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so Mantle. Ich zog mich daher immer Mehr und mehr zurück, obgleich wir mit großer Herzlichkeit an unserer Freund- schäft sesthielten. Ach Gott, ich armer Teufel von Jung geselle, ich hatte ja die Frau meines Freundes schon immer bewundert und wohl auch später zuweilen daran gedacht, wie glücklich der Mann sein müßte, der ihre Hand gewinnen könnte. Als ich nun sah, daß der Verkehr mit Mantle immer freundschaftlicher wurde, schränkte ich meine Besuche ein, konnte mich aber nicht enthalten, als Freund ihres verstorbenen Mannes, und als ihr eigener Freund, sie ein mal bei Gelegenheit zu fragen, wie sie denn mit Mantle stehe. Sie wurde rot und verlegen, und nach einer Weile antwortete sie: Oh, Archibald Mantle ist ein Ehrenmann.' «Und daraus schließt du ...?' „Daraus darf wohl jeder auf eine nähere unzwei deutige Beziehung schließen, die nur aus einem Ehe- versprechen basieren kann.' „Und was soll Frau Swinnerton ansangen? Einen Prozeß?' „Nein. Aber sie mutz sosort ersahren, was ihr droht. Mit einem Prozeß stellt sie sich ja doch nur bloß, selbst wenn Mantle das größte Opfer bringt, um sich loszukaufen. Sie muß alles noch jetzt erfahren und gleich eingreifen.' „Und wenn sie siegt, wo bleibt das Geld?' „Ach, das wird sie ihm auch noch abringen.' Oberst Graham schüttelte besorgt den Kopf. „So einfach sehe ich die Dinge nicht. Aber den Versuch mag es wert sein.' „Er gelingt I' rief der Major in seinem unverbesser lichen Optimismus. „Dann tut aber Eile not. Mantle erwartet mich noch heute; ich muß ihm jetzt in seine Wohnung Elinors Jawort bringen. Das verschafft uns noch ein paar Stunden Frist.' „Und ich suche noch jetzt Frau Swinnerton auf.' „So spät?' „Warte einen Augenblick, Bill.' Sie standen vor einer Bar. Der Major schlüpfte hinein und kam nach einer kurzen Weile zurück. „Sie ist eben aus dem Theater nach Hause gekommen. Ich habe ihr nur gesagt, daß ich ihr eine dringende Mit teilung zu machen habe. Sie erwartet mich.' „Und wir verständigen uns morgen früh.' „Selbstverständlich.' „Wenn aber —mit schwerem Herzen, wie an jedem gliicklichen Ausgang verzweifelnd, ergriff Oberst Graham die Hand seines Freundes zum Abschied, „wenn aber Frau Swinnerton nichts mehr mit Mantle zu tun haben will?' „Ich glaube es nicht. Aber dann, wahrhaftig! Dann kommt Mantle aus dem schlimmen Handel nicht heraus, den er angezettelt hat!' Weiter gab es nichts zu sagen. Die beiden Freunde trennten sich, und eilten, von tödlicher Sorge bedrückt, jeder seinem Ziele zu. Es war bereits elf Uhr, als Gilbert Daly abermals vor der schön gearbeiteten Mahagonitür des Hauses in Grosvenor Street stand und stürmisch läutete. Nachdem er zweimal geläutet hatte, wurde ein Fenster im Hochparterre, das einzige beleuchtete des ganzen Hauses, geöffnet, und Archibald Mantle beugte sich vor. „Sind Sie es, Oberst?' „Nein, ich bin es: Gilbert. Ich mutz dich unbedingt noch einmal sprechen, Archibald.' „Es ist ein wenig spät, mein Junge.' „Trotzdem bitte ich dich dringend. Es handelt sich um etwas ungeheuer Wichtiges.' Archibald Mantle war unangenehm berührt. Was mochte der Junge noch wollen? Sollte er am Ende etwas ersahren haben? Unsinn! Solchen halben Kindern ist alles Wichtig. Es wird schon nichts von Belang sein; aber immerhin, man mutzte ihn bald wieder draußen haben, denn der Oberst konnte jede Minute kommen, und ein Zusammentreffen sollte unter allen Umständen vermieden werden. „Einen Augenblick! Ich komme gleich', sagte er, „die Dienstboten schlafen schon.' Aber gleichzeitig wurde ein Schritt im Flur laut, und John Sleath öffnete Gilbert die Tür. John Sleath war schon zu Bett gewesen, und seine unerschütterliche Korrektheit erlaubte ihm nicht, anders als in voller Livree zu erscheinen. Darum hatte Gilbert warten müssen. Aber Gilbert achtete nicht darauf, daß John Sleath tadellos angezogen war, sondern stürmte an ihm vorbei auf Archibald zu, der auf dem ersten Treppenabsatz stand. „Was gibt es denn?' fragte Archibald, und ließ Gilbert in ein Zimmer im Hochparterre eintreten. Es war ein mäßig großer Raum, in dem nur wenige Möbel standen. Ein kleiner Tisch mit Zigarren und drei oder vier mit dunklem Brokat bezogene Stühle. Die Mitte der Längswand nahm ein viel zu großer, prächtig in Marmor gearbeiteter Kamin ein. Gilbert war ganz außer Atem. Er konnte noch gar nicht sprechen, so sehr würgte in ihm die Aufregung. „Willst du nicht ablegen', sagte Archibald, der sich den zweiten Besuch seines Vetters noch immer nicht erklären konnte. Gilbert legte den Hut auf einen Stuhl neben der Tür. Er war nicht um einen Schritt weiter ins Zimmer getreten. „Archibald', begann er jetzt hastig, „ich habe eben etwas gehört, was so ungeheuerlich ist, daß ich es nicht glauben möchte, bevor nicht du selbst es mir bestätigt hast. Obwohl die Person, von der ich es habe, bei Gott, die Wahrheit wissen mußte.' „Das klingt ja ganz fürchterlich', versuchte Archibald Mantle zu scherzen; aber es dämmerte in ihm eine Ahnung auf, daß Gilbert doch etwas erfahren haben konnte. Nun, das würde man ja bald herausbekommen. „Es ist auch fürchterlich genug', stieß Gilbert hervor; „ist es wahr, Archibald, daß du von Oberst Graham Elinors Hand gekauft hast?' Trotzdem Archibald etwas dergleichen ja bereits ver mutet hatte, kam ihm die Frage in dieser unverhüllten Klarheit sehr ungelegen. Er pfiff leise zwischen den schmalen Lippen, und machte einen Versuch, seine über legene Miene aufzusetzen. „Mein lieber Junge', sagte er kühl, „du hast eine sonderbare Manier ...' „Laß das jetzt', unterbrach ihn Gilbert, „antworte mir gerade und ohne Redensarten.' „Ich will diese Methode, mit mir zu sprechen, deiner etwas exaltierten Verfassung zugute halten', antwortete Archibald, entschlossen, nicht aus seiner Reserve herauszu treten; „aber ich erkläre dir, daß ich nicht gesonnen bin, mich von dir zur Rechenschaft ziehen zu lassen.' „Dann ist es also wahr!' schrie Gilbert. Zu dumm, diese ganze Angelegenheit! Wozu hatte Archibald es auch nötig gehabt, sich vorhin diesen jungen Menschen so nahe kommen zu lassen? Es war töricht ge wesen, bei diesem zufälligen Abschiedsbesuch weich und gerührt zu werden, wie ein Backsisch im Kino. „Es ist natürlich albernes Gerede', sagte Archibald Mantle. Er hatte sich in aller Eile einen Plan zurechtgelegt. Er wollte einfach und glatt leugnen, vielleicht gelangte man auf diese Weise dazu, den Burschen aus dem Hause zu be- kommen. Gilberts Schiff ging noch in der Nacht; war er einmal unterwegs und gar erst in Australien, dann er ledigte sich die Sache von selbst. Aber Gilbert war nicht so leicht abzuschütteln. Was Elinor ihm unter Schluchzen erzählt hatte, brannte in ihm. Das war kein Gereve gewesen, o nein! Ihre Worte, ihr fassungslose? Entsetzen über das, was ihr Vater ihr gesagt Latte, wirkten in ihm wie Dynamit. (Fortsetzung folgt.) -