem mehrtägigen Besuch in Danzig ein. — In einer Versammlung der Christlich-Nationalen Bauernpartei in Hildesheim sprach der PräfLent des Reichslandbundes, Hepp, über den Kampf um die Freiheit des Bauern. :: Severing über die Diktatur. Auf einer si»ial- demokratischen Bezirkskonserenz in Dithmarschen er klärte Reichsinnenminister Severing im Zusammenhang mit dem RevublikschutzüLkL, er sei der entschiedenste Arnold Metten s Modell Roman von Anna Fink voxxnLbt dx kwo Lons kliiL, vresäen-1.Lude8LS^ Lrswerstr. LI (41. Fortsetzung) „Ich werde Dir ein größeres Pensum aufgeven. Und Sann kannst Du die Zeit benützen, um Entwürfe zu machen, die Du versuchen sollst, selbständig durchzuführen", sagte Merten ruhig. „Dein Vater wünscht sowieso, daß Du Dich nicht überarbeitest. Er sprach mir gestern Liese Besorgnis aus. Und da ist es ganz gut, Du arbeitest mal allein. Da kommt man nicht so geschwind vom Fleck und muß sich etwas mehr Ruhe lasten." „Ist Las Graf Münsterberg, zu dem Du fährst?" fragte Gertrud leise. überrascht sah er sie an. , „Gewiß! Woher weißt Du das?" „Als ich Dich und Deinen Freund Peter Looser kennen lernte, sprachest Dn davon. Du hattest damals gerade das Paket bekommen", erwiderte sie. „Stimmt", entsann sich Arnold. „Du hast jo ein fabel haftes Gedächtnis." Sie lächelte nur ein wenig schmerzlich. Bald darauf verabschiedete sich Merten. Er hatte ihr noch ein Arbeitspensum gegeben, das für ein halbes Jahr gereicht hätte. „Ich will morgen früh zeitig fahren", sagte er. „Du mußt mich daher entschuldigen. Und dann verzeih, Laß ich. Dich mit meinem Anliegen behelligt and gestört habe. Es war nicht meine Absicht." „Leb' wohl, Arnold", sagte Gertrud tonlos", recht gute Erholung und frohes Fest! Und auf gutes Wiedersehen."' „DaS wünsche ich Dir auch", sagte Arnold freundlich. „Arbeite nicht zu viel. Alles Gute." Sie schüttelten sich die Hände und schieden. Am Abend ging Merten noch einmal zu Peter Looser. Der wohnte nicht weit entfernt von ihm in einem möblierten Zimmer. „Das ist ja ein seltener Gast", rief Peter erfreut. „SchöNz -aß Du kommst! Was gtbt's sonst Neues?" > „Ich reise morgen", sagte der Freund trocken. „Nanu? Ich Lenke, das war noch ganz unbestimmt!" ant wortete Peter erstaunt. So rasch willst Du jetzt fahren!" „Ja", sagte Merten gedehnt, „bas überlege ich mir manch mal innerhalb zehn Minuten anders." „Und Gertrud Thorwaldt, was sagt Lie denn Lazu, Laß ihr Lehrer sie so plötzlich im Stich läßt?" fragte Peter er staunt. Er wußte nicht so ganz genau, wie Lie beiden zueinander standen. Aber La er nun einmal für's Praktische war, rechnete er im Stillen mit einer Verlobung. Dann bekam es der Freund als Schwiegersohn vom alten, reichen Thorwaldt doch etwas netter. Und das hätte er dem Freunde recht von Herzen gewünscht. Peter hütete sich natürlich ängstlich, von diesen seinen Ge danken etwas zu verraten. Merten hätte es fertig bekom men und sofort den ganzen Unterricht an den Nagel gehängt. „Gertrud Thorwaldt ist eine dumme Pute. Genau wie die anderen Weiber auch", sagte Merten ruhig. „DaS Schlimme ist bei ihr, Saß man es erst nicht so erkennt, weil sie sich so fabelhaft gebärdet. Laß mich bloß mit ihr zu frieden. Ich muß erst mal sehen, ob ich den Unterricht von ihr nach meiner Rückkehr wieder übernehmen kann." „Aber ich Senke, — Du sagtest Loch immer, sie sei so sehr begabt ", stotterte Peter ganz verdattert. „Ist sie ja auch!" rief Merten und schlug mit Ler Faust auf Len Tisch, Saß Sie Groggläser nur so wackelten. „Das ist ja LaS Gemeine, Saß dieses Frauenzimmer trotz ihrer Bombenbegabnng so spießig ist! Sie wird Labei nie z« etwas kommen, trotz ihres großen Talentes. DaS allein tut's -och nicht, zumal nicht bet einer Frau!" l ' ' Merten war ehrlich empört. Peter Looser sah ihn pfiffig von -er Seite an, sagte aber nichts weiter als: „Hm" und -ann noch einmal sehr nach denklich: „Hm " . . . Weiter nichts. Und das hatte Arnold Merten nicht einmal gehört. Er war nämlich viel zu intensiv mit Ler Zubereitung seines Grogs beschäftigt. „Wie fein, Saß Du Loch gleich gekommen bist", begrüßte Max Vogel Merten, Ser gerade aus einem Abteil vierter Klasse herausgeklettert war. „Wir fürchteten schon, Du Hättest das Reisegeld anderweit verbraucht, weil wir gar nichts von Dir hörten. Bis Sann heute Dein Telegramm kam." „Es hat sich für mich sehr schnell entschieden. Gestern früh hatte ich noch keine Ahnung!" sagte Merten und schüttelte Les Freundes Hand. Langsam waren -ie Beiden dem Ausgang Les Bahnhofes zugeschrttten. „Ich habe noch eine große Kiste aufgegeben", sagte Arnold „die möchte ich gleich mitnehmen. Wir sind ja zwei, da können wir sie zusammen tragen." „Was ist denn Larin? Die ist ja infernalisch schwer", ächzte Max, als sie sie in Empfang nahmen. „Nun, Goldklumpen gewiß nicht", lachte Arnold. -Ks sollen erst welche werden. „Arbeiten?" fragte der andere, Arnold Merten nickte. - „Du schriebst ja, ihr könntet mir hier eine AuSstellungs- Möglichkeit verschaffen. Ich könnte «S nämVch gebrauchen, Laß ich mal etwas verkaufte." „Ich glaub's wohl", erwiderte Ler Freund. „Es ist Dir gewiß dreckig genug gegangen in der letzten Zeit. Menschen wie Du haben eS jetzt nicht leicht." (Fortsetzung folgt)