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Bettage zur WeitzeriyJeüung Nr. 155 Sonnabend, am 6. Juli 1929 95. Jahrgang Chronik des Tages. — Der Preußische Landtag WM am Donnerstag in die Sommerferien gehen. — König Fuad von Aegypten stattete dem Generav- sekretariat des Völkerbundes einen Besuch ab. — Schwere Unwetter haben in verschiedenen Teilen Deutschlands und Oesterreichs unabsehbaren Schaden an« gerichtet und mehrere Todesopfer gefordert. — Bet dem Eisenbahnunglück in Krakau wurden 56 Personen verletzt. — Der am 3. Juli im Lohnstreit der schlesischen Tex tilindustrie gefällte Schiedsspruch ist von der Mitgliederver sammlung des Verbandes schlesischer Textilindustrieller ein stimmig abgelehnt worden. — In den Vereinigten Staaten sind im Verlauf der Unabhängigkeitsfeier 159 Personen ums Leben gekonynen. Vo« Woche z« Woche. Nandbemerkungeu zur Zeitgeschichte. Die Verhandlungen über Ort und Zeit der neuen politischen Konferenz, die den Diplomaten seit langem über Gebühr zu schaffen machen, sind in den letzten Tagen nicht vom Fleck gekommen. Trotz der Vor stellungen des deutschen Botschafters in Paris und trotz der mit Spannung erwarteten Thronrede im eng lischen Unterhaus! Ja, je enger man miteinander „Fühlung nimmt", desto mehr Schwierigkeiten tauchen auf. Ihren Ausgangspunkt nahmen die Störungen sämtlich von Paris. Als einzige Regierung hat bisher die französische die englische Einladung nach London noch nicht angenommen. Das hemmt den Gang der Beratungen ebenso wie die Unerschöpflichkeit Frank reichs in der Formulierung neuer Schlagworte. Gestern propagierten die Franzosen eine „Beratung in Fort setzungen", heute wieder haben sie es darauf abgesehen, den sogenannten kleinen Gläubigermächten einen Platz am Konferenztisch zu verschaffen. Wenn Frankreich glaubt, ohne die Anwesenheit der Griechen, Rumänen und Serben im Vorzimmer der Konferenz nicht richtig verhandeln zu können, ist das seine Sache, vorausgesetzt, daß man den Kleinen nicht eine große Aufgabe übertragen will, nämlich die, durch allerlei Manöver in letzter Stunde Verschärfungen in den Young-Plan hineinzuschmuggeln! Eine Hinzu ziehung der politischen Trabanten Frankreichs zu den Verhandlungen über die Räumung des Rheinlandes kann selbstverständlich unter keinen Umständen von Deutschland geduldet werden. Vorerst haben die Franzosen aber noch dringlichere andere Sorgen. Der Wirrwarr in der Frage der Be stätigung des französisä)-amerikanischen Schulden abkommens über 400 Millionen Dollar ist von Stunde zu Stunde größer geworden. Die Finanz kommission der Kammer hat sich nach ausgedehnter Beratung über die Art des Vorbehalts für die schärfste Form des Vorbehalts entschieden, von der es feststeht, daß sie Amerika nicht annehmen wird, so daß also die Ratifizierung null und nichtig ist und im Zu sammenhang damit die Schuld fällig. Die neue bedrohliche Zuspitzung der innerfran zösischen Verhältnisse wird selbst für PoincarS über raschend gekommen sein. Hatte es doch zu Beginn der Woche, nach Ernüchterung von dem Abenteuer Franklin Bouillons, den Anschein, als werde nun alles glatt vonstatten gehen. Die der Regierung nicht ange hörenden Sozialisten und Nadikalsozialisten erklärten sich durch den Mund ihrer Führer bereit, im Inter ¬ esse oer Liquidierung dtzS Krieges für die Ratifizierung ! zu stimmen. Ende der Woche aber änderten sie aber mals ihre Haltung und entschieden sich dafür, auch in der Ratifizierungssrage ihrer Opposition gegen das Kabinett Ausdruck zu geben. Die Sozialisten werden nun gegen die Vorlage stimmen, während die Radikal sozialisten bestimmte Voraussetzungen für ihre Zu stimmung gestellt haben. Die Vorbehalte der Radikalen sind interessant. Der erste macht die Ratifizierung von einer ausrei chenden Sicherheitsklausel für die Deckung der Schul denzahlungen abhängig, der zweite davon, daß die Regelung der aktuellen internationalen Probleme „im Geiste der Solidarität aller Völker" er- l folgt. Werden sich nun die Geister in Frankreich schei den, wird das Rechtskabinett PoincarS stürzen und ! ein mittclparteiliches Kabinett PoincarS nachfolgen? ' Auf diese Fragen werden die nächsten Tage Antwort geben. Aber soviel auch in der Schwebe ist, eins ist sicher: PoincarSs Nachfolger wird immer wieder Poin- carS sein! In der deutschen Innenpolitik beherrschten nach ! der Vertagung des Reichstags der Reichsrat und der ! Preußische Landtag das Feld. Den wichtigsten Ver handlungsgegenstand des Landtags bildete die Kon kordatsvorlage» deren Annahme nunmehr ge sichert ist. Es ist zu hoffen, daß nunmehr auch die ' Verhandlungen mit den evangelischen Kirchen unver züglich zum Abschluß gelangen! Die Arbeit des Reichsrats beschränkte sich aus die Genehmigung der vom Reichstag in seiner letzter Sitzung verabschiedeten Vorlagen. Nicht genehmigt in ihrer usprünglichen Form wurde die Novelle zur lez Brüning, durch die das 1300 Mill. Mark über steigende Aufkommen aus der Lohnsteuer zur Sen kung der Knappschaftsbeiträge und zur Stärkung dei Invalidenversicherung verwendet werden soll. Wäh rend der Reichstag das Gesetz auf fünf Jahre be fristete, verkürzte der Reichsrat die Frist auf zwei Jahre. Gesetzeskraft kann die Novelle nun erst dann erhalten, wenn auch der Reichstag der neuen Fassung zustimmt. Das wird noch einige Zeit dauern. Um un liebsame Rückwirkungen zu vermeiden, wurde di« Reichsregierung ermächtigt, fürs erste die nach der Novelle zu machenden Aufwendungen für die Knapp- schasts- und Invalidenversicherung außerplanmäßig zu leisten. .... Krisis in Frankreich. Vorstoß gegen Porncare. — Miuisterrat über die Lage, — Ist Polizeipräsident ChiaPPe von einer Frau geohr- feigt worden? - Paris, 6. Juli. In Paris ist eine neue Krisis ausgebrochen. Das Kabinett PoincarS befindet sich in großer Bedrängnis. Die bürgerlichen Demokraten, die den irreführenden Namen Radikalsozialisten führen, scheinen mit den So zialisten Einfluß auf die Außenpolitik gewinnen zu wollen und entschlossen zu sein, für den Fall, daß ihrem Programm keine Rechnung getragen wird, dic Regierung PoincarS zu stürzen. In der Kammer herrschte am Freitag fieberhafte Er, regung. Richt nur, daß der Finanzausschuß den Wirr warr in der Ratifizierungssrage aufs höchste gestei- ! gert hat, ein zweites Gewitter zog dadurch herauf, § daß der Abgeordnete Dormann, ein Kriegsinvalide, ! seinen Streit mit dem Innenminister Tardieu zu eine» Interpellation umgestaltcte. Dormann behauptet steif und fest, mit angesehen zn haben, wie der PoNzeipr^b dent- Ehiappe bet einer Kundgebung der Kriegsteil nehmer von einer Krau geohrfeigt worden fei. Tardieu bestritt »aS und drohte mit der Stellung »er Ver trauensfrage bei der Beratung der Interpellation. Bor Beginn der Kammersitzung fand unter dem Vorsitz PotncarA ein Ministerrat statt, der sich w« 11 Uhr Vis gegen 1 Mr htnzog. Als die Minister den Beratungssaal verniHen, Ml a«L, daß Briand mit Loucheur ging und beide jede ÄMtwort ans die ihnen gestellten Kragen abkehnten. Eine Unterredung mit Herriot. Viel besprochen wurde ferner eine Unterredung des früheren französischen Ministerpräsidenten Herriot/ einer der maßgebendsten Männer der Radikalen, mit einem Jurnalisten, in der kluge Leute die Anmeldung einer neuen Kandidatur für den Posten des Regie rungschefs erblicken wollten. Die Ausführungen Herriots sind in der Tat fehl beachtlich. Sie enthalten eine Stellungnahme zu fast allen Fragen? die gegenwärtig in der Außenpolitik der europäischen Mächte im Vordergrund stehen. Herriot vergleicht die gegenwärtige Lage mit der im Jahre 1924 und meint, damals habe die von ihm geführte radikale Regierung den Tawesplan und dis Ruhrräumung durchzuführen gehabt, heute handele es sich um die Inkraftsetzung des Young-Planes, ferner müßten Entscheidungen über das Schuldenabkommen und die Rheinlandräumung getroffen werden. Herriot fuhr fort: „ES scheint mir unmöglich, vie drei Fragen de» Ratifizierung der Schuldenabkommen, ves Jnkrafi« setzens des Nvnng-Planes und »er Rheinlandräumung voneinander zu trennen. Man muß offenes Spiel spielen und entweder eine Politik des Friedens ver folgen oder sie gar nicht versuchen, sich von England trennen oder das Rheinland räumen. Tie neuen Schwierigkeiten rühren daher, daß die Regierung sich für die Zwecke ihrer Innenpolitik an eine Mehrheit wendet, die ihr in ihrer Außenpolitik «ächt »folgen Witt. Ich bin überzeugt, daß die Ereignisse sich so entwickeln werden, daß sie den Widerspruch in »er poli tischen Lage sprenge,» und die ganze Frage auf ein« logische Grundlage stellen werden. Ausschaltung der Saarfrage? In Bezug auf die bevorstehende politische Kon ferenz meinte Herriot, „Stresemann dürfe die Verhand lungen nicht mit allen Fragen und insbesondere nicht mit der Saarfrage belasten." Man müsse schrittweis« voraehen: ..jeder Schwierigkeit ihre Stunde!" Von einer Ausschaltung der Saarfrage ist übri gens auch in verschiedenen Zeitungen der französischen Rechten die Rede. DeutschÄseits kann demgegenüber nur aus die Erklärungen Stresemanns hingewtesen werden. Stichhaltige Gründe für die Vertagung de» Saarfragc sind' nicht gegeben, man muß deshalb daran gehen, sie zu lösen. Im anderen Falle fit der Young- Plan ein Entwurf, der nicht verwirklicht werden kann. Der Anschlag auf Fachot. Zusammenstoß zwischeu Verteidiger «uv Auttäger. - Tie Vernehmung veuoits. In dem Prozeß gegen de« Elsässer Benoit, d« vor etwa einem Jahr einen Revolveranschlaa aus den früheren Generafitaatssnwalt.von Kolmar, Fachot, ver< Arnold Merten s Modell Roman von Anna Fink OpxiiglN bx I'rsu Loos klick, vissäsL-I»LubogLSt, Lramorstr. LI (31. Fortsetzung) „So ist es recht", fuhr der Graf freundlich fort, als sich Rens gehorsam niederlieb. „Mir scheint, daß da ein ganz unseliges Mißverständnis vorliegt. Und eS wird mir eine Freude sein, das aufzuklären. Nichts ist mir ein größeres Bedürfnis, als dies zu tun. Durch wen haben Sie denn erfahren, daß Yvonne Sie angeblich betrüge?" „Es war ein Herr, au dessen Behauptungen ich keinen Grund hatte zu zweifeln", murmelte RenS. „So kommen wir zu keinem Ziele", sagte der Graf. „Nun ja, ich kann es Ihnen ja erzählen", meinte RenS nach kurzem Zögern. „Sie werden sich entsinnen, daß Sie mit den beiden Damen von Schiss gingen, als schon alle Passagiere an Land gegangen waren. Ich stand schon ziem lich lange Zeit au der Kaimauer, um Yvonne und ihre Mutter ja nicht zu versäumen. Denn es sollte doch eine große Uebervaschung für sie sein. Ich Tor glaubte, sie würde sich darüber freuen" und trübselig starrte RenS vor sich auf den Teppich. „Das hat sie ja auch getan", sagte -er Graf tröstend. „Wenn Sie wüßten, Herr Valier, wie oft Yvonne " „Lassen Sie mich weiter erzählen", unterbrach ihn -er andere. „Ich fragte ein paar Passagiere der ersten Klasse nach Len beiden Damen. Ich weiß ja, wie das an Bord ist: man kennt sich vom Sehen doch mindestens. ES waren ein Herr und eine Dam«. Und der Herr sagte: ,Sie meinen Mademoiselle Yvonne? Natürlich, sie befindet sich mit Madame Roland ebenfalls an Bord. Die Kleine hat sich sehr stark mit einem deutschen Grafen angefreunLet. Die Leiden sind ja unzertrennlich geworden. Man steht sie nie anders als Arm in Arm. Sie will ja auch mit dem Grafen von hier aus weiter fahren. Der Beneidenswerte', fügte -er Herr mit einem unverschämten Lächeln hinzu. Ich hätte ihm am liebsten auf der Stelle eine Ohrfeige gegeben", berichtete RenS. „Das wäre auch gar nicht so unangebracht gewesen!" be stätigte der Graf. „Können Sie mir nicht sagen, wie der Herr aussah?" fragte er dann. „Es war «in Engländer und zudem ein früherer Geschäftsfreund von mir", sagte RenS, „von dem ich an nehmen kann/ daß er alles mit der genügenden Objektivität und Nüchternheit betrachtet." - Jetzt konnte der Graf sich nicht mehr beherrschen. Er lachte laut heraus. Unwillig sah ihn RenS an. „Entschuldigen Sie, mein Freund", rief der Graf noch immer lachend. „Aber was Sie da eben von sich gegeben haben ist gerade in diesem besonderen Fall unglaublich komisch!" Und Graf Heilmannsdorf erzählte dem jungen Fran zosen, daß es gerade Mister Brown gewesen war, der mit Yvonne auf Tod und Leben zu flirten versucht hätte. „Und Yvonne, wie hat sie sich dazu verhalten?" fragte Rens argwöhnisch. „Und wie kam Mister Brown dazu, aus gerechnet Sie derartig hinetnzubringen?" „Passen Sie auf, das liegt ganz klar auf der Hand!" meinte der Graf. „Erstens einmal hat sich der hohe Herr darüber geärgert, daß sie ihn hat avlaufen lassen, denn das hat sie getan." Im Interesse RenSs glaubte der Graf die kleine Un wahrheit sagen zu dürfen. ES war ja auch tatsächlich nichts weiter von Bedeutung »wischen den beiden geschehen, wenn man die Anlogenheit mit Yvonnes Augen betrachtete. „Wirklich?" fragte RenS, der jetzt in d«m Engländer rin -weites Objekt für seine Eifersucht gefunden hatte. „So wahr, wie ich hier fitze", beteuerte Ler Graf ernst. „Und zweitens", fuhr er fort: ,Was ich Lenk und tu', trau' ich andern zu' besagt ein altes deutsches Sprichwort! So auch in diesem Falle. Ich, mein lieber, junger Freund, habe Gelegenheit gehabt, Yvonne und deren vortreffliche Mama kennen zu lern«. Mr haben manche angenehme Stunde Miteinander verplaudert, das gebe ich ohne weiteres zu. Aber ich wüßte nicht, wo das Unrecht liegen sollte. Ich alter Mann, Ler kinderlos ist, habe meine Freude an der natürlichen und unverdorbenen Art von Fräulein Yvonne gehabt. Ich habe sie oft beobachtet. Seien Sie versichert, daß sie sich immer vollkommen richtig benommen Hat." Dem Grafen machte es Freude, dieselben Worte zu gebrauchen, die Yvonne beim Abschied gesagt hatte. „Und sie hat so sehr viel von Ihnen gesprochen, Latz ich Sie um diesen Schatz an Anmut und Liebenswürdigkeit nur beneiden könnte, wenn ich noch in Ihrem Alter wäre. Und was den Eng länder anbelangt, um noch einmal auf diesen Unglücksmann zu kommen, der Lie Ursache zu all dem gewesen ist, was sich zwischen Ihnen und mir ereignet hat, so glaubte er sich am besten zu rächen, wenn er mich bei Ihnen anschwärzte. Vielleicht hat er auch gedacht, ich beeinflußte Yvonne a-e-'n ihn." Es war gut, daß RenSs Gedanken so in Anspruch § > ' : men waren, daß er den letzten Satz von Graf Heilmanne- dorfs Rode gar nicht gehört hatte. Sonst wäre er womöglich in seiner Eifersucht gegen den Grafen wieder bestärkt worden. „O, dieser Schuft!" brach RenS aus. „Hätte ich ihn -och hier, zerschmettern möchte ich ihn am liebsten! Und ich bin grob und unhöflich zu Ihnen gewesen, Herr Graf! Wie bin ich außer mir darüber! Können Sie mir verzeihen?" . Er war aufgestanden und streckte dem Grafen beide Hände hin. „Wie gütig sind Sie gegen mich gewesen, daß Die mich ruhig angehört Haven, als ich so außer mir war. Ich wußte gar nicht, was ich sagt«! Bitte, vergessen Sie alles und haben Sie tausend Dank!" Der Graf erhob sich und ergriff mit großer Wärme Lie Hände Les jungen Mannes. (Fortsetzung folgt)