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N L '»N 6» 8 L -- s s un ¬ willkürlich wieder froheren Gedanken Raum. Gleich darauf gute Freunde von- nur wenig. Nach Mann ist unten im „Aber er nimmt so Er- ais ihr sich ge- ging Stephan. Sie schieden wieder als einander. Bis gegen neun Uhr passierte Stephan kam Frau Küchlein. „Mein ° Laden", sagte sie zur Entschuldigung. Den ganzen Lag bin ich umhergelaufen, bis in die späte Nacht", erzählte er traurig. „Daß die Grete so etwas tun konnte!" Dann wollte er wissen, ob sie nicht etwas für ihn hinter lassen habe. „Nichts!" sagte Mutter Lienhart. „Gewiß nichts?" „Ganz gewiß nichts!" Er sah, daß sie die Wahrheit sagte, und zu ihrem staunen schien ihn diese Mitteilung eher zu erfreuen, niederzuschmeltern. Ehrlich und treuherzig sagte er den Grund, als sie danach fragte. „Wenn die Grete hätte etwas antun wollen, hätte sie mir doch etwas schrieben", meine ich. Das leuchtete auch der Meisterin ein, und sie gab gut Anteil an Ihrem Leid, als ich selbst." Des Spezereren- händlers Gattin war ganz in Schwarz gehüllt, als ginge sie zu einer Beerdigung. „Wir haben die ganze Nacht wenig geschlafen. Wir müssen immer an dw arme Grete denken." Tatsächlich hatte sie einen ganzen Jahrgang des Tage blatts durchgeblättert, der, sorgfältig nach Nummern ge ordnet, in der Kommodeschublade lag, und sich alle Fälle von Selbstmord aus Liebeskummer gewissenhaft gemerkt. Ganz allmählich brachte sie einen nach dem anderen auss Tapet. Bevor sie aber bis zum dritten Quartal gekommen war, kam neuer Besuch. Diesmal waren es Frau Essinger und Madame Hellborn zugleich. Die Witwe des Grenz aufsehers war ernstlich niedergeschlagen und weinte einig- echte Tränen, bei denen allerdings der Gedanke au den verlorenen Mietzins den Ausschlag geben mochte. Auch Frau Thusnelda war bewegt. Sie ließ sich schwcrsällig aus dem alten geblümten Sofa nieder, und sah halb neu gierig, halb bedauernd auf die beklagenswerte Hausfrau. „Goit", sagte sie, „wer hätte so etwas gedacht! Aber sagen Sie, Frau Lienhart, wie ist es nur möglich? Ist das Fräulein Gretchen doch ein solch gutes, ein solch ver ständiges Mädchen!* Nun mußte Mutter Lienhart die ganze Geschichte er zählen, von Anfang bis zu Ende, und die Frauen fanden sie derart rührend, daß sie allesamt in Tränen ausbrachen. Minutenlang hörte man in dem einfachen Stübchen nichts als das herzbrechende Weinen der vier Frauen. Besonders Frau Küchlein zeichnete sich durch langgezogenes Schluchzen aus. Später kamen noch zwei Frauen aus der Nachbarschaft hinzu, die sofort bereit waren, ihre Kräfte mit denen der übrigen Frauen zu vereinen. Meister Lienhart hatte unten in der Werkstatt seine Ruhe auch nicht gefunden. Schlürfend kam er bald wieder die Treppe herauf. Schon auf den unteren Stufen hörte er das laute Klagen, und eine schreckliche Ahnung stieg in seiner Brust auf. Sein Haar wollte sich sträuben und die Knie versagten den Dienst. Sie ist gefunden, nichts anderes! Er fühlte, wie ihm das Blut aus den Wangen wich, und plötzlich stieg er mit verdoppelter Eile die Treppe hinauf. Er riß die Tür der Wohnstube aus. Eutsetzt schrien die Frauen auß während er ganz verdutzt auf der Schwelle stehenblieb. Seine schlimme Laune wurde durch den An blick, der sich ihm bot, keineswegs gebessert. Sofort er kannte er, daß seine neue Befürchtung grundlos war. „Der Teufel auch!" stieß er hervor. Mutter Lienhart wischte sich die Augen. „Aber Lien hart", sagte sie vorwurfsvoll, „wie du uns erschreckt hast! Tritt doch ruhiger ein, wen» Besuch da ist!" so „Oder du die einfältige Idee mit dem Uiszigeth? Wer hat die beiden überhaupt ins Haus gebracht, du oder ich? Du hast den Grobian zuerst holen lassen. Vielleicht hat er den Fanutti schon erschossen, und du kannst sagen, was du willst, der Fanutti war doch ein manierlicher Mann." „Schwindler sind sie alle beide", polterte der Meister. „Gin Heller Schwindel war es gestern mit dem Tele- - graphenboten. Ich lasse mich hängen, wenn da nicht etwas dahintergesteckt hat." „Horch! Es kommt wieder jemand!" Diesmal war es zur Abwechslung der Gerichtsbote. Der Mann schien ein besonderes Vergnügen darin zu finden, in aller Frühe, beim infamsten Wetter, seine Zu stellungen ausführen zu können. Mit großer Umständlich, keil besorgte er sein Geschäft: er setzte mit Sorgfalt ge heimnisvolle Notizen auf einen verdächtig aussehenden > Brief, den er dem nichts Gutes ahnenden Meister übergab. „Morgen!" sagte er brummig, und verlieh die Stube, Wobei er einen niedlichen kleinen See auf dem weißen Boden zurückließ. Als Lienhart das Schreiben las, verdüsterte sich sein Gesicht noch mehr. „Das ist doch heillos!" „Was gibt's denn schon wieder; ich bitte dich?" „Das hat er absichtlich getan. Daß ich mich am frühen Morgen ärgern soll." „So sprich doch!" „Was wird es sein! Kienzle hat mich verklagt, und vor das Amtsgericht bin ich geladen. Wegen des Rocks... Das ist doch einfältig!... Aber ich nehme auch einen Advokaten. Den Tüchtigsten!... Ich verklage ihn wieder wegen böswilliger Ruhestörung am Morgen." Zornig warf er das Schreiben auf den Tisch. „Der Tag wird sehr gut. Zuerst das Wetter, daß man kein Auge zutun kann, dann der Lump von Prometheus. Darauf läßt du die Milch anbrennen. Jetzt kommt die Klage... Ich glaube, am besten wäre, ich ginge gleich wieder zu Bett und zöge Mir die Decke über die Ohren. Ich mag gar nichts mehr sehen." „Das wäre-das Richtigste", sagte Mutter Lienhart mit Spott. „Und ich dürfte dasttzen und zusehen, wie alles drunter und drüber geht... Ich meine, am besten wäre es, du sähest wieder einmal nach dem Geschäft und nach der Werkstatt. Die Jungen verwildern ja vollständig." Lienhart sah ein, daß sie recht hatte, und mit einem bellommenen Seufzer verließ er die Stube, um die Stufen hinabzusteigen. Einen Augenblick überlegte sich die Frau Meisterin, ob sie noch eine Tasse Kaffee trinken sollte. Aber ohne Milch mochte sie ihn nicht genießen und mit der an- gebrannten Milch war er ihr zu schlecht. So saß sie still und betrübt am Tische und hing unerfreulichen Gedanken nach. Es war ihr so schwer um das Herz, wie noch nie in ihrem Leben. In dieser Betrübnis kam ihr der Gedanke an das ägyptische Traumbuch. Fast hätte sie es vergessen in der Unruhe dieser Tage, und sogleich holte sie es aus seinem dunklen Versteck hervor. Mit Interesse las sie wieder ein mal die Vorbemerkungen, die Gebrauchsanweisung und das Blatt mit den Anerkennungsschreiben. Sodann besann sie sich, was sie am besten nachschlagen könnte. „Milch anbrennen lassen", siehe unter „Angebrannte Milch". Da stand es ja schon unter den ersten Zeilen: „Bedeutet großes Unglück." Auch das noch! Es verging ihr die Lust, noch weiter nachzuschlagen. Selbst dieser Trost blieb ihr heute versagt. Wehmütig legte sie die zerrissenen, schmutzigen Blätter auf einander und verfenkte sie in der Tiefe des Glaskastens. Sie versuchte zu arbeiten; aber sie war wie gelähmt. Sie brachte nichts sertig. Auch kamen Leute, um sich nach der Grete zu erkundigen. Zuerst Stephan. Er vergaß in dem gemeinsamen Leid, wie unschön Mutter Lienhart sich ihm gegenüber benommen hatte. Der arme Bursche sah eingefallen und abgehärmt aus.